Entscheidungsdatum: 16.06.2011
1. NV: Im Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren wird vorläufiger Rechtsschutz durch AdV nach § 69 Abs. 3 FGO gewährt, wenn die Finanzbehörde die Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte ganz oder teilweise abgelehnt hat.
2. NV: Ob nachträglicher Schuldzinsenaufwand, der nur deshalb entsteht, weil der Erlös aus der Veräußerung eines zuvor zur Vermietung genutzten Grundstücks nicht ausreicht, um das ursprünglich zur Anschaffung des Grundstücks aufgenommene Darlehen abzulösen, nach § 39a Abs.1 Nr. 5 Buchst. b EStG die Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte rechtfertigen kann, hängt von der Beurteilung einer höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Rechtsfrage ab.
3. NV: Es begegnet keinen Bedenken, wenn sich das FA bei der Beurteilung dieser Frage der geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung anschließt.
I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Eintragung eines Freibetrages auf seiner Lohnsteuerkarte wegen nachträglicher Schuldzinsen aus Vermietung und Verpachtung.
Der Antragsteller war von Juni 1998 bis August 2009 Eigentümer eines ausschließlich fremd vermieteten Mehrfamilienhauses. Die Anschaffungskosten in Höhe von etwa 1.500.000 € finanzierte der Antragsteller nahezu vollständig durch die Aufnahme von Darlehen. Die Veräußerung des Mehrfamilienhauses im Jahr 2009 erbrachte lediglich einen Erlös in Höhe von rund 450.000 €, der zur Tilgung der bestehenden Verbindlichkeiten nicht ausreichte. Zwar konnte der Antragsteller mit der Darlehensgläubigerin einen Teilerlass der ausstehenden Darlehensverbindlichkeiten vereinbaren; allerdings bestehen derzeit noch Verbindlichkeiten in Höhe von rund 470.000 €, auf die der Antragsteller im Streitjahr 2011 --"nachträgliche"-- Schuldzinsen in Höhe von voraussichtlich 23.970 € zu entrichten hat.
Unter dem 2. Dezember 2010 stellte der Antragsteller den Antrag, diesen Schuldzinsenaufwand im Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren zu berücksichtigen und hierfür auf seiner Lohnsteuerkarte einen Freibetrag von 23.970 € einzutragen. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 9. Dezember 2010 ab.
Über den hiergegen gerichteten Einspruch des Antragstellers ist noch nicht entschieden. Einen gleichzeitig gestellten Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte das FA unter dem 23. Dezember 2010 ab; es vertrat die Auffassung, nachträgliche Schuldzinsen seien im Bereich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung dem privaten Vermögensbereich zuzuordnen und mithin nicht abziehbar.
Das Finanzgericht (FG) lehnte den gerichtlichen Antrag des Antragstellers auf AdV gemäß § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aus den in Steuer-Eildienst 2011, 325 veröffentlichten Gründen ab.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Er vertritt die Auffassung, die Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte nach § 39a des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei entgegen der Meinung des FG keine Ermessensentscheidung. Im Streitfall stehe auch § 37 Abs. 3 EStG, auf den § 39a Abs. 1 Nr. 5 EStG verweise, einer Eintragung des begehrten Werbungskostenüberschusses aus Vermietung und Verpachtung nicht entgegen.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die angefochtene Vorentscheidung aufzuheben, den Bescheid vom 9. Dezember 2010 von der Vollziehung auszusetzen und auf seiner Lohnsteuerkarte für das Streitjahr einen Freibetrag in Höhe von 23.970 € einzutragen.
Das FA beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Entscheidung des FG, den Antrag auf AdV abzulehnen, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise ausgesetzt werden. Sie soll ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO). Das ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) der Fall, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsakts gewichtige Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 27. Oktober 2009 IX B 171/09, BFH/NV 2010, 409, m.w.N.).
Im Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren wird vorläufiger Rechtsschutz durch AdV nach § 69 Abs. 3 FGO gewährt, wenn die Finanzbehörde die Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte ganz oder teilweise abgelehnt hat (BFH-Beschluss vom 29. April 1992 VI B 152/91, BFHE 167, 152, BStBl II 1992, 752).
2. Nach § 39a Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b EStG wird auf der Lohnsteuerkarte u.a. die negative Summe der Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3, 6 und 7 EStG als Freibetrag eingetragen.
Ob der im Streitfall maßgebliche Schuldzinsenaufwand des Antragstellers als "negative Einkünfte" aus Vermietung und Verpachtung einer Eintragung überhaupt --also unabhängig von der Frage, inwieweit die Eintragung durch das FA als Ermessensentscheidung zu sehen ist-- zugänglich ist, hängt von der Beurteilung einer höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Rechtsfrage ab: nämlich der Frage, ob die Rechtsprechung des BFH zum Abzug nachträglicher Schuldzinsen für den Bereich des § 20 EStG (vgl. BFH-Urteil vom 16. März 2010 VIII R 20/08, BFHE 229, 151, BStBl II 2010, 787) auch auf den Geltungsbereich des § 21 EStG angewendet werden kann. Nach der bisherigen Rechtsprechung sind Schuldzinsen, die auf den Zeitraum nach Beendigung der Nutzung eines Gebäudes zur Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung entfallen, grundsätzlich nicht zum Abzug zuzulassen, und zwar auch dann nicht, wenn der Erlös aus der Veräußerung eines zuvor zur Vermietung genutzten Grundstücks nicht ausreicht, um das ursprünglich zur Anschaffung des Grundstücks aufgenommene Darlehen abzulösen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 12. November 1991 IX R 15/90, BFHE 166, 219, BStBl II 1992, 289, m.w.N.; vom 2. März 1993 IX R 9/90, BFH/NV 1993, 532; vom 25. April 1995 IX R 114/92, BFH/NV 1995, 966; zu den --im Streitfall nicht vorliegenden-- Ausnahmen s. etwa BFH vom 23. Januar 1990 IX R 8/85, BFHE 159, 488, BStBl II 1990, 464, zu rückständigen Zinsen; vom 16. September 1999 IX R 42/97, BFHE 190, 165, BStBl II 2001, 528, und vom 12. Oktober 2005 IX R 28/04, BFHE 211, 255, BStBl II 2006, 407, zu darlehensfinanzierten Erhaltungsaufwendungen).
Auch wenn man diese Rechtsprechung in Frage stellen kann (vgl. zuletzt Jachmann/Schallmoser, Deutsches Steuerrecht 2011, 1245), kommt es doch für die Rechtmäßigkeit der ablehnenden Entscheidung des FA nicht darauf an, wie der Senat diese Rechtsfrage bei einer Anfechtung der Einkommensteuerveranlagung entscheiden würde, sondern darauf, wie das FA vor einer gerichtlichen Entscheidung die betreffende Rechtsfrage nach dem bei der Entscheidung geltenden Meinungsstand aufgrund beachtlicher rechtlicher Erwägungen sowie ggf. nach pflichtgemäßem Ermessen beurteilen musste (vgl. BFH-Urteil vom 22. Oktober 1981 IV R 81/79, BFHE 134, 415, BStBl II 1982, 446). Vor diesem Hintergrund begegnet die Auffassung des FG, das FA habe unter Berücksichtigung der geltenden Rechtsprechung zur Berücksichtigung von nachträglichen Schuldzinsen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung die Eintragung des begehrten Freibetrages zu Recht abgelehnt, keinen Bedenken. Denn es ist nicht rechtsfehlerhaft, wenn sich die Finanzbehörde einer noch immer geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung anschließt.