Entscheidungsdatum: 24.10.2012
1. NV: Den objektiven Tatbestand der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung verwirklicht, wer einem anderen eines der in § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG genannten Wirtschaftsgüter entgeltlich auf Zeit zum Gebrauch oder zur Nutzung überlässt; ihm müssen die Rechte und Pflichten aus einem Miet- oder Pachtvertrag oder einem ähnlichen Vertrag über eine Nutzungsüberlassung --rechtlich oder tatsächlich-- zurechenbar sein.
2. NV: Auch ein (nur befristetes) schuldrechtliches Nutzungsrecht kann zu einer Zurechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung führen; dazu bedarf es der rechtsgeschäftlichen Vertragsübernahme, etwa durch entsprechende Vereinbarung der Vertragsparteien unter Zustimmung der Mieter. In Gestalt eines vertraglich eingeräumten Nutzungsrechts kann eine sog. "gesicherte Rechtsposition" gegeben sein.
3. NV: Das Erfordernis einer Mindestlaufzeit für die Dauer von einem Jahr findet im Gesetz keine Grundlage (entgegen BMF-Schreiben vom 24. Juli 1998, BStBl I 1998, 914, Rz 7).
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden 2003 (Streitjahr) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin ist Eigentümerin eines an Dritte vermieteten Hauses. Am 8. Dezember 2002 schloss sie mit ihrer volljährigen Tochter einen "Vertrag zur Nutzungsüberlassung" mit folgendem Inhalt ab:
"1. Die Überlasserin (Klägerin) überträgt der Berechtigten (Tochter) das Nutzungsrecht an ihrem Haus in S.
2. Das Nutzungsrecht beginnt am 1. Januar 2003.
3. Das Nutzungsrecht kann von beiden Beteiligten mit einer Frist von drei Monaten zum Ende eines Kalenderhalbjahres ohne Angabe von Gründen gekündigt werden.
4. Die Berechtigte ist verpflichtet, die Verwaltungs- und Unterhaltskosten insgesamt zu übernehmen. Dies beinhaltet auch außergewöhnliche Instandsetzungskosten.
5. Darüber hinaus ist die Berechtigte verpflichtet, die von den Mietern der Wohnung zu zahlenden Nebenkostenpauschale von zur Zeit ... monatlich an die Überlasserin zu überweisen, ebenso die anderen Kosten, die durch die Wohnung entstehen. Kosten, die nicht auf die Mieter umgelegt werden können, übernimmt ebenfalls die Berechtigte.
6. Mieteinnahmen, die nach Vertragsbeginn noch auf dem Konto der Überlasserin eingehen, überweist die Überlasserin abzüglich der Kosten gemäß der Punkte 4 und 5 auf das Konto der Berechtigten."
Am 10. Dezember 2002 vereinbarten die Klägerin und ihre Tochter in einem als "Nachtrag zum Mietvertrag ..." bezeichneten und auch von den Mietern des Hauses in S unterzeichneten Vertrag, dass die Tochter ab dem 1. Januar 2003 in die Rechtsstellung der Klägerin als Vermieterin eintritt. Diese kündigte die Nutzungsüberlassung an die Tochter fristgerecht zum 30. Juni 2006.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) rechnete die Einkünfte aus der Vermietung des Hauses (6.565 €) der Klägerin zu, weil im Vertrag keine Mindestlaufzeit von einem Jahr vereinbart wurde und die Überlassung somit ohne gesicherte Rechtsposition erfolgt sei.
Nach insoweit erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt. Nicht die Klägerin, sondern ihre Tochter habe hinsichtlich des Hauses in S den Tatbestand der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung erfüllt. Mit dem Nutzungsüberlassungsvertrag sei zweifellos ein schuldrechtliches Nutzungsrecht zivilrechtlich wirksam bestellt worden, die Tochter sei auch durch rechtsgeschäftliche Vertragsübernahme in die Vermieterstellung eingetreten. Für die Annahme einer "gesicherten Rechtsposition" wie für eine von vornherein vereinbarte Mindestlaufzeit von einem Jahr finde sich im Gesetz keine Grundlage. Das eingeräumte Nutzungsrecht sei von der Tochter über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren auch tatsächlich ausgeübt worden; damit habe die Tochter im Streitfall auch über eine "gesicherte Rechtsposition" verfügt. Die Vermietungseinkünfte aus dem Haus in S müssten daher bei der Klägerin außer Ansatz bleiben.
