Entscheidungsdatum: 29.09.2011
Wird die gegen einen Rechtsanwalt gerichtete Regressklage darauf gestützt, dass ein Vorprozess infolge pflichtwidriger Prozessführung des Rechtsanwalts verloren wurde, ist mangels Bekämpfung der erstinstanzlichen Beschwer eine Berufung unzulässig, mit der erstmals geltend gemacht wird, der Rechtsanwalt habe mangels Erfolgsaussichten bereits von der Einleitung des Vorprozesses abraten müssen .
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 15. Februar 2011 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 6.517,80 € festgesetzt.
I.
Die Klägerin nahm - vertreten durch den beklagten Rechtsanwalt - in einem Vorprozess wegen eines vermeintlich von ihr an ihrer Mietwohnung verursachten Wasserschadens ihre Haftpflichtversicherung auf Gewährung von Versicherungsschutz in Anspruch. Die Klage wurde wegen Nichtbeachtung der Ausschlussfrist des § 12 Abs. 3 VVG a.F. abgewiesen.
Vorliegend hat die Klägerin den Beklagten unter dem Vorwurf, den vorangegangenen Rechtsstreit nicht mit der erforderlichen Sorgfalt geführt zu haben, vor dem Landgericht auf Schadensersatzzahlung von 150.000 € in Anspruch genommen. Dieser Betrag setzt sich aus dem Aufwand für die Schadensbeseitigung, einem Mietausfallschaden sowie den in dem Vorprozess entstandenen Kosten über 6.517,80 € zusammen.
Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der Berufung hat die Klägerin ihren Antrag auf Ersatz der ihr in dem Vorprozess erwachsenen Kosten von 6.517,80 € ermäßigt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen.
II.
Die gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil kein Zulässigkeitsgrund (§ 574 Abs. 2 ZPO) eingreift.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Berufung sei unzulässig, weil die Klägerin nicht die Beseitigung der erstinstanzlichen Beschwer verfolge, sondern die erstinstanzliche Abweisung hinnehme und einen anderen prozessualen Anspruch geltend mache. Während die Klägerin ihren Schadensersatzanspruch erstinstanzlich darauf gestützt habe, der Beklagte sei für die Abweisung der Deckungsklage gegen ihre Versicherung verantwortlich, mache sie nunmehr geltend, der Beklagte habe seine Pflichten verletzt, weil er nicht von der Erhebung der aussichtslosen Klage abgeraten habe. Dabei handele es sich um einen anderen Lebenssachverhalt und nicht nur um eine andere rechtliche Bewertung desselben Tatsachenvortrags. Das Landgericht habe die Klägerin nicht dazu veranlassen müssen, andere als die mit der Klage vorgetragenen Tatsachen zur Grundlage ihrer Klage zu machen. Es handele sich auch nicht um eine Antragsänderung im Sinne von § 264 ZPO, weil der Klagegrund ausgetauscht worden sei.
2. Diese Würdigung ist nicht von Rechtsfehlern beeinflusst, welche die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde begründen könnten (§ 574 Abs. 2 ZPO). Vielmehr fügt sich die angefochtene Entscheidung zutreffend in die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein.
a) Die Zulässigkeit des Rechtsmittels der Berufung und der Revision setzt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung voraus, dass der Angriff des Rechtsmittelführers (auch) auf die Beseitigung der im vorinstanzlichen Urteil enthaltenen Beschwer gerichtet ist (BGH, Beschluss vom 7. Mai 2003 - XII ZB 191/02, BGHZ 155, 21, 26; vom 16. September 2008 - IX ZR 172/07, WM 2008, 2029 Rn. 4). Das Rechtsmittel ist mithin unzulässig, wenn mit ihm lediglich im Wege der Klageänderung ein neuer, bislang nicht geltend gemachter Anspruch zur Entscheidung gestellt wird; vielmehr muss zumindest auch der in erster Instanz erhobene Klageanspruch wenigstens teilweise weiterverfolgt werden (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 7. Mai 2003 - IX ZB 191/02, BGHZ 155, 21, 26 mwN). Die Erweiterung oder Änderung der Klage kann nicht alleiniges Ziel des Rechtsmittels sein, sondern nur auf der Grundlage eines zulässigen Rechtsmittels verwirklicht werden (BGH, Urteil vom 30. November 2005 - XII ZR 112/03, NJW-RR 2006, 442 Rn. 15; vom 16. September 2008 - IX ZR 172/07, WM 2008, 2029 Rn. 4 jeweils mwN). Deshalb muss nach einer Klageabweisung das vorinstanzliche Begehren zumindest teilweise weiterverfolgt werden. Eine Berufung, welche die Richtigkeit der vorinstanzlichen Klageabweisung nicht in Frage stellt und ausschließlich einen neuen - bisher noch nicht geltend gemachten - Anspruch zum Gegenstand hat, ist unzulässig (BGH, Urteil vom 22. November 1990 - IX ZR 73/90, NJW-RR 1991, 1279).
