Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 07.10.2010


BGH 07.10.2010 - IX ZA 29/10

Restschuldbefreiung: Schuldhaftes Verschweigen der gerichtlichen Verfolgung einer Forderung als Versagungsgrund; Grundsatzbedeutung der Verhältnismäßigkeit der Versagung der Restschuldbefreiung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
07.10.2010
Aktenzeichen:
IX ZA 29/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Saarbrücken, 19. Mai 2010, Az: 5 T 98/10, Beschlussvorgehend AG Saarbrücken, 12. Januar 2010, Az: 107 IK 97/07
Zitierte Gesetze

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 19. Mai 2010 wird abgelehnt.

Gründe

1

Die beantragte Prozesskostenhilfe ist zu versagen, weil die in Aussicht genommene Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 114 Satz 1 ZPO). Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

2

1. Die Schuldnerin hat den objektiven Tatbestand der beiden Versagungsgründe gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 und 6 InsO verwirklicht. Ihr fällt ein Verstoß sowohl gegen die nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO bestehende Verpflichtung zur Vorlage eines vollständigen Verzeichnisses ihres Vermögens als auch gegen die nach § 97 Abs. 1 InsO bestehende allgemeine Offenbarungspflicht nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Last.

3

Die Schuldnerin hat in dem nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO vorzulegenden Vermögensverzeichnis eine Forderung nicht angegeben. Die Beurteilung, ob eine solche gerichtlich durchsetzbar oder im Allgemeinen einbringlich ist, obliegt nicht dem Schuldner. Es ist nicht seine Sache, seine Aktiva zu bewerten und vermeintlich "für die Gläubiger uninteressante" Positionen zu verschweigen. Das ist gefestigte Rechtsprechung (BGH, Beschl. v. 2. Juli 2009 - IX ZB 63/08, NZI 2009, 562, Rn. 10 m.w.N.). Die im Prozesskostenhilfeantrag formulierte Rechtsfrage ist deshalb nicht klärungsbedürftig.

4

Nach Eröffnung des Verfahrens ist der Schuldner gemäß § 97 Abs. 1 InsO verpflichtet, alle rechtlichen und wirtschaftlichen Umstände, die für die Abwicklung des Insolvenzverfahrens in irgendeiner Weise von Bedeutung sein können, zu offenbaren. Dazu gehört insbesondere das gesamte Vermögen des Schuldners (HK-InsO/Kayser, 5. Aufl. § 97 Rn. 11 f). Die Mitteilungspflicht ist nicht davon abhängig, dass an den Schuldner entsprechende Fragen gerichtet werden. Er muss vielmehr die betreffenden Umstände von sich aus, ohne besondere Nachfrage, offen legen, soweit sie offensichtlich für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sein können und nicht klar zu Tage liegen (BGH, Beschl. v. 8. Januar 2009 - IX ZB 73/08, NZI 2009, 253, 254 Rn. 12). Das Beschwerdegericht hat festgestellt, die Schuldnerin habe dem Treuhänder keine Mitteilung davon gemacht, dass sie die Forderung in Höhe von 950 € gerichtlich verfolgen ließ. Der Treuhänder erhielt vielmehr nur durch Zufall Kenntnis davon. Auch nach dem Ergebnis des Prozesses musste der Treuhänder von sich aus nachfragen. Erst mit mehr als fünf Monaten Verspätung wurde ihm berichtet, dass aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs 250 € an den Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin ausgezahlt worden waren. Diesen Feststellungen ist die Schuldnerin nicht entgegen getreten. Sie wären daher in einem Rechtsbeschwerdeverfahren zugrunde zu legen. Darauf, ob der Treuhänder nach Kenntnisnahme von dem unter Verstoß gegen § 80 Abs. 1 InsO begonnenen Prozess mit dessen Fortführung einverstanden war, kommt es nicht an.

5

2. Die Behauptung der Schuldnerin, sie sei bei Insolvenzantragstellung von der Unbegründetheit der Forderung ausgegangen, berührt allenfalls den subjektiven Tatbestand des Versagungsgrundes gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO. Dieser fordert vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln. Der Senat könnte die Einschätzung des Beschwerdegerichts, die Schuldnerin habe "zumindest grob fahrlässig" gehandelt, in einem Rechtsbeschwerdeverfahren nur daraufhin überprüfen, ob das Beschwerdegericht den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat (BGH, Beschl. v. 2. Juli 2009 aaO S. 563 Rn. 13). Dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Das Beschwerdegericht geht ausdrücklich von demjenigen Begriff der groben Fahrlässigkeit aus, den die höchstrichterliche Rechtsprechung entwickelt hat. Bei der Anwendung dieses Begriffes auf den Streitfall hat es keine wesentlichen Umstände außer Acht gelassen. Es hat die Erklärung der Schuldnerin, infolge anwaltlicher Beratung von der Unbegründetheit der Schadensersatzforderung ausgegangen zu sein, zur Kenntnis genommen. Unter Berücksichtigung weiterer Umstände hat es dieser Erklärung indes keinen Glauben geschenkt. Das ist eine auf den Einzelfall bezogene Tatsachenwürdigung, die der Nachprüfung durch den Senat grundsätzlich nicht zugänglich ist.

6

Gegen die Feststellung des Beschwerdegerichts, die Schuldnerin habe auch den Versagungsgrund gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO "mindestens grob fahrlässig" verwirklicht, wehrt sich die Schuldnerin mit dem Argument, sie sei jederzeit anwaltlich vertreten gewesen und es habe außer Frage gestanden, das der Prozess "unter Berücksichtigung der insolvenzrechtlichen Besonderheiten des Falls" abgewickelt werden musste. Diese Umstände vermögen nichts daran zu ändern, dass die Schuldnerin den Treuhänder nicht rechtzeitig und nicht unaufgefordert über Einleitung und Verlauf jenes Rechtsstreits informierte, obwohl sie selbst nach der Feststellung des Beschwerdegerichts um diese Pflicht wissen musste.

7

3. Das Beschwerdegericht hat schließlich auch beachtet, dass der verfassungsrechtlich gebotene Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 8. Januar 2009 - IX ZB 73/08 aaO, S. 255 Rn. 21; v. 2. Juli 2009 aaO Rn. 15) gerade im Streitfall besonderer Beachtung bedarf. Eine Entscheidung des Senats ist deshalb weder zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung noch zur Klärung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung erforderlich. Wo die Wesentlichkeitsgrenze verläuft, ist keine Frage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung, sondern vom jeweiligen Einzelfall abhängig (BGH, Beschl. v. 9. Dezember 2004 - IX ZB 132/04, NZI 2005, 233, 234). Es kann nur anhand des Gesamtbildes, das sich aus dem Verhalten des jeweiligen Schuldners ergibt, beurteilt werden, ob er trotz Vorliegens eines der von § 290 Abs. 1 InsO erfassten Verstöße noch als redlich angesehen werden kann. Eine solche Gesamtbetrachtung hat das Beschwerdegericht angestellt. Es hat dabei zu Lasten der Schuldnerin insbesondere berücksichtigt, dass sie den Treuhänder über den Schadensersatzanspruch und den darauf bezogenen Rechtsstreit regelmäßig nur mit erheblicher Verzögerung und nur auf Aufforderung informierte.

Ganter                                   Raebel                                     Vill

                    Lohmann                                  Pape