Entscheidungsdatum: 21.01.2010
1. Der Schuldner kann sich im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen nicht darauf berufen, dass ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht zugestellt worden ist, wenn ihm im Ursprungsland noch ein Rechtsbehelf zur Verfügung steht, mit dem er dies geltend machen kann .
2. Erfolgt die Zustellung der für vollstreckbar zu erklärenden Entscheidung erst mit dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung, hat das Beschwerdegericht erforderlichenfalls das Verfahren auszusetzen und eine Frist zu bestimmen, in der der Schuldner den Rechtsbehelf bei dem ausländischen Gericht einzulegen hat.
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 14. September 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 30.815,96 € festgesetzt.
I.
Die Antragsgegnerin (im Folgenden auch Schuldnerin) wurde durch Mahnbescheid Nr. … des Tribunale di Milano vom 18. Oktober 2005 zur Zahlung von 30.815,96 € an die Antragsstellerin (nachfolgend auch Gläubigerin) verpflichtet. Die Schuldnerin hatte sich auf das Verfahren in Italien nicht eingelassen. Der Antrag auf Erlass des Mahnbescheids und der Mahnbescheid (decreto ingiuntivo) waren ihr am 27. Dezember 2005 in der Form zugestellt worden, dass während ihrer Betriebsferien das Schriftstück einem in ihren Geschäftsräumen ausnahmsweise anwesenden Beschäftigten übergeben worden war, der in einer anderen Betriebsstätte angestellt war. Ob, wie und an wen der Empfänger das Schriftstück weitergab, konnte nicht festgestellt werden. Die Geschäftsführungsorgane der Antragsgegnerin erhielten es nicht. Mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2006 beantragte die Gläubigerin, den Mahnbescheid für vollstreckbar zu erklären.
Am 20. März 2007 hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des Landgerichts den Mahnbescheid für vollstreckbar erklärt. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat das Oberlandesgericht diese Entscheidung aufgehoben und den Antrag auf Vollstreckbarerklärung zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Gläubigerin Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 15 Abs. 1 AVAG statthaft und zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Das Beschwerdegericht meint, die Vollstreckbarerklärung verstoße gegen Art. 34 Nr. 2 EuGVVO, denn die Antragsgegnerin habe sich auf das Verfahren nicht eingelassen, weil sie sich aufgrund fehlender Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks vor Erlass des Mahnbescheids nicht habe verteidigen können. Die Zustellung des Mahnbescheides, die gemäß Art. 7 EuZVO nach den Vorschriften der ZPO zu beurteilen sei, müsse als unwirksam angesehen werden. Die Übergabe an eine in den Geschäftsräumen der Antragsgegnerin nur zufällig anwesende Person, die in einer anderen Niederlassung der Antragsstellerin beschäftigt gewesen sei, reiche für eine wirksame Ersatzzustellung nicht aus. Es könne nicht festgestellt werden, ob das zuzustellende Schriftstück überhaupt in die Hand des Leiters der Antragsgegnerin gelangt sei. Die Antragsgegnerin habe keine Möglichkeit gehabt, gegen die Entscheidung des Tribunale di Milano einen Rechtsbehelf einzulegen.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.
a) Auf das Verfahren findet die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (EuGVVO) gemäß Art. 66 Abs. 2 Buchst. a, Art. 76 EuGVVO Anwendung. Gemäß Art. 34 Nr. 2, Art. 45 EuGVVO kann eine ausländische Entscheidung nicht anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte.
b) Die erste Voraussetzung dieser Vorschrift ist erfüllt. Die Antragsgegnerin hat sich auf das Verfahren in Italien nicht eingelassen. Ein Mangel der Zustellung der verfahrenseinleitenden Schriftstücke liegt ebenfalls vor. Das Beschwerdegericht hat aber nicht ausreichend ermittelt, ob die Antragsgegnerin die Möglichkeit gehabt hätte, in Italien einen Rechtsbehelf einzulegen, mit dem sie die fehlerhafte Zustellung geltend machen konnte.
