Entscheidungsdatum: 30.03.2011
Zur Verweisbarkeit auf einen anderen Beruf nach einem zeitlich unbegrenzten Leistungsanerkenntnis des Versicherers bei Berufsunfähigkeit eines Auszubildenden .
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 9. Oktober 2008 aufgehoben.
Die Beklagte wird unter Änderung des Urteils des Landgerichts Hof vom 30. Oktober 2006 verurteilt, an den Kläger 9.062,46 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 643,38 € ab 1. November, 1. Dezember 2005, 1. Januar, 1. Februar, 1. März, 1. April, 1. Mai, 1. Juni, 1. Juli, 1. August, 1. September, 1. Oktober, 1. November und 1. Dezember 2006 sowie weitere 594,73 € und beginnend am 1. Januar 2007, längstens bis 31. Dezember 2042, monatlich im Voraus eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 625 € zu zahlen sowie den Lebensversicherungsvertrag Nr. 32-... insgesamt beitragsfrei zu stellen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Der Kläger begehrt Zahlung und Beitragsbefreiung aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. In den zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen (im Folgenden auch B-BUZ) heißt es unter anderem:
"§ 2 Was ist Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen?
(1) Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen außerstande ist, ihren Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht.
...
§ 6 Wann geben wir eine Erklärung über unsere Leistungspflicht ab?
(1) Nach Prüfung der uns eingereichten sowie der von uns beigezogenen Unterlagen erklären wir, ob und für welchen Zeitraum wir eine Leistungspflicht anerkennen.
(2) Wir können ein zeitlich begrenztes Anerkenntnis unter einstweiliger Zurückstellung der Frage aussprechen, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit im Sinne von § 2 Absatz 1 ausüben kann.
§ 8 Was gilt für die Nachprüfung der Berufsunfähigkeit?
(1) Nach Anerkennung oder Feststellung unserer Leistungspflicht sind wir berechtigt, das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit und ihren Grad oder die Pflegebedürftigkeit nachzuprüfen; dies gilt auch für zeitlich begrenzte Anerkenntnisse nach § 6. Dabei können wir erneut prüfen, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit im Sinne von § 2 Absatz 1 ausüben kann, wobei neu erworbene berufliche Fähigkeiten zu berücksichtigen sind.
..."
Am 14. September 2001 erlitt der Kläger einen Verkehrsunfall, der unter anderem zu einer Lähmung des rechten Arms als Dauerschaden führte. Aufgrund seiner Verletzungen brach der Kläger seine Maurerlehre ab. Die Beklagte erkannte mit Schreiben vom 25. Februar 2002 Berufsunfähigkeit des Klägers ab 1. Oktober 2001 an und zahlte ihm ab diesem Datum die vereinbarte Monatsrente von 625 €.
Im August 2003 begann der Kläger auf Initiative der Berufsgenossenschaft eine Umschulung zum Versicherungskaufmann. Hiervon setzte er die Beklagte vorab in Kenntnis, die ihm daraufhin mit Schreiben vom 16. Juni 2003 mitteilte, dass sie grundsätzlich die Leistung einstellen könne, nachdem er einen neuen Ausbildungsplatz erhalten habe. Sie sei aber entgegenkommenderweise bereit, die Leistungen für die Zeit der neuen Ausbildung (bis Juli 2005) weiter zu bezahlen. Es müsse aber klargestellt sein, dass die Leistungen aus der Zusatzversicherung nach dem Ende der Ausbildung nicht weiter bezahlt würden. Auf die entsprechende Bitte der Beklagten erklärte der Kläger am 1. Juli 2003 durch Unterschrift auf einer Kopie dieses Schreibens sein Einverständnis hiermit.
Tatsächlich zahlte die Beklagte die Rente noch bis einschließlich Oktober 2005, also drei Monate über das Ausbildungsende hinaus, und stellte dann ihre Leistungen ein. Eine Anstellung in dem neu erlernten Beruf hat der Kläger bislang nicht gefunden.