b) Nach diesen Maßstäben ist die Berufung der Klägerin unzulässig, weil sie ihr vorinstanzliches Begehren nicht weiterbetreibt, sondern im Wege der Klageänderung einen neuen, bislang nicht erhobenen Anspruch zur Prüfung unterbreitet.
aa) Die Klägerin hat dem Beklagten erstinstanzlich vorgeworfen, die Ausschlussfrist des § 12 Abs. 3 VVG a.F. versäumt zu haben. Infolge dieser Pflichtwidrigkeit sei der Vorprozess verloren gegangen, weil das Gericht im Falle der Wahrung der Klagefrist zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass die beklagte Versicherung eintrittspflichtig sei. Auf dieser Tatsachengrundlage hat die Klägerin in vorliegender Sache ihren Schaden nach Maßgabe der in dem Vorprozess eingeklagten Forderung zuzüglich der von ihr zu tragenden Verfahrenskosten berechnet. Im Berufungsrechtszug hat die Klägerin ihren auf die Verfahrenskosten reduzierten Anspruch dagegen auf das Vorbringen gestützt, das Landgericht hätte untersuchen müssen, ob der Beklagte Hinweispflichten verletzt habe. Der Beklagte hätte sie darauf hinweisen müssen, dass ein gerichtliches Vorgehen keine Erfolgsaussichten gehabt habe. Im Falle einer zutreffenden Beratung dieses Inhalts hätte sie den Vorprozess nicht geführt und Verfahrenskosten in Höhe von 6.517,80 € erspart.
bb) Angesichts dieses neuen Vorbringens macht die Klägerin mit der Berufung, ohne die Beschwer des Ersturteils anzugreifen, einen geänderten prozessualen Anspruch geltend.
(1) Nach der heute ganz herrschenden Auffassung wird der Streitgegenstand durch den Klageantrag, in dem sich die von dem Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Anspruchsgrund) bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge ableitet. Eine Klageänderung liegt vor, wenn entweder der Klageantrag oder der Klagegrund ausgewechselt wird (BGH, Beschluss vom 16. September 2008 - IX ZR 172/07, WM 2008, 2029 Rn. 9).
(2) Im Streitfall ist im Vergleich zu dem erstinstanzlichen Vorbringen lediglich - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - der Klageantrag teilidentisch. Die Klägerin hat indessen den Klagegrund mit der Folge einer Klageänderung und der Unanwendbarkeit des § 264 ZPO ausgewechselt.
Der Mandant, der im Vorprozess mit seiner Klage nicht durchgedrungen ist, kann seinen Kostenschaden auf zwei sich wechselseitig ausschließende Sachverhaltsalternativen gründen: Einmal kann er behaupten, dass der Vorprozess bei pflichtgemäßem Vorgehen des Anwalts gewonnen und ihm folglich keine Kostenpflicht auferlegt worden wäre. Hier wird der Kostenschaden regelmäßig neben den Schaden treten, der im Verlust der Hauptsache liegt. Zum andern kann der Mandant geltend machen, der Anwalt habe den aus Rechtsgründen nicht gewinnbaren Vorprozess gar nicht erst einleiten dürfen (Fahrendorf in: Fahrendorf/Mennemeyer/Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts, 8. Aufl., Rn. 926). Mit Rücksicht auf den gegensätzlichen Sachverhalt handelt es sich dabei um unterschiedliche Streitgegenstände (BGH, Urteil vom 7. Februar 2008 - IX ZR 198/06, WM 2008, 1612 Rn. 34, 35; vom 13. März 2008 - IX ZR 136/07, WM 2008, 1560 Rn. 24).
(3) Bei dieser Sachlage hat die Klägerin im Berufungsrechtszug eine Klageänderung vorgenommen. Sie hat abweichend von dem ersten Rechtszug nicht mehr die Verfahrensführung durch den Beklagten in dem Vorprozess beanstandet, sondern ihm ausschließlich die Einleitung des Vorprozesses angelastet. Dementsprechend wurde der erstinstanzlich neben dem Kostenschaden auch auf Ersatz des Verlusts in der Hauptsache gerichtete Antrag im Berufungsrechtszug auf den Kostenschaden reduziert. Der allein auf Ersatz des Kostenschadens gerichtete Antrag beruht indessen auf einem neuen tatsächlichen Vorbringen. Infolge der damit gegebenen Änderung des Streitgegenstandes liegt der Berufung ausschließlich eine Klageänderung zugrunde.
cc) Die Klägerin hat sich - entgegen dem Rechtsbeschwerdevorbringen - nicht bereits erstinstanzlich darauf berufen, der Beklagte habe ihr nicht zur Klageerhebung raten dürfen.
Das Vorbringen des Beklagten in der Klageerwiderung, ihm sei bei Klageerhebung in dem Vorprozess "nicht wohl" gewesen, betraf tatsächliche, nicht rechtliche Unwägbarkeiten und ist von der Klägerin überdies erstinstanzlich nicht aufgegriffen worden. Soweit die Rechtsbeschwerdebegründung auf das von der Berufungsbegründung in Bezug genommene erstinstanzliche Vorbringen verweist, stimmt dieses mit dem Inhalt der Berufungsbegründung nicht einmal entfernt überein. Der Vorwurf, beratungsfehlerhaft zur Einleitung des Vorprozesses geraten zu haben, kann auch nicht dem Gesamtzusammenhang des Klagevorbringens entnommen werden. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Kostenschaden von 6.517,80 € nur einen geringen Bruchteil der ursprünglichen Klageforderung über 150.000 € ausmachte. Hätte die Klägerin erstinstanzlich den Vorwurf gegen den Beklagten darauf beschränkt, pflichtwidrig den Vorprozess eingeleitet zu haben, hätte ihre eigene Darstellung im Blick auf die weiteren Schadenspositionen von vornherein zu einem ganz überwiegenden Unterliegen geführt. Da der Klageantrag über 150.000 € bis zum Schluss des erstinstanzlichen Rechtszuges aufrechterhalten wurde, kann mit Rücksicht auf die Interessenlage der Klägerin, in vollem Umfang oder doch jedenfalls im Hauptpunkt zu obsiegen, ein solcher Sachvortrag nicht zugrunde gelegt werden. Vielmehr hätte es zumindest einer Klarstellung bedurft, den Kostenschaden hilfsweise allein auf die Einleitung des Rechtsstreits zu stützen. Daran fehlt es indessen.
dd) Es kann letztlich dahinstehen, ob das Erstgericht gemäß § 139 ZPO gehalten war, auf einen geänderten Klagevortrag im Sinne der pflichtwidrigen Einleitung des Vorprozesses hinzuwirken.
Denn eine entsprechende Rüge, der die Bekämpfung der erstinstanzlichen Beschwer entnommen werden könnte, hat die Klägerin in ihrer insoweit allein maßgeblichen Berufungsbegründung nicht erhoben. Davon abgesehen bestand vorliegend auch keine Hinweispflicht des Erstgerichts. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, durch Fragen oder Hinweise neue Anspruchsgrundlagen, Einreden oder Anträge einzuführen, die in dem streitigen Vorbringen der Parteien nicht zumindest andeutungsweise bereits eine Grundlage haben (BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2003 - V ZB 22/03, NJW 2004, 164 f; BT-Drucks. 14/4722 S. 77). Ebenso wie neue Anspruchsgrundlagen darf das Gericht nicht die Darlegung eines neuen Sachverhalts anregen. Vor diesem Hintergrund bestand keine Verpflichtung des Erstgerichts, auf eine Sachverhaltsänderung hinzuwirken, die in einem völligen Widerspruch zu dem bisherigen Parteivorbringen gestanden und der Klage in ihren wesentlichen Teilen jede Erfolgsaussicht genommen hätte.
Vill Raebel Gehrlein
Grupp Möhring