Dagegen richtet sich die Revision des FA, mit der die Verletzung materiellen Rechts (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres --EStG--) gerügt wird. Es ist der Ansicht, dass die Vermietungseinkünfte der Klägerin zuzurechnen seien. Denn Voraussetzung sei bei einem unentgeltlich eingeräumten obligatorischen Nutzungsrecht, dass der Nutzungsberechtigte eine gesicherte Rechtsposition innehabe; dazu dürfe sie ihm nicht mehr entzogen werden können und müsse zwingend für mindestens ein Jahr überlassen worden sein (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. November 1983 VIII R 215/79, BFHE 140, 199, BStBl II 1984, 366, unter 2.a, und VIII R 184/83, BFHE 140, 203, BStBl II 1984, 371, unter 2.c; sowie Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 24. Juli 1998, BStBl I 1998, 914, Rz 7). Diese Grundsätze verkenne das FG, wenn es eine solche Rechtsposition bereits bei einer Mindestlaufzeit von sechs Monaten annehme. Auf die tatsächliche Dauer der Nutzungsüberlassung (hier: dreieinhalb Jahre) könne es nicht ankommen, zumal sie nichts über die wirtschaftlichen Dispositionsbefugnisse aussage. Der Nutzungsberechtigte müsse jederzeit mit Kündigung der Nutzungsüberlassung rechnen und daher vom Abschluss von Mietverträgen absehen. Folglich fehle es an den maßgebenden wirtschaftlichen Dispositionsbefugnissen auch dann, wenn keine Mindestvertragslaufzeit vereinbart sei, der Eigentümer aber --wie hier-- erst nach einigen Jahren von seinem Kündigungsrecht Gebrauch mache. Auch die Vertragsergänzung vom Juli 2004 über die (nunmehr einjährige) Mindestlaufzeit ändere daran für das Streitjahr nichts.
Dem stehe das BFH-Urteil vom 19. November 2003 IX R 54/00 (BFH/NV 2004, 1079) nicht entgegen. Zum einen basiere es auf einem abweichenden Sachverhalt (notarielle Verträge; lebenslänglicher Nießbrauch; minderjährige Kinder, für die ihr Vater als gesetzlicher Vertreter und damaliger Kläger ohnehin die Vermietungstätigkeit ausgeübt habe); zum anderen sei das Urteil nicht im BStBl veröffentlicht und demzufolge auch das Schreiben des BMF (in BStBl I 1998, 914) nicht geändert worden. Die Ausführungen zur Mindestlaufzeit von einem Jahr würden somit weiterhin gelten. Im Übrigen setze sich das Urteil des BFH (in BFH/NV 2004, 1079) weder mit den Urteilen des BFH (in BFHE 140, 199, BStBl II 1984, 366, und in BFHE 140, 203, BStBl II 1984, 371, sowie vom 27. Juni 1996 IV R 82/95, BFH/NV 1997, 101) noch mit der im BMF-Schreiben (in BStBl I 1998,914) vertretenen Auffassung der Verwaltung auseinander.
Das FA beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie sind auf der Basis der BFH-Rechtsprechung der Ansicht, die Tochter habe eindeutig die Vermietertätigkeit wirtschaftlich ausgeübt. Daher seien die Einkünfte aus der Vermietung nicht der Klägerin, sondern der Tochter zuzuordnen.
II. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Recht hat das FG die Einkünfte aus dem Haus in S nicht der Klägerin, sondern deren Tochter zugerechnet.
