Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 05.11.2014


BGH 05.11.2014 - IV ZR 331/14

Kapitallebensversicherung: Anforderungen an eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung nach altem Recht; Fortbestand des Widerspruchsrechts nach Ablauf der Jahresfrist


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
05.11.2014
Aktenzeichen:
IV ZR 331/14
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 16. Oktober 2012, Az: 9 U 77/12vorgehend LG Hamburg, 4. Mai 2012, Az: 332 O 32/11
Zitierte Gesetze
§ 5a Abs 1 S 1 VVG vom 13.07.2001
§ 5a Abs 2 S 1 VVG vom 13.07.2001
§ 5a Abs 2 S 4 VVG vom 13.07.2001
EWGRL 96/92

Tenor

Die Revision der Klägerseite gegen das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts - 9. Zivilsenat - vom 16. Oktober 2012 wird als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen die Verneinung eines Schadensersatzanspruchs und die Abweisung des Hilfsantrags richtet.

Im Übrigen sowie im Kostenpunkt wird das Berufungsurteil auf die Revision aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert wird auf bis 13.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerseite (Versicherungsnehmer/in: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversicherung nebst Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, weiterhin Schadensersatz und hilfsweise Auskunft.

2

Der Versicherungsvertrag wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Vertragsbeginn zum 1. November 2001 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Mit Schreiben vom 21. August 2008 erklärte d. VN den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F., vorsorglich die Anfechtung, hilfsweise die Kündigung des Versicherungsvertrages. Der Versicherer akzeptierte die Kündigung und zahlte den Rückkaufswert aus.

3

Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts (insgesamt 10.632,97 €).

4

Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können. Außerdem sei der Versicherer wegen unzureichender Aufklärung über die Abschlusskosten zum Schadensersatz verpflichtet. Hilfsweise begehrt d. VN im Wege der Stufenklage Auskunft über die Verrechnung der Abschlusskosten und weitergehende Zahlung.

5

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision ist bezüglich des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs und des Hilfsantrags als unzulässig zu verwerfen. Im Übrigen führt sie zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

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I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Es hat der Auffassung zugeneigt, dass die Widerspruchsbelehrung unzureichend gewesen sei, da ein Hinweis auf die erforderliche Textform des Widerspruchs fehle. Der Hinweis "Zur Wahrung dieser Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs" dürfte nicht hinreichend präzise sein. Der Vertrag sei aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden. D. VN könne weder Schadensersatz noch Auskunft verlangen.

8

II. Die Revision ist mangels Zulassung hinsichtlich des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs und bezüglich des Hilfsantrags unzulässig.

9

Sie ist nur statthaft, soweit das Berufungsgericht den Widerspruch nach § 5a VVG a.F. für unwirksam erachtet hat. Es hat die Revision zugelassen, da sich angesichts der vom Bundesgerichtshof beschlossenen Vorlage zum Gerichtshof der Europäischen Union zu § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. die Vermutung aufdränge, dass der Bundesgerichtshof die im Berufungsurteil vertretene Rechtsauffassung nicht teile. Diese in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils mit der gebotenen Deutlichkeit zum Ausdruck gebrachte Beschränkung der Revisionszulassung auf den aus dem Widerspruch abgeleiteten Bereicherungsanspruch ist wirksam. Der diesem zugrunde liegende Sachverhalt kann in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem für die Schadensersatzforderung und den Auskunftsanspruch maßgeblichen Prozessstoff beurteilt werden (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 - IV ZR 76/11, VersR 2014, 817 Rn. 11; für BGHZ vorgesehen).

10

III. Die Revision ist, soweit sie zulässig ist, begründet.

11

1. Der Anspruch auf Prämienrückzahlung folgt dem Grunde nach aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.

12

a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

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aa) Wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, fehlte in der Widerspruchsbelehrung im Versicherungsschein der Hinweis auf die gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab dem 1. August 2001 gültigen Fassung erforderliche Textform des Widerspruchs. Die Belehrung in § 3 der dem Vertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung enthielt auch keinen entsprechenden Hinweis und war zudem nicht drucktechnisch hervorgehoben. Mithin belehrte der Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.

14

Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.

15

Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11 VersR 2014, 817 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

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bb) Die hilfsweise erklärte Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).

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b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).

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2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).

19

Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).

Mayen                            Harsdorf-Gebhardt                                      Dr. Karczewski

                Lehmann                                          Dr. Brockmöller