Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 17.12.2014


BGH 17.12.2014 - IV ZR 399/13

Private Krankheitskostenzusatzversicherung: Beginn der Versicherungsfalls bei zahnärztlicher Behandlung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
17.12.2014
Aktenzeichen:
IV ZR 399/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Berlin, 20. November 2013, Az: 23 S 26/13vorgehend AG Lichtenberg, 30. April 2013, Az: 102 C 442/11
Zitierte Gesetze
§ 1 Nr 2 S 2 MB/KK 2008

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers gegen das Urteil der Zivilkammer 23 des Landgerichts Berlin vom 20. November 2013 gemäß § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen

eines Monats

Stellung zu nehmen.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten Ersatz der Kosten für eine Zahnheilbehandlung.

2

Zwischen den Parteien besteht auf Grund Antrags vom 30. Juni 2008 seit dem 1. Juli 2008 eine private Zahnbehandlungs- und Zahnersatz-Zusatzversicherung. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB 2008) der Beklagten zugrunde. Dort findet sich unter § 1 Nr. 2 Satz 1 und 2 folgende Regelung:

"Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung; er endet, wenn nach medizinischem Befund eine Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr besteht. [...]"

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Der Kläger verlangt aus der Versicherung anteilige Erstattung der Kosten für die Behandlung seines Zahnes 27. Die Kostenübernahme dieser der Höhe nach unstreitigen Zahnarztrechnungen ist von der Beklagten wegen vorvertraglicher Behandlungsbedürftigkeit abgelehnt worden.

4

Der Kläger hatte sich bereits am 20. Juni 2008 wegen Schmerzen am Zahn 28 (Weisheitszahn Oberkiefer links) in die Behandlung seiner Zahnärztin begeben, die den Zahn extrahierte und anschließend zur Kontrolle eine Röntgenaufnahme des Bereichs fertigte. Dabei zeigte sich, dass der benachbarte Zahn 27 zwar mit einer im Wesentlichen kunstgerecht ausgeführten Wurzelfüllung versorgt war, die distale Zahnwurzel jedoch eine apicale Lyse (Auflösungsprozess des Kieferknochens an der Wurzelspitze) aufwies. In den Behandlungsunterlagen der Zahnärztin heißt es dazu auszugsweise:

"Patient wurde informiert über Zustand - Prognose langfristig nicht günstig auch in Hinsicht, dass endständiger Zahn. Versorgung: 1. GKV- MOB 2.selbst: Implantat. Zahn solange erhalten als möglich."

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Eine weitere Behandlung des Zahns 27 fand zunächst nicht statt. 2010 bereitete der Zahn 27 dem Kläger dann aber Beschwerden, weshalb er im August 2010 gezogen und im Mai 2011 durch ein Implantat ersetzt wurde. Für diese Behandlung entstanden ihm Kosten von 1.274,91 €, für die er die tarifliche Erstattung von 90% mit 1.147,42 € begehrt.

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II. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hat keinen Erfolg gehabt. Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, dem Kläger stehe kein Erstattungsanspruch nach § 192 Abs. 1 VVG zu, weil der Versicherungsfall vor Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten sei. In Bezug auf den Zahn 27 sei bereits am 20. Juni 2008 ein Versicherungsfall eingetreten. Aufgrund der Röntgenuntersuchung der behandelnden Zahnärztin sei an diesem Tag die Diagnose einer apicalen Lyse gestellt und der Kläger über die schlechte Prognose für den Zahn und die Möglichkeit von Zahnersatz beraten worden. Der Versicherungsfall sei am 20. Juni 2008 auch noch nicht beendet gewesen, weil der Zahn 27 aufgrund seiner Erkrankung weiterhin behandlungsbedürftig gewesen sei, auch wenn wegen zu unterstellender Beschwerdefreiheit noch keine unmittelbare Notwendigkeit einer zahnpro-thetischen Maßnahme bestanden habe.

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Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger weiterhin die Verurteilung der Beklagten zur Übernahme der Kosten der Zahnbehandlung.

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III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision i.S. von § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor, und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).

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1. Das Berufungsgericht hat die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen, da es meinte, von Entscheidungen der Oberlandesgerichte Karlsruhe und Stuttgart abzuweichen. Dies trägt indessen weder den vom Berufungsgericht genannten Zulassungsgrund noch liegt einer der weiteren im Gesetz genannten Zulassungsgründe vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Zulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO). Dass über die Auslegung des § 1 Nr. 2 Satz 1 und 2 AVB 2008 der Beklagten in Rechtsprechung und Literatur Streit herrscht, ist nicht ersichtlich. Die maßgeblichen Fragen im Zusammenhang mit der Auslegung dieser Regelung sind höchstrichterlich geklärt. Soweit es in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte abweichende Entscheidungen gibt, beruht dies auf den getroffenen tatrichterlichen Feststellungen und nicht auf unterschiedlichen Rechtssätzen (im Einzelnen dazu nachfolgend unter 2.b).