Mit der Klage begehrt er die weitere Zahlung der Rente von 625 € ab November 2005 nebst Beitragsfreistellung in Höhe von 18,38 € monatlich. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass die Beklagte aufgrund der im Jahre 2003 zustande gekommenen Vereinbarung der Parteien weitere Leistungen verweigern könne. Diese Vereinbarung sei wirksam und benachteilige den Kläger nicht, weil die Beklagte ihn zu dieser Zeit bei Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens auch auf eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann hätte verweisen können. Diese Verweisungsmöglichkeit habe sich erst mit der Initiative der Berufsgenossenschaft eröffnet. Auf die theoretische Möglichkeit einer solchen Ausbildung schon im Februar 2002 könne nicht abgestellt werden, weil der Versicherer ansonsten in vergleichbaren Konstellationen immer gehalten wäre, sämtliche denkbaren Ausbildungsmöglichkeiten erschöpfend zu prüfen. Das Nachprüfungsverfahren verfolge aber in Ausbildungsfällen auch den Zweck, sich im Laufe der Zeit erst "herauskristallisierende Erkenntnisse" interessengerecht berücksichtigen zu können.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Die Beklagte hat die Möglichkeit, den Kläger auf eine andere Ausbildung zu verweisen, im Februar 2002 durch das einschränkungslose Anerkenntnis bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit ab dem 1. Oktober 2001 verloren.
a) Mit seinem Leistungsanerkenntnis entscheidet der Versicherer nicht nur über den Grad der Berufsunfähigkeit, sondern zugleich auch über eine fehlende Verweisungsmöglichkeit. Deshalb muss davon ausgegangen werden, dass eine Verweisungsmöglichkeit nicht besteht, wenn seine Entscheidung hierzu schweigt. Bereits bestehende, aber nicht wahrgenommene Verweisungsmöglichkeiten verliert der Versicherer auch für die Zukunft (Senatsurteil vom 17. Februar 1993 - IV ZR 206/91, BGHZ 121, 284, 291 f.). Dies folgt daraus, dass die Regelung über das Nachprüfungsverfahren nur dann einen Sinn ergibt, wenn der Versicherer bei unverändertem Fortbestand der für die Beurteilung maßgeblichen, ihm bekannt gewordenen Umstände an sein erklärtes Anerkenntnis gebunden bleibt und nicht befugt ist, den Grad der Berufsunfähigkeit des Versicherten und etwaige Verweisungsmöglichkeiten jederzeit ohne Änderung der tatsächlichen Verhältnisse und/oder seiner Kenntnis hiervon abweichend von seiner früheren Anerkenntniserklärung zu bewerten (vgl. Senatsurteile vom 24. Februar 2010 - IV ZR 199/09, VersR 2010, 619 Rn. 9 und vom 17. September 1986 - IVa ZR 252/84, VersR 1986, 1113 unter 2).
b) Die Beklagte hätte den Kläger bereits bei Abgabe des Leistungsanerkenntnisses unter den Voraussetzungen des § 2 (1) B-BUZ auf einen anderen Ausbildungsberuf verweisen können, der von ihm nach seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner Lebensstellung entspricht.
Letzteres ist für die Ausbildung zum Versicherungskaufmann im Vergleich zur Ausbildung zum Maurer der Fall, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat. Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht dagegen darin, dass es diese Verweisungsmöglichkeit im Februar 2002 noch nicht gegeben habe, weil der Versicherer in Ausbildungsfällen nicht alle denkbaren Ausbildungsmöglichkeiten zu prüfen habe, und erst im Nachprüfungsverfahren sich "herauskristallisierende Erkenntnisse" über die Eignung und Fähigkeiten des Versicherten für eine bestimmte Ausbildung zu berücksichtigen seien. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass Eignung und Fähigkeiten des Klägers für eine andere, gleichwertige oder höherwertige Ausbildung nicht bereits im Februar 2002 geprüft werden konnten.
2. Die danach durch das zeitlich unbegrenzte Leistungsanerkenntnis im Jahre 2002 geschaffene Selbstbindung der Beklagten, von der sie nur im Wege des Nachprüfungsverfahrens abrücken konnte, ist nicht durch die mit dem Kläger getroffene Vereinbarung im Jahre 2003 wieder beseitigt worden.
a) Individualvertragliche Vereinbarungen über Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung können daraufhin überprüft werden, ob darin enthaltene Beschränkungen der bedingungsgemäßen Rechte des Versicherungsnehmers auf seiner freien Entscheidung oder einer treuwidrigen Ausnutzung der überlegenen Verhandlungsposition des Versicherers beruhen. Wegen der speziellen Ausgestaltung der Berufsunfähigkeitsversicherung ist der Versicherer nach Treu und Glauben in besonderer Weise gehalten, seine überlegene Sach- und Rechtskenntnis nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers auszunutzen (Senatsurteile vom 28. Februar 2007 - IV ZR 46/06, VersR 2007, 777 Rn. 16; vom 7. Februar 2007 - IV ZR 244/03, VersR 2007, 633 Rn. 13 und vom 12. November 2003 - IV ZR 173/02, VersR 2004, 96 unter II 1).
Ein starkes Indiz für einen Verstoß gegen Treu und Glauben ist regelmäßig anzunehmen, wenn die nach dem Vertrag bestehende Rechtslage durch die Vereinbarung zum Nachteil des Versicherungsnehmers geändert und seine Rechtsposition dadurch ins Gewicht fallend verschlechtert wird. Das ist etwa der Fall, wenn der Versicherer sich gegen das Versprechen einer befristeten Kulanzleistung eine nach den Bedingungen ausgeschlossene Verweisungsmöglichkeit verschafft, die ihn nach Fristablauf in die Lage versetzt, künftige Leistungen ablehnen zu können, auf die der Versicherungsnehmer ohne die Vereinbarung wegen fehlender Verweisbarkeit Ansprüche hätte. Vereinbarungen, die derartige oder gleichgewichtige, von der objektiven Rechtslage abweichende Nachteile für ihn zur Folge haben, sind danach nur in engen Grenzen möglich. Sie setzen eine noch unklare Sach- und Rechtslage voraus und erfordern vor ihrem Abschluss klare, unmissverständliche und konkrete Hinweise des Versicherers darauf, wie sich die vertragliche Rechtsposition des Versicherungsnehmers darstellt und in welcher Weise diese durch den Abschluss der Vereinbarung verändert oder eingeschränkt wird (Senatsurteile vom 28. Februar 2007 aaO Rn. 16 und vom 7. Februar 2007 aaO Rn. 14).
b) Danach kann die Beklagte sich nicht auf die mit dem Kläger getroffene Vereinbarung berufen, weil diese für ihn in erheblichem Umfang nachteilig war, ohne dass er darüber belehrt worden wäre.
In dem Schreiben der Beklagten vom 16. Juni 2003 fehlen nicht nur Hinweise auf eine Einschränkung oder Veränderung der Rechtsposition des Klägers durch die angebotene Vereinbarung, es enthält darüber hinaus Unrichtigkeiten:
So ist es unzutreffend, dass der Versicherer bei einer während der Ausbildung eingetretenen Berufsunfähigkeit nur für die verloren gegangene Zeit der bisherigen Ausbildung leistungspflichtig wäre. Denn versichert ist der Beruf, der von der versicherten Person vor Eintritt des Versicherungsfalls zuletzt ausgeübt worden ist. Für diesen Beruf ist nicht zwischen Ausbildungs- und Ausübungsphase nach bestandener Prüfung zu unterscheiden. Für den Versicherer, der einen Auszubildenden versichert, zeichnet sich der künftige Übergang von einem Ausbildungs- in ein Arbeitsverhältnis bereits ab. Ihm wird schon bei Abschluss des Versicherungsvertrages deutlich, dass die versicherte Person nicht in der Situation eines Auszubildenden verharren wird, weil es regelmäßig Ziel einer jeden Ausbildung ist, diese erfolgreich abzuschließen und den angestrebten Beruf später dauerhaft auszuüben. Er kann die versicherte Person daher nicht auf die Phase der Ausbildung festschreiben; sonst würde sein Leistungsversprechen entwertet und für den Versicherten unzumutbar ausgehöhlt (Senatsurteil vom 24. Februar 2010 aaO Rn. 16 und 19 f.).
Die Beklagte war daher nicht berechtigt, anders als dies in ihrem Schreiben vom 16. Juni 2003 zum Ausdruck kommt, dem Kläger gegenüber den Standpunkt einzunehmen, er habe zum Zeitpunkt des Unfalls keine abgeschlossene Berufsausbildung gehabt und deshalb allein für die Zeit von Oktober 2000 bis September 2001 Anspruch auf Versicherungsleistungen. Ebenso wenig durfte sie ihre Leistungen unabhängig von den Voraussetzungen des § 8 B-BUZ einstellen, nur weil der Kläger einen neuen Ausbildungsplatz erhalten hatte; auch war ihre Leistungspflicht nicht auf die Dauer der neuen Ausbildung begrenzt.
Vielmehr hätte der Kläger ohne die Vereinbarung unverändert die Zahlung der Rente nebst Beitragsfreistellung verlangen können. Sein Einverständnis mit der von der Beklagten vorgeschlagenen Lösung führte somit zu einer deutlichen Verschlechterung seiner Rechtsposition.
3. Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Der Klageanspruch ist in vollem Umfang begründet. Da die Beklagte sich nicht wirksam von ihrem Leistungsanerkenntnis gelöst hat, besteht der geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Weiterzahlung der Rente ebenso wie derjenige auf Beitragsfreistellung. Die Beklagte ist daher auch verpflichtet, die ab August 2005 unter Vorbehalt gezahlten Beiträge von monatlich 18,38 € zu erstatten. Der Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten folgt aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 BGB.
Dr. Kessal-Wulf |
Wendt |
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Dr. Brockmöller |