Entscheidungsdatum: 13.04.2011
Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 14. Januar 2010 zugelassen.
Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 105.688 €
I. Die Klägerin begehrt Leistungen (Unfallrente und Erstattung ärztlicher Gebühren) aus einer bei der Beklagten gehaltenen Unfallversicherung, der die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen in der Fassung vom 1. Januar 2002 (AUB 2002), die Besonderen Bedingungen für die Versicherung einer Unfall-Rente mit Rentengarantie bei einem Invaliditätsgrad ab 50% und die Besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit Zuwachs von Leistung und Beitrag zugrunde liegen. Versichert war ein Anspruch auf Zahlung einer Unfallrente von zunächst monatlich 580 € ab einer Invalidität von 50% und von zunächst monatlich 1.160 € ab einer Invalidität von 90%.
Am 5. Juni 2004 stürzte die Klägerin und schlug mit dem Hinterkopf auf dem Boden auf. Hierbei erlitt sie Schädelhirnverletzungen, unter anderem eine frontale Hirnschädigung und jedenfalls den Verlust des Geruchssinns.
Sie macht Leistungsansprüche - ausgehend von einem Invaliditätsgrad von mehr als 90% - geltend. Sie behauptet, neben dem Geruchs- auch den Geschmackssinn vollständig verloren zu haben, was nach der Gliedertaxe in Ziffer 2.1.2.2.1 AUB 2002 einen Invaliditätsgrad von 10% und 5% ausmache. Zusätzlich sei aufgrund der Folgen der erlittenen Kopfverletzungen (unter anderem Wesensveränderung, Kopfschmerzen, Schwindel) eine Invalidität von weiteren 80% anzunehmen. Die Beklagte hat eine Leistungsverpflichtung abgelehnt, weil bei der Klägerin ein Invaliditätsgrad von 50% nicht erreicht sei.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
II. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass die Klägerin zwar durch den unstreitigen Unfall ein Schädel-Hirn-Trauma mit Einblutungen frontobasal rechts und etwas weniger auch links sowie eine Geruchssinnstörung und eine Geschmackssinnstörung erlitten habe, das Landgericht aber auf dieser Grundlage zutreffend zu dem Ergebnis gelangt sei, dass eine durch den Unfall bedingte Invalidität von mindestens 50% nicht nachgewiesen sei.
Soweit die Klägerin zusätzlich - erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht - eine Innenohrschwerhörigkeit und eine Minderung der Sehkraft geltend gemacht habe, habe das Landgericht diesen Vortrag zu Recht gemäß § 296 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.
Weiter sei dem Landgericht darin zu folgen, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nur ein hälftiger Verlust des Geschmackssinns vorliege und die zusätzliche Invalidität außerhalb der Beeinträchtigung von Geruchssinn (10%) und Geschmackssinn (2,5%) allenfalls 30% betrage. Das folge aus dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. W. . Die Einholung eines weiteren Gutachtens gemäß § 412 ZPO sei nicht erforderlich. Nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen sei die Behauptung der Klägerin, dass auch Kopfschmerzen und Schwindel durch den Unfall verursacht worden seien.
III. Die Abweisung der Klage mit dieser Begründung verletzt den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), weil deren Behauptung, dass die dauernden Beeinträchtigungen aufgrund der Hirnverletzungen zu einem höheren Invaliditätsgrad als von 30% führten, vom Berufungsgericht nicht hinreichend aufgeklärt worden ist.
1. Der gerichtlich beauftragte Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten darauf hingewiesen, dass angesichts der bei der Klägerin vorhandenen ausgeprägten Aggravation von Beschwerden eine objektive Einschätzung des körperlich bedingten Teils schwierig erscheine. Er könne aber nicht ausschließen, dass die Wesensveränderung mit ihren Folgen einen erheblicheren Umfang besitze, und eine subtilere Einschätzung "im Rahmen einer umfassenden Längsschnittbeobachtung über einige Wochen hinweg im Rahmen eines stationären psychiatrischen Settings" möglich sei. Dieser weiteren Aufklärungsmöglichkeit hat das Berufungsgericht keine Beachtung geschenkt, obwohl die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung auf diese Textstelle des Gutachtens hingewiesen und "aus diesem Grunde eine unzureichende und fehlerhafte Begutachtung und damit eine Verletzung von § 412 ZPO" gerügt hat.
