Entscheidungsdatum: 12.03.2014
Verletzt der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nach § 19 Abs. 1 VVG arglistig, so kann der Versicherer auch dann vom Vertrag zurücktreten, wenn er den Versicherungsnehmer nicht entsprechend den Anforderungen des § 19 Abs. 5 VVG belehrt hat.
Die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 19. Juli 2013 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Der Kläger begehrt die Feststellung des Fortbestandes eines Krankenversicherungsvertrages. Nachdem er am 23. September 2010 mit dem als Versicherungsvermittler tätigen Streithelfer einen Maklervertrag geschlossen hatte, unterzeichnete er am 27. Oktober 2010 einen Antrag auf Kranken- und Pflegeversicherung. In diesem beantwortete er bei den Gesundheitsangaben die Frage 1 nach Krankheiten, Beschwerden etc. in den letzten drei Jahren mit "ja". Das Feld für nähere Angaben füllte er nicht aus, sondern gab für ärztliche Auskünfte lediglich Dr. S. an, bei dem er sich zuletzt im April 2010 wegen "Allgemeine Untersuchung/ohne Befund" in Behandlung befunden habe. Die Frage 10 nach psychotherapeutischen Behandlungen wurde nicht beantwortet. Der Beklagten ging später ein weiteres modifiziertes Antragsformular zu, welches auf den ersten beiden Seiten jeweils an der Seite am 8. November 2010 unterschrieben worden war. In diesem waren nunmehr die Fragen 1 und 10 jeweils verneint. Die Beklagte stellte einen Versicherungsschein mit Versicherungsbeginn ab dem 1. Januar 2011 aus. Mit Schreiben vom 22. September 2011 erklärte sie den Rücktritt vom Vertrag, da der Kläger ihr verschiedene Erkrankungen (Hypercholesterinämie, Myalgie, Lumbago, Rheuma, depressive Episode, Beschwerden im Halswirbelsäulenbereich), derentwegen er in ärztlicher Behandlung gewesen sei, verschwiegen habe. Mit außergerichtlichen Schreiben vom 23. August 2012 erklärte die Beklagte ferner die Anfechtung ihrer Vertragserklärung wegen arglistiger Täuschung.
Der Kläger beantragt festzustellen, dass sein Versicherungsvertrag bei der Beklagten fortbesteht und weder durch den mit Schreiben vom 22. September 2011 erklärten Rücktritt noch durch die mit Schreiben vom 23. August 2012 erklärte Anfechtung beendet wurde. Ferner verlangt er Freistellung von seinen außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren.
Das Landgericht hat die Klage ab-, das Berufungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt er sein Klagebegehren weiter.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Versicherungsvertrag nicht infolge der durch die Beklagte erklärten Anfechtung nichtig geworden, weil diese die Anfechtungsfrist des § 124 Abs. 1 BGB nicht gewahrt habe. Die Beklagte sei jedoch wirksam vom Versicherungsvertrag zurückgetreten. Der Kläger habe seine Anzeigepflicht nach § 19 Abs. 1 VVG verletzt, weil er falsche Angaben über das Bestehen von Vorerkrankungen gemacht habe. Zwar habe der Antrag vom 27. Oktober 2010 noch keine falschen Angaben enthalten, wohl aber der Antrag vom 8. November 2010, weil der Kläger dort ärztliche Behandlungen wegen verschiedener gefahrerheblicher Erkrankungen verschwiegen habe, die für die Risikoprüfung der Beklagten relevant gewesen seien. Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme stehe fest, dass der Beklagten dieser modifizierte Antrag bei der Policierung vorgelegen habe. Ob die Angaben in diesem Antrag vom Kläger selbst oder vom Streithelfer stammten, könne dahinstehen. Der Kläger müsse sich jedenfalls ein entsprechendes Handeln des Streithelfers zurechnen lassen, da dieser für ihn als Versicherungsmakler und damit als sein Vertreter tätig geworden sei. Ohne Erfolg mache der Kläger insoweit geltend, dass der Streithelfer bei der nachträglichen Änderung der Gesundheitsangaben nicht für ihn, sondern für die Beklagte tätig geworden sei. Die sie treffende Nachfrageobliegenheit habe die Beklagte bereits dadurch erfüllt, dass sie die entsprechende Nachfrage an den Streithelfer als Vertreter des Klägers gerichtet habe. Die an den Makler gerichtete Anfrage könne nicht dahingehend verstanden werden, dass der Streithelfer nunmehr als Vertreter der Beklagten in deren Interessenkreis tätig werden sollte.
Auch ein Ausschluss des Rücktrittsrechts nach § 19 Abs. 5 VVG wegen einer Verletzung der Hinweispflicht sei nicht gegeben. Dabei könne dahinstehen, ob ein den Anforderungen des § 19 Abs. 5 VVG genügender Hinweis der Beklagten auf die Folgen einer Verletzung der Anzeigepflicht vorliege. Denn auf die Verletzung der Hinweispflicht könne sich der arglistig Handelnde mangels Schutzwürdigkeit nicht berufen. Bei einem unterstellten Handeln des Streithelfers habe dieser arglistig gehandelt, was sich der Kläger nach § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen müsse. Arglist liege aber auch dann vor, wenn die unrichtigen Angaben im Antragsformular nicht vom Streithelfer, sondern vom Kläger selbst stammten. Die Beklagte habe ihr Rücktrittsrecht fristgerecht ausgeübt, ohne dass sie gegen ihre Nachfrageobliegenheit verstoßen habe.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
Die Beklagte war berechtigt, gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 VVG vom Krankenversicherungsvertrag zurückzutreten.
