Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 10.02.2011


BGH 10.02.2011 - IX ZB 250/08

Restschuldbefreiungsversagung: Verschulden des Schuldners bei eigenmächtiger Änderung des Vermögensverzeichnisses durch den Verfahrensbevollmächtigten


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
10.02.2011
Aktenzeichen:
IX ZB 250/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Landshut, 29. September 2008, Az: 32 T 2274/08, Beschlussvorgehend AG Landshut, 1. August 2008, Az: 4 IK 674/06
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Dem Schuldner kann das Fehlverhalten seines Verfahrensbevollmächtigten, der das vollständig ausgefüllte und unterzeichnete Vermögensverzeichnis eigenmächtig ändert, nicht als eigenes (qualifiziertes) Verschulden zugerechnet werden .

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Gläubigers wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Landshut vom 29. September 2008 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die anwaltlich vertretene Schuldnerin beantragte am 25. Juli 2006 die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über ihr Vermögen sowie Restschuldbefreiung und Stundung der Verfahrenskosten. Dem Antrag war unter anderem eine Vermögensübersicht beigefügt, welche das Datum 19. Juli 2006 sowie die Unterschrift der Schuldnerin trägt. Am 12. Oktober 2006 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zu 2 (fortan: Treuhänder) zum Treuhänder bestellt. Am 4. April 2008 ordnete das Insolvenzgericht unter Fristsetzung bis zum 3. Juni 2008 das schriftliche Verfahren für den Schlusstermin an.

2

Am 15. April 2008 hat der weitere Beteiligte zu 1 (fortan: Gläubiger), der frühere Ehemann der Schuldnerin, die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt, weil die Schuldnerin im Vermögensverzeichnis das Miteigentum an einer Eigentumswohnung, die aus der Vermietung der Wohnung erzielten Mieteinkünfte, ihre Unterhaltsansprüche gegen ihn sowie insbesondere einen am 17. Juli 2006 überwiesenen Betrag von 1.536 € für die Monate Februar bis Juli 2006 verschwiegen habe; auch den von August bis November 2006 fortlaufend gezahlten Unterhalt von monatlich 256 € habe sie gegenüber dem Treuhänder nicht angegeben. Schließlich habe sie nicht mitgeteilt, dass sie mit notariellem Vertrag vom 25. Juli 2002 ihren Miteigentumsanteil an dem Grundstück V. in D. gegen Einräumung eines Leibgedinges einschließlich eines Wohnrechts auf ihre Tochter übertragen habe.

3

Das Insolvenzgericht hat die Restschuldbefreiung versagt, weil die Schuldnerin die Mieteinnahmen, den Unterhaltsanspruch sowie das Leibgedinge grob fahrlässig verschwiegen habe. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat das Landgericht den Versagungsantrag des Gläubigers unter Aufhebung des Beschlusses des Insolvenzgerichts abgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde will der Gläubiger die Wiederherstellung des insolvenzgerichtlichen Beschlusses erreichen.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 289 Abs. 2, §§ 6, 7 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

5

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Vermögensübersicht sei unvollständig gewesen, weil sie weder die Mieteinnahmen noch den Unterhaltsanspruch ausgewiesen habe; im Ergänzungsblatt 5c habe das Leibgedinge gefehlt. Die Schuldnerin habe jedoch nicht grob fahrlässig gehandelt. Es seien lediglich zwei Gläubiger vorhanden gewesen, die bestens informiert gewesen seien. Die Schuldnerin habe sich anwaltlicher Hilfe sowie einer Schuldnerberaterin bedient und sich ersichtlich bemüht, die amtlichen Formulare richtig auszufüllen. Den Unterhaltsanspruch habe sie zunächst angegeben. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Überkleben der Eintragung ohne Rücksprache mit der Schuldnerin in der Kanzlei ihres Verfahrensbevollmächtigten erfolgt sei.

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2. Die Schuldnerin hat eine gesetzliche Auskunftspflicht verletzt und damit die objektiven Voraussetzungen des Versagungstatbestandes des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO erfüllt. Die Ausführungen des Beschwerdegerichts zu dessen subjektiven Voraussetzungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

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a) Hinsichtlich des Unterhaltsanspruchs hat das Beschwerdegericht ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten der Schuldnerin im Ergebnis zutreffend verneint.