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2. Das Rechtsmittel ist auch unbegründet.

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a) Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend unter Berücksichtigung der Senatsrechtsprechung angenommen, dass hier ein Versicherungsfall in Bezug auf den Zahn 27 bereits am 20. Juni 2008 eingetreten und nicht beendet war und der Kläger damit keinen Anspruch nach § 192 Abs. 1 VVG gegen die Beklagte auf Erstattung der streitgegenständlichen Heilbehandlungskosten hat.

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aa) Versicherungsfall ist nach § 1 Nr. 2 Satz 1 AVB 2008 der Beklagten die medizinisch notwendige Heilbehandlung. Entgegen der Auffassung des Klägers bestand nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts hinsichtlich Zahn 27 bereits am 20. Juni 2008 Behandlungsbedürftigkeit in diesem Sinn.

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Mit dem Begriff "medizinisch notwendige" Heilbehandlung wird - auch für den Versicherungsnehmer erkennbar - nicht an den Vertrag zwischen ihm und dem behandelnden Arzt und die danach geschuldete medizinische Heilbehandlung angeknüpft. Vielmehr wird zur Bestimmung des Versicherungsfalles ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt. Diese objektive Anknüpfung bedeutet zugleich, dass es für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht auf die Auffassung des Versicherungsnehmers und auch nicht allein auf die des behandelnden Arztes ankommen kann. Gegenstand der Beurteilung können vielmehr nur die objektiven medizinischen Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung sein. Demgemäß liegt eine medizinisch notwendige Heilbehandlung i.S. des § 1 Nr. 2 AVB 2008 vor, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen (Senatsbeschluss vom 30. Oktober 2013 - IV ZR 307/12, VersR 2013, 1558 Rn. 13; Senatsurteile vom 10. Juli 1996 - IV ZR 133/95, BGHZ 133, 208, 211 f.; vom 17. Dezember 1986 - IVa ZR 78/85, BGHZ 99, 228, 233f.; vom 29. November 1978 - IV ZR 175/77, VersR 1979, 221 unter III; jeweils m.w.N.).

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Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs hat das Berufungsgericht beanstandungsfrei festgestellt, dass bereits am 20. Juni 2008 mit der Diagnose einer apicalen Lyse beim Zahn 27 ein Versicherungsfall vorlag. Die Aufklärungstätigkeit der Zahnärztin hinsichtlich des problematischen Zustands des Zahns und der langfristigen ungünstigen Prognose erfolgte, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, wegen der Erkrankung des Zahns. Der Kläger litt jedenfalls ab dem 20. Juni 2008 an einem starken Knochenabbau des Kiefers im Bereich des Zahns 27, der schließlich - wie ab diesem Zeitpunkt für ihn auch vorhersehbar - zu dessen Entfernung und zum Einsatz eines Implantats führte.

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bb) Die Behandlung begann - entgegen der Ansicht der Revision -am 20. Juni 2008 und war zu diesem Zeitpunkt auch nicht beendet, obwohl sie erst im Jahr 2010 mit Auftreten von Beschwerden fortgesetzt wurde.

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(1) Gemäß § 1 Nr. 2 Satz 2 AVB 2008 beginnt der Versicherungsfall mit der Heilbehandlung. Nach ständiger Senatsrechtsprechung gehört zur "Behandlung" einer Krankheit nicht nur die unmittelbare Heiltätigkeit, sondern auch schon die erste ärztliche Untersuchung, die auf die Erkennung des Leidens abzielt, ohne Rücksicht darauf, ob sofort oder erst nach weiteren Untersuchungen eine endgültige und richtige Diagnose gestellt und mit den eigentlichen Heilmaßnahmen begonnen worden ist. Bei schon bekannten Krankheiten, bei denen es Arzt und Patient darum geht, nach in sich abgeschlossener erster Behandlungsphase verbliebene Krankheitsfolgen zu beheben oder zu lindern, ist zwar eine ärztliche Untersuchung zur Erkennung des Leidens oft gar nicht mehr notwendig. Aber auch in diesen Fällen beginnt die Heilbehandlung mit der ersten Inanspruchnahme jeglicher ärztlicher Tätigkeit, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Tätigkeit des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt (Senatsurteil vom 25. Januar 1978 - IV ZR 25/76, VersR 1978, 362, 364 unter III 2 b; BGH, Urteile vom 20. Februar 1956 - II ZR 6/55, VersR 1956, 186; vom 20. Dezember 1956 - II ZR 8/56, VersR 1957, 55 unter 2; OLG Oldenburg VersR 2012, 1548, 1549; OLG Dresden VersR 2009, 1651). Diese Auslegung trägt dem Umstand Rechnung, dass es dem Versicherungsnehmer anderenfalls möglich wäre, zunächst eine ärztliche Diagnose und Beratung über mögliche Behandlungsformen einzuholen, sodann eine Krankenversicherung abzuschließen bzw. eine bestehende Krankenversicherung zu erhöhen, um danach die Heilbehandlung in Anspruch nehmen zu können. Sobald nämlich der Versicherte wegen einer Krankheit einen Arzt einmal in Anspruch genommen hat, hindert ihn die Klausel daran, den Versicherungsfall willkürlich abzubrechen und einen neuen zu einem ihm geeignet erscheinenden Zeitpunkt zu beginnen, obwohl es sich tatsächlich um die Weiterbehandlung der früheren Krankheit handelt (Senatsurteil vom 14. Dezember 1977 - IV ZR 12/76, VersR 1978, 271, 272 unter II 1; OLG Hamm VersR 1989, 614 unter 1).