1. Zu Recht ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass es auf die Frage, ob ein den Anforderungen des § 19 Abs. 5 VVG genügender Hinweis der Beklagten auf die Folgen einer Verletzung der Pflichten nach § 19 Abs. 1 VVG vorlag, nicht ankomme, da sich der arglistig Handelnde jedenfalls nicht auf eine Verletzung der Hinweispflicht berufen könne.
Diese Frage wird in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt.
a) Die überwiegende Auffassung geht davon aus, dass es auf die Erfüllung der Hinweispflicht gemäß § 19 Abs. 5 VVG nicht ankommt, wenn der Versicherungsnehmer arglistig getäuscht hat (Langheid in Römer/Langheid, VVG 4. Aufl. § 19 Rn. 118; MünchKomm-VVG/Langheid, § 19 Rn. 157; Prölss in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 19 Rn. 75; HK-VVG/Schimikowski, 2. Aufl. § 19 Rn. 45; Looschelders in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 19 Rn. 72; FA-Komm-VersR/Pilz/Gramse, § 19 Rn. 167; Reusch, VersR 2007, 1313, 1320; Schimikowski, r+s 2009, 353, 356).
Eine Minderheitsauffassung im Schrifttum vertritt demgegenüber die Meinung, auch gegenüber einem arglistig täuschenden Versicherungsnehmer bestehe Leistungsfreiheit des Versicherers nur, wenn er eine den Erfordernissen des § 19 Abs. 5 VVG entsprechende Belehrung erteilt habe (so insbesondere Knappmann in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch 2. Aufl. § 14 Rn. 12; PK-VVG/Härle, 2. Aufl. § 19 Rn. 131).
In der Rechtsprechung ist diese Frage bisher offen gelassen worden (vgl. LG Dortmund VersR 2010, 465, 468).
b) Die erstgenannte Auffassung trifft zu.
Hierfür sprechen zunächst systematische Erwägungen des Gesetzes. So schreibt § 19 Abs. 5 VVG die Belehrungspflicht des Versicherers lediglich für die Fälle des § 19 Abs. 2 bis 4 VVG vor, also für Rücktritt, Kündigung und Vertragsanpassung. Im Falle der Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung gemäß § 22 VVG i.V.m. § 123 BGB ist eine derartige Belehrung im Gesetz von vornherein nicht vorgesehen. Es kann für die Belehrungspflicht indessen keinen Unterschied machen, ob der Versicherer im Falle des Vorliegens einer arglistigen Täuschung durch den Versicherungsnehmer gemäß § 22 VVG anficht oder nach § 19 VVG vom Vertrag zurücktritt. Dies kann etwa von Fragen der Rechtzeitigkeit der Anfechtungserklärung oder des Rücktritts abhängen, ohne dass ersichtlich ist, warum sich dies auf die Frage der Belehrungspflicht auswirken sollte. Auch an anderen Stellen, etwa in § 21 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 oder § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG zeigt das Gesetz, dass es den arglistig handelnden Versicherungsnehmer grundsätzlich für weniger schutzbedürftig erachtet.
Das entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers für den vergleichbaren Fall des § 28 Abs. 4 VVG. Bei Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung kann sich der Versicherer gemäß § 28 Abs. 4 VVG auf Leistungsfreiheit nur berufen, wenn er den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform auf diese Rechtsfolge hingewiesen hat. Der Gesetzgeber hat aber betont, dass es in Fällen der Arglist des Versicherungsnehmers einer solchen Belehrung nicht bedarf (BT-Drucks. 16/3945 S. 69 zu Abs. 4).
Im Rahmen von § 28 Abs. 4 VVG ist daher überwiegend anerkannt, dass im Falle der Arglist eine gesonderte Belehrung nicht erforderlich ist (vgl. hierzu nur OLG Köln VersR 2013, 1428 f.; HK-VVG/Felsch, 2. Aufl. § 28 Rn. 214 m.w.N.).
Der Verzicht auf das Belehrungserfordernis im Falle der Arglist entspricht ferner der früheren Relevanzrechtsprechung des Senats. Hiernach war im Rahmen von § 6 Abs. 3 VVG a.F. im Falle einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung ein Hinweis des Versicherers an den Versicherungsnehmer erforderlich, dass ihm bei vorsätzlich falschen Angaben der Verlust des Versicherungsschutzes selbst dann droht, wenn ein Nachteil für den Versicherer nicht eintritt (vgl. etwa Senatsurteil vom 12. März 1976 - IV ZR 79/73, VersR 1976, 383 unter II 2). Eine derartige Belehrungspflicht hat der Senat allerdings dann nicht für erforderlich gehalten, wenn der Versicherungsnehmer seine Aufklärungspflicht arglistig verletzt hat (Senat aaO). Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber bei der Neufassung des Gesetzes hiervon hat abweichen wollen, bestehen nicht. Für eine unterschiedliche Behandlung der Belehrungspflicht des arglistig handelnden Versicherungsnehmers in § 19 Abs. 5 VVG einerseits und in § 28 Abs. 4 VVG andererseits besteht keine Veranlassung.