Zwar hat der Sachverständige im schriftlichen Gutachten auch ausgeführt, dass es an einer erkennbaren Bereitschaft der Klägerin zu einem solchen psychiatrischen Setting fehle. Eine entsprechende Feststellung hat das Berufungsgericht aber nicht getroffen. Ohne eine solche Feststellung durfte es von der Anordnung einer weiteren Beweiserhebung auf psychiatrischem Gebiet, die weitergehende Erkenntnismöglichkeiten versprach, nicht absehen, nachdem die Klägerin die fehlende psychiatrische Fachkompetenz des Sachverständigen beanstandet und ein weiteres Gutachten angeregt hatte. Selbst wenn zuvor die Bereitschaft der Klägerin zu einer derartigen Untersuchung gefehlt haben sollte, so wiesen dieser Antrag und die entsprechende Rüge in der Berufungsbegründung darauf hin, dass dies möglicherweise überholt war.
Ob der diesbezügliche Berufungsangriff der Klägerin damit verspätet war (§ 531 Abs. 2 ZPO), weil sie schon bei der Anhörung des Sachverständigen vor dem Landgericht hätte geltend machen können, dieser sei in seinem Gutachten zu Unrecht von einer fehlenden Bereitschaft zur Untersuchung ausgegangen, hat der Senat nicht zu entscheiden, nachdem das Berufungsgericht von einer etwaigen Zurückweisungsmöglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat.
2. Das Berufungsgericht wird bei seiner erneuten Entscheidung weiter zu berücksichtigen haben, dass für die Frage, ob Kopfschmerzen und Schwindel, die bei der Klägerin als etwaiger Dauerschaden bestehen, auf den Unfall zurückzuführen sind, die Beweiserleichterung des § 287 ZPO gilt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind nur ein unfallbedingter erster Gesundheitsschaden und die eine Invalidität begründende dauernde gesundheitliche Beeinträchtigung nach § 286 ZPO zu beweisen, während der Maßstab des § 287 ZPO für die kausale Verknüpfung dieser beiden Umstände gilt (Senatsurteile vom 23. Juni 2004 - IV ZR 130/03, BGHZ 159, 360, 368 f.; vom 13. Mai 2009 - IV ZR 211/05, VersR 2009, 1213 Rn. 19; vom 29. September 2004 - IV ZR 233/03, VersR 2004, 1449 unter 3; vom 17. Oktober 2001 - IV ZR 205/00, VersR 2001, 1547 unter II 1 und 2 a; jeweils m.w.N.); d.h. die Unfallbedingtheit der dauernden Beeinträchtigung kann nach § 287 ZPO bewiesen werden, wenn diese Beeinträchtigung als solche und eine erste Unfallverletzung feststehen.
Allerdings genügt auch nach diesem erleichterten Beweismaßstab die bloße Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs von Unfallereignis einerseits und fortdauernder Krankheit oder Invalidität andererseits nicht, sondern es ist jedenfalls eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erforderlich (Senatsurteil vom 17. Oktober 2001 unter II 1, und ständig).
3. Nicht zu beanstanden sind die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Ausmaß der Beeinträchtigung des Geruchssinns der Klägerin, dessen Feststellung sich nach § 286 ZPO richtet, und zur Nichtberücksichtigung der behaupteten Innenohrschwerhörigkeit gemäß § 531 Abs. 1 i.V.m. § 296 Abs. 2 ZPO. Der Senat hat die insoweit gerügten Grundrechtsverstöße geprüft und für nicht durchgreifend erachtet.
Dr. Kessal-Wulf Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller