Entscheidungsdatum: 11.04.2012
NV: Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die in Ziff. II. 1 des BMF-Schreibens vom 20.12.2010 (BStBl I 2011, 14) vorgesehene Vereinfachungsregelung, wonach bei der Ermittlung des Gewinns aus privaten Veräußerungsgeschäften im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG der Umfang des steuerbaren Wertzuwachses entsprechend dem Verhältnis der Besitzzeit nach dem 31. März 1999 im Vergleich zur Gesamtbesitzzeit linear (monatsweise) zu ermitteln ist, der Rechtsprechung der Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1, BStBl II 2011, 76) entspricht .
I. Die Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Antragsteller erwarb 1996 ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück, das er 2004 wieder veräußerte. Im Rahmen der vom Antragsteller erzielten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung wurden für das Objekt Sonderabschreibungen sowie Absetzungen für Abnutzung (AfA) berücksichtigt.
Im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2004) ermittelte der Antragsteller einen rechnerischen Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 91.596 €, der sich aus einem gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 EStG gebildeten negativen Saldo in Höhe von ./. 739 € --bestehend aus Veräußerungspreis abzüglich Anschaffungs-, Anschaffungsneben-, nachträglichen Herstellungs- und Veräußerungskosten-- einerseits sowie den nach § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG gegenläufig (d.h. anschaffungskostenmindernd) zu berücksichtigenden Beträgen --Sonderabschreibungen sowie AfA-- andererseits zusammensetzt. Die Antragsteller vertreten insoweit die Auffassung, die in Anspruch genommenen Sonderabschreibungen sowie die AfA seien den einzelnen Veranlagungszeiträumen, in denen sie sich steuerlich ausgewirkt haben, zuzuordnen und dort wie "Wertzuwächse" zu berücksichtigen. Die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) am 31. März 1999 entstandenen Wertzuwächse (in Form von Sonderabschreibungen bzw. AfA) könnten mit Blick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05 (BVerfGE 127, 1, BStBl II 2011, 76) steuerlich nicht erfasst werden. Im Ergebnis dürften von dem rechnerischen Gewinn in Höhe von 91.596 € daher nur 14.753 € --dieser Betrag entspreche der im Zeitraum vom 1. April 1999 bis zur Veräußerung der Immobilie in Anspruch genommenen AfA-- besteuert werden, während ein "Wertzuwachs" in Höhe von 76.843 € --entsprechend den vom Zeitpunkt der Anschaffung bis zum 31. März 1999 in Anspruch genommenen Sonderabschreibungen und AfA-- dem Antragsteller steuerfrei verbleiben müsse.
Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) ermittelte die Einkünfte des Antragstellers aus privaten Veräußerungsgeschäften im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 22. Mai 2006 (in der Fassung durch die Einspruchsentscheidung vom 25. August 2011) nach der in Ziff. II. 1 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 20. Dezember 2010 IV C 1-S 2256/07/10001:006, 2010/1015920 (BStBl I 2011, 14) vorgegebenen Vereinfachungsregelung, welche eine lineare Wertentwicklung der Immobilie unterstellt, mit 62.451 €.
Das Finanzgericht (FG) gab einem Antrag der Antragsteller auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids vom 22. Mai 2006 statt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des FA.
II. Die Beschwerde des FA ist unbegründet. Das FG hat den angefochtenen Einkommensteuerbescheid im Ergebnis zu Recht von der Vollziehung ausgesetzt.
1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 und Satz 7 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aufgehoben werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Das ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) der Fall, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsakts gewichtige Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 27. Oktober 2009 IX B 171/09, BFH/NV 2010, 409, m.w.N.).
2. Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen im Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids.
Unentschieden ist zunächst die Rechtsfrage, ob es sich bei den gemäß § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG im Rahmen der Ermittlung des Gewinns aus privaten Veräußerungsgeschäften zu berücksichtigenden Abschreibungs- bzw. Absetzungsbeträgen --ggf. anteilig-- um (typisierte) "Wertzuwächse" im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG handelt und der Antragsteller zudem darauf vertrauen durfte, diese --ggf. anteilig-- steuerfrei vereinnahmen zu können. Im Hauptsacheverfahren wird zudem die Rechtsgrundlage zu klären sein, auf der das BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 14 eine lineare Wertentwicklung der veräußerten Wirtschaftsgüter des Privatvermögens unterstellt (vgl. hierzu auch Senatsbeschluss vom 24. Februar 2012 IX B 146/11, Deutsches Steuerrecht 2012, 599, Der Betrieb 2012, 719, zur gleich gelagerten Problematik im BMF-Schreiben vom 20. Dezember 2010 IV C 6-S 2244/10/10001, 2010/1006836, BStBl I 2011, 16, betreffend § 17 EStG).