Entscheidungsdatum: 13.12.2017
Auf die Beschwerde des Klägers wird die Revision gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg - 8. Zivilsenat - vom 25. Oktober 2016 zugelassen.
Der vorbezeichnete Beschluss wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 49.065,49 €
I. Der Kläger begehrt von der Beklagten aus einer bei dieser unterhaltenen Teilkaskoversicherung eine Entschädigung in einer Gesamthöhe von 49.065,49 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten wegen des behaupteten Diebstahls eines PKW Porsche 911 Cabrio.
Dieses Fahrzeug hatte der Kläger im Januar 2011 von einem Verkäufer in Florida erworben und anschließend nach Deutschland eingeführt. Am 11. November 2013 meldete er das Fahrzeug bei der Polizei als gestohlen. Nachfolgend übergab er der Polizei einen Fahrzeugschlüssel und erklärte dazu, nur diesen einen Schlüssel erhalten zu haben. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen stimmt dieser Schlüssel nicht mit den beim Hersteller zum streitgegenständlichen PKW gespeicherten Daten zur mechanischen und elektronischen Schließvorrichtung überein.
Der Kläger, der einen gewerblichen Autohandel betreibt, behauptet, er habe das Fahrzeug am 5. November 2013 auf seinem Ausstellungsparkplatz in I. abgestellt, um es dort "winterfest" zu machen und anschließend in die Garage zu stellen, am 8. November 2013 zuletzt dort gesehen und am 11. November 2013 nicht mehr aufgefunden. In der Zwischenzeit sei es entwendet worden. Die Schließanlage des PKW sei vor der Auslieferung an ihn in den USA komplett ausgetauscht worden. In der ersten Instanz hat er zuletzt behauptet, dieser Austausch sei am 11. Januar 2011 erfolgt; im Berufungsverfahren hat er als Datum des Austausches den 4. Januar 2011 angegeben.
Die Beklagte behauptet einen lediglich vorgetäuschten Diebstahl. Sie verweist darauf, dass Ort und Grund des Abstellens nicht nachvollziehbar seien, sowie auf verschiedene widersprüchliche Angaben des Klägers und den Umstand des nicht zum Fahrzeug passenden Schlüssels.
II. In den Vorinstanzen ist die Klage erfolglos geblieben.
Das Berufungsgericht hat - wie schon das Landgericht - offen gelassen, ob das äußere Bild eines Fahrzeugdiebstahls bewiesen ist, und die erhebliche Wahrscheinlichkeit der bloßen Vortäuschung eines Diebstahls bejaht.
Das ergebe sich zunächst daraus, dass der vom Kläger vorgelegte Fahrzeugschlüssel nicht mit den beim Hersteller gespeicherten Daten zur Schließvorrichtung übereinstimme. Diese Nichtübereinstimmung ließe sich nur mit einem vollständigen Austausch sowohl der mechanischen als auch der elektronischen Schließeinrichtung erklären. Anhaltspunkte für einen solchen Komplettaustausch bestünden aber nicht. Dahingehende Hinweise fänden sich weder in der "Carfax-Historie" noch in den vom Kläger vorgelegten Unterlagen zu den am 11. Januar 2011 durch Porsche in F. durchgeführten Arbeiten; nach dem letzten Klägervortrag in der Berufungsinstanz sei zudem unstreitig, dass an diesem Tage jedenfalls keine mechanischen Komponenten der Schließanlage ausgetauscht worden seien. Soweit der Kläger nunmehr stattdessen einen Komplettaustausch der Schließanlage durch den Verkäufer bereits am 4. Januar 2011 behaupte, sei er mit diesem Vorbringen nach § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO ausgeschlossen.
Darüber hinaus habe der Kläger im Zuge seiner Rechtsverfolgung widersprüchliche Angaben gemacht. So habe er in der Schadenmeldung an die Beklagte einen Erwerbspreis von 49.000 € angegeben, während im Kaufvertrag ein Gesamtpreis von 41.000 € ausgewiesen sei. Ferner habe er in der polizeilichen Vernehmung vom 12. November 2013 angegeben, den Schlüssel immer an seinem Schlüsselbund bei sich zu haben, während er bei seiner Anhörung vor dem Landgericht gesagt habe, der Schlüssel sei an einem roten Mäppchen gewesen, an dem sich keine anderen Schlüssel befunden hätten.
III. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, weil dieses das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat, indem es sein Vorbringen zu einem erfolgten Austausch der Schließanlage am 4. Januar 2011 zu Unrecht nach § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückgewiesen hat.
1. Bei Auslegung und Anwendung der Präklusionsvorschriften sind die Gerichte einer strengeren verfassungsrechtlichen Kontrolle unterworfen als dies üblicherweise bei der Anwendung einfachen Rechts geschieht. Die Überprüfung geht insoweit über eine bloße Willkürkontrolle hinaus (BVerfG NJW 2000, 945, 946, juris Rn. 12). Das Gebot aus Art. 103 Abs. 1 GG, rechtliches Gehör zu gewähren, ist daher bereits dann verletzt, wenn das Berufungsgericht neues Vorbringen unter offensichtlich fehlerhafter Anwendung des § 531 Abs. 2 ZPO nicht zur Verhandlung zulässt (BGH, Beschlüsse vom 6. April 2016 - VII ZR 40/15, BauR 2016, 1209 Rn. 9 m.w.N.; vom 30. Oktober 2013 - VII ZR 339/12, NJW-RR 2014, 85 Rn. 8; vgl. BVerfG aaO).
2. Letzteres ist hier der Fall.
a) Das zweitinstanzliche Vorbringen des Klägers zu einem Austausch der Schließanlage in den USA vor seinem Erwerb des Fahrzeugs ist bereits nicht neu im Sinne der Vorschrift.
Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Nichtübereinstimmung des vom Kläger vorgelegten Fahrzeugschlüssels mit den beim Hersteller hinterlegten Daten nur mit einem vollständigen Austausch der Schließanlage zu erklären wäre, wofür aber keine Anhaltspunkte bestünden; daraus ergebe sich eine erhebliche Wahrscheinlichkeit der bloßen Vortäuschung eines Diebstahls. Rechtserheblich ist deshalb die vom Kläger bereits in erster Instanz behauptete und unter Beweis gestellte Tatsache, dass ein solcher Austausch an dem Fahrzeug in den USA stattgefunden hatte, bevor er dieses erwarb. Auf das genaue Austauschdatum kam es für die Erheblichkeit dieser Tatsachenbehauptung dagegen nicht an. Die erst in zweiter Instanz erfolgte Angabe des Klägers, dass dieser Austausch am 4. Januar 2011 erfolgt sei, stellt sich deshalb nicht als vollständig neue Behauptung, sondern als ergänzende Präzisierung seines unabhängig vom genauen Datum erheblichen Vorbringens aus erster Instanz dar.
Ein in zweiter Instanz konkretisiertes Vorbringen ist nämlich dann nicht neu, wenn ein bereits schlüssiges Vorbringen aus erster Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird (BGH, Beschlüsse vom 6. April 2016 - VII ZR 40/15, BauR 2016, 1209 Rn. 9; vom 6. Mai 2015 - VII ZR 53/13, NJW-RR 2015, 1109 Rn. 11; vom 21. Dezember 2006 - VII ZR 279/05, NJW 2007, 1531, juris Rn. 7; Urteile vom 18. Oktober 2005 - VI ZR 270/04, BGHZ 164, 330, 333, juris Rn. 11; vom 8. Juni 2004 - VI ZR 199/03, BGHZ 159, 245, 251, juris Rn. 21). Das gilt nicht nur für schlüssiges Vorbringen der darlegungs- und beweisbelasteten Partei, sondern ebenso für erhebliches Vorbringen des Gegners.
Das ist im Streitfall nicht deshalb anders, weil die präzisierende Angabe im Berufungsverfahren, wann genau der Austausch der Schließanlage erfolgt sein soll, mit einer Korrektur abweichender Angaben aus erster Instanz einherging. Die Korrektur einer zuvor erfolgten Präzisierung im Berufungsverfahren ist insofern nicht anders zu beurteilen als die erstmalige Präzisierung bereits schlüssigen Vorbringens.
b) Zudem ist auch die Auffassung des Berufungsgerichts, dem Kläger sei in Bezug auf die erstinstanzlich unterbliebene Mitteilung eines Austausches der Schließanlage schon am 4. Januar 2011 Nachlässigkeit vorzuwerfen, offensichtlich fehlerhaft. Das Berufungsgericht überspannt insoweit die Anforderungen an die Partei, ihr noch unbekannte Tatsachen gegebenenfalls zu ermitteln.
aa) Grundsätzlich ist eine Partei nicht dazu verpflichtet, tatsächliche Umstände, die ihr nicht bekannt sind, erst zu ermitteln. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass dies im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände anders sein kann (BGH, Beschlüsse vom 30. Oktober 2013 - VII ZR 339/12, NJW-RR 2014, 85 Rn. 9; vom 10. Juni 2010 - Xa ZR 110/09, NJW-RR 2011, 211 Rn. 28 m.w.N.).
bb) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch Umstände angenommen, die den Kläger verpflichteten, im Rahmen seiner Prozessförderungspflicht schon vor oder während des Rechtsstreits erster Instanz weitere Auskünfte des Zeugen von F. einzuholen.
Eine solche Verpflichtung ergab sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts insbesondere nicht daraus, dass der Kläger schon vorgerichtlich Kontakt zum Zeugen von F. gehabt und von diesem auch die vorgelegte Anlage K 12 erhalten hatte. Aus dieser Anlage, die sich lediglich zu dem Umstand verhält, warum mit dem Fahrzeug nur ein Schlüssel übergeben wurde, ergab sich ersichtlich kein Anhaltspunkt für einen erfolgten Austausch der Schließanlage.
Vortrag des Klägers hierzu erfolgte demgemäß auch erst im Anschluss an das vom Landgericht eingeholte Schlüsselgutachten, nach dessen Ergebnis der vorgelegte Schlüssel nicht zu der werkseitig im Fahrzeug eingebauten Schließanlage passte. Danach stellte der Kläger gemäß seinem Vorbringen sogar Recherchen an, die dazu führten, dass er noch in erster Instanz mit Schriftsatz vom 1. Juli 2015 eine Mail der Zeugin E. - nach eigenem Bekunden Servicemanagerin bei Porsche in F. - vorlegte, in der diese über Arbeiten an der Schließanlage am 11. Januar 2011 in der dortigen Werkstatt berichtete, und zugleich diese Zeugin für die Richtigkeit des entsprechenden Vortrags benannte. Dass der Kläger danach schon zu dieser Zeit Zweifel an der Datumsangabe hätte haben und weitere Erkundigungen beim Zeugen von F. hätte einziehen müssen, ob der entscheidende Austausch der Schließanlage nicht doch an einem anderen Datum stattgefunden hat, erschließt sich nicht.
cc) Eine Nachlässigkeit des Klägers wäre deshalb nur dann zu bejahen, wenn er von dem Austausch der Schließanlage am 4. Januar 2011 auch ohne weitere Ermittlungen bereits Kenntnis gehabt hätte, etwa weil ihm die entsprechende Rechnung bereits vorgelegen hätte. Der Kläger hat jedoch mit Schriftsatz vom 24. Mai 2016 vorgetragen, diese Rechnung erst "nunmehr" erhalten zu haben. Belastbare Feststellungen für das Gegenteil hat das Berufungsgericht nicht getroffen.
3. Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens zu einem Austausch der Schließanlage am 4. Januar 2011 einschließlich der dazu vorgelegten Rechnung [Anlage K 18] zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Dies gilt vor allem deshalb, weil schon die Rechnung als solche der Feststellung des Berufungsgerichts, es gebe keinerlei Anhaltspunkte für einen erfolgten Austausch, entgegensteht. Ob die übrigen vom Berufungsgericht angeführten, gegen den Kläger sprechenden Umstände für sich alleine genommen bereits ausreichen, die erhebliche Wahrscheinlichkeit eines nur vorgetäuschten Diebstahls zu begründen, ist ungewiss. Dies wird das Berufungsgericht neu zu beurteilen haben.
Sollte es dagegen entscheidend darauf ankommen, ob der Austausch tatsächlich durchgeführt wurde, so wäre es Sache der Beklagten, das durch die nunmehr vorgelegte Rechnung gestützte und zu berücksichtigende Vorbringen des Klägers zu widerlegen, da der Versicherer für Umstände, die eine überwiegende Vortäuschungswahrscheinlichkeit begründen, beweispflichtig ist (Senatsurteile vom 16. Oktober 1996 - IV ZR 154/95, r+s 1996, 474 unter II 1, juris Rn. 17; vom 17. März 1993 - IV ZR 11/92, r+s 1993, 169 unter II, juris Rn. 16; vom 5. Oktober 1983 - IVa ZR 19/82, VersR 1984, 29 unter I 3 a, juris Rn. 14; st. Rspr.).
Mayen |
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Dr. Karczewski |
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Lehmann |
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Dr. Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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