aa) Soweit die Rechtsbeschwerde meint, die Zulassung der Rechtsbeschwerde sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil das Beschwerdegericht in Abweichung von der Rechtsprechung des EuGH verkannt habe, dass es sich bei der Zustellung des Mahnbescheids um die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks gehandelt habe, ist kein Rechtsfehler festzustellen. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Beschwerdegericht - jedenfalls im Ergebnis - nicht verkannt, dass es sich bei dem das Verfahren einleitenden Schriftstück im Sinne des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO um den italienischen Mahnbescheid (decreto ingiuntivo) zusammen mit der einleitenden Antragsschrift handelt (vgl. EuGH, Urt. v. 13. Juli 1995 - Rs C-474/93 [Hengst-Import BV v. Campese], SLG. 1995 S. I - 2113 -; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht 8. Aufl. Art. 34 Rn. 29). Zwar führt das Berufungsgericht missverständlich aus, das verfahrenseinleitende Schriftstück sei der Antragsgegnerin nicht vor Erlass des Mahnbescheids zugestellt worden, so dass diese sich vor Erlass des Mahnbescheides nicht hätte verteidigen können, obwohl der Mahnbescheid selbst - in Verbindung mit dem Antrag auf dessen Erlass - das verfahrenseinleitende Schriftstück ist. Gleichwohl hat das Beschwerdegericht geprüft, ob Mahnbescheidsantrag und Mahnbescheid selbst der Antragsgegnerin so rechtzeitig zugestellt worden sind, dass diese sich dagegen verteidigen konnte. Inhaltlich hat es damit die beiden genannten Schriftstücke als die das Verfahren einleitenden Schriftstücke angesehen. Dies entspricht - auch nach der Darstellung der Rechtsbeschwerde - der Ausgestaltung des italienischen Mahnverfahrens.
bb) Das Beschwerdegericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Antragsgegnerin den das Verfahren einleitenden Mahnbescheid mitsamt dem Antrag auf dessen Erlass nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt bekommen hat, dass sie sich dagegen verteidigen konnte. Auf die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks finden gemäß Art. 7 Abs. 1 EuZVO die Zustellungsvorschriften der ZPO Anwendung. Diese hat das Beschwerdegericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Zwar ist im Anwendungsbereich des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO eigenständig zu prüfen, ob die Zustellung rechtzeitig erfolgt ist (vgl. BGH, v. 12. Dezember 2007 - XII ZB 240/05, NJW-RR 2008, 586 Rn. 27 f; Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 34 Rn. 31). Bloß formale Mängel der Zustellung sollen deren Wirksamkeit nicht hindern, wenn der Antragsgegner ungeachtet dieser Mängel die Möglichkeit hatte, so rechtzeitig von dem zuzustellenden Schriftstück Kenntnis zu nehmen, dass er sich in dem Ausgangsverfahren noch verteidigen konnte. Gegen diese Grundsätze hat das Beschwerdegericht zumindest im Ergebnis aber nicht verstoßen, denn es hat nicht nur formale Fehler der Zustellung festgestellt, sondern vielmehr deren vollständiges Fehlschlagen.
Gegen die Feststellung des Beschwerdegerichts, eine Ersatzzustellung der verfahrenseinleitenden Schriftstücke sei nach Maßgabe der Vorschriften der ZPO nicht wirksam erfolgt, hat die Rechtsbeschwerde nichts Erhebliches vorgebracht. Die Leitungsorgane der Antragsgegnerin hatten nach der Entscheidung des Beschwerdegerichts keine Möglichkeit, die einleitenden Schriftstücke so rechtzeitig zur Kenntnis zu nehmen, dass sie gegen den Mahnbescheid innerhalb der Einspruchsfrist von vierzig Tagen ab Zustellung des Mahnbescheids hätten Einspruch einlegen können. Diese tatrichterlichen Feststellungen werden von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen.
cc) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann die Wirksamkeit der Zustellung nicht anhand des Zustellungskataloges des Art. 13 f der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (EuVTVO) beurteilt werden. Die Art. 12 ff EuVTVO lassen die nationalen Zustellungsregeln und die Zustellungsregeln der EuZVO unberührt (Zöller/Geimer, ZPO 28. Aufl. Art. 12 EuVTVO Rn. 2 m.w.N.). Abweichende Auffassungen legt die Rechtsbeschwerde nicht dar.
