Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 17.02.2010


BGH 17.02.2010 - IV ZR 349/07

Warenkreditversicherung für Kraftstofflieferungen an Tankstellenpächter: Objektive Gefahrerhöhung durch eine Pool-Vereinbarung zur Durchführung von Streckengeschäften


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
17.02.2010
Aktenzeichen:
IV ZR 349/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 3. April 2007, Az: 9 U 233/05, Urteilvorgehend LG Hamburg, 23. November 2005, Az: 418 O 18/05
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 3. April 2007 zugelassen.

Das vorgenannte Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 20.451,68 €

Gründe

1

I. Das Oberlandesgericht hat der Klägerin einen auf Rückzahlung ihrer Versicherungsleistung in Höhe von 20.451,68 € gerichteten Bereicherungsanspruch versagt und dabei angenommen, die von verschiedenen Tankstellenpächtern, darunter dem Zeugen P., und der Firma O. (im Folgenden: Firma O.) getroffene Vereinbarung zur Nutzung freier Warenkredit-Versicherungskontingente der Tankstellenpächter habe mit Blick auf den Warenkreditversicherungsvertrag der Beklagten betreffend Kraftstofflieferungen an den Tankstellenpächter P. keine Gefahrerhöhung dargestellt und sei auch nicht sittenwidrig gewesen. Dabei hat es entscheidend darauf abgestellt, diesem Versicherungsvertrag sei keine Einschränkung dahingehend zu entnehmen, dass die Verbindlichkeiten des Tankstellenpächters nur bei Kauf von Treibstoff für den eigenen Bedarf seiner Tankstelle versichert gewesen seien. Vielmehr seien ihm auch so genannte Streckengeschäfte erlaubt gewesen.

2

II. Das Berufungsurteil verletzt dabei in entscheidungserheblicher Weise das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Der Senat hat deshalb ihre Revision zugelassen und die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Beschlusswege zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

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1. Die Feststellung einer Gefahrerhöhung erfordert einen Vergleich des versicherten Risikos mit der nach einer Änderung möglicherweise risikorelevanter Umstände neuen Gefahrenlage. Das kann immer nur anhand der Umstände des Einzelfalles geschehen, denn die Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes über Gefahrerhöhungen dienen dem Zweck, die im Versicherungsvertrag ausgehandelte Balance zwischen versichertem Risiko und Prämie zu wahren, oder den Vertrag anzupassen - und notfalls auch zu beenden - wenn dieses Gleichgewicht gestört ist.

4

Ausgangspunkt ist - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - die Auslegung des Vertrages zur Ermittlung des versicherten Risikos (vgl. dazu auch HK-VVG/Karczewski § 23 Rdn. 9, 10). Sodann muss dieses versicherte Risiko mit der Risikolage verglichen werden, wie sie sich nach Veränderung der Umstände darstellt. Dabei kommt es - wie in der Senatsrechtsprechung geklärt ist - nicht auf einzelne Gefahrumstände an; stattdessen ist zu fragen, wie sich die Gefahrenlage seit der Stellung des Antrags auf Abschluss des Versicherungsvertrages im Ganzen entwickelt hat. Hierfür sind alle ersichtlichen gefahrerheblichen Tatsachen in Betracht zu ziehen. (Senatsurteil vom 23. Juni 2004 - IV ZR 219/03 - VersR 2005, 218 unter II 1 b (1); BGHZ 79, 156 [158] = VersR 1981, 245 [246]; Senatsurteil vom 5. Mai 2004 - IV ZR 183/03 - VersR 2004, 895 = juris unter II 2 a aa).

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2. Dem hat das Berufungsgericht nicht genügt. Es hat die besonderen Umstände des Einzelfalles weitgehend unberücksichtigt gelassen und insbesondere aus dem Blick verloren, dass die Klägerin vorgetragen und unter Beweis gestellt hatte, die Beklagte habe sich an der so genannten Pool-Vereinbarung zwischen mehreren Tankstellenpächtern und der Firma O. beteiligt. Diesem Vortrag wäre nachzugehen gewesen.

