Entscheidungsdatum: 08.11.2017
§ 215 Abs. 1 Satz 1 VVG erfasst auch Klagen aus einem Versicherungsvertrag, dessen Versicherungsnehmer eine juristische Person ist, wobei auf deren Sitz im Sinne des § 17 ZPO abzustellen ist.
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts München - 14. Zivilsenat - vom 17. Dezember 2015 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in Deutschland, verlangt von der Beklagten, einem Versicherer mit Sitz in Liechtenstein, aus bürgerlich-rechtlicher Prospekthaftung sowie aufgrund ungerechtfertigter Bereicherung die Erstattung des Versicherungsbeitrags zu einer Lebensversicherung mit Vermögensverwaltung.
Die Versicherung wurde im Jahr 2004 gegen Zahlung einer Einmalprämie von 20.000 € abgeschlossen. Versicherungsnehmerin war die Roswitha Steber Versicherungsvermittlung. Dem Versicherungsvertrag lagen Allgemeine Versicherungsbedingungen (im Folgenden: AVB) der Beklagten zugrunde, die folgende Regelung enthalten:
"§ 22. Wo ist der Gerichtsstand?
(1) Ansprüche aus Ihrem Versicherungsvertrag können gegen uns bei dem für unseren Geschäftssitz örtlich zuständigen Gericht geltend gemacht werden. Ist Ihre Versicherung durch Vermittlung eines Versicherungsvertreters zustande gekommen, kann auch das Gericht des Ortes angerufen werden, an dem der Vertreter zur Zeit der Vermittlung seine gewerbliche Niederlassung oder, wenn er eine solche nicht unterhielt, seinen Wohnsitz hatte.
..."
Der Vertragsschluss wurde durch einen Versicherungsmakler vermittelt, der hierbei Informationsbroschüren verwandte. Die Klägerin, die angibt, jetzt Versicherungsnehmerin zu sein, macht geltend, dass die Angaben in diesen Broschüren nicht ordnungsgemäß seien, weshalb die Beklagte ihr zum Schadensersatz verpflichtet sei.
Das Landgericht hat ihre auf Prämienerstattung gerichtete Klage mangels internationaler Zuständigkeit des angerufenen Gerichts als unzulässig abgewiesen. Während des Berufungsverfahrens hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten den Widerspruch nach § 5a VVG a.F. erklären lassen und das geltend gemachte Rückforderungsbegehren auch hierauf gestützt. Das Oberlandesgericht hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat in seiner angefochtenen Entscheidung (r+s 2016, 213) ausgeführt, die deutschen Gerichte seien im Streitfall international zuständig.
Mangels Sitzes der Beklagten in Deutschland bestimme sich die internationale Zuständigkeit grundsätzlich gemäß Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (EuGVVO 2001) nach dem nationalen Zuständigkeitsrecht der lex fori. Ferner werde die in § 22 Abs. 1 AVB enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung nicht von Art. 23 EuGVVO 2001 erfasst und zwar auch nicht in ihrer Wirkung einer möglichen Derogation der Zuständigkeit deutscher Gerichte. Art. 23 EuGVVO 2001 regele allein Gerichtsstandsvereinbarungen, die eine Prorogation zugunsten eines mitgliedstaatlichen Gerichts anordneten.
Damit sei autonomes deutsches internationales Zuständigkeitsrecht maßgeblich, aus dessen § 215 Abs. 1 VVG sich die Zuständigkeit deutscher Gerichte ergebe. Die Regelung sei hier in zeitlicher Hinsicht einschlägig. Für ihre Anwendbarkeit könne offen bleiben, ob Versicherungsnehmerin aktuell die klagende GmbH oder deren Geschäftsführerin als natürliche Person sei. Die Vorschrift erfasse nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen und sei auch auf Versicherungsnehmer anwendbar, die nach Vertragsschluss insbesondere im Wege der rechtsgeschäftlichen Vertragsübernahme in die Vertragsstellung des bisherigen Versicherungsnehmers eingerückt seien. Dem Wortlaut sei eine Beschränkung in personeller Hinsicht nicht ohne weiteres zu entnehmen. Die Einbeziehung von juristischen Personen in den Anwendungsbereich bewege sich noch innerhalb des Wortlauts, wobei der Begriff des Wohnsitzes insoweit berichtigend als Sitz im Sinne von § 17 ZPO interpretiert werden müsse. Es könne nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber den Ausschluss juristischer Personen gewollt habe. Vor allem entspreche es insgesamt der Systematik und Zielsetzung des VVG, den Schutz des Versicherungsnehmers grundsätzlich nicht davon abhängig zu machen, ob eine natürliche Person bzw. ein Verbraucher Versicherungsnehmer sei.
II. Das hält rechtlicher Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gemäß § 215 Abs. 1 Satz 1 VVG zu Recht bejaht.
1. Es hat richtig erkannt, dass die nationalen Zuständigkeitsvorschriften hier nicht durch die Regelungen der EuGVVO 2001 oder des Luganer Übereinkommens vom 30. Oktober 2007 (LugÜ 2007) verdrängt werden. Dies hat der Senat bereits mit Urteil vom 1. Juni 2016 (IV ZR 80/15, BGHZ 210, 277 Rn. 14) und in dem ebenfalls die hiesige Beklagte betreffenden Urteil vom 8. März 2017 (IV ZR 435/15, VersR 2017, 779 Rn. 12) entschieden. Die internationale Zuständigkeit für die Klage ergibt sich danach mittelbar aus den nationalen Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit (Senatsurteile vom 8. März 2017 aaO Rn. 13; vom 1. Juni 2016 aaO Rn. 15 m.w.N.), hier aus § 215 Abs. 1 Satz 1 VVG.
a) Die Vorschrift ist in sachlicher Hinsicht einschlägig, weil sie auch Klagen erfasst, die auf die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung des Vertragsverhältnisses nach Widerspruch sowie auf Schadensersatz aus Beratungsverschulden bei Anbahnung des Versicherungsvertrages - einschließlich eventueller Ansprüche aus Prospekthaftung im engeren und weiteren Sinne - gerichtet sind (Senatsurteil vom 8. März 2017 aaO Rn. 15 f.).
b) § 215 Abs. 1 Satz 1 VVG ist auch in zeitlicher Hinsicht anwendbar, obgleich der Versicherungsvertrag noch vor der Reform des Versicherungsvertragsrechts abgeschlossen wurde. Wie der Senat in seinem Urteil vom 8. März 2017 (aaO) entschieden und eingehend begründet hat, ist die neue Gerichtsstandsregel gemäß Art. 12 Abs. 1 des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23. November 2007 (BGBl. I 2631) seit dem 1. Januar 2008 geltendes Recht, das unabhängig vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses anzuwenden ist (aaO Rn. 23 ff.).
c) Der Anwendung von § 215 Abs. 1 Satz 1 VVG steht ferner nicht entgegen, dass es sich bei der Klägerin, die nach ihrem der Zuständigkeitsprüfung zugrunde zu legenden Vortrag inzwischen Versicherungsnehmerin ist, weder um einen Verbraucher noch um eine natürliche Person handelt.
aa) Die Norm begründet für Klagen aus dem Versicherungsvertrag die Zuständigkeit des Gerichts, in dessen Bezirk der Versicherungsnehmer zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ob sie auch einschlägig ist, wenn es sich bei dem Versicherungsnehmer um eine juristische Person handelt, wird unterschiedlich beurteilt.
Dies wird in Rechtsprechung und Literatur teilweise unter Bezugnahme auf den Wortlaut der Vorschrift abgelehnt, weil er eine natürliche Person voraussetze, eine juristische Person aber weder einen "Wohnsitz" noch einen "gewöhnlichen Aufenthalt" haben könne (LG Aachen VersR 2016, 67, 68; LG Berlin VersR 2010, 1629; LG Fulda VersR 2013, 481; LG Itzehoe VersR 2016, 1395, 1396; LG Limburg VersR 2011, 609; LG Potsdam VersR 2015, 338; LG Ravensburg r+s 2016, 216; Klär/Heyers in PK-VVG, 3. Aufl. § 215 Rn. 13 f.; Klimke in Prölss/Martin, VVG 29. Aufl. § 215 Rn. 11 f.; von Rintelen in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 23 Rn. 6 f.; Spuhl in Marlow/Spuhl, Das Neue VVG kompakt 4. Aufl. Rn. 1489; Franz, VersR 2008, 298, 307; Mühlhausen, r+s 2016, 161, 162 ff.). Einige fordern überdies, dass der Versicherungsnehmer Verbraucher sein müsse (HK-VVG/Muschner, 3. Aufl. § 215 Rn. 11; Grote/Schneider, BB 2007, 2689, 2701).
Nach der Gegenansicht können auch juristische Personen Versicherungsnehmer im Sinne des § 215 Abs. 1 Satz 1 VVG sein (OLG Schleswig VersR 2015, 1422, 1423 f.; LG Saarbrücken, Urteil vom 9. September 2013 - 14 O 322/12, juris Rn. 14; Brand in Bruck/Möller, 9. Aufl. § 215 Rn. 10 ff.; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 5. Aufl. § 215 Rn. 2; Eichelberg in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl. § 215 Rn. 5; MünchKomm-VVG/Looschelders, 2. Aufl. § 215 Rn. 14; Meixner/Steinbeck, Allgemeines Versicherungsvertragsrecht 2. Aufl. § 9 Rn. 20; Armbrüster, r+s 2010, 441, 456; Bauer/Rajkowski, VersR 2010, 1559; Fricke, VersR 2009, 15, 16; Looschelders/Heinig, JR 2008, 265, 266 f.; Wagner, VersR 2009, 1589; für eine analoge Anwendung des § 215 VVG insoweit: Kloth, Private Unfallversicherung 2. Aufl. U. Rn. 13; Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung 3. Aufl. R. Rn. 99; Staudinger, ZfIR 2015, 361, 362).
bb) Der Senat teilt die letztgenannte Auffassung. § 215 Abs. 1 Satz 1 VVG erfasst auch Klagen aus einem Versicherungsvertrag, dessen Versicherungsnehmer eine juristische Person ist, wobei auf deren Sitz im Sinne des § 17 ZPO abzustellen ist.
Zwar lässt die reine Wortlautinterpretation ein abweichendes Verständnis möglich erscheinen. Bei dieser darf die Auslegung aber nicht Halt machen. Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist vielmehr der zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, dessen Erfassung die nebeneinander zulässigen, sich ergänzenden Methoden der Auslegung aus dem Wortlaut der Norm, aus ihrem Zusammenhang, aus ihrem Zweck sowie aus den Gesetzgebungsmaterialien und der Entstehungsgeschichte dienen (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2007 - VII ZB 47/07, r+s 2008, 120 Rn. 14 f. m.w.N.). Nach dieser Maßgabe ist davon auszugehen, dass juristische Personen als Versicherungsnehmer im Rahmen des § 215 VVG nicht anders behandelt werden sollen als natürliche Personen oder Verbraucher.
(1) Entgegen der Auffassung der Revision ist schon die Wortlautauslegung nicht eindeutig. So ist in der Norm - abweichend von der Regelung des § 29c ZPO, an der sich der Gesetzgeber bei der Fassung von § 215 VVG orientierte (vgl. Regierungsentwurf BT-Drucks. 16/3945 S. 117) - nicht vom Verbraucher die Rede oder von einer natürlichen Person, obgleich dem Versicherungsvertragsgesetz diese Begriffe nicht fremd sind (vgl. § 7 Abs. 5 Satz 2, § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG; ähnlich: Brand aaO Rn. 10; MünchKomm-VVG/Looschelders aaO Rn. 13). Für eine entsprechende Einschränkung des Kreises der Versicherungsnehmer lässt sich lediglich anführen, dass juristische Personen weder über einen Wohnsitz noch über einen gewöhnlichen Aufenthalt verfügen.
(2) Gegen ein solch begrenztes Verständnis spricht aber - worauf das Berufungsgericht zu Recht abstellt - in systematischer Hinsicht, dass das Versicherungsvertragsgesetz den Versicherungsnehmer grundsätzlich unabhängig von seiner Rechtsform oder seiner eventuellen Verbrauchereigenschaft schützt (vgl. Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 29. April 2004, S. 21 f.; so auch OLG Schleswig aaO 1423; Brand aaO; MünchKomm-VVG/Looschelders aaO Rn. 13; Steinbeck/Meixner aaO Rn. 19; Looschelders/Heinig aaO 267). Insofern ist nicht entscheidend, ob juristischen Personen, wie die Revision einwendet, anders als natürlichen Personen das Merkmal der strukturellen Unterlegenheit fehlt (ähnlich Klär/Heyers aaO Rn. 14; Mühlhausen aaO 164). Eine entsprechende Differenzierung nach der Rechtspersönlichkeit sieht das Gesetz bei seinen Schutzvorschriften zugunsten des Versicherungsnehmers, insbesondere bei den Regelungen zu den Beratungs- und Informationspflichten des Versicherers nach den §§ 6, 7 VVG und zum Widerrufsrecht nach den §§ 8, 9 VVG nicht vor. Sie ist auch im Übrigen nicht erkennbar.
(3) Insbesondere die Gesetzgebungsgeschichte sowie Sinn und Zweck des § 215 VVG sprechen für die Anwendbarkeit der Norm auch auf juristische Personen.
Dass sich der Gesetzgeber - wie die Revision meint - von der Erwägung leiten ließ, es sei natürlichen anders als juristischen Personen in typisierender Betrachtungsweise weniger zumutbar, sich zur Durchsetzung ihrer Ansprüche eines entfernteren Gerichtsstands zu bedienen, ist nicht ersichtlich. Vielmehr sollten mit der Einführung der Norm die Unklarheiten und Streitigkeiten des bisherigen § 48 VVG ausgeräumt werden, der mit der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes außer Kraft trat (vgl. BT-Drucks. 16/3945 S. 117).
Diese Norm, die unter anderem die Zuständigkeit eines Gerichts begründen sollte, das in der Regel den bei der Entscheidung des Rechtsstreits in Betracht kommenden tatsächlichen Verhältnissen näher steht und die erforderlichen Beweise leichter sowie schneller erheben kann als das Gericht am Sitz des Versicherers (Motive zum Versicherungsvertragsgesetz, Neudruck 1963 S. 122), schloss - wie das Berufungsgericht zutreffend hervorhebt - unstreitig juristische Personen als Versicherungsnehmer mit ein (OLG Schleswig aaO 1423; Brand aaO Rn. 11; Looschelders/Heinig aaO 267). Die mit der Vorschrift verbundenen Probleme, die der Gesetzgeber zu beheben suchte, bestanden nicht in der unbeschränkten Einbeziehung der verschiedenen Versicherungsnehmergruppen (vgl. BT-Drucks. 16/3945 aaO). Vielmehr trifft die genannte gesetzgeberische Erwägung, die der alten Vorschrift auch zugrunde lag und nicht auf die Person des Versicherungsnehmers abstellte, in gleicher Weise für die Neuregelung zu. Danach spricht nichts dafür, dass die Neuregelung eine Verschlechterung der Rechtsstellung der juristischen Personen als Versicherungsnehmer zur Folge haben sollte (so auch: Brand aaO; MünchKomm-VVG/Looschelders aaO Rn. 9; Wagner aaO 1589). Mit Blick darauf ist die fehlende Aufnahme des Begriffs "Sitz" in den Wortlaut der Vorschrift nicht als bewusste Auslassung (a.A. Klär/Heyers aaO Rn. 14), sondern als redaktionelles Versehen des Gesetzgebers anzusehen.
Abweichendes folgt nicht daraus, dass die Gesetzgebungsmaterialien (BT-Drucks. 16/3945 S. 117) einen ausdrücklichen Hinweis auf die verbraucherschützende Wirkung der Vorschrift enthalten (so aber LG Limburg aaO; Klimke aaO Rn. 12). Vielmehr kann die entsprechende Passage in der Begründung des Gesetzesentwurfs entgegen der Ansicht der Revision mit dem Berufungsgericht auch so verstanden werden, dass die Regelung neben anderen Zwecken der Stärkung des prozessualen Rechtsschutzes des Verbrauchers dienen soll, was einem weiten Verständnis der Vorschrift nicht entgegenstünde (vgl. OLG Schleswig aaO 1423; Brand aaO Rn. 12; Rixecker aaO Rn. 2; Klär/Heyers aaO Rn. 11).
(4) Schließlich steht die weite Auslegung des Versicherungsnehmerbegriffs in § 215 VVG, soweit es um die internationale Zuständigkeit geht, in Einklang mit Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO 2001. Danach kann ein Versicherer, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, unter anderem bei Klagen des Versicherungsnehmers in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat. Wohnsitz ist dabei auch der satzungsmäßige Sitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung einer juristischen Person (Art. 60 Abs. 1 EuGVVO 2001). Anhaltspunkte dafür, dass der deutsche Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der nationalen Vorschriften zum Schutz des Versicherungsnehmers für außerhalb des Geltungsbereichs der EuGVVO 2001 liegende Sachverhalte hinter deren Schutzniveau zurückbleiben wollte, sind nicht ersichtlich (vgl. BGH, Urteil vom 30. Oktober 2014 - III ZR 474/13, ZIP 2014, 2414 Rn. 25; Rixecker aaO; so auch Staudinger, ZfIR 2015, 361, 364).
2. Der damit gegebene deutsche Gerichtsstand konnte nicht in den allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten derogiert werden.
a) Dabei kann dahinstehen, ob § 22 Abs. 1 Satz 1 AVB - wie die Revision meint - überhaupt im Sinne der Abbedingung des deutschen Gerichtsstands verstanden werden kann. Schon die tatbestandlichen Voraussetzungen einer zulässigen Vereinbarung nach § 215 Abs. 3 VVG sind nicht gegeben. Eine darüber hinausgehende Wahl des zuständigen Gerichts sieht das Gesetz nicht vor (Senatsurteil vom 1. Juni 2016 - IV ZR 80/15, BGHZ 210, 277 Rn. 16 m.w.N.).
b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer erweiterten Anwendung des Art. 23 EuGVVO 2001, für die entgegen der Meinung der Revision im Streitfall kein Raum ist.
