Entscheidungsdatum: 10.02.2011
Eine als Gesellschaft bürgerlichen Rechts geführte Rechtsanwaltssozietät ist eine parteifähige Vereinigung im Sinne des Prozesskostenhilferechts. Die Durchsetzung von Gebührenforderungen rechtsberatender Berufe berührt keine allgemeinen Interessen .
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 11. Mai 2009 wird zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert wird auf 14.404,71 € festgesetzt.
I.
Die Klägerin ist eine in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts geführte Rechtsanwaltssozietät, deren beide Gesellschafter zugelassene Rechtsanwälte sind. Wegen der Beratung im Zusammenhang mit einem Sicherungs- und Übereignungsvertrag macht die Klägerin eine Vergütungsforderung in Höhe von 14.404,71 € gegen die Beklagten gerichtlich geltend. Ihr Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). In der Sache bleibt sie jedoch ohne Erfolg, weil die Unterlassung der Rechtsverfolgung durch die Klägerin keinen allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde (§ 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Klägerin als parteifähige Vereinigung setze nach § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO abgesehen von der fehlenden finanziellen Leistungsfähigkeit voraus, dass ein Unterlassen der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen zuwiderlaufe. Im Unterschied zu natürlichen Personen hätten juristische Personen und parteifähige Vereinigungen als künstliche, von der Rechtsordnung aus Zweckmäßigkeitsgründen zugelassene Gebilde zur Verfolgung wirtschaftlicher Zwecke keinen Anspruch auf fürsorgerische Hilfe des Staates. Der Gesetzgeber sei deshalb frei, die Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe für Gesellschaften abweichend von denen für natürliche Personen zu regeln. Das Unterlassen der Rechtsverfolgung laufe allgemeinen Interessen nur zuwider, wenn die Rechtsverfolgung eine über das Einzelinteresse hinausgehende Bedeutung habe, wenn außer den an der Führung des Prozesses wirtschaftlich Beteiligten ein erheblicher Kreis von Personen in Mitleidenschaft gezogen würde oder wenn die Entscheidung größere Kreise der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens anspreche und erhebliche wirtschaftliche und soziale Auswirkungen entfalte. Diese Voraussetzungen seien nicht gegeben, zumal nicht einmal vorgetragen sei, dass die Klägerin selbst im Falle der Undurchsetzbarkeit der streitigen Forderung in ihrer Existenz bedroht sei.
Für Klagen auf Zahlung einer Rechtsanwaltsgebührenforderung könnten nicht unter Berufung darauf, dass ein Organ der Rechtspflege tätig werde, die Voraussetzungen des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO angenommen werden. Eine solche Differenzierung zwischen freiberuflichen Gesellschaften und gewerblichen Vereinigungen lasse die Vorschrift nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte nicht zu. Auch bei gemeinnützigen Vereinigungen sei in jedem Einzelfall zu prüfen, ob über das Individualinteresse hinaus ein allgemeines Interesse an der Rechtsverfolgung bestehe. Wenn sich Rechtsanwälte zur gemeinsamen Berufsausübung vereinigten, müssten sie damit rechnen, sich durch die Nutzung der dadurch begründeten wirtschaftlichen Vorteile solcher Privilegien zu begeben, die von Verfassungs wegen natürlichen Personen eingeräumt würden.
2. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde statt. Prozesskostenhilfe ist bereits deshalb zu versagen, weil die Unterlassung der Rechtsverfolgung durch die Klägerin keinen allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde (§ 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
a) Die Klägerin ist eine parteifähige Vereinigung im Sinne von § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO.
Diese Vorschrift knüpft die Gewährung von Prozesskostenhilfe für juristische Personen und parteifähige Vereinigungen an besondere rechtliche Voraussetzungen. Zu den parteifähigen Vereinigungen gehören neben der offenen Handelsgesellschaft und der Kommanditgesellschaft (§ 124 Abs. 1, § 161 Abs. 2 HGB) insbesondere die nicht rechtsfähigen Vereine (§ 50 Abs. 2 ZPO; vgl. bereits BGH, Urt. v. 2. Juli 2007 - II ZR 111/05, WM 2007, 1932 Rn. 54 ff). Infolge der ihr durch die Rechtsprechung zugebilligten Rechtsfähigkeit (BGHZ 146, 341 ff) ist auch die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet, als parteifähige Vereinigung im Sinne des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO anzusehen (vgl. OLG Dresden MDR 2008, 818; MünchKomm-ZPO/Motzer, 3. Aufl. § 116 Rn. 20; Zöller/Geimer, ZPO 27. Aufl. § 116 Rn. 11a; Musielak/Fischer, ZPO 7. Aufl. Rn. 11; P/G/Völker/Zempel, ZPO 2. Aufl. § 116 Rn. 16). Als Außengesellschaft bürgerlichen Rechts erweist sich die klagende Rechtsanwaltssozietät somit als parteifähige Vereinigung. Es wäre mit dem eindeutigen Wortlaut des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO nicht zu vereinbaren, Rechtsanwaltssozietäten im Unterschied zu anderen Gesellschaften bürgerlichen Rechts - wie dies die Rechtsbeschwerde fordert - vom Geltungsbereich der Vorschrift freizustellen. Eine solche Rechtsanwendung würde überdies mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) kollidieren, weil selbst juristische Personen und parteifähige Vereinigungen, die gemeinnützige Zwecke verfolgen, der Regelung des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO unterliegen (BGH, Beschl. v. 29. Januar 1987 - V ZR 160/85, KostRspr. ZPO § 116 Nr. 7; KG NJOZ 2007, 55, 56; Musielak/Fischer, aaO § 116 Rn. 18).
b) Das nach dem Willen des Gesetzgebers auf besondere Ausnahmefälle (BGH, Beschl. v. 20. Januar 1965 - VIII ZR 304/62, NJW 1965, 585) zugeschnittene Tatbestandsmerkmal des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO, wonach die Unterlassung der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde, ist im Streitfall nicht erfüllt.
aa) Der Gesetzgeber hat die Gewährung von Prozesskostenhilfe an juristische Personen oder parteifähige Vereinigungen durch § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO in Einklang mit der Verfassung an das spezielle Erfordernis geknüpft, dass die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde. Diese Beschränkung trägt den besonderen Verhältnissen der juristischen Personen und rechtsfähigen Vereinigungen Rechnung. Diese Rechtsformen bieten den dahinter stehenden Personen wirtschaftliche Vorteile, bei Kapitalgesellschaften zusätzlich eine Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen. Die Rechtsträgerschaft parteifähiger Vereinigungen ist an ein ausreichendes Gesellschaftsvermögen gebunden. Dieses ist die Voraussetzung sowohl für ihre Gründung als auch für ihre weitere Existenz. Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung bilden für Gesellschaften Insolvenzgründe. Mit der Insolvenzeröffnung werden die Vereinigungen aufgelöst. Die Vereinigungen besitzen demnach nur dann eine von der Rechtsordnung anerkannte Existenzberechtigung, wenn sie in der Lage sind, ihre Ziele aus eigener Kraft zu verfolgen (BT-Drucks. 8/3068 S. 26 unter Hinweis auf BVerfGE 35, 348 ff, 356). Vor diesem Hintergrund will die Regelung des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO Vorsorge dagegen treffen, dass mittellose Vereinigungen wirtschaftliche Interessen auf Kosten der Allgemeinheit verwirklichen (OLG Hamburg MDR 1988, 782, 783; MünchKomm-ZPO/Motzer 3. Aufl. § 116 Rn. 25).