6

a) Schon die Auslegung des Warenkredit-Versicherungsvertrages betreffend Kraftstofflieferungen an den Pächter P. bleibt zur Frage, welches Risiko die Klägerin übernommen hatte, insoweit unvollständig, als sich das Berufungsgericht mit der allgemeinen Feststellung begnügt, der Versicherungsschutz habe sich auch auf so genannte "Streckengeschäfte" erstreckt. Es wäre weiter zu prüfen gewesen, ob sich das Leistungsversprechen auf jegliches Streckengeschäft bezog oder der Einschränkung unterlag, dass bei Abschluss solcher Streckengeschäfte keine besonderen Hinweise auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit des Zweitabnehmers vorliegen durften, die ihrerseits die Bonität des Bestellers gefährdete.

7

b) Im Weiteren wären die von der Klägerin vorgetragenen veränderten Umstände mit dem vertraglichen Soll-Zustand vergleichend zu würdigen gewesen. Das hat das Berufungsgericht weitgehend versäumt.

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aa) Zwar mag sein Hinweis darauf, dass dem versicherten Besteller nach dem Warenkreditversicherungsvertrag auch Streckengeschäfte erlaubt waren, noch denjenigen Bedenken begegnen, die die Klägerin ganz allgemein gegen solche Streckengeschäfte erhebt. Das betrifft das Argument, dass ein Tankstellenpächter beim Kraftstoffkauf für die von ihm betriebene Tankstelle mit den nachfolgenden Barverkäufen an Endabnehmer das Risiko ausbleibender Bezahlung breit streue und deshalb größere Zahlungsausfälle in der Regel nicht zu besorgen seien, während man sich mit einem Streckengeschäft für einen einzelnen Lieferungsempfänger allein von dessen Zahlungsfähigkeit und -willigkeit abhängig mache und dadurch grundsätzlich das Risiko eines Totalausfalls erhöhe.

9

bb) Im Weiteren hat sich das Berufungsgericht aber nicht ausreichend mit der von der Klägerin vorgetragenen, teilweise auch unstreitigen besonderen Vorgeschichte der so genannten Pool-Vereinbarung und den konkreten Hinweisen auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit der Firma O. befasst.

10

Danach waren zu Ende des Jahres 2000 weder die Beklagte als Verkäuferin von Kraftstoffen noch die Klägerin als Warenkreditversicherer mit Blick auf Zweifel an der Liquidität der Firma O. weiterhin bereit, das Zahlungsausfallrisiko künftiger Lieferungen an letztere zu tragen. Die Klägerin hatte eine von der Beklagten beantragte Erhöhung der Versicherungssumme in dem Kreditversicherungsvertrag betreffend Lieferungen an die Firma O. ausdrücklich abgelehnt, und die Beklagte hatte daraufhin der Firma O. mit einem Lieferstopp gedroht, weil deren versichertes Lieferkontingent längst überschritten war.

11

Die so genannte Pool-Vereinbarung mehrerer Tankstellenpächter mit der Firma O. zielte vor diesem Hintergrund darauf ab, die freien Versicherungskontingente dieser Pächter in der Weise für künftige Kraftstofflieferungen der Beklagten an die Firma O. nutzbar zu machen, dass fortan die Pächter in entsprechendem Umfang als Zwischenhändler auftraten. Die Gestaltung der neuen Lieferverträge lief darauf hinaus, dass in den - die Tankstellenpächter betreffenden - Versicherungsverträgen das Risiko eines Forderungsausfalls nicht mehr in erster Linie von der Zahlungsfähigkeit der Tankstellenpächter, sondern letztlich vorwiegend von der Zahlungsfähigkeit der Firma O. abhing, also einem Risiko, das die Klägerin ersichtlich nicht zu tragen bereit war.

12

Spricht damit bereits vieles dafür, dass die genannten Umstände zumindest objektiv eine Gefahrerhöhung bedeuteten, so durfte das Berufungsgericht den Klägervortrag, die Beklagte habe sich an der so genannten Pool-Vereinbarung beteiligt, nicht übergehen. Vielmehr wäre es erforderlich gewesen, den dazu angebotenen Beweis zu erheben. Denn hiervon hängt es ab, ob eine subjektive Gefahrerhöhung vorlag, auf die die Klägerin ihre Leistungsfreiheit stützt.

Terno                                                   Wendt                                            Felsch

                    Harsdorf-Gebhardt                                 Dr. Karczewski