Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 22.10.2014


BGH 22.10.2014 - IV ZR 243/13

Vermögensschadenhaftpflichtversicherung: Leistungsausschluss bei Verletzung der Aufklärungsobliegenheit durch eine Krankenkasse als Versicherungsnehmer


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
22.10.2014
Aktenzeichen:
IV ZR 243/13
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend OLG Köln, 25. Juni 2013, Az: 9 U 188/12vorgehend LG Köln, 30. Juli 2012, Az: 24 O 44/12
Zitierte Gesetze
§ 6 Abs 3aF VVG
§ 34 aF VVG
§ 5 Nr 3 Buchst a VermSchAVB

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 25. Juni 2013 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin, eine gesetzliche Krankenkasse, nimmt die Beklagte auf Leistung aus einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung in Anspruch, die auch Schäden umfasst, die der Versicherungsnehmer "in Folge eines bei Ausübung satzungsgemäßer Tätigkeit von seinen Organen, Beamten und Angestellten fahrlässig begangenen Verstoßes unmittelbar erlitten hat (Eigenschaden)".

2

Diese Versicherung hatte die Klägerin im Jahre 1995 bei der ... Versicherung AG als führendem Versicherer mit einer Versicherungssumme von zunächst 250.000 DM je Schadensereignis abgeschlossen. Der Versicherung lagen "Allgemeine Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden (AVB)" und mehrere, zunächst jeweils für ein Jahr mit Verlängerungsklausel abgeschlossene "Rahmenabkommen zur Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung" zugrunde. Nach Ziffer 11 der Abkommen für 1995 und 1996 waren neben dem führenden Versicherer mit einem Anteil von 50% sowie einem weiteren Versicherer mit 20% auch zwei Rechtsvorgängerinnen der Beklagten an dem Versicherungsvertrag beteiligt, und zwar mit Anteilen von 20% und 10%.

3

Nach Ziffer 5 dieser Rahmenabkommen umfasste der Versicherungsschutz "die Folgen aller während der Versicherungsdauer begangenen Verstöße, die den Versicherern nicht später als 3 Jahre nach Beendigung des Versicherungsvertrages gemeldet werden." Ziffer 11 der Abkommen bestimmte, dass der führende Versicherer u.a. "etwa anfallende Schäden, auch soweit der Anteil der beteiligten Gesellschaften in Frage kommt, bearbeitet, reguliert und alle auf den Vertrag bezüglichen Erklärungen im Namen der beteiligten Gesellschaften rechtsverbindlich abgibt."

4

Die Rahmenabkommen sind in der Folge verschiedentlich neu vereinbart worden, wobei auch die Beteiligten, ihre Haftungsquoten und die Versicherungssumme geändert wurden.

5

Nach § 5 Nr. 3a) der vereinbarten AVB ist der Versicherungsnehmer u.a. verpflichtet, "unter Beachtung der Weisungen des Versicherers ... alles zu tun, was zur Klarstellung des Schadenfalles dient, sofern ihm dabei nichts Unbilliges zugemutet wird" und hat "alle Tatumstände, welche auf den Schadenfall Bezug haben, mitzuteilen ...".

6

In diesem Rechtsstreit geht es um einen behaupteten Versicherungsfall, der sich daraus ergeben soll, dass eine Sachbearbeiterin der Klägerin im Jahre 1996 die Abmeldung des Arbeitgebers für eine Versicherte nicht ordnungsgemäß bearbeitete, weshalb die Klägerin im Jahre 1997 noch Sachleistungen von insgesamt 60.903 DM zu deren Gunsten erbrachte.

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Den ihr dadurch entstandenen Schaden meldete die Klägerin über die von ihr beauftragte Maklerin im Jahre 2001 beim führenden Versicherer an. Dieser erbat mit Schreiben vom 13. August 2001 von der Klägerin weitere Angaben sowie eine Stellungnahme der 1996 tätig gewordenen Sachbearbeiterin. Die Klägerin antwortete unter dem 11. Februar 2002, fügte jedoch die erbetene Stellungnahme der Sachbearbeiterin nicht bei und erklärte dazu, sie "wird nach mehr als 5 Jahren zu einer einzelnen Meldung keine Angaben machen können." Der führende Versicherer teilte daraufhin mit Schreiben vom 15. März 2002 mit, auf dieser Stellungnahme zu bestehen, und erbat ferner weitere näher bezeichnete Angaben zu Eingang und Inhalt der Abmeldung des Arbeitgebers, zur Kenntnis vom Schaden und dem Unterlassen früherer Prüfung, ob zu Unrecht übernommene Kosten vorliegen. Hierauf reagierte die Klägerin bis 2010 nicht.

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Mit ihrer Klage macht sie einen Betrag von 30% der um den Selbstbehalt von 5.000 DM (= 2.556,46 €) verminderten Schadenssumme von 60.903 DM (= 31.139,21 €), mithin 8.574,83 € gegen die Beklagte geltend.

9

Die Beklagte hat sich auf Verjährung und Verwirkung, auf Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit sowie darauf berufen, dass die Klägerin die vertragliche Nachhaftungsregelung nicht eingehalten habe, da mit Inkrafttreten eines neuen Rahmenabkommens jeweils von einem Ende des vorhergehenden Versicherungsvertrages auszugehen sei.

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In den Vorinstanzen ist die Klage erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist unbegründet.

