Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 15.03.2012


BGH 15.03.2012 - IX ZA 107/11

Insolvenzanfechtung: Nichtauszahlung von Aufwendungshilfen zur Wohnungsbauförderung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
15.03.2012
Aktenzeichen:
IX ZA 107/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend KG Berlin, 8. November 2011, Az: 14 U 219/09vorgehend LG Berlin, 18. November 2009, Az: 28 O 431/08
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Die Nichtauszahlung von Aufwendungshilfen zur Wohnbauförderung wegen Insolvenzantrags des Begünstigten ist nicht als Deckungshandlung anfechtbar.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Wiedereinsetzungsverfahren betreffend die versäumte Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 14. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 8. November 2011 sowie zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde wird abgelehnt.

Gründe

I.

1

Der Kläger ist Verwalter in dem am 23. Mai 2007 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der M.       G.                                                 mbH & Co.                  KG (Schuldnerin). Diese hatte im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus ein Mehrfamilienhaus mit zwölf Wohnungen errichtet. Mit Bescheid der Wohnungsbau-Kreditanstalt Berlin wurden der Schuldnerin Aufwendungshilfen in Höhe von insgesamt 3.379.566,96 DM gewährt, zum Teil als Aufwendungsdarlehen, zum Teil als Aufwendungszuschuss. Die Aufwendungshilfe wurde in Teilzahlungen jährlich zum 15. Februar, 15. Mai, 15. August und 15. November ausbezahlt.

2

Nachdem die Schuldnerin am 13. November 2006 Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen gestellt hatte, leistete der Beklagte die zum 15. November 2006, 15. Februar 2007 und 15. Mai 2007 fällig gewordenen Raten in Höhe von insgesamt 53.525,07 € nicht mehr. Mit Bescheid vom 6. Juni 2007 widerrief der Beklagte die Bewilligungsbescheide rückwirkend zum 1. Oktober 2006. Der Widerrufsbescheid ist bestandskräftig.

3

Der Kläger begehrt im Wege der Insolvenzanfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Auszahlung der nach Eingang der Insolvenzanträge fällig gewordenen Aufwendungshilfen über 53.525,07 €. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Kläger angestrebten Revision will dieser sein Klagebegehren weiterverfolgen.

II.

4

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 114 Satz 1 ZPO.

5

1. Das Berufungsgericht hat die Anfechtung der Nichtauszahlung nach § 131 InsO mit der Begründung abgelehnt, dass der Beklagte kein Insolvenzgläubiger der Schuldnerin gewesen sei. Dass er bei vorgenommener Auszahlung hinsichtlich eines möglichen Rückforderungsanspruchs Insolvenzgläubiger geworden wäre, sei als hypothetischer Geschehensablauf unerheblich.

6

Der Kläger meint demgegenüber, die Revision sei zur Einheitlichkeitssicherung zuzulassen, weil das Berufungsurteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweiche und die Funktionsfähigkeit des Insolvenzrechts konkret gefährde. Die Nichtauszahlung sei als Unterlassen gemäß § 129 Abs. 2 InsO anfechtbar. Insolvenzgläubiger sei jeder, der ohne die erlangte Deckung oder Sicherung in dem anschließenden Insolvenzverfahren Insolvenzgläubiger wäre. Das sei hier der Fall, denn bei erfolgter Auszahlung wäre der Beklagte für die Rückzahlungsforderung nur Insolvenzgläubiger gewesen. Folge man der Ansicht des Berufungsurteils, sei jede Deckungsanfechtung ausgeschlossen, weil der befriedigte Gläubiger keine Insolvenzforderung mehr habe.

7

2. Ein Zulässigkeitsgrund liegt nicht vor. Das Berufungsgericht ist nicht von der Rechtsprechung des Senats abgewichen. Die aufgeworfene Frage ist auch nicht klärungsbedürftig.

8

a) Die Nichtauszahlung von Aufwendungshilfen kann gemäß § 129 Abs. 2 InsO als Unterlassen anfechtbar sein, wenn dieses Unterlassen einer Rechtshandlung gleichsteht. Dies ist anzunehmen, wenn die Unterlassung bewusst und willentlich geschieht und für die Gläubigerbenachteiligung ursächlich geworden ist. Nötig ist das Bewusstsein, dass die Untätigkeit Rechtsfolgen auslöst (BGH, Urteil vom 3. Februar 2011 - IX ZR 213/09, WM 2011, 501 Rn. 8 f mwN). Diese Voraussetzungen liegen hier zweifellos vor.

9

b) Eine Deckungsanfechtung scheidet aber hier deshalb aus, weil der Beklagte weder im Zeitpunkt der angefochtenen Handlung noch später Insolvenzgläubiger war.

10

aa) Der im Rahmen der Deckungsanfechtung (§ 130 Abs. 1, § 131 Abs. 1 InsO) verwendete Begriff des Insolvenzgläubigers setzt allerdings nicht voraus, dass diesem eine beständige Forderung zusteht. Erbringt der Schuldner eine Zahlung auf eine vermeintliche Forderung, ist der Empfänger ebenfalls als Insolvenzgläubiger zu betrachten (BGH, Urteil vom 19. Januar 2012 - IX ZR 2/11, ZIP 2012, 280, zVb in BGHZ, Rn. 11 f mwN). Eine Insolvenzforderung liegt schon dann vor, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen ist, mag sich eine Forderung des Gläubigers daraus auch erst nach Beginn des Insolvenzverfahrens ergeben. Die schuldrechtliche Grundlage des Anspruchs muss jedoch schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sein (BGH, aaO Rn. 15 mwN; st. Rspr.). Unerheblich ist dagegen, ob die Forderung selbst schon entstanden oder fällig war. Zu den Insolvenzgläubigern gehört jeder, der in der Insolvenz nur eine Forderung im Sinne des § 38 InsO oder einen nachrangigen Anspruch gehabt hätte, weil dessen Erfüllung geeignet ist, die Befriedigungsaussichten der Gläubiger zu schmälern (BGH, aaO).

11

bb) Eine solche Stellung als Insolvenzgläubiger hatte der Beklagte hinsichtlich der hier in Rede stehenden Forderung nicht. Er war vielmehr bis zum bestandskräftigen Widerruf der Bewilligungsbescheide gegenüber der Masse Schuldner dieser Forderungen.

12

§§ 130, 131 InsO betreffen die Anfechtung von Rechtshandlungen, mit denen einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht wird. Sie betreffen dagegen nicht Rechtshandlungen, mit denen sich ein Dritter erst zum Insolvenzgläubiger gemacht hat oder - bei Unterlassungen - gemacht haben würde. Deshalb kann der Insolvenzverwalter im Wege der Anfechtung einen Schuldner des Insolvenzschuldners, etwa einen Darlehensgeber, nicht dazu zwingen, Leistungen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig waren, nach der Insolvenzeröffnung noch an die Masse zu erbringen, um ihn sodann wegen der Rückforderung auf die Quote zu verweisen. Er ist vielmehr darauf beschränkt, den Auszahlungsanspruch geltend zu machen, solange und soweit dieses fortbesteht. Die schuldrechtliche Grundlage für den Rückforderungsanspruch gegen die Masse in Form einer Insolvenzforderung war auch hier nicht gegeben, solange der Betrag tatsächlich noch nicht an den Schuldner gezahlt war.

13

c) Eine Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil es an einer Rechtshandlung des Schuldners fehlt.

Kayser                               Raebel                               Vill

                  Lohmann                               Pape