Gegen ein Belehrungserfordernis nach § 19 Abs. 5 VVG spricht außerdem, dass die Belehrungspflichten ausdrücklich zum Schutz des Versicherungsnehmers angeordnet sind (BT-Drucks. 16/3945 S. 65 f.), der arglistig handelnde Versicherungsnehmer aber nicht gleichermaßen schutzbedürftig ist (vgl. Senatsurteil vom 12. März 1976 aaO). Die von § 19 Abs. 5 VVG bezweckte Information des Versicherungsnehmers über die Folgen seines Verstoßes gegen die Anzeigepflicht verfehlt für den arglistig handelnden Versicherungsnehmer ihr Ziel, weil dieser selbst weiß, dass er vertragswidrig Falschangaben macht, um den Versicherer zum Abschluss eines Vertrages zu veranlassen, den dieser bei wahrheitsgemäßer Unterrichtung in dieser Form nicht geschlossen hätte.
Entgegen der Auffassung der Revision folgt nichts anderes aus dem Senatsbeschluss vom 11. Januar 2006 (IV ZR 297/03, VersR 2006, 533 Rn. 3). Mit der speziellen Frage der Arglist befasst sich diese Entscheidung nicht.
2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision ferner gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kläger müsse sich ein arglistiges Verhalten des Streitverkündeten gemäß § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen. Dem Berufungsgericht sind diesbezüglich keine revisionsrechtlich erheblichen Fehler bei der Würdigung des Sachverhalts unterlaufen. Die Revision setzt lediglich ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Berufungsgerichts.
a) Dieses hat zunächst zutreffend angenommen, dass sich der Versicherungsnehmer das Handeln eines von ihm eingeschalteten Maklers über § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen muss (Senatsbeschluss vom 12. März 2008 - IV ZR 330/06, VersR 2008, 809 Rn. 8). Hier hat der Kläger mit dem Streitverkündeten am 23. September 2010 einen entsprechenden Maklervertrag geschlossen. Zwar kann es Ausnahmen, die zu einer Zurechnung des Maklerverhaltens beim Versicherer führen würden, geben. Übernimmt ein Vermittler mit Wissen und Wollen einer Vertragspartei Aufgaben, die typischerweise ihr obliegen, steht der Vermittler - unabhängig von seiner etwaigen Selbständigkeit und einer Tätigkeit auch für den Vertragspartner - in ihrem Lager, wird in ihrem Pflichtenkreis tätig und ist als ihre Hilfsperson zu betrachten (Senatsurteil vom 11. Juli 2012 - IV ZR 164/11, BGHZ 194, 39 Rn. 51; BGH, Urteil vom 14. November 2000 - XI ZR 336/99, VersR 2001, 188 unter II 2). Das Berufungsgericht hat aber auf der Grundlage der von ihm zutreffend erkannten rechtlichen Grundsätze das Eingreifen eines derartigen Ausnahmefalles in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Art und Weise verneint.
b) Zu Unrecht rügt die Revision, das Berufungsgericht habe das Ergebnis der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme nicht hinreichend in seine Erwägungen einbezogen. Hierzu beruft sie sich auf die Vernehmung des Zeugen P. , der als Teamleiter bei der Beklagten tätig war, und unter anderem bekundete, in dem ersten Antrag sei die Gesundheitsfrage 1 mit "ja" und die Frage 10 gar nicht beantwortet worden. Nach dem Erhalt des ersten Antrags sei eine Nachricht an den Vertriebspartner gegangen, der wiederum den Makler beauftragt habe, die noch offenen Fragen zu beantworten.
Hieraus will die Revision schließen, dass sich die Beklagte im Rahmen der sie wegen der Unvollständigkeit des ersten Versicherungsantrags treffenden Nachfrageobliegenheit des Streithelfers bedient habe, um die Gesundheitsfragen nochmals an den Kläger heranzutragen. Das Berufungsgericht hat sich mit dieser Frage indessen ausdrücklich befasst und ausgeführt, die Beklagte habe ihre Nachfrageobliegenheit bereits dadurch erfüllt, dass sie die entsprechende Nachfrage an den Streithelfer als Vertreter des Klägers gerichtet habe. Keinesfalls sei sie gehalten gewesen, den Kläger unmittelbar zu kontaktieren. Die an den Streithelfer gerichtete Anfrage könne daher nicht dahingehend verstanden werden, dass der Streithelfer nunmehr als Vertreter der Beklagten in deren Interessenkreis tätig werden sollte. Das muss die Revision als tatrichterliche Würdigung, die keine revisionsrechtlich beachtlichen Fehler aufweist, hinnehmen.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller