Entscheidungsdatum: 01.07.2010
1. Begeht der Schuldner nach Eintritt in die Wohlverhaltensphase eine Straftat und wird er deswegen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, schließt dies nicht von vornherein die Erteilung der Restschuldbefreiung aus .
2. Befindet sich der Schuldner während der Wohlverhaltensphase für längere Zeit in Haft, entbindet dies einen die Versagung der Restschuldbefreiung beantragenden Insolvenzgläubiger nicht von der Verpflichtung, den Verstoß des Schuldners gegen die Erwerbsobliegenheit und die daraus folgende konkrete Beeinträchtigung der Befriedigungsaussichten der Gläubiger glaubhaft zu machen .
Dem Schuldner wird wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stralsund vom 2. Februar 2009 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.
Auf die Rechtsmittel des Schuldners werden der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stralsund vom 2. Februar 2009 und der Beschluss des Amtsgerichts Stralsund vom 4. November 2008 aufgehoben.
Der Antrag, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 2 als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.
I.
Auf seinen Antrag wurde über das Vermögen des Schuldners nach Verfahrenskostenstundung am 30. Januar 2006 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet, in dem der weitere Beteiligte zu 1 zum Treuhänder bestellt wurde. Mit Beschluss vom 24. Mai 2006 kündigte das Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung an. Am 20. September 2006 wurde das Verfahren aufgehoben. Der Schuldner, der keinen Beruf erlernt hat, war schon vor Verfahrenseröffnung vielfach und erheblich straffällig geworden. Er bezog Arbeitslosengeld II und für eine Nebentätigkeit als Türsteher in einer Diskothek weitere 160 € pro Monat. Hieran änderte sich auch nach Verfahrenseröffnung nichts. Einkommensanteile konnte der Beteiligte zu 1 nicht einziehen und an die Gläubiger verteilen.
Im September 2007 beging der Schuldner einen schweren Raub, für den er mit einem seit 2. Juli 2008 rechtskräftigen Urteil zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden ist. Diese Strafe verbüßt er zur Zeit in einer Justizvollzugsanstalt. Der Schuldner trägt vor, dort zu arbeiten. Nach Ansparen des Überbrückungsgeldes nach § 51 StVollzG werde das dort erzielte Einkommen an seine Gläubiger verteilt werden können. Die beteiligte Insolvenzgläubigerin zu 2 hat allein die Strafhaft zum Anlass genommen, einen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung zu stellen. Diesem Antrag hat das Insolvenzgericht stattgegeben und dem Schuldner die Stundung der Verfahrenskosten entzogen. Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde des Schuldners ist erfolglos geblieben. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Rechtsbeschwerde des Schuldners.
II.
Dem Schuldner ist wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§§ 233, 234 Abs. 2, § 575 ZPO).
III.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, §§ 7, 6 Abs. 1, § 296 Abs. 3 InsO statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) ist begründet. Insolvenz- und Landgericht haben die Voraussetzungen, unter denen die Restschuldbefreiung gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 1, § 296 Abs. 1 InsO versagt werden darf, verkannt.
1. Das Landgericht meint, der Schuldner habe sich durch die Straftat für nahezu die gesamte Wohlverhaltensperiode dem Arbeitsmarkt entzogen und damit gegen die Erwerbsobliegenheit des § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO verstoßen. Entscheidend für die Versagung sei, dass der Schuldner die Straftat nicht etwa vor Beginn jenes Zeitraums begangen habe, sondern gerade in derjenigen Phase, in der er sich hätte bewähren sollen. Von einer Beeinträchtigung der Befriedigungsaussichten der Gläubiger sei auszugehen. Die Einkommensverhältnisse des Schuldners in der Vergangenheit ließen nicht den Schluss zu, dass er ohne die Strafhaft auch während des Rests der Wohlverhaltensphase keine pfändbaren Einkünfte mehr hätte erzielen können.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Versagungsantrag der weiteren Beteiligten zu 2 vom 6. Oktober 2008 ist unzulässig und daher ohne weiteres zurückzuweisen.
a) Gemäß § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO bedarf es zur Versagung der Restschuldbefreiung zwingend eines Gläubigerantrags. Ein solcher Antrag ist nur zulässig, wenn die Versagungsvoraussetzungen glaubhaft gemacht werden, die sich aus § 296 Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO ergeben. Nach § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO muss der Schuldner während der Laufzeit der Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 InsO, der sog. Wohlverhaltensperiode, eine seiner Obliegenheiten schuldhaft verletzt haben. Weitere Voraussetzung ist, dass die Befriedigung der Insolvenzgläubiger durch die Obliegenheitsverletzung beeinträchtigt ist. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut genügt für eine Versagung eine abstrakte Gefährdung der Befriedigungsinteressen der Gläubiger nicht; ausreichend ist nur eine konkret messbare tatsächliche Beeinträchtigung (BGH, Beschl. v. 5. April 2006 - IX ZB 50/05, ZInsO 2006, 547, 548 Rn. 4; v. 8. Februar 2007 - IX ZB 88/06, ZInsO 2007, 322, 323 Rn. 5; v. 12. Juni 2008 - IX ZB 91/06, VuR 2008, 434 Rn. 3; v. 21. Januar 2010 - IX ZB 67/09, ZInsO 2010, 391, 392 Rn. 9). Das in § 296 Abs. 1 Satz 3 InsO bestimmte Erfordernis der Glaubhaftmachung bezieht sich gerade auch auf diese Versagungsvoraussetzung (BGH, Beschl. v. 5. April 2006 aaO; v. 8. Februar 2007 aaO; v. 12. Juni 2008 aaO). Dazu muss im Rahmen einer Vergleichsrechnung die Vermögensdifferenz zwischen der Tilgung der Verbindlichkeiten mit und ohne Obliegenheitsverletzung ermittelt werden (Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 296 Rn. 5; MünchKomm-InsO/Stephan, 2. Aufl. § 296 Rn. 15). Nach Abzug aller vorrangig zu befriedigenden Verbindlichkeiten muss eine pfändbare Summe verblieben und dieser an die Insolvenzgläubiger zu verteilende Betrag durch die Obliegenheitsverletzung verkürzt worden sein (AG Göttingen ZInsO 2006, 384, 385; FK-InsO/Ahrens, 5. Aufl. § 296 Rn. 13).
b) Diesen Anforderungen genügt der Versagungsantrag vom 6. Oktober 2008 nicht. Die weitere Beteiligte zu 2 hat zu der Frage, inwieweit die Befriedigungsaussichten der Gläubiger durch ein Fehlverhalten des Schuldners beeinträchtigt worden sind, keinen konkreten Sachvortrag gehalten. Ein solcher war auch nicht entbehrlich. Aus den Umständen des vorliegenden Falls folgt keine Vermutung, dass die gegen den Schuldner verhängte Strafhaft die Befriedigungsaussichten der Gläubiger beeinträchtigt. Vor seiner Inhaftierung erzielte der Schuldner kein pfändbares Einkommen. Unter Berücksichtigung des bisherigen Werdegangs des Schuldners und des Fehlens beruflicher Qualifikation und Erfahrung gibt es keinen konkreten Anhaltspunkt für die Annahme, dass sich daran in den verbleibenden viereinhalb Jahren der Wohlverhaltensphase etwas hätte ändern können. Das Landgericht hat eine solche Aussicht auch nicht festgestellt. Es stützt seine Annahme, die Befriedigungsaussichten der Gläubiger seien beeinträchtigt, allein auf die theoretische Möglichkeit, dass der Schuldner ohne Inhaftierung eine Erwerbstätigkeit hätte finden können, mit der er pfändbare Einkünfte hätte erzielen können. Damit ist aber allenfalls eine abstrakte Gefährdung der Befriedigungsaussichten festgestellt, nicht aber die erforderliche konkrete Beeinträchtigung. Demgegenüber hat der Schuldner durch die Verdienstbescheinigung vom 16. Oktober 2008 belegt, dass er in der Strafhaft arbeitet. Der dort erzielte Verdienst wird in absehbarer Zeit dem Zugriff seiner Gläubiger zumindest teilweise zur Verfügung stehen. Sobald er das Überbrückungsgeld gemäß § 51 StVollzG angespart haben wird, wird ihm der nach Abzug des Hausgeldes (§ 47 StVollzG) verbleibende Teil der Einkünfte als Eigengeld gemäß § 52 StVollzG gutgeschrieben werden. Der Anspruch auf Auszahlung dieses Guthabens ist vorbehaltlich des § 51 Abs. 4 Satz 2 StVollzG pfändbar. Es unterliegt insbesondere nicht den Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850c und 850k ZPO (vgl. BGHZ 160, 112, 115 ff; Heyer NZI 2010, 81, 83 f).
3. Die Glaubhaftmachung des Verstoßes gegen die Erwerbsobliegenheit und der daraus folgenden Beeinträchtigung der Befriedigungsaussichten ist auch nicht allgemein entbehrlich, wenn der Schuldner während der Wohlverhaltensphase eine Straftat begeht und deswegen inhaftiert wird.