Die Vorschrift kann im Falle entsprechender Parteivereinbarung die internationale Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedsstaats begründen. Zwar wird in der Literatur vertreten, dass sich bei Vereinbarung eines Gerichtsstands in einem Drittstaat der Derogationseffekt der Absprache ebenfalls nach Art. 23 EuGVVO 2001 bestimmen soll, um eine einheitliche Beurteilung der Derogation in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten (vgl. Geimer in Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht 3. Aufl. Art. 23 EuGVVO Rn. 41; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 23 EuGVVO Rn. 3b; Stadler in Musielak/Voit, ZPO 12. Aufl. Art. 23 EuGVVO Rn. 2; Zöller/Geimer, ZPO 30. Aufl. Art. 23 EuGVVO Rn. 12; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht 6. Aufl. Rn. 531; Samtleben in Festschrift Ansay, 2006 S. 343, 354; Heinze/Dutta, IPrax 2005, 224, 228; Schaper/Eberlein, RIW 2012, 43, 46, 48). Der Meinungsstand ist insofern aber nicht einheitlich. Einige wollen die Zulässigkeit der Derogation nur dann an Art. 23 EuGVVO 2001 messen, wenn sie auf den Ausschluss einer nach der EuGVVO 2001 gegebenen Zuständigkeit gerichtet ist (Geimer, Rauscher/Mankowski, Samtleben und Heinze/Dutta, jeweils aaO). Andere stellen darauf ab, ob mindestens in zwei Mitgliedstaaten gegebene Zuständigkeiten ausgeschlossen werden sollen (etwa Schack aaO). Nach diesen beiden Ansichten ist die Ausnahmevorschrift hier nicht einschlägig, weil keine Zuständigkeit nach der EuGVVO 2001 abbedungen werden soll und außer der Zuständigkeit deutscher und liechtensteinischer Gerichte keine Zuständigkeit von Gerichten eines zweiten Mitgliedstaats in Betracht kommt.
Für die Revision spricht nur eine dritte Meinung, die allein die Derogation eines mitgliedstaatlichen Gerichts für ausreichend hält (Stadler und Schaper/Eberlein aaO) und damit Art. 23 EuGVVO 2001 auch dann anwenden will, wenn die internationale Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts ausgeschlossen werden soll, die sich allein aus dessen autonomem Recht ergibt. Diese Ansicht überzeugt nicht. Es ist schon nicht erkennbar, weshalb das autonome Recht eines Mitgliedstaats, das eine Zuständigkeit seiner Gerichte begründet, nicht auch für deren Abbedingung durch Parteivereinbarung maßgebend sein soll. Im Übrigen hat der Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorgängervorschrift des Art. 23 EuGVVO 2001 entschieden, dass diese nicht auf eine Klausel angewandt werden könne, die als zuständiges Gericht das Gericht eines Drittstaats bezeichnet, sondern insoweit die lex fori des angerufenen Gerichts anwendbar sei (ZIP 2001, 213 Rn. 19 - "Coreck Maritime" unter Bezugnahme auf den Bericht von Prof. Dr. Schlosser zu dem Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof, ABl. 1979 C 59 S. 71 Nr. 176). Damit in Einklang steht die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteile vom 24. November 1988 - III ZR 150/87, NJW 1989, 1431 unter IV 1 b und vom 20. Januar 1986 - II ZR 56/85, NJW 1986, 1438 unter I). Diese Sicht entspricht auch für Art. 23 EuGVVO 2001 nach wie vor herrschender Meinung (Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht 8. Aufl. Art. 23 EuGVVO Rn. 14; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht 2. Aufl. Art. 23 EuGVVO Rn. 4; MünchKomm-ZPO/Gottwald, 4. Aufl. Art. 23 EuGVVO Rn. 9; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht 7. Aufl. § 3 Rn. 191; Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht 8. Aufl. Rn. 8.18; Simotta in Fasching/Konecny, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen 2. Aufl. Art. 23 EuGVVO Rn. 22; Wagner in Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl. Art. 23 EuGVVO Rn. 30; von Hein, IPrax 2006, 16, 17).
Die von der Revision angeregte Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens zur Auslegung der Norm nach Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist in Anbetracht der genannten Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht veranlasst. Dem steht dessen Urteil in der Rechtssache "Owusu" (C-281/02, EuZW 2005, 345) nicht entgegen, weil es - wie das Berufungsgericht richtig ausgeführt hat - nicht erkennen lässt, dass der Gerichtshof darin von seiner Beurteilung von Gerichtsstandsvereinbarungen zugunsten eines Drittstaates Abstand genommen hat.
Mayen |
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Harsdorf-Gebhardt |
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Lehmann |
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Dr. Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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