c) Die Beschwerdeentscheidung kann jedoch wegen der fehlenden Auseinandersetzung des Beschwerdegerichts mit der Frage, ob die Antragsgegnerin tatsächlich keine Möglichkeit hatte, gegen den italienischen Mahnbescheid einen Rechtsbehelf einzulegen, keinen Bestand haben. Die Rechtsbeschwerde rügt mit Recht, das Beschwerdegericht habe es versäumt, das anzuwendende italienische Recht von Amts wegen zu ermitteln (vgl. BGH, Beschl. v. 12. Dezember 2007 aaO S. 587 f Rn. 22 ff, 589 f Rn. 34 ff). Diese Rüge ist auch noch im Verfahren der Rechtsbeschwerde möglich (BGH, Beschl. v. 12. Dezember 2007 aaO Rn. 34; v. 25. Oktober 2006 - VII ZB 24/06, MDR 2007, 487 Rn. 18).
aa) Nach Art. 34 Nr. 2, Art. 45 EuGVVO darf die Anerkennung oder die Vollstreckbarerklärung einer in Abwesenheit ergangenen Entscheidung nicht versagt werden, wenn der Beklagte hiergegen mit einem Rechtsbehelf geltend machen konnte, dass ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück oder das gleichwertige Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden sei, dass er sich hätte verteidigen können (vgl. EuGH NJW 2007, 825, 827; EuGH, Urt. v. 28. April 2009 - Rs. C-420/07, EuGRZ 2009, 210, 216; BGH, Beschl. v. 12. Dezember 2007 aaO S. 589 Rn. 35 ff; v. 6. Oktober 2005 - IX ZB 27/02, IHR 2006, 259 Rn. 18). Zu dieser Vorschrift, bei der es sich um die Nachfolgeregelung zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ handelt, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Anerkennung einer in Abwesenheit ergangenen Entscheidung nicht nach Art. 34 Nr. 2 EuGVVO versagt werden darf, wenn der Beklagte gegen die in Abwesenheit ergangene Entscheidung einen Rechtsbehelf einlegen konnte, mit dem er geltend machen konnte, dass ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück oder das gleichwertige Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden sei, dass er sich habe verteidigen können (BGH, Beschl. v. 12. Dezember 2009 - IX ZB 124/08 Rn. 5). Der Schuldner muss auch dann einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung im Ursprungsstaat einlegen, wenn er - wie hier - von dem Titel erst im Rahmen des Exequaturverfahrens Kenntnis erlangt. Nach dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO ist jeder Rechtsbehelf, der dem Schuldner die Möglichkeit gibt, im Ursprungsstaat geltend zu machen, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück sei ihm nicht zugestellt worden, als Rechtsbehelf im Sinne des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO anzusehen, ohne dass es auf den Zeitpunkt der Zustellung, die nicht ordnungsgemäß sein muss, ankommt. Eine Einschränkung, dass nur solche Rechtsbehelfe die Nichtanerkennung der Entscheidung verhindern, die der Schuldner schon vor Beginn des Exequaturverfahrens hätte ergreifen können, kann der Verordnung nicht entnommen werden (vgl. Art. 46 Abs. 1 EuGVVO). Ein Rechtsverlust des Antragsgegners durch Verweisung auf einen ihm noch zur Verfügung stehenden Rechtsbehelf ist deshalb nicht zu besorgen.
bb) Aus dem Wortlaut des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO geht hervor, dass eine Entscheidung, die in Abwesenheit auf der Grundlage des verfahrenseinleitenden Schriftstücks erlassen wurde, das dem Antragsgegner, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, anzuerkennen ist, wenn er gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt hat, obwohl er dazu in der Lage war (EuGH EuGRZ 2009, 210, 216 Rn. 77). Eine Aussage zu dem Zeitpunkt, zu dem der Antragsgegner die Möglichkeit haben muss, einen Rechtsbehelf einzulegen, ist der Vorschrift nicht zu entnehmen. Erfasst werden sämtliche Rechtsbehelfe, die auf die fehlende oder mangelhafte Zustellung gestützt werden können. Dies entspricht der in der Literatur mehrheitlich vertretenen Auffassung, wonach ein unterlassener Rechtsbehelf im Sinne des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO vorliegt, wenn er im Urteilsstaat aufgrund der fehlerhaften Zustellung eröffnet ist (MünchKomm-ZPO/Gottwald, 3. Aufl. Art. 34 EuGVVO Rn. 33; Prütting/Gehrlein/Schinkels, ZPO Art. 34 EuGVVO Rn. 10; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO 30. Aufl. § 34 EuGVVO Rn. 13; Hk-ZPO/Dörner, Art. 34 EuGVVO Rn. 20; Kroppholler, aaO Rn. 43; Rauscher/Leible, aaO Rn. 40; Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss Art. 34 EuGVVO Rn. 180; noch weiter gehend Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht Art. 34 EuGVVO Rn. 94, der ausführt, der Beklagte müsse "jederlei" nach dem Recht des Erststaates zulässigen Rechtsbehelf einlegen; einschränkend OLG Zweibrücken, IPRax 2006, 487, 489; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht 3. Aufl. Art. 34 EuGVVO Rn. 19, nach deren Auffassung es einen Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren bedeuten würde, wenn der Schuldner gehalten wäre, auch nach Zustellung des Titels im Vollstreckbarerklärungsverfahren Rechtsbehelfe einzulegen). Als zulässige Rechtsbehelfe werden in diesem Zusammenhang auch Anträge auf Wiedereinsetzung angesehen, mit denen das Verfahren wieder eröffnet wird (vgl. Rauscher/Leible, aaO Rn. 40; Prütting/Gehrlein/Schinkels aaO; Hk-ZPO/Dörner aaO; OLG Zweibrücken aaO 488; Roth IPrax 2006, 467). Die Antragsgegnerin ist danach gehalten, alle in Betracht kommenden Rechtsbehelfe zu ergreifen.
cc) Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO spricht für eine weite Auslegung des dort verwendeten Begriffes "Rechtsbehelf". Der Vorgängervorschrift des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO, Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ fehlte der Zusatz "es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte." Die Ergänzung der Regelung erfolgte erst durch die am 1. März 2002 in Kraft getretene Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (ABl. EG 2001 Nr. L 12, S. 1). In Rechtsprechung und Schrifttum zur Ursprungsfassung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ wurde überwiegend die Auffassung vertreten, dass es belanglos sei, ob sich der Antragsgegner im Ursprungsland mit Rechtsbehelfen dagegen hätte zur Wehr setzen können, ihm sei das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht rechtzeitig zugestellt worden (EuGH, Urt. v. 16. Juni 1981 - C-166/80, SLG. 1981, 1593; EuGH, EuZW 1993, 39; BGH, Beschl. v. 18. Februar 1993 - IX ZB 87/90, NJW 1993, 2688; EuGH, NJW 1997, 1061; BGH, Beschl. v. 20. Januar 2005 - IX ZB 154/01, WuM 2005, 203; vgl. Rauscher/Leible, Europäisches Zivilrecht Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 39; Zöller/Geimer, aaO Art. 34 EuGVVO Rn. 24 ff; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl. Art. 34 bis 36 EuGVVO Rn. 19, jeweils m.w.H.). Mit der Neufassung der Verordnung, die als Reaktion auf diese Rechtsprechung zu verstehen ist (Zöller/Geimer, aaO), sollte bewirkt werden, dass der Antragsteller wegen eines Verfahrensfehlers im Ursprungsstaat einen Rechtsbehelf einlegt. Der Verfahrensfehler darf - so die Kommission in der Begründung des Entwurfs (KOM (1999) 348 S. 25) - im Vollstreckungsstaat nicht als Grund für die Ablehnung oder Aufhebung der Vollstreckbarerklärung angeführt werden, wenn er durch Einlegung eines Rechtsmittels hätte beseitigt werden können. Auch hier ist keine Einschränkung zu finden, nach der es sich zwingend um Rechtsbehelfe handeln muss, die ausschließlich vor dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung zulässig sind. Allein maßgebend ist, dass die fehlerhafte Zustellung im Ursprungsstaat gerügt werden kann.