a) Die Begehung einer Straftat, die zu einer Inhaftierung des Schuldners führt, rechtfertigt nur dann die Versagung der Restschuldbefreiung, wenn der Schuldner durch die Inhaftierung eine Arbeit verliert, aus der er pfändbare Einkünfte erzielt hat. Wie in anderen Fällen auch reicht allein der Verlust der Möglichkeit, sich auf dem Arbeitsmarkt um eine Tätigkeit zu bemühen, nicht aus, um die Restschuldbefreiung zu versagen. So ist eine Versagung nach der Rechtsprechung des Senats nicht gerechtfertigt, wenn der Schuldner eine Erwerbstätigkeit aufgibt, die - etwa aufgrund seiner Unterhaltspflichten - keine pfändbaren Beträge erbracht hat oder wenn der Schuldner eine (etwa nach Kinderbetreuung zumutbare Teilzeit-) Beschäftigung ablehnt, die keine pfändbaren Bezüge ergeben hätte (vgl. BGH, Beschl. v. 3. Dezember 2009 - IX ZB 139/07, ZInsO 2010, 105, 106 Rn. 9). Bei einem beschäftigungslosen Schuldner, der sich gar nicht um eine Beschäftigung bemüht, kommt eine Aufhebung der Stundung der Kosten des Verfahrens mangels Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger dann nicht in Betracht, wenn er nicht in der Lage ist, Einkünfte oberhalb der Pfändungsfreigrenze zu erzielen (BGH, Beschl. v. 22. Oktober 2009 - IX ZB 160/09, ZInsO 2009, 2210, 2212 Rn. 15). Zeigt ein Schuldner, der insgesamt nur unpfändbare Einkünfte erlangt, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht an, kann darin zwar eine Obliegenheitsverletzung zu sehen sein, diese führt jedoch nicht zu einer Gläubigerbeeinträchtigung und damit auch nicht zur Versagung der Restschuldbefreiung (LG Landshut ZInsO 2007, 615, 616; AG Düsseldorf ZVI 2007, 482, 483; FK-InsO/Ahrens, aaO; MünchKomm-InsO/Stephan, aaO; HK-InsO/Landfermann, 5. Aufl. § 296 Rn. 3; Bindemann, Handbuch Verbraucherkonkurs, 3. Aufl. Rn. 252).
An diesen Grundsätzen ist auch der Schuldner zu messen, der in der Wohlverhaltensphase straffällig wird und in Haft kommt. Auch diesem kann die Restschuldbefreiung nur dann versagt werden, wenn er dadurch seine Obliegenheiten verletzt und eine konkret messbare Beeinträchtigung der Befriedigungsaussichten seiner Gläubiger verursacht. Im vorliegenden Fall beging der schon vielfach straffällig gewesene Schuldner zwar eine schwere Straftat. Er konnte bei Tatbegehung erkennen, dass ihm eine langjährige Freiheitsstrafe drohte und er dem Arbeitsmarkt deshalb nicht zur Verfügung stehen würde. Auch befand er sich zum Zeitpunkt der Tatbegehung bereits in der Wohlverhaltensphase. Ihm drohte jedoch weder der Verlust eines oberhalb der Pfändungsfreigrenze liegenden Arbeitseinkommens noch büßte er - soweit bekannt - eine konkrete Aussicht auf eine dermaßen vergütete Stelle ein. Eine wirtschaftlich messbare Beeinträchtigung der Befriedigungsaussichten lag deshalb nicht vor.
b) Die Auffassung, jeder zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilte Straftäter sei von vornherein von der Möglichkeit ausgeschlossen, Restschuldbefreiung zu erlangen (LG Hannover ZInsO 2002, 449 f mit Anm. Wilhelm; AG Hannover ZVI 2004, 501 f; Foerste, Insolvenzrecht, 4. Aufl. Rn. 552), ist weder mit dem Willen des Gesetzgebers noch dem Regelungszusammenhang der Versagungsgründe vereinbar. Der Wille des Gesetzgebers der Insolvenzordnung ging erkennbar dahin, auch Strafgefangenen die Möglichkeit der Restschuldbefreiung zu eröffnen. Im Regierungsentwurf für die Insolvenzordnung wird das Arbeitsentgelt eines Strafgefangenen ausdrücklich als abzutretende Forderung im Sinne des § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO genannt (BT-Drucks. 12/2443, 136, 189). Sollte ein Strafgefangener keine Restschuldbefreiung erlangen können, bedürfte es der Abtretung nicht; sie wird einem Schuldner ausschließlich zu diesem Zweck abverlangt (so auch FK-InsO/Ahrens, aaO § 295 Rn. 14a; Brei, Entschuldung Straffälliger durch Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung [2005], S. 595; Zimmermann VuR 2009, 150). Des Weiteren hat der Gesetzgeber den Kreis der Straftaten, die einer Restschuldbefreiung von vornherein entgegenstehen, in § 290 Abs. 1 Nr. 1 und § 297 InsO eng begrenzt. Mit dieser Begrenzung ist es unvereinbar, jede Straftat, die zu einer Inhaftierung geführt hat, gleichsam durch die "Hintertür" zu einem Versagungsgrund zu erheben, weil der Schuldner infolge der Haft in seinen Möglichkeiten beschränkt ist, die ihn gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO treffende Erwerbsobliegenheit zu erfüllen (LG Koblenz ZVI 2008, 473 f; Heyer NZI 2010, 81; Riedel ZVI 2002, 131 f; Kohte EWiR 2002, 491, 492; HK-InsO/Landfermann, aaO § 295 Rn. 7; HambKomm-InsO/Streck, 3. Aufl. § 295 Rn. 6; Hess, Insolvenzrecht, 2007 § 295 Rn. 8).
4. Ein Grund, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, lag somit nicht vor. Daher durfte auch keine Aufhebung der Verfahrenskostenstundung gemäß § 4c Nr. 5 InsO erfolgen.
IV.
Die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen erfolgt nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis. Nach letzterem ist die Sache zur Endentscheidung reif. Das Rechtsbeschwerdegericht hat deshalb in der Sache selbst zu entscheiden, § 577 Abs. 5 ZPO.
Ganter Raebel Kayser
Pape Grupp