Entscheidungsdatum: 25.11.2015
Die in § 21 Abs. 3 VVG getroffene Fristenregelung für die Wahrnehmung der Rechte des Versicherers aus § 19 Abs. 2 bis 4 VVG ist auf die für die Arglistanfechtung geltende Zehnjahresfrist des § 124 Abs. 3 BGB und die Rechtsfolgen ihrer Versäumnis ohne Einfluss.
Auf die Rechtsmittel der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 23. Juni 2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage wegen eines Teilbetrages in Höhe von 6.040,20 € nebst hierauf entfallender Zinsen und vorgerichtlicher Nebenkosten abgewiesen worden ist, und das Urteil der 22. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart teilweise geändert.
Unter Abweisung der Klage im Übrigen wird die Beklagte verurteilt, über die der Klägerin im vorgenannten Urteil des Oberlandesgerichts zuerkannten Beträge hinaus
an die Klägerin weitere 6.040,20 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 4.800 € seit dem 18. Juli 2012 und aus je 95,40 € seit dem 1. August 2012, 1. September 2012, 1. Oktober 2012, 1. November 2012, 1. Dezember 2012, 1. Januar 2013, 1. Februar 2013, 1. März 2013, 1. April 2013, 1. Mai 2013, 1. Juni 2013, 1. Juli 2013 und 1. August 2013 zu zahlen,
an die Klägerin weitere 391,39 € vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Die Parteien streiten - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - um die Rückerstattung von Versicherungsprämien für eine Lebensversicherung.
Die Klägerin ist Alleinerbin ihres am 13. August 2013 verstorbenen Ehemannes, zu dessen Gunsten seine letzte Arbeitgeberin bei der Beklagten eine Gruppen-Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (Vertrag Nr. … ) unterhielt, die bei Berufsunfähigkeit des Versicherten eine Beitragsbefreiung in der Hauptversicherung vorsah. Der schon seit 1994 zugunsten des Ehemannes bei der Beklagten von zwei früheren Arbeitgebern unterhaltene Lebensversicherungsvertrag wurde zum 1. März 2002 aus Anlass des neuerlichen Arbeitgeberwechsels in die Gruppenversicherung der neuen Arbeitgeberin überführt und dabei um die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung erweitert. Dazu führte die Beklagte eine Risikoprüfung durch, in deren Rahmen der Ehemann der Klägerin die ihm im Februar 2002 schriftlich gestellten Fragen der Beklagten nach gesundheitlichen Störungen sämtlich verneinte, obwohl er zu dieser Zeit bereits an Morbus Parkinson erkrankt war.
Am 5. April 2002 stellte die Beklagte den Versicherungsschein aus.
Ab August 2008 war der Ehemann der Klägerin infolge eines Gehirntumors, nachfolgender Rezidivbildungen und seiner fortschreitenden Parkinson-Erkrankung bis zu seinem Tode berufsunfähig. Im Januar 2012 machte er bei der Beklagten erstmals Leistungsansprüche aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung geltend, wobei er angab, seit 1990 an Morbus Parkinson und seit Juli 2008 an dem Gehirntumor erkrankt zu sein.
Mit Schreiben vom 18. Juli 2012 focht die Beklagte ihre Vertragserklärung zum Abschluss der Berufsunfähigkeitsversicherung wegen arglistiger Täuschung an und lehnte eine Beitragsfreistellung des Versicherten in der Lebensversicherung ab.
Die Klägerin, deren Klage auf Beitragsrückerstattung aus einem weiteren Lebensversicherungsvertrag mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung vor dem Berufungsgericht erfolgreich gewesen ist, fordert - soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse - die Rückerstattung der in der Zeit von August 2008 bis August 2013 für die Lebensversicherung entrichteten Prämien in Höhe von insgesamt 6.040,20 €, ferner darauf entfallende Zinsen und vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten. Sie bestreitet, dass ihr Ehemann die Beklagte arglistig getäuscht habe und hält deren Anfechtungserklärung für verspätet.
Die Vorinstanzen haben die diesbezügliche Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat die Arglistanfechtung für wirksam und die Beklagte deshalb nicht zur Beitragsfreistellung verpflichtet angesehen. Der Ehemann der Klägerin habe aus Anlass der Risikoprüfung bei Übertragung des Lebensversicherungsvertrages und dessen Erweiterung um die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung seine Anzeigenobliegenheit aus § 16 Abs. 1 Satz 1, 3 VVG a.F. arglistig verletzt, indem er die Parkinson-Erkrankung vorsätzlich verschwiegen habe. Ihm sei dabei bewusst gewesen, jedenfalls die Entschließung der Beklagten zur - für ihn vorteilhaften - Vertragsübernahme zu beeinflussen, weshalb es unerheblich sei, ob er - was die Klägerin bestreitet - auch Kenntnis vom Abschluss der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung gehabt habe.
Zwar sei die Zehnjahresfrist des § 124 Abs. 3 BGB nicht eingehalten, nachdem die angefochtene Vertragserklärung am 5. April 2002 abgegeben und die Arglistanfechtung erst am 18. Juli 2012 erklärt worden sei. Das hindere die Wirksamkeit der Anfechtungserklärung aber nicht, weil § 21 Abs. 3 VVG eine vom allgemeinen Recht abweichende, speziellere Regelung enthalte. Der Gesetzgeber habe sich dort nicht auf die in § 21 Abs. 3 Satz 1 VVG geregelte Fünfjahresfrist beschränkt, wenn der Versicherungsfall bereits vor deren Ablauf eintrete. Abs. 3 Satz 2 der Vorschrift erweitere die fünfjährige Frist auf zehn Jahre, wenn das Rücktritts- oder Kündigungsrecht des Versicherers auf vorsätzlichem oder - wie hier - arglistigem Verhalten des Versicherungsnehmers gründe. Dabei erfordere der Schutzzweck des § 21 Abs. 3 Satz 1 VVG, dass auch die Zehnjahresfrist aus Satz 2 der Regelung nur dann Ausschlusswirkung entfalte, wenn nicht der Versicherungsfall vor Fristablauf eingetreten sei.
Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, müsse diese Einschränkung der zehnjährigen Ausschlussfrist des § 21 Abs. 3 Satz 2 VVG erst recht für die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gelten. Ermögliche das Gesetz die Ausübung des Rücktrittsrechts nach mehr als zehn Jahren, so müsse dies auch für die auf Arglist gestützte Anfechtungserklärung gelten. Dieser Rechtsgedanke aus § 21 Abs. 3 VVG n.F. sei hier heranzuziehen, obwohl die Vertragsänderung aus dem Jahre 2002 noch nach altem Versicherungsvertragsgesetz zu beurteilen sei.
II. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Die Klägerin hat aus § 812 Abs. 1 Satz 1, Alternative 1 BGB einen Anspruch auf Rückerstattung der in den Monaten August 2008 bis August 2013 für den Hauptvertrag (Lebensversicherung) entrichteten Prämien. Deren Zahlung ist ohne Rechtsgrund erfolgt, weil die Beklagte infolge der Berufsunfähigkeit des Versicherten im genannten Zeitraum die Beitragsfreistellung des Hauptvertrages aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung schuldete. Dieser Zusatzvertrag ist - anders als das Berufungsgericht meint - nicht nichtig, weil die Anfechtungserklärung der Beklagten verspätet erfolgt und damit unwirksam ist.
Das Berufungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass die in § 124 Abs. 3 BGB geregelte zehnjährige Ausschlussfrist für die Erklärung der Arglistanfechtung hier abgelaufen war, weil die angefochtene Willenserklärung der Beklagten im April 2002 abgegeben und die Anfechtung erst am 18. Juli 2012 erklärt wurde. Anders als das Berufungsgericht meint, gibt es keine Gründe, die der Geltung der Frist und damit der Ausschlusswirkung des Fristversäumnisses entgegenstehen. Die in § 21 Abs. 3 VVG n.F. getroffene Fristenregelung für die Wahrnehmung der Rechte des Versicherers aus § 19 Abs. 2 bis 4 VVG n.F. ist auf die Wirksamkeit der Zehnjahresfrist des § 124 Abs. 3 BGB und die Rechtsfolgen ihrer Versäumnis ohne Einfluss.