1. a) Wem Einkünfte zuzurechnen sind, hängt davon ab, wer den Tatbestand der Einkunftserzielung erfüllt (vgl. BFH-Urteil vom 7. Juni 2006 IX R 14/04, BFH/NV 2006, 2053, unter II.2.). Den objektiven Tatbestand der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung verwirklicht, wer einem anderen eines der in § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG genannten Wirtschaftsgüter entgeltlich auf Zeit zum Gebrauch oder zur Nutzung überlässt; ihm müssen die Rechte und Pflichten aus einem Miet- oder Pachtvertrag oder einem ähnlichen Vertrag über eine Nutzungsüberlassung --rechtlich oder tatsächlich-- zurechenbar sein (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2004, 1079; vom 6. September 2006 IX R 13/05, BFH/NV 2007, 406).
b) Auch ein (nur befristetes) schuldrechtliches Nutzungsrecht kann zu einer Zurechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach § 21 Abs. 1 EStG führen (vgl. BFH-Urteile vom 26. April 2006 IX R 22/04, BFH/NV 2006, 2046; vom 16. Januar 2007 IX R 69/04, BFHE 216, 329, BStBl II 2007, 579, unter II.1.a, m.w.N.). Während indes mit Einräumung eines Nießbrauchs an einem bereits vermieteten Grundstück der Nutzungsberechtigte kraft Gesetzes (§§ 566, 567 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) in die Rechtsstellung des Eigentümers als Vermieter eintritt (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1983 VIII R 205/80, BFHE 138, 242, BStBl II 1983, 502, unter II.1. a.E.; in BFH/NV 2004, 1079), bedarf es bei einem schuldrechtlichen Nutzungsrecht der rechtsgeschäftlichen Vertragsübernahme, etwa durch entsprechende Vereinbarung der Vertragsparteien (Überlassender und Übernehmender) unter Zustimmung der Mieter (vgl. BFH-Urteile in BFHE 138, 242, BStBl II 1983, 502; in BFH/NV 2006, 2046).
2. Diesen Maßstäben entspricht die Vorentscheidung. Die Revision des FA ist daher zurückzuweisen. Das FG ist auf der Basis der BFH-Rechtsprechung ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin in Bezug auf das Haus in S nicht den Tatbestand des § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG verwirklicht und ihr daher die daraus erzielten Vermietungseinkünfte auch nicht zuzurechnen sind.
Mit (privat-)schriftlichem Vertrag vom Dezember 2002 hat die Klägerin ihrer volljährigen Tochter das (schuldrechtliche) Nutzungsrecht an dem ihr, der Klägerin, gehörenden Haus in S eingeräumt. Dieser Vertrag wurde nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) zivilrechtlich wirksam abgeschlossen und tatsächlich durchgeführt; er war daher mangels entgegenstehender Umstände auch steuerrechtlich anzuerkennen. Durch unstreitige rechtsgeschäftliche Vertragsübernahme im Dezember 2002 unter Zustimmung der Mieter ist die Tochter auch in die (bisherige) Vermieterstellung (der Klägerin) eingetreten. Dabei kann dahinstehen, ob in solchen Fällen --wie von der Verwaltung verlangt (BMF-Schreiben in BStBl I 1998, 914, Rz 7)-- der Nutzungsberechtigte (zusätzlich) eine "gesicherte Rechtsposition" innehaben muss; denn eine solche hat das FG nach Maßgabe der BFH-Rechtsprechung zutreffend in Gestalt des vertraglich eingeräumten Nutzungsrechts als gegeben erachtet (s. dazu BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 1079, unter II.1.b; zu formlosen Leihverträgen z.B. BFH-Urteile vom 21. Januar 1986 IX R 27/83, BFH/NV 1986, 456; vom 27. Juni 1995 IX R 29/90, BFH/NV 1996, 28; vom 16. April 2002 IX R 53/98, BFH/NV 2002, 1152). Darüber hinaus findet sich für das Erfordernis einer Mindestlaufzeit für die Dauer von einem Jahr (so BMF-Schreiben in BStBl I 1998, 914, Rz 7) im Gesetz keine Grundlage. Im Übrigen wurde das Nutzungsrecht unter Berücksichtigung der Entwicklung auch nach dem Streitjahr (vgl. BFH-Urteile vom 27. Juli 2004 IX R 73/01, BFH/NV 2005, 192; vom 31. Juli 2007 IX R 8/07, BFH/NV 2008, 350) unstreitig über insgesamt dreieinhalb Jahre durch die Tochter tatsächlich ausgeübt. Danach mussten die Einkünfte aus dem Haus in S bei der Klägerin mangels Tatbestandsverwirklichung außer Ansatz bleiben.