bb) Der Anwendungsbereich der Vorschrift beschränkt sich mithin auf Sachverhalte, die größere Kreise der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens ansprechen und soziale Wirkungen nach sich ziehen können (BGH, Beschl. v. 20. September 1957 - VII ZR 62/57, BGHZ 25, 183, 185; Beschl. v. 5. November 1985 - X ZR 23/85, NJW 1986, 2058, 2059; Beschl. v. 20. Dezember 1989 - VIII ZR 139/89, NJW-RR 1990, 474). Ein allgemeines Interesse kann angenommen werden, wenn außer den an der Führung des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten ein erheblicher Kreis von Personen durch die Unterlassung der Rechtsverfolgung in Mitleidenschaft gezogen würde (BFH, RPfleger 1993, 290). Danach läuft die Unterlassung der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen zuwider, wenn die Vereinigung ohne die Durchführung des Rechtsstreits gehindert wäre, der Allgemeinheit dienende Aufgaben zu erfüllen. Gleiches kann gelten, wenn von der Durchführung des Prozesses die Existenz eines Unternehmens abhängt, an dessen Erhaltung wegen der großen Zahl von Arbeitsplätzen ein allgemeines Interesse besteht (BGH, Beschl. v. 20. September 1957, aaO S. 184 f; Beschl. v. 24. Oktober 1990 - VIII ZR 87/90, NJW 1991, 703 im Anschluss an BT-Drucks., aaO S. 26 f). Der Gesichtspunkt der Existenzsicherung eines Unternehmens greift jedoch nicht durch, wenn die Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb eingestellt hat und ihre Liquidation ohnehin zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen wird (BFH, aaO; OLG Hamm NJW-RR 1989, 382, 383). Die Unterlassung der Rechtsverfolgung kann auch dann allgemeinen Interessen zuwiderlaufen, wenn eine große Zahl von Kleingläubigern betroffen ist (BGH, Beschl. v. 5. November 1985, aaO S. 2059; Beschl. v. 24. Oktober 1990, aaO). Allein die Gemeinnützigkeit einer Vereinigung begründet noch kein allgemeines Interesse an der Rechtsverfolgung (BGH, Beschl. v. 29. Januar 1987, aaO; KG, aaO; Musielak/Fischer, aaO § 116 Rn. 18). Ohne Bedeutung ist das - bereits im Rahmen des § 114 Satz 1 ZPO zu berücksichtigende - Einzelinteresse an einer richtigen Entscheidung (BGH, Beschl. v. 20. September 1957, aaO S. 185; Beschl. v. 20. Januar 1965, aaO). Ebenso wenig reicht der Umstand aus, dass bei der Entscheidung des Rechtsstreits Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung zu beantworten sind (BGH, Beschl. v. 20. Januar 1965, aaO; Beschl. v. 20. Dezember 1989, aaO). Außer Betracht hat schließlich zu bleiben, ob die Vereinigung auf der Grundlage eines ihr günstigen Urteils in die Lage versetzt wird, rückständige Steuern und Abgaben zu begleichen (OLG Köln JurBüro 1985, 1259; VersR 1989, 277).
cc) Berücksichtigt man alle hier in Betracht kommenden Umstände, läuft die Unterlassung der Rechtsverfolgung durch die Klägerin keinen allgemeinen Interessen zuwider.
(1) Durch die Unterlassung einer Rechtsverfolgung wird nicht ein erheblicher Kreis von Personen in Mitleidenschaft gezogen. Rückwirkungen auf größere Teile der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens sind nicht zu erwarten, wenn die Streitsache nicht durchgeführt wird. Es droht nicht der Verlust einer erheblichen Zahl von Arbeitsplätzen, zumal sich die Klägerin nach dem Rechtsbeschwerdevorbringen in Liquidation befindet und ihre Gesellschafter ihre Berufstätigkeit unter dem Dach einer neu gegründeten Rechtsanwalts-GmbH, die neben der Liquidationsgesellschaft besteht, fortsetzen. Auch eine Gefährdung einer Vielzahl von Gläubigern scheidet aus.