1. Das folgt schon aus dem Gesetzeswortlaut, denn zum einen stellt § 21 Abs. 3 Satz 1 VVG einleitend klar, dass die nachfolgende Fristenregelung des § 21 Abs. 3 VVG nur die Rechte des Versicherers nach § 19 Abs. 2 bis 4 VVG betrifft, zum anderen bestimmt § 22 VVG, dass das Recht des Versicherers, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, "unberührt" bleibt, so dass hier allein die Ausschlussfrist des § 124 Abs. 3 BGB gilt. Dabei belegen die systematische Stellung der Vorschrift und ihre Entstehungsgeschichte, wovon das in den §§ 123 f. BGB geregelte Anfechtungsrecht unberührt bleiben soll, nämlich von sämtlichen dem § 22 VVG n.F. vorangestellten Vorschriften der §§ 19 bis 21 VVG n.F. über die vorvertragliche Anzeigeobliegenheit des Versicherungsnehmers und die Rechtsfolgen ihrer Verletzung. Bereits das bis zum 1. Januar 2008 geltende alte Versicherungsvertragsgesetz (VVG a.F.) sah in § 22 VVG a.F. vor, dass das Recht zur Arglistanfechtung von den Vorschriften über die vorvertragliche Anzeigenobliegenheit des Versicherungsnehmers (§§ 16 bis 21 VVG a.F.) unberührt bleiben sollte. Seinerzeit bestand Einigkeit darüber, dass diese Vorschriften für die Arglistanfechtung durch den Versicherer nicht galten (Prölss in Prölss/Martin, VVG 26. Aufl. § 22 Rn. 1), sich das Anfechtungsrecht vielmehr allein nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches bestimmte. Mit der Einführung des § 22 VVG n.F. war - abgesehen vom Wegfall der in § 22 VVG a.F. noch enthaltenen Beschränkung des Anfechtungsrechts auf Täuschungen über Gefahrumstände - keine weitergehende sachliche Änderung verbunden (BT-Drucks. 16/3945 S. 67).
Die herrschende Meinung nimmt deshalb zu Recht an, dass für die Erklärung der Arglistanfechtung des Versicherers nach wie vor die Ausschlussfrist des § 124 Abs. 3 BGB gilt (Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 29. Aufl. § 22 Rn. 1, 36; Langheid in Römer/Langheid, VVG 4. Aufl. § 22 Rn. 3; Looschelders in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 22 Rn. 1, 20; MünchKomm-VVG/Müller-Frank, § 22 Rn. 1, 48; Prölss in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 22 Rn. 1; Rolfs in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 22 Rn. 31 i.V.m. § 21 Rn. 51).
Das Berufungsgericht verkennt, dass der eindeutige Gesetzeswortlaut des § 22 VVG n.F. einer auf § 21 Abs. 3 VVG gestützten einschränkenden Auslegung des § 124 Abs. 3 BGB entgegensteht (vgl. dazu BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27 Rn. 20). Es lässt sich keine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes finden, die den Weg einer Rechtsfortbildung des § 124 Abs. 3 BGB mittels teleologischer Reduktion eröffnen könnte (vgl. dazu BGH aaO Rn. 22 m.w.N.). Vielmehr ist der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass mit der zehnjährigen Ausschlussfrist des § 21 Abs. 3 Satz 2 VVG n.F. gerade eine dem § 124 Abs. 3 BGB entsprechende Befristung erreicht werden sollte (BT-Drucks. 16/3945 S. 67). Das steht der Annahme entgegen, die in § 21 Abs. 3 VVG getroffene Regelung sei in Wahrheit auf eine Änderung oder Lockerung der Zehnjahresfrist aus § 124 Abs. 3 BGB gerichtet.
2. Es kann deshalb im Weiteren offen bleiben, ob das Berufungsgericht § 21 Abs. 3 VVG n.F. zutreffend ausgelegt hat und ob seine Annahme zutrifft, der Rechtsgedanke der Neuregelung sei hier heranzuziehen, obwohl der Versicherungsvertrag bereits im Jahre 2002 geändert worden war. Zweifel daran, dass § 21 Abs. 3 VVG n.F. im Streitfall überhaupt Anwendung findet, ergeben sich aus der Übergangsregelung in Art. 1 Abs. 2 EGVVG, weil der Versicherungsfall hier noch vor Ablauf des Jahres 2008 eingetreten ist.
