Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 21.12.2010


BGH 21.12.2010 - IX ZB 115/10

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Irrtümliche Löschung einer Berufungsfrist im elektronischen Fristenkalender


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
21.12.2010
Aktenzeichen:
IX ZB 115/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Karlsruhe, 24. März 2010, Az: 4 U 3/10, Beschlussvorgehend LG Waldshut-Tiengen, 4. Dezember 2009, Az: 2 O 104/09
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 24. März 2010 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 24.680 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 4. Dezember 2009, das dem Kläger am 9. Dezember 2009 zugestellt worden ist, abgewiesen. Die dagegen rechtzeitig eingelegte Berufung hat der Kläger am 25. Februar 2010 begründet und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat der Kläger ausgeführt, dass die stets sorgfältig arbeitende Bürofachangestellte E. nach Eingang des Urteils die Frist zur Berufungsbegründung zugleich mit den Fristen für den Antrag auf Tatbestandsberichtigung und die Einlegung der Berufung im elektronischen Fristenkalender notiert habe. Außerdem seien die Fristen handschriftlich auf einer Ausfertigung der angefochtenen Entscheidung vermerkt und von ihm kontrolliert worden. Am 17. Dezember 2009 habe er die Anweisung zur Löschung der Frist aus § 320 ZPO gegeben. Daraufhin habe seine Angestellte irrtümlich auch die Berufungs- und die Berufungsbegründungsfrist nebst der Vorfristen gelöscht. Er habe dennoch die Berufungsfrist eingehalten, weil er am 4. Januar 2010 ein Schreiben der Gegenseite zur Stellungnahme empfangen und aus diesem Anlass seinen Urlaubsvertreter schriftlich angewiesen habe, Berufung einzulegen. Die Frist zur Berufungsbegründung sei dann versäumt worden, weil die Akte aufgrund der Löschung der Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender nicht mehr vorgelegt worden sei. Die Richtigkeit dieses Vortrags versicherten die Bürofachangestellte E. und der mit der Einlegung der Berufung betraute Rechtsanwalt S. eidesstattlich.

2

Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

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Das Rechtsmittel ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

4

Nach § 233 ZPO setzt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand voraus, dass die Partei ohne ihr Verschulden gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor. Die Fristversäumung beruht auf einem Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers, das dieser sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

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1. Das Berufungsgericht meint, die Berufung sei zu verwerfen, weil der Kläger sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen müsse. Es könne dahinstehen, ob diesem im Zusammenhang mit der Löschung der Fristen am 17. Dezember 2009 ein Organisationsverschulden zur Last falle. Er habe es jedenfalls versäumt, bei seiner persönlichen Befassung mit der Sache am 4. Januar 2010 zu überprüfen, ob die Frist zur Berufungsbegründung ordnungsgemäß im elektronischen Fristenkalender eingetragen gewesen sei. Auf die zutreffende handschriftliche Eintragung der Frist in der Handakte komme es nicht an.

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2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

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a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat der Anwalt die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung einer Frist, ihrer Notierung auf oder in den Handakten, zur Eintragung im Fristenkalender sowie zur Bestätigung der Kalendereintragung durch einen Erledigungsvermerk auf den Handakten stets zu prüfen, wenn ihm die Handakten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt werden. Zwar erstreckt sich die Pflicht zur Prüfung auch darauf, ob das (zutreffend errechnete) Fristende im Fristenkalender notiert worden ist. Doch kann sich der Rechtsanwalt grundsätzlich auf die Prüfung des Erledigungsvermerks in der Handakte beschränken, sofern die Erledigung der Eintragung im Fristenkalender ordnungsgemäß in der Handakte vermerkt ist und sich an der Richtigkeit keine Zweifel aufdrängen; unter diesen Voraussetzungen braucht der Rechtsanwalt nicht noch zu überprüfen, ob das Fristende auch tatsächlich im Fristenkalender eingetragen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2008 - VI ZB 46/07, NJW 2008, 1670 Rn. 6; vom 8. Februar 2010 - II ZB 10/09, MDR 2010, 533 Rn. 7, jeweils m.w.N.). Andernfalls würde die Einschaltung von Bürokräften zur Fristenüberwachung weitgehend sinnlos, die jedoch aus organisatorischen Gründen erforderlich und deshalb zulässig ist. Insoweit ergibt sich aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 23. September 2009 (IV ZB 14/09), die das Berufungsgericht für die Annahme eines Verschuldens des Prozessbevollmächtigten des Klägers herangezogen hat, auch nichts anderes. In jener Entscheidung ging es um einen Fall, in dem der Rechtsanwalt die Eintragung der Fristen im Kalender dadurch kontrolliert hatte, dass er sich täglich einen gedruckten Auszug hatte vorlegen lassen. Eine Bestätigung der korrekten Eintragung der Fristen in den Handakten, wie sie vorliegend gegeben war, ist der Entscheidung nicht zu entnehmen (vgl. auch die in dem Beschluss vom 23. September 2009 in Bezug genommene Entscheidung BGH, Beschluss vom 13. April 2005 - VIII ZB 77/04, NJW-RR 2005, 1085 Rn. 5, in der eine korrekte Eintragung der Frist in die Handakte unterblieben war).  Die Versagung der Wiedereinsetzung durfte im Hinblick auf diese Rechtsprechung nicht darauf gestützt werden, dass sich der Prozessbevollmächtigte bei Einlegung der Berufung darauf verlassen hatte, dass die in den Handakten zutreffend vermerkte Berufungsbegründungsfrist auch im elektronisch geführten Fristenkalender entsprechend eingetragen war.

8

b) Die Entscheidung erweist sich aber aus anderen Gründen als richtig.

9

Den Klägervertreter trifft an der Nichteinhaltung der Berufungsfrist ein eigenes Organisationsverschulden, das gemäß § 85 Abs. 2 ZPO dem Kläger zuzurechnen ist. Dem Wiedereinsetzungsgesuch ist nicht zu entnehmen, wodurch sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers vor der irrtümlichen Löschung aller Fristen, wie sie hier nach der eidesstattlichen Versicherung der Kanzleiangestellten E.  vom 25. Februar 2010 erfolgt ist, geschützt hat. Der elektronische Fristenkalender muss so geführt werden, dass er dieselbe Überprüfungssicherheit bietet, wie ein herkömmlicher Kalender (BGH, Beschluss vom 12. Oktober 1998, II ZB 11/98, NJW 1999, 582, 583). Es muss sichergestellt sein, dass keine versehentlichen Eintragungen oder Löschungen erfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. März 1996, III ZB 13/96, BGHR ZPO § 233, Ausgangskontrolle 5; vom 10. Juli 1997, IX ZB 57/97, NJW 1997, 3177, 3178; vom 2. März 2000 - V ZB 1/00, NJW 2000, 1957, jew. m.w.N.). Der Klägervertreter hat nicht dargelegt, welche Sicherungen es vorliegend gegen ein unbeabsichtigtes Löschen von Fristen gab. Entsprechender Vortrag, der zum Kern der Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrundes gehört hätte, kann im Verfahren der Rechtsbeschwerde nicht mehr nachgeholt werden. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Berufungsbegründung kommt deshalb nicht in Betracht.

Kayser                                Raebel                                    Lohmann

                     Pape                                   Möhring