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Danach begann nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen der Versicherungsfall hinsichtlich des Zahns 27 hier mit der Fertigung der Röntgenaufnahme am 20. Juni 2008. Diese führte zum Erkennen der Erkrankung des Zahns und zur anschließenden medizinischen Beratung des Klägers durch seine Zahnärztin. Der Umstand, dass die Erkrankung des Zahns 27 zufällig im Rahmen der Behandlung des Zahns 28 festgestellt wurde, ändert daran - entgegen der Ansicht der Revision - nichts. Denn es handelte sich bei der Röntgenaufnahme gleichwohl um eine ärztliche Untersuchung, die auf das Erkennen eines Leidens abzielte. Entscheidend für den Beginn der Heilbehandlung ist nicht der konkrete Auftrag des Patienten an den Arzt, sondern die (behandlungsbedürftige) Krankheit selbst (Senatsurteil vom 14. September 1977 - IV ZR 12/76, VersR 1978, 271 unter II 1; vgl. auch Senatsbeschluss vom 30. Oktober 2013 - IV ZR 307/12, VersR 2013, 1558 unter III 1).

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(2) Die Heilbehandlung war am 20. Juni 2008 auch noch nicht beendet. Der Versicherungsfall endet erst dann, wenn nach medizinischem Befund keine Behandlungsbedürftigkeit mehr besteht (Senatsurteil vom 14. Dezember 1977 - IV ZR 12/76, VersR 1978, 271, 272 unter II 1). Nach den tatrichterlichen, revisionsrechtlich beanstandungsfreien Feststellungen des Berufungsgerichts war der Zahn 27 aufgrund seiner Erkrankung, der apicalen Lyse, wenigstens im Sinne einer röntgenologischen Überwachung weiterhin behandlungsbedürftig, auch wenn wegen zu unterstellender Beschwerdefreiheit noch keine unmittelbare Notwendigkeit für eine zahnprothetische Maßnahme bestand. Die Feststellungen des Berufungsgerichts beruhen auf den Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen, die nachvollziehbar dargelegt hat, dass die Auflösung des Kieferknochens im Zahnwurzelbereich einen pathologischen Zustand darstelle und die Gefahr bestanden habe, dass die Kieferhöhle infiziert würde, weshalb der Zustand zumindest röntgenologisch zu beobachten gewesen sei, insbesondere auch deshalb, weil die Auflösung des Kieferknochens damals bereits einen Durchmesser von 5 bis 6 mm erreicht hatte.

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b) Die Entscheidung des Berufungsgerichts weicht entgegen dessen Ansicht nicht von den Entscheidungen der Oberlandesgerichte Stuttgart (VersR 2011, 1506) und Karlsruhe (VersR 2013, 1252, 1253 unter 3) ab. Die Entscheidungen dieser beiden Gerichte beruhen jeweils auf den von ihnen getroffenen tatrichterlichen Feststellungen im Einzelfall. Danach war das Oberlandesgericht Stuttgart der Überzeugung, dass die Funktionsfähigkeit des Gebisses des Klägers dort wiederhergestellt und eine Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr gegeben war. Ebenso war das Oberlandesgericht Karlsruhe auf Grund seiner tatrichterlichen Feststellungen der Auffassung, dass in dem ihm zur Entscheidung vorliegenden Fall mit der Aufnahme des Zahnstatus des Klägers und der anschließenden Behandlung der Parodontitis, die insbesondere eine Mundhygiene enthielt, die zahnärztliche Versorgung des Gebisses beendet war. Nach den Ausführungen des behandelnden Zahnarztes, denen sich der gerichtliche Sachverständige angeschlossen hatte, war mehr als der Rat einer guten Pflege nicht angezeigt gewesen. Im Streitfall hatte die gerichtliche Sachverständige hingegen ausgeführt, dass trotz zu unterstellender Beschwerdefreiheit ein Abbruch der zahnärztlichen Behandlung wegen des Ausmaßes der Auflösung des Kieferknochens medizinisch nicht vertretbar war.

Mayen                            Harsdorf-Gebhardt                                     Dr. Karczewski

                Lehmann                                         Dr. Brockmöller

Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.