Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 27.09.2017


BGH 27.09.2017 - IV ZR 385/15

Rechtsschutzversicherungsvertrag: Einstandspflicht für ein sozialgerichtliches Klageverfahren nach Ablauf der Nachhaftungsfrist bei Vertragsbeendigung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
27.09.2017
Aktenzeichen:
IV ZR 385/15
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2017:270917UIVZR385.15.0
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 9. Juli 2015, Az: 4 U 43/14, Urteilvorgehend LG Magdeburg, 6. Juni 2014, Az: 11 O 1516/13
Zitierte Gesetze
§ 4 Abs 3 Buchst b ARB 2000

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 9. Juli 2015 aufgehoben und wie folgt geändert:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 6. Juni 2014 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf bis 35.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um Rechtsschutz für ein sozialgerichtliches Klageverfahren.

2

Die Klägerin, ein mit Veranstaltungslogistik befasstes Unternehmen, unterhielt bei der Beklagten bis zum 1. Oktober 2006 eine Versicherung über "Kompakt-Rechtsschutz für Unternehmen und freie Berufe", die "Sozialgerichts-Rechtsschutz" einschloss und der "Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2000/Stand 01.04.2001)" zugrunde lagen. Deren § 4 lautete auszugsweise wie folgt:

"§ 4 Voraussetzung für den Anspruch auf Rechtsschutz

Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:

(1) Anspruch auf Rechtsschutz besteht nach Eintritt eines Rechtsschutzfalles

...

(3) Es besteht kein Rechtsschutz, wenn

...

b) der Anspruch auf Rechtsschutz erstmals später als drei Jahre nach Beendigung des Versicherungsschutzes für den betroffenen Gegenstand der Versicherung geltend gemacht wird. ..."

3

Nachdem die Deutsche Rentenversicherung Bund (im Folgenden: DRV Bund) 2010 bei der Klägerin eine Beitragsüberwachung durchgeführt hatte, setzte sie mit Bescheid vom 23. Dezember 2011 gegen die Klägerin für den Zeitraum von Januar 2006 bis Dezember 2009 Nachforderungen zur Sozialversicherung (einschließlich Säumniszuschlägen) in Gesamthöhe von ca. 2,7 Mio. € fest. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies sie mit Bescheid vom 26. April 2012, der Klägerin zugestellt am 2. Mai 2012, zurück.

4

Nachdem die Klägerin beim Sozialgericht mit Schriftsatz vom 4. Juni 2012 Klage gegen den Nachforderungsbescheid erhoben hatte, ersuchte sie die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 6. Juni 2012 für das sozialgerichtliche Verfahren erster Instanz um eine Deckungszusage, welche die Beklagte am 7. Juni 2012 verweigerte.

5

Die Klägerin begehrt - soweit im Revisionsverfahren noch von Belang - die Feststellung, die Beklagte habe ihr Versicherungsschutz für das sozialgerichtliche Verfahren zu gewähren, ferner die Erstattung bereits verauslagter Gerichtskosten in Höhe von 21.018 € nebst Zinsen.

6

Nach Auffassung der Beklagten ist der Rechtsschutzfall erst mit Erlass des Nachforderungsbescheides der DRV Bund - mithin nicht mehr in versicherter Zeit - eingetreten. Jedenfalls aber habe die Klägerin die Frist des § 4 Abs. 3 Buchst. b ARB 2000 versäumt.

7

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihr auf die Berufung der Klägerin im Wesentlichen stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

8

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

9

I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts, dessen Entscheidung in VersR 2016, 790 veröffentlicht ist, ist der Rechtsschutzfall in versicherter Zeit eingetreten. Der dafür maßgebliche Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften liege im Nichtabführen der Sozialversicherungsbeiträge durch die Klägerin und nicht erst im Erlass des Nachforderungsbescheides durch die DRV Bund, denn das der Klägerin angelastete Verhalten gebe dem Rechtsverstoß sein charakteristisches Gepräge und umschreibe entscheidend den Verfahrensgegenstand der sozialgerichtlichen Auseinandersetzung.

10

Dass nur die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen von Januar bis September 2006 in den versicherten Zeitraum falle, stehe der Rechtsschutzverpflichtung der Beklagten nicht entgegen, da es insoweit lediglich auf den zeitlich ersten, noch in die versicherte Zeit fallenden Verstoß ankomme.

11

Die Ausschlussfrist des § 4 Abs. 3 Buchst. b ARB 2000 habe die Klägerin nicht schuldhaft versäumt, weshalb sich die Beklagte nicht auf den Fristablauf berufen könne. Der in § 4 Abs. 3 Buchst. b ARB 2000 verwendete Begriff des Geltendmachens des Anspruches auf Rechtsschutz setze eine vollständige und wahrheitsgemäße Unterrichtung über sämtliche Umstände des Rechtsschutzfalles unter Angabe von Beweismitteln voraus, die es dem Versicherer erlaube, eine abschließende Prüfung und Entscheidung über das Rechtsschutzbegehren vorzunehmen. Dies sei hier frühestens nach Zurückweisung des Widerspruchs der Klägerin durch die DRV Bund denkbar, da zuvor weder die Möglichkeit noch die Notwendigkeit eines sozialgerichtlichen Verfahrens bestanden habe. Der Klägerin sei nach Erlass des Widerspruchsbescheides für die Frage, ob sie Klage erheben wolle, eine angemessene, der einmonatigen sozialgerichtlichen Klagefrist entsprechende Prüfungszeit zuzüglich einer weiteren Frist von zumindest zehn Tagen für die Abfassung eines auf Rechtsschutz gerichteten Schreibens an die Beklagte zuzubilligen gewesen, die die Klägerin gewahrt habe.