8

aa) Entgegen der Ansicht des Gläubigers kann der Schuldnerin ein mögliches Fehlverhalten ihrer Verfahrensbevollmächtigten nicht gemäß §§ 4 InsO, 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden. Gemäß § 85 Abs. 2 ZPO steht das Verschulden eines Prozessbevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Im Insolvenzverfahren könnte diese Vorschrift über die Verweisung in § 4 InsO entsprechende Anwendung auf die Versäumung von Verfahrenshandlungen Anwendung finden (vgl. MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl. § 4 Rn. 52). Kommt es jedoch darauf an, ob der Schuldner in den nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO vorzulegenden Verzeichnissen seines Vermögens und seines Einkommens, seiner Gläubiger und der gegen ihn gerichteten Forderungen vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat (§ 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO), kann dies jedoch nur nach dem Verhalten des Schuldners selbst beurteilt werden. Die Versagungstatbestände des § 290 Abs. 1 InsO sind Ausdruck des Grundsatzes, dass nur dem redlichen Schuldner Gelegenheit gegeben werden soll, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien (§ 1 Satz 2 InsO; vgl. auch BT-Drucks. 12/2443, S. 190). Kommt es auf die Redlichkeit des Schuldners an, können Versagungsgründe nur in seiner Person entstehen. Verstößt ein vom Schuldner hinzugezogener, seiner Qualifikation nach grundsätzlich geeigneter Berater vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen seine Beratungspflichten, lässt dies keinen Rückschluss auf die Redlichkeit oder Unredlichkeit des Schuldners zu. Eine Versagung der Restschuldbefreiung allein wegen des Fehlverhaltens einer Hilfsperson kommt daher nicht in Betracht (im Ergebnis ebenso HmbKomm-InsO/Streck, 3. Aufl. § 290 Rn. 40).

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Dies bedeutet nicht, dass sich der Schuldner durch die Einschaltung von Hilfspersonen jeglicher Verantwortung entledigen könnte. Lässt der Schuldner etwa die Antragsformulare, insbesondere das Vermögensverzeichnis gemäß § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO, von einem Dritten vervollständigen, hat er vor der Unterzeichnung die Richtigkeit aller Angaben zu überprüfen. Unrichtige Angaben sind ihm dann aufgrund eigenen Fehlverhaltens zuzurechnen; das ungeprüfte Unterschreiben eines von dritter Seite ausgefüllten oder noch auszufüllenden Formulars wird regelmäßig als grob fahrlässig, unter Umständen sogar als bedingt vorsätzlich hinsichtlich jeglicher im Text enthaltenen Unrichtigkeit angesehen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010 - IX ZB 167/09, ZVI 2010, 345 Rn. 9, 11). Die Entscheidung AG Göttingen ZVI 2003, 88, 89, die in der Kommentarliteratur als Beleg für eine mögliche Zurechnung fremden Verschuldens angeführt wird (FK-InsO/Ahrens, 6. Aufl. § 290 Rn. 73), behandelt ebenfalls einen Fall eigenen Verschuldens des Schuldners, der ein unrichtig ausgefülltes Formular ungeprüft unterzeichnet hatte. Auch bei der Auswahl einer ersichtlich ungeeigneten, nicht fachkundigen oder mit den tatsächlichen Umständen des Falles nicht vertrauten Hilfsperson kann dem Schuldner vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten zur Last fallen.

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bb) Das Beschwerdegericht hat nicht ausschließen können, dass der Unterhaltsanspruch im Vermögensverzeichnis aufgeführt war, als die Schuldnerin es unterschrieb, und dass die betreffende Eintragung nachträglich im Büro der Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin "geweißt" worden ist, ohne dass die Schuldnerin hiervon erfuhr. Dieser Vorgang kann der Schuldnerin nicht als eigenes (qualifiziertes) Verschulden zugerechnet werden. Weder wusste sie von einer so bewirkten Unrichtigkeit des Vermögensverzeichnisses, noch musste sie mit einem derart groben Fehlverhalten ihrer Verfahrensbevollmächtigten rechnen. Die Feststellungslast trifft den Gläubiger (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2003 - IX ZB 37/03, BGHZ 156, 139, 147).