(2) Die Durchsetzung von Gebührenforderungen rechtsberatender Berufe berührt auch sonst keine allgemeinen Interessen.
Die Vorschrift des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO knüpft das Merkmal der allgemeinen Interessen nicht an den Charakter des von einer Vereinigung geförderten Gesellschaftszwecks (vgl. § 705 BGB), sondern an die konkrete Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung. Deswegen ist gemeinnützigen Vereinigungen nicht schlechthin mit Rücksicht auf die von ihnen wahrgenommenen Aufgaben Prozesskostenhilfe zu gewähren (BGH, Beschl. v. 29. Januar 1987, aaO; KG, aaO; Musielak/Fischer, aaO). Ebenso werden allgemeine Interessen nicht berührt, wenn ein günstiger Prozessausgang die Partei mittelbar in den Stand setzen würde, rückständige öffentliche Abgaben zu entrichten (OLG Köln JurBüro 1985, 1259; VersR 1989, 277). Eine funktionierende Rechtsberatung dient zwar in ihrer Gesamtheit Belangen des Allgemeinwohls. Mit der Tätigkeit der Rechtsberatung im Einzelfall verfolgen die Angehörigen der rechtsberatenden Berufe jedoch lediglich ihre individuellen Erwerbsinteressen. Eine der Allgemeinheit dienende Aufgabe wird - abgesehen von Fällen der Beiordnung eines Anwalts kraft hoheitlicher Anordnung - durch die Rechtsberatung eines einzelnen Mandanten nicht wahrgenommen. Folgerichtig werden aus einer solchen Rechtsberatung resultierende anwaltliche Gebührenansprüche wie sonstige Vergütungen für Dienstleistungen auch jedenfalls in aller Regel im alleinigen Interesse des Anspruchstellers geltend gemacht. Daher betrifft die von der Klägerin im Streitfall beabsichtigte Verwirklichung einer anwaltlichen Gebührenforderung ausschließlich ihre Individualinteressen.
(3) Dieses Auslegungsergebnis ist nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen zu korrigieren.
Der Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung der jeweiligen Gebührenordnung für die anwaltliche Tätigkeit auch die Berufsfreiheit des Rechtsanwalts zu beachten. Art. 12 Abs. 1 GG umfasst jedoch keinen Anspruch auf beruflichen Erfolg im Rahmen einer wettbewerblich strukturierten Ordnung (BVerfGE 118, 1, 19). Demgemäß besteht keine Verpflichtung des Staates, jedem einzelnen Angehörigen der rechtsberatenden Berufe eine wirtschaftlich auskömmliche Berufsausübung zu ermöglichen. Ebenso kann keine verfassungsrechtliche Verpflichtung anerkannt werden, rechtsberatenden Berufen im Unterschied zu anderen Berufsgruppen durch die erleichterte Gewährung von Prozesskostenhilfe zur Durchsetzung der gegen ihre Mandanten gerichteten Gebührenforderungen zu verhelfen. Insoweit können nicht zuletzt die Berufsträger selbst Vorsorge treffen, indem sie ihre Tätigkeit von einer Vorschusszahlung abhängig machen. Soweit die Rechtsbeschwerde die unterschiedliche Behandlung von Einzelanwälten und Rechtsanwaltssozietäten bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe rügt, lässt sie den wesentlichen Gesichtspunkt außer Betracht, dass ein gesellschaftsrechtlicher Zusammenschluss den beteiligten Berufsträgern wirtschaftliche Vorteile bietet, welche die Anwendung des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO rechtfertigen (BT-Drucks., aaO S. 26). Darum berührt die Verfolgung anwaltlicher Gebührenforderungen über die Belange des Anspruchsinhabers hinaus grundsätzlich keine allgemeinen Interessen.
Kayser Gehrlein Vill
Lohmann Fischer