3. Ob - was die Revision beanstandet - das Berufungsgericht zu Recht von einem arglistigen Verhalten des Versicherungsnehmers ausgegangen ist, bedarf ebenfalls keiner Entscheidung.
4. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig.
a) Anhaltspunkte dafür, dass - wie die Revisionserwiderung lediglich andeutet - der Versicherungsfall im Streitfall unter Verstoß gegen Treu und Glauben absichtlich spät gemeldet worden wäre, um der Beklagten die rechtzeitige Geltendmachung ihrer Rechte aus § 19 Abs. 2 bis 4 VVG oder § 123 BGB zu erschweren, sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht ersichtlich. Die Beklagte hat sich in den Vorinstanzen darauf auch nicht berufen.
b) Der Senat hält daran fest, dass keine Ansprüche des Versicherers gegen den Versicherungsnehmer aus Pflichtverletzung bei Vertragsschluss (§ 280 Abs. 1 und 3, § 282, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB; früher culpa in contrahendo) bestehen, wenn der Versicherungsnehmer bei Anbahnung des Versicherungsvertrages über einen gefahrerheblichen Umstand täuscht, weil für diesen Fall die Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes (§§ 19-22 VVG n.F., §§ 16-22 VVG a.F.) über die Verletzung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheiten deren Rechtsfolgen grundsätzlich abschließend regeln (vgl. Senatsurteil vom 7. Februar 2007 - IV ZR 5/06, r+s 2007, 233 Rn. 15 ff. m.w.N.). Gründe, von dieser unter Geltung des früheren Versicherungsvertragsgesetzes gefestigten Rechtsprechung abzurücken, haben sich durch das Inkrafttreten des neuen Versicherungsvertragsgesetzes nicht ergeben.
c) Die auf § 853 BGB gestützte, erstmals im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren erhobene Arglisteinrede der Beklagten greift nicht durch. Der Revisionserwiderung kann nicht darin gefolgt werden, dass bereits in dem auf die Arglistanfechtung gestützten Antrag, die Klage abzuweisen, zugleich die Erhebung der Einrede aus § 853 BGB gesehen werden kann. Vortrag dazu, dass der Beklagten Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen des Versicherungsnehmers zustehen, die andere als die bereits über die §§ 19 ff. VVG n.F./16 ff. VVG a.F. geschützten Interessen des Versicherers (vgl. dazu Senatsurteil vom 7. Februar 2007 aaO Rn. 16) verletzt haben, hat die Beklagte in den Vorinstanzen nicht gehalten.
5. Die der Klägerin zustehenden Beitragsrückerstattungen für die Zeit von August 2008 bis August 2013 hat das Berufungsgericht mit 6.040,20 € zutreffend berechnet.
Es hat der Klägerin im Übrigen mit Blick auf ihre erfolgreiche Klage aus dem weiteren Lebensversicherungsvertrag ausgehend von dem dortigen Gegenstandswert von 4.140 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von lediglich 446,13 € zugesprochen, wobei es zutreffend die bis zum 31. Juli 2013 geltenden Gebührenwerte zugrunde gelegt hat, weil der Vertretungsauftrag hier vor diesem Zeitpunkt erteilt wurde (§ 60 Abs. 1 Satz 1 RVG). Legt man mit Blick auf die hier zuerkannten weiteren Ansprüche der Klägerin einen um 6.040,20 € auf insgesamt 10.180,20 € erhöhten Gegenstandswert zugrunde, so ergibt sich folgende Berechnung der erstattungsfähigen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten:
1,3-fache Geschäftsgebühr |
683,80 € |
Auslagenpauschale |
20,00 € |
Zwischensumme |
703,80 € |
Umsatzsteuer 19% |
133,72 € |
Summe |
837,52 € |
Abzüglich der vom Berufungsgericht bereits zuerkannten 446,13 € war der Klägerin mithin der Ersatz weiterer vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 391,39 € zuzusprechen.
Felsch Harsdorf-Gebhardt Lehmann
Dr. Brockmöller Dr. Bußmann