Entscheidungsdatum: 10.03.2011
Tritt der Erbfall in der Wohlverhaltensphase ein, entsteht die Obliegenheit des Schuldners, die Hälfte des Wertes des Vermächtnisses an den Treuhänder abzuführen, erst mit der Annahme des Vermächtnisses (Ergänzung von BGH, 25. Juni 2009, IX ZB 196/08, WM 2009, 1517) .
Auf die Rechtsmittel des Schuldners werden der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 20. April 2009 und der Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 13. Januar 2009 aufgehoben.
Der Antrag, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.
Der Wert des Verfahrens der Rechtsbeschwerde wird auf 5.000 € festgesetzt.
I.
Das am 24. Mai 2002 auf seinen eigenen Antrag eröffnete Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners wurde nach Ankündigung der Restschuldbefreiung am 19. August 2004 aufgehoben. Am 6. April 2005 verstarb die Mutter des Schuldners. Nach ihrem Testament wurde der Schuldner nicht Erbe; ihm wurde aber als Vermächtnis ein Teil eines Grundstücks zugewendet. Hiervon erfuhr der Treuhänder erst im Januar 2008 durch das Schreiben eines Bruders des Schuldners. Auf die Aufforderung des Treuhänders hin erklärte der Schuldner, er habe weder den Pflichtteil noch das Vermächtnis geltend gemacht; von dem Vermächtnis habe er erst durch den Treuhänder erfahren.
Auf Antrag der weiteren Beteiligten zu 1, bei Gericht eingegangen am 15. Juli 2008, hat das Insolvenzgericht dem Schuldner die Restschuldbefreiung versagt. Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt der Schuldner die Aufhebung der Versagung der Restschuldbefreiung.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 7, 6, 296 Abs. 3 Satz 1 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, § 575 ZPO). Sie hat in der Sache Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Der Schuldner habe gegen die Obliegenheit nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO verstoßen, weil er dem Treuhänder den Anfall des Vermächtnisses nach dem Tod seiner Mutter verheimlicht habe. Er habe selbst eingeräumt, bereits im Jahr 2005 vom Nachlassgericht darüber informiert worden zu sein, dass ihm nach dem Tod seiner Mutter ein Pflichtteilsanspruch gegen den testamentarisch eingesetzten Erben zustehe. Er habe es jedoch unterlassen, den Treuhänder über den jedenfalls bestehenden Pflichtteilsanspruch zu informieren. Auch nachdem er Kenntnis vom Vermächtnis erlangt habe, habe er es unterlassen, sich zur Geltendmachung dieses Anspruchs zu erklären. Insoweit liege auch ein Verstoß gegen die Obliegenheit des § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO vor, weil der Schuldner seine Gläubiger in der Weise benachteiligt habe, dass er den werthaltigen Vermächtnisanspruch nicht ausübe.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Nach dem festgestellten Sachverhalt liegen die Voraussetzungen für eine Versagung der Restschuldbefreiung nach § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO weder in Verbindung mit § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO noch mit § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO vor.
a) Der Schuldner hat die Obliegenheit nach § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht verletzt. Nach dieser Bestimmung hat der Schuldner während der Laufzeit der Abtretungserklärung Vermögen, das er von Todes wegen erwirbt, zur Hälfte des Wertes an den Treuhänder herauszugeben. Zu dem von Todes wegen erworbenen Vermögen gehören neben einer Erbschaft auch ein Pflichtteilsanspruch und ein Anspruch aus einem Vermächtnis. Eine Erbschaft und ein Vermächtnis können jedoch ausgeschlagen werden, und von der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs kann abgesehen werden. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats, die dem Beschwerdegericht noch nicht bekannt sein konnte, stellt der Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs ebenso wie die Ausschlagung einer Erbschaft oder der Verzicht auf ein Vermächtnis keine Obliegenheitsverletzung dar. Die Entscheidung über die Ausschlagung einer Erbschaft und über die Geltendmachung des Pflichtteils ist höchstpersönlicher Natur. Der persönliche Charakter dieser Entscheidungen ist auch in der Wohlverhaltensperiode zu beachten und darf nicht durch einen mittelbaren Zwang zur Annahme der Erbschaft oder zur Geltendmachung des Pflichtteils unterlaufen werden, der sich ergäbe, wenn man schon die Erbausschlagung selbst oder den Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteils als Obliegenheitsverletzung im Sinne von § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO ansähe (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2009 - IX ZB 196/08, WM 2009, 1517 Rn. 13 bis 15). Die Untätigkeit des Schuldners hinsichtlich seines Pflichtteilsanspruchs, die einem Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch gleich zu behandeln ist, weil sie noch vor der Entscheidung über die Restschuldbefreiung zur Verjährung des Anspruchs führte, rechtfertigt deren Versagung deshalb nicht.
Bezüglich des Vermächtnisses kann im Ergebnis nichts anderes gelten. Zwar ist der Anspruch des Schuldners aus dem Vermächtnis nicht verjährt, weil noch die Verjährungsfrist von 30 Jahren nach § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB a.F. nach Maßgabe der Überleitungsbestimmung in Art. 229 § 23 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EGBGB gilt. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts hat der Schuldner das Vermächtnis aber bisher nicht angenommen. Erst mit der Annahme des Vermächtnisses entsteht die Obliegenheit des Schuldners aus § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO, die Hälfte des Werts des Vermächtnisses an den Treuhänder abzuführen. Die dadurch für den Schuldner bestehende Möglichkeit, den Halbteilungsgrundsatz zu umgehen, indem er das Vermächtnis erst nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode annimmt, muss in Kauf genommen werden. Macht der Schuldner den Pflichtteil erst nach diesem Zeitpunkt geltend, tritt diese Folge ebenfalls ein (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2009 - IX ZB 72/09, ZInsO 2009, 1831 Rn. 10). Die bis zum 31. Dezember 2009 geltenden unterschiedlichen Verjährungsfristen (vgl. § 197 Abs. 1 Nr. 2 a.F.: 30 Jahre für den Anspruch aus dem Vermächtnis, § 2332 a.F.: drei Jahre für den Pflichtteilsanspruch) rechtfertigen entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerdegegnerin keine unterschiedliche Behandlung.
b) Die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanzen rechtfertigen auch nicht die Versagung der Restschuldbefreiung wegen eines Verstoßes gegen die Obliegenheit des Schuldners nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Diese Bestimmung verbietet dem Schuldner unter anderem, während der Laufzeit der Abtretungserklärung von Nummer 2 erfasstes, also von Todes wegen erworbenes Vermögen zu verheimlichen. Der Senat hat - ebenfalls nach der Entscheidung des Beschwerdegerichts - entschieden, dass der Begriff des Verheimlichens über denjenigen des schlichten Verschweigens hinausgeht. Er bezeichnet ein Verhalten, durch das von der Abtretung erfasste Bezüge oder von Todes wegen erworbenes Vermögen der Kenntnis des Treuhänders entzogen werden. Ein schlichtes Unterlassen stellt dann ein Verheimlichen dar, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln - zur Offenbarung des Vermögensgegenstandes also - besteht (BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2009 - IX ZB 249/08, WM 2009, 2324 Rn. 11). Die Pflicht, einen in der Wohlverhaltensperiode eingetretenen Erbfall unaufgefordert schon zu einem Zeitpunkt anzuzeigen, zu dem die Erbschaft oder ein Vermächtnis noch ausgeschlagen werden kann oder noch nicht feststeht, ob ein Pflichtteilsanspruch geltend gemacht wird, sieht die Insolvenzordnung nicht vor. Im Übrigen könnte die Versagung der Restschuldbefreiung nach § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO auch deshalb nicht auf die unterlassene Mitteilung eines Erbfalls in diesem Zeitraum gestützt werden, weil die Befriedigung der Gläubiger nicht beeinträchtigt ist, solange der Schuldner die Möglichkeit hat, durch Ausübung der ihm persönlich zustehenden Rechte den Vermögenserwerb rückgängig zu machen (§ 2180 Abs. 3, § 1953 Abs. 1 BGB) oder ihn - im Falle eines Pflichtteilsanspruchs - nicht geltend zu machen.
3. Die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen erfolgt nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis. Nach letzterem ist die Sache zur Endentscheidung reif. Das Rechtsbeschwerdegericht hat deshalb in der Sache selbst zu entscheiden, § 577 Abs. 5 ZPO. Da der von der Beteiligten zu 1 geltend gemachte Grund eine Versagung der Restschuldbefreiung nicht rechtfertigt, ist ihr Antrag zurückzuweisen.
Kayser Gehrlein Fischer
Grupp Möhring