dd) Für ein Verständnis der Vorschrift, dass es allein auf die Frage ankommt, ob es noch einen entsprechenden Rechtsbehelf gibt, spricht auch der Zweck der Neufassung, die Nichtanerkennung auf solche Fälle zu begrenzen, in denen der Zustellungsmangel im Ursprungsstaat nicht mehr geltend gemacht werden kann. Zwar hat der EuGH (NJW 2007, 825, 827) zunächst erkannt, dass der Antragsgegner "die Möglichkeit", einen Rechtsbehelf gegen ein Versäumnisurteil einzulegen, nur dann hatte, wenn er tatsächlich Kenntnis von dessen Inhalt durch eine formal nicht unbedingt ordnungsgemäße Zustellung erlangt hatte, die so rechtzeitig erfolgte, dass er sich vor dem Gericht des Ursprungsstaates verteidigen konnte. In einer neueren Entscheidung vom 28. April 2009 (EuGRZ 2009, 210, 216) wird die Voraussetzung einer rechtzeitigen Zustellung des Schriftstückes aber nicht mehr genannt. Nach diesem Urteil kommt es nur noch darauf an, ob er keine Möglichkeit hatte, einen Rechtsbehelf einzulegen, mit dem er geltend machen konnte, dass ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück oder das gleichwertige Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden sei, dass er sich habe verteidigen können. Hiernach kommt es auf die Wirksamkeit der Zustellung nicht mehr an, wenn der Antragsgegner die Entscheidung durch einen Rechtsbehelf abwenden konnte. Dies entspricht dem Zweck der Neufassung des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO, möglichst weitgehend zu verhindern, dass sich der Schuldner der Vollstreckung aus einem ausländischen Titel entzieht. Hat der Schuldner die Möglichkeit, die unter Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör zustande gekommene vorläufig vollstreckbare Entscheidung im Ursprungsland auch nach Erhalt der Vollstreckbarkeitserklärung noch anzufechten und Vollstreckungsschutz zu erlangen, muss er hiervon Gebrauch machen. Eine Einschränkung der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe auf solche, die der Schuldner nur ergreifen kann, bevor es zu dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung kommt, würde dem Sinn der Verordnung zuwiderlaufen, den Schuldner zu verpflichten, alle in Frage kommenden Rechtsbehelfe im Ursprungsland auszuschöpfen.
ee) Hier macht die Rechtsbeschwerdebegründung unter Hinweis auf Art. 650 der italienischen Zivilprozessordnung geltend, gegen den in Italien erlassenen Mahnbescheid könne auch nach Ablauf der im Mahnbescheid gesetzten Frist noch Widerspruch erhoben werden, wenn der Nachweis erbracht werde, wegen mangelnder Zustellung, aus Zufall oder durch höhere Gewalt vom Mahnbescheid nicht rechtzeitig Kenntnis erhalten zu haben. Die Vollstreckung könne in diesem Fall ausgesetzt werden. Der Widerspruch sei erst nach Ablauf von zehn Tagen ab der ersten Vollstreckungshandlung nicht mehr zulässig. Hiermit hat sich das Beschwerdegericht, das von Amts wegen zur Ermittlung des ausländischen Rechts verpflichtet ist (§ 293 ZPO), bislang nicht befasst.
III.
Die Beschwerdeentscheidung kann deshalb keinen Bestand haben. Das Oberlandesgericht wird - gegebenenfalls unter Aussetzung des Verfahrens nach Art. 46 Abs. 1 EuGVVO und Bestimmung einer Frist zur Einlegung eines Rechtsbehelfs beim Tribunale di Milano - zur prüfen haben, ob es im Ursprungsland einen Rechtsbehelf gibt, den die Antragsgegnerin hätte ausschöpfen müssen.
Ganter Raebel Vill
Lohmann Pape