11

b) Hinsichtlich der nicht angegebenen Mieten kann ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten nicht deshalb verneint werden, weil die vorhandenen Gläubiger über die Vermögensverhältnisse der Schuldnerin „bestens informiert“ gewesen seien. Objektiv ändern Kenntnisse von Gläubigern nichts an den Pflichten des Schuldners aus § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Die Vorlage der in diesen Vorschriften genannten Verzeichnisse dienen der Information der Gläubiger über die geplante Schuldenbereinigung, aber auch der Entlastung des Insolvenzgerichts (BGH, Beschluss vom 17. März 2005 - IX ZB 260/03, ZVI 2005, 641, 642; vom 16. Dezember 2010 - IX ZB 63/09, z.V.b., Rn. 6 mwN). Für das im Verbraucherinsolvenzverfahren der Verfahrenseröffnung vorangehende Schuldenbereinigungsverfahren sind richtige und vollständige Angaben des Schuldners erforderlich. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterliegt es deshalb nicht der Beurteilung des Schuldners, Angaben zu unterlassen, weil sie für die Gläubiger nicht von Interesse seien (BGH, Beschluss vom 17. März 2005, aaO; vom 7. Dezember 2006 - IX ZB 11/06, ZInsO 2007, 96 Rn. 8; vom 16. September 2010 - IX ZB 128/09, NZI 2010, 911 Rn. 2). Ein unvermeidbarer Irrtum des Schuldners über den Umfang seiner aus §§ 305, 307 InsO folgenden Pflichten kann Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit im Einzelfall allerdings ausschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2010, aaO). Dass sie angenommen hätte, den Gläubigern bekannte Umstände nicht in ihren Antrag aufnehmen zu müssen, hat die Schuldnerin im Schriftsatz vom 2. Juli 2008, auf den das Beschwerdegericht Bezug genommen hat, jedoch selbst nicht behauptet und hat das Beschwerdegericht auch nicht festgestellt. Ein etwaiger Irrtum der Schuldnerin wäre zudem nicht unvermeidbar gewesen. Die Schuldnerin hätte gegebenenfalls ihre Verfahrensbevollmächtigten sowie die Schuldnerberaterin, mit deren Hilfe sie den Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens vorbereitet hat, befragen müssen.

12

Das Beschwerdegericht hat ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten der Schuldnerin hinsichtlich der Mieteinnahmen auch deshalb verneint, weil die Schuldnerin die Mieteinnahmen ihrem mit der Abgabe der Erklärung betrauten anwaltlichen Vertreter gegenüber nicht verschwiegen habe. Diese Begründung trägt die Zurückweisung des Versagungsantrags jedoch ebenfalls nicht.

13

Das Beschwerdegericht hat nicht festgestellt, aus welchen Gründen die den Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin bekannten Mieteinnahmen nicht in das Vermögensverzeichnis aufgenommen worden sind. Vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten der Schuldnerin ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil ihrem Verfahrensbevollmächtigten die Mieteinnahmen bekannt gewesen sein sollen. Die Schuldnerin hat mit ihrer Unterschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit der in der Vermögensübersicht gemäß Anlage 4 enthaltenen Angaben bestätigt. Ein "blindes" Unterschreiben einer von einem Dritten verfassten Erklärung kann grob fahrlässig sein (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010 - IX ZB 167/09, ZVI 2010, 345 Rn. 9). Dass das Verschweigen der Mieteinnahmen auf einer unrichtigen Belehrung seitens der Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin oder der Schuldnerberaterin beruht habe, ist ebenfalls weder vorgetragen noch vom Beschwerdegericht festgestellt worden.

14

c) Hinsichtlich der Nichtangabe des Leibgedinges gilt das zu den Mieteinkünften Gesagte. Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit sind nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil den beiden am Verfahren beteiligten Gläubigern die Übertragung des Hausgrundstücks bekannt war.

III.

15

Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben; die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO). Dieses wird unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats die Voraussetzungen eines vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verhaltens der Schuldnerin erneut zu prüfen haben. Nicht berücksichtigt wurde bisher, dass der Gläubiger seinen Versagungsantrag auch darauf gestützt hat, dass die Schuldnerin die im Juli 2007 geleistete Unterhaltsnachzahlung nicht angegeben hat. Eine nur geringfügige Verletzung von Auskunfts- und Mitwirkungspflichten rechtfertigt eine Versagung der Rest-schuldbefreiung nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2003 - IX ZB 388/02, ZVI 2003, 170, 171; vom 8. Januar 2009 - IX ZB 73/08, ZVI 2009, 168 Rn. 23; Uhlenbruck/Vallender, InsO 13. Aufl. § 290 Rn. 74).

Kayser                                Gehrlein                                       Vill

                 Lohmann                                     Fischer