Entscheidungsdatum: 11.04.2017
1. NV: Der Bescheid über den verbleibenden Verlustvortrag ist Grundlagenbescheid für den unmittelbar nachfolgenden Verlustfeststellungsbescheid .
2. NV: Der Einkommensteuerbescheid ist kein Grundlagenbescheid für den Verlustfeststellungsbescheid. Er wirkt vor Einführung von § 10d Abs. 4 Satz 4 und 5 EStG durch das JStG 2010 auch nicht wie ein Grundlagenbescheid .
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. September 2015 4 K 4074/15 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.
I. Streitig ist, ob das Finanzgericht (FG) der Klage gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2004 vom 4. Dezember 2014 zu Recht zum Teil stattgegeben hat.
Der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte die Einkommensteuer des Klägers, Revisionsbeklagten und Revisionsklägers (Kläger) für 2004 mit Bescheid vom 12. Dezember 2005 auf 0 € fest. Dabei berücksichtigte es negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 31.855 €. Den Gesamtbetrag der Einkünfte von 22.145 € verminderte es durch einen Verlustvortrag in gleicher Höhe auf 0 €. Der auf den 31. Dezember 2003 festgestellte verbleibende Verlustvortrag betrug für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung 74.714 €. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Ebenfalls am 12. Dezember 2005 stellte das FA den verbleibenden Verlustvortrag zum 31. Dezember 2004 in unverminderter Höhe von 74.714 € fest. Den bei der Einkommensteuerfestsetzung 2004 abgezogenen Verlust ließ es dabei unberücksichtigt. Auch gegen diesen Bescheid legte der Kläger keinen Einspruch ein.
Am 27. September 2011 änderte das FA den Feststellungsbescheid zum 31. Dezember 2004. Der verbleibende Verlustvortrag zum 31. Dezember 2003 hatte sich geringfügig (auf 80.214 €) erhöht. Das FA zog davon den bisher nicht berücksichtigten Verlustabzug in Höhe von 22.145 € bei der Einkommensteuer 2004 und stellte den verbleibenden Verlustvortrag für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung mit 58.069 € fest. Die Änderung stützte das FA auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO). Der dagegen gerichtete Einspruch des Klägers hatte Erfolg. Im Einspruchsverfahren änderte das FA den Feststellungsbescheid erneut, nahm die (unzulässige) Verböserung zurück und stellte den verbleibenden Verlustvortrag zum 31. Dezember 2004 wie bisher mit 74.714 € fest.
Durch Einspruchsentscheidung vom 14. März 2014 stellte das FA den verbleibenden Verlustvortrag zum 31. Dezember 2003 nunmehr mit 142.981 € fest.
Nach schriftlicher Anhörung des Klägers änderte das FA den Verlustfeststellungsbescheid zum 31. Dezember 2004 am 4. Dezember 2014 erneut. Die Änderung stützte das FA auf § 10d Abs. 4 Satz 4 und 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Fassung vor Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2010 (JStG 2010) vom 8. Dezember 2010 (BGBl I 2010, 1768). Hinsichtlich der Besteuerungsgrundlagen für die Einkommensteuer 2004 ging es nunmehr von negativen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung von nur noch 23.833 € aus. Dadurch erhöhte sich der Gesamtbetrag der Einkünfte um 8.022 € (31.855 € – 23.833 €) auf 30.167 € (22.145 € + 8.022 €). Danach ergab sich ein verbleibender Verlustvortrag zum 31. Dezember 2004 in Höhe von 112.814 € (142.981 € - 30.167 €). Aus der Anlage zum Bescheid ergibt sich, in welchen Punkten das FA hinsichtlich der Besteuerungsgrundlagen der Einkommensteuer 2004 vom Inhalt des Einkommensteuerbescheids für 2004 abgewichen ist.
Der dagegen gerichtete Einspruch des Klägers blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 24. Februar 2015). Das FG hat der Klage teilweise (in Höhe von 8.022 €) stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen.
Der Senat hat die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision als unbegründet zurückgewiesen; auf die Beschwerde des FA hat er die Revision zugelassen (Beschluss vom 1. Juli 2016, IX B 121/15, nicht dokumentiert).
Gegen das Urteil haben das FA und der Kläger Revision eingelegt.
Das FA beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt insoweit,
die Revision des FA zurückzuweisen.
Der Kläger hat keinen eigenen Revisionsantrag angekündigt. Er möchte sinngemäß erreichen, dass (auch) die Saldierung in Höhe von 22.145 € unterbleibt. Insoweit sei Feststellungsverjährung eingetreten.
Das FA beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
II. 1. Die Revision des FA ist begründet. Das FG hat zu Unrecht die vom FA vorgenommene Saldierung aufgehoben, soweit sie auf einer vom Einkommensteuerbescheid für 2004 abweichenden Ermittlung der negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und auf einem infolge dessen höheren Verlustabzug im Jahr 2004 beruht. Es hat damit gegen § 177 Abs. 2 AO verstoßen.
a) Zur Begründung seiner Teilklagestattgabe hat das FG im Wesentlichen ausgeführt, der Einkommensteuerbescheid sei gleichsam ein Grundlagenbescheid für die Verlustfeststellung (arg. § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG) und hätte nicht mehr geändert werden können. Die Saldierung sei deshalb rechtswidrig, soweit sie auf vom Einkommensteuerbescheid abweichenden Besteuerungsgrundlagen beruhe.
b) Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsirrtum. Das FG hat die Voraussetzungen von § 177 Abs. 2 AO verkannt.
aa) Zu Recht ist das FG allerdings davon ausgegangen, dass das FA berechtigt (und verpflichtet) war, den Verlustfeststellungsbescheid zum 31. Dezember 2004 zu ändern. Richtige Änderungsnorm dafür war § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Der Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs ist Grundlagenbescheid für den nachfolgenden Verlustfeststellungsbescheid. Wird, wie im Streitfall, der auf den Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums gesondert festgestellte Verlustvortrag geändert, ergibt sich die Anpassungsverpflichtung zwingend aus § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO.
bb) Nach § 177 Abs. 2 AO muss das FA, wenn die Voraussetzungen für die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids zu Gunsten des Steuerpflichtigen vorliegen, alle materiellen Fehler berichtigen, die nicht Anlass für die Aufhebung oder Änderung sind, soweit die Änderung reicht. Entsprechendes gilt für Feststellungsbescheide, soweit sie Folgebescheid sind (§ 181 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 177 AO). Diese Voraussetzungen hat das FG zu Unrecht hinsichtlich des Betrags von 8.022 € verneint. Der Einkommensteuerbescheid ist nicht Grundlagenbescheid für den Verlustfeststellungsbescheid. Eine inhaltliche Bindung an den Einkommensteuerbescheid bestand im Streitjahr nicht. Sie ergibt sich auch nicht aus § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG in der auf den Streitfall anwendbaren Fassung (im Folgenden: a.F.). Auf diese Norm kam es zudem nicht an, denn die Befugnis zur Änderung des Verlustfeststellungsbescheids ergibt sich aus § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Zum Umfang der Saldierung verhält sich § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG a.F. nicht und hat hierauf auch keinen Einfluss. Das FA war folglich nicht gehindert, bei der materiell-rechtlich zutreffenden Ermittlung des verbleibenden Verlustvortrags die "nach Absatz 2 abziehbaren Beträge" (§ 10d Abs. 4 Satz 2 EStG) ohne Bindung an den Einkommensteuerbescheid für 2004 neu zu bestimmen und die dabei festgestellten materiell-rechtlichen Fehler im Rahmen der Änderung des Verlustfeststellungsbescheids zu korrigieren. Dabei ist nicht erheblich, dass sich die Änderungen auf die Einkommensteuer für 2004 nicht mehr auswirken konnten.
cc) Für die Saldierung nach § 177 Abs. 2 AO bedarf es keiner eigenen Änderungsnorm; die Saldierung findet vielmehr im Rahmen der durch eine andere Norm eröffneten Korrektur statt (hier: § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO). Die vom FA festgestellten Fehler bei der Ermittlung der negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung waren nicht der Anlass für die Aufhebung oder Änderung des Feststellungsbescheids. Schließlich ist auch der Änderungsrahmen von 68.564 € (142.981 € - 74.714 €), wie das FG zutreffend festgestellt hat, nicht überschritten.
2. Die Revision des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet. Wie bereits dargelegt, war das FA berechtigt und verpflichtet, den Verlustfeststellungsbescheid zum 31. Dezember 2004 zu Gunsten des Klägers zu ändern und dabei materielle Fehler zu saldieren. Diese Befugnis schließt auch den Abzug des bisher nicht berücksichtigten Verlustabzugs im Veranlagungszeitraum 2004 ein.
Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass der Einkommensteuerbescheid für 2004 bereits bestandskräftig und festsetzungsverjährt war. Das Verfahren der gesonderten Verlustfeststellung ist ein selbständiges Verfahren (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 14. Juli 2009 IX R 52/08, BFHE 225, 453, BStBl II 2011, 26). Für den Verlustfeststellungsbescheid gilt eine eigene Feststellungsfrist. Die Feststellungsfrist (§ 181 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 169 ff. AO) war insofern gehemmt bis zum Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids (§ 171 Abs. 10 Satz 1 AO), hier der Einspruchsentscheidung vom 14. März 2014 über den Verlustfeststellungsbescheid zum 31. Dezember 2003. Die Feststellungsfrist für den streitgegenständlichen Bescheid lief folglich erst am 14. März 2016 ab und ist durch den Änderungsbescheid vom 4. Dezember 2014 gewahrt.
3. Die Sache ist spruchreif. Die Revision des FA führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Kläger hat die vom FA angekündigten und im Detail dargelegten Änderungen nicht substantiiert angegriffen.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.