12

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung jedenfalls in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

13

Offen bleiben kann, ob der maßgebliche Zeitpunkt für den Eintritt des Versicherungsfalles im Berufungsurteil zutreffend bestimmt ist. Denn selbst wenn man mit dem Berufungsgericht annimmt, der Versicherungsfall sei in versicherter Zeit eingetreten, steht der Rechtsschutzverpflichtung der Beklagten entgegen, dass die Klägerin die in § 4 Abs. 3 Buchst. b ARB 2000 geregelte dreijährige Ausschlussfrist für die Geltendmachung ihres Rechtsschutzanspruches versäumt und dies nicht ausreichend entschuldigt hat.

14

1. Nach § 4 Abs. 3 Buchst. b ARB 2000 besteht kein Versicherungsschutz, wenn der Anspruch auf Rechtsschutz erstmals später als drei Jahre nach Beendigung des Versicherungsschutzes für den betroffenen Gegenstand der Versicherung geltend gemacht wird. Das ist hier der Fall, denn der Rechtsschutzversicherungsvertrag endete zum 1. Oktober 2006, das an die Beklagte gerichtete Rechtsschutzbegehren der Klägerin datiert auf den 6. Juni 2012.

15

a) Im Ansatz noch zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, die Beklagte könne den Ablauf dieser Ausschlussfrist nicht einwenden, wenn die Klägerin an dem Fristversäumnis kein Verschulden treffe (vgl. zu § 4 Abs. 4 ARB 75: Senatsurteil vom 15. April 1992 - IV ZR 198/91, VersR 1992, 819 unter II 1 [juris Rn. 19] m.w.N.).

16

b) Fraglich und in der Senatsrechtsprechung noch ungeklärt ist allerdings, ob die nach § 4 Abs. 3 Buchst. b ARB 2000 zur Fristwahrung geforderte Geltendmachung des Rechtsschutzanspruches mehr verlangt als eine bloße Meldung des Versicherungsfalles, ob sie insbesondere - wie das Berufungsgericht und die Revisionserwiderung meinen - die Mitteilung aller Umstände und Beweismittel erfordert, die dem Versicherer eine Prüfung seiner Leistungsfähigkeit ermöglichen (vgl. einerseits Harbauer/Maier, Rechtsschutzversicherung 8. Aufl. § 4 ARB 2000 Rn. 153; Looschelders/Paffenholz in Looschelders/Paffenholz, ARB § 4 ARB 2010 Rn. 119; Bultmann in Terbille/Höra, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht 3. Aufl. § 27 Rn. 321; Bauer, NJW 2003, 1491; Wendt, r+s 2008, 221, 225; andererseits LG München I VersR 2009, 674, 675; HK-VVG/Münkel, 3. Aufl. § 4 ARB 2010 Rn. 19; Armbrüster in Prölss/Martin, 29. Aufl. § 4 ARB 2010 Rn. 142; Plote in van Bühren/Plote, ARB 3. Aufl. § 4 ARB 2010 Rn. 57; Obarowski in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 37 Rn. 468). Zweifelhaft ist weiter, ob es den Versicherungsnehmer auch entschuldigt, wenn die fristgemäße Geltendmachung des Rechtsschutzanspruches daran scheitert, dass seine Voraussetzungen - wie hier - bis zum Fristablauf noch gar nicht entstanden sind.

17

c) Nimmt man mit dem Berufungsgericht an, die Klägerin sei bis zur Zustellung des Widerspruchsbescheides der DRV Bund schuldlos daran gehindert gewesen, den Anspruch auf Rechtsschutz in der von § 4 Abs. 3 Buchst. b ARB 2000 geforderten Weise geltend zu machen, stellt sich schließlich die Frage, ob ihr - wie das Berufungsgericht meint - nach Wegfall des Hindernisses eine analog zur sozialgerichtlichen Klagefrist auf einen Monat zu bemessende Überlegungsfrist zuzubilligen wäre oder ob aus dem Erfordernis, die versäumte Handlung nach Wegfall des Hindernisses für die Fristwahrung unverzüglich nachzuholen, eine deutlich kürzere Überlegungszeit abzuleiten wäre.

18

Der Senat hat bereits zur 15-Monatsfrist für die Geltendmachung einer Invalidität in der Unfallversicherung entschieden, dass nach einer entschuldbaren Fristversäumung für den Versicherungsnehmer keine neue Frist zu laufen beginnt, sondern er die Invalidität nach Wegfall des Entschuldigungsgrundes unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, geltend machen muss (Senatsurteile vom 13. März 2002 - IV ZR 40/01, VersR 2002, 698 unter 3 b; vom 5. Juli 1995 - IV ZR 43/93, BGHZ 130, 171, 175). Es spricht viel dafür, dies auch auf die Ausschlussfrist des § 4 Abs. 3 Buchst. b ARB 2000 zu übertragen (Harbauer/Maier, Rechtsschutzversicherung 8. Aufl. § 4 ARB 2000 Rn. 151; Looschelders/Paffenholz in Looschelders/Paffenholz, ARB § 4 ARB 2010 Rn. 117; Plote in van Bühren/Plote, ARB 3. Aufl. § 4 ARB 2010 Rn. 58; Obarowski in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 37 Rn. 469; vgl. auch OLG Karlsruhe NJW-RR 2013, 1120, 1123 zu § 4 Abs. 4 ARB 75), weil es - wie auch die Revision beanstandet - insofern auf gesetzliche Fristen, etwa die sozialgerichtliche Klagefrist, die im Versicherungsverhältnis der Parteien nicht gelten, nicht ankommen kann.

19

2. Die vorstehenden Fragen müssen im Streitfall allerdings nicht geklärt werden. Denn das Berufungsgericht hat der Klägerin jedenfalls zu Unrecht eine zusätzliche Frist für die Abfassung ihres Rechtsschutzersuchens zugebilligt und erst wegen deren Wahrung ein Verschulden der Klägerin verneint.

20

a) Die tatrichterliche Beurteilung der Verschuldensfrage unterliegt im Revisionsverfahren unter anderem der Prüfung, ob der Berufungsentscheidung zutreffende Grundsätze zugrunde gelegt worden sind (vgl. Senatsurteil vom 11. Juni 2014 - IV ZR 400/12, VersR 2014, 951 Rn. 21).

21

b) Das ist hier nicht der Fall. Der vom Berufungsgericht angenommene Hinderungsgrund für die Geltendmachung des Rechtsschutzanspruches war spätestens mit der Zustellung des Widerspruchsbescheides an die Klägerin am 2. Mai 2012 entfallen. Insofern kommt es - anders als die Revisionserwiderung meint - nicht auf den Entschluss der Klägerin zur Klageerhebung und die Klageeinreichung selbst an, da die Erteilung der Deckungszusage es nicht erfordert, dass das sozialgerichtliche Verfahren bereits in die Wege geleitet ist.

22

Das ergibt sich auch aus § 17 Abs. 4 Satz 2 ARB 2000. Nach dieser Klausel trägt der Versicherer dann, wenn der Versicherungsnehmer bereits vor der Bestätigung des Umfangs des Rechtsschutzes Maßnahmen zur Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen ergreift und hierdurch Kosten entstehen, nur diejenigen Kosten, die bei einer Rechtsschutzbestätigung vor Einleitung dieser Maßnahmen entstanden wären. Daraus ergibt sich für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer, dass die Bedingungen davon ausgehen, dass die Rechtsschutzbestätigung im Regelfall erfolgt, bevor der Versicherungsnehmer Maßnahmen zur Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen ergreift.

23

Selbst wenn man der Klägerin unter Zurückstellung der vorstehend erläuterten Bedenken danach - analog zur Klagefrist des sozialgerichtlichen Verfahrens - noch eine Überlegungsfrist von einem Monat zubilligen wollte, hat sie diese verstreichen lassen. Das Berufungsgericht ist nur deshalb zu einer Entschuldigung des Fristversäumnisses gelangt, weil es der Klägerin ohne nähere Begründung und zu Unrecht noch eine weitere Frist von "zumindest zehn Tagen" für die Abfassung des Rechtsschutzersuchens an die Beklagte zugebilligt hat. Bei richtiger Betrachtung hat die Klägerin nicht unverzüglich gehandelt.

24

Denn jedenfalls für die weitere Frist bestand kein Anlass und kein Rechtsgrund. Vielmehr wäre die der Klägerin gewährte Überlegungsfrist von einem Monat in jedem Falle ausreichend gewesen, um sich nicht nur zur Geltendmachung des Rechtsschutzanspruches zu entschließen, sondern dies auch zu formulieren, ohne dass es hierfür noch einer gesonderten Frist für die Abfassung des Rechtsschutzersuchens bedurft hätte. Der Rechtsordnung ist es ohnehin fremd, Ausschlussfristen für die Abgabe rechtsgeschäftlicher Erklärungen um gesonderte Fristen zur Formulierung dieser Erklärungen zu ergänzen. Dass die Klägerin ab der Zu-stellung des Widerspruchsbescheides noch fünf Wochen wartete, bis sie ihr Rechtsschutzbegehren der Beklagten erstmals antrug, entbehrt deshalb einer ausreichenden Entschuldigung.

Felsch  

        

Harsdorf-Gebhardt  

        

Dr. Karczewski

        

Dr. Bußmann  

        

Dr. Götz