12

I. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Beklagte jedenfalls wegen vorsätzlicher Verletzung von Aufklärungsobliegenheiten gemäß § 6 Abs. 3 VVG a.F. i.V.m. § 5 Nr. 3a), § 6 Nr. 1 AVB leistungsfrei geworden sei, weil die Klägerin dem wiederholten Verlangen des führenden Versicherers in dessen Schreiben vom 13. August 2001 und 15. März 2002, ihm eine Stellungnahme der damals tätig gewordenen Mitarbeiterin zu verschaffen, nicht nachgekommen ist. Die Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 VVG a.F. sei nicht widerlegt. Die Obliegenheitsverletzung sei auch nicht folgenlos geblieben, weil die Beklagte zumindest ganz erhebliche Nachteile bei der Feststellung eines Versicherungsfalls zu Grund und Höhe hinzunehmen habe, nachdem sie jahrelang an der Sachaufklärung gehindert gewesen sei.

13

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

14

Zu Recht hat das Berufungsgericht eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nach § 5 Nr. 3a) AVB durch die Klägerin angenommen, weil diese dem Verlangen des führenden Versicherers, eine Stellungnahme der tätig gewordenen Sachbearbeiterin vorzulegen, selbst nach dessen wiederholter Aufforderung im Schreiben vom 15. März 2002 nicht nachgekommen ist, sondern sich geweigert hat, eine solche Erklärung einzuholen.

15

1. Durch § 5 Nr. 3a) AVB wird die Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers nach § 34 VVG a.F., der auf den Schadenfall gemäß Art. 1 Abs. 2 EGVVG Anwendung findet, lediglich weiter präzisiert. Zur Reichweite der Auskunftspflicht der Klägerin gilt deshalb, dass es grundsätzlich Sache des Versicherers ist, welche Angaben er zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält, um seine Entscheidung über die Leistungspflicht auf ausreichender und gesicherter Tatsachengrundlage treffen zu können. Dazu gehören auch Umstände, die lediglich Anhaltspunkte für oder gegen das Vorliegen eines Versicherungsfalles liefern können. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob sich die vom Versicherungsnehmer geforderten Angaben am Ende nach dem Ergebnis der Prüfung als für die Frage der Leistungspflicht tatsächlich wesentlich erweisen (Senatsurteil vom 16. November 2005 - IV ZR 307/04, VersR 2006, 258 unter II 1 b; vgl. zum inhaltlich unveränderten neuen Recht auch Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 31 Rn. 7). Somit ist die Frage der Erforderlichkeit der erbetenen Auskünfte ex ante zu beurteilen, wobei dem Versicherer ein erheblicher Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist.

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Maßgeblich für die Zulässigkeit von Auskunftsersuchen des Versicherers und die Reichweite der sich daraus ergebenden Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers ist der Zweck der Aufklärungsobliegenheit, die dem Versicherer die sachgerechte Prüfung seiner Leistungspflicht ermöglichen soll, was auch der durchschnittliche Versicherungsnehmer in Anbetracht der Regelung über die Weisungsbefugnis des Versicherers und die weite Fassung der Klausel mit Einbeziehung aller Tatumstände, die auch nur "Bezug" auf den Schadenfall haben, erkennen kann. Danach erstreckt sich die Auskunftspflicht auf jeden Umstand, der zur Aufklärung des Tatbestandes dienlich sein kann (vgl. auch Senatsurteil vom 1. Dezember 1999 - IV ZR 71/99, VersR 2000, 222), soweit dem Versicherungsnehmer nichts "Unbilliges zugemutet" wird.

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2. Hieraus folgt im Streitfall, dass die Klägerin gehalten war, zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts auch mitzuteilen, was ihre frühere Sachbearbeiterin noch selbst zu den Gründen ihrer fehlerhaften Bearbeitung angeben kann, und hierzu die erbetene Stellungnahme ihrer früheren Sachbearbeiterin einzuholen oder sich wenigstens hierum zu bemühen.

18

Dies war nicht deshalb entbehrlich, weil der äußere Ablauf der Vorgänge bereits von einem anderen Mitarbeiter der Klägerin ermittelt und mitgeteilt worden war. Für die Feststellung des Versicherungsfalles kam es nicht nur auf diesen äußeren Ablauf, sondern auch auf die Frage des Verschuldens der Sachbearbeiterin an, da nur fahrlässige Pflichtverletzungen versichert sind, ein Versicherungsfall also sowohl bei vorsätzlichem als auch bei schuldlosem Handeln ausschied. Deshalb war es in jedem Falle zweckdienlich, auch eine Äußerung der Handelnden selbst herbeizuführen. Dies gilt sowohl im Hinblick auf einen etwaigen Vorsatz, für dessen Feststellung anderenfalls nur auf Indizien, Erfahrungssätze und Schlussfolgerungen zurückgegriffen werden könnte, als auch im Hinblick darauf, ob der Sachbearbeiterin die korrekte Arbeitsweise bekannt war und warum sie nicht angewandt wurde, was für einen Fahrlässigkeitsvorwurf von Bedeutung ist. Mag auch die Wahrscheinlichkeit groß sein, dass diese nach so vielen Jahren keine konkrete Erinnerung an den einzelnen Vorgang mehr hatte, so kann dies doch nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Selbst wenn die Auffassung der Revision, dass schon nach der Lebenserfahrung bei der vorliegenden Konstellation in jedem Falle von einem fahrlässigen Pflichtverstoß auszugehen wäre, für den Regelfall zutreffen sollte, so hätten durch eine Befragung der Sachbearbeiterin möglicherweise eventuelle besondere Umstände zutage gefördert werden können, die die nach der Lebenserfahrung naheliegende Fahrlässigkeit in die eine oder andere Richtung ausschließen konnten und deshalb gegebenenfalls eine vom Regelfall abweichende Beurteilung erforderten. Zur Prüfung der Frage, ob hier eventuell ein solcher Ausnahmefall vorliegt, war die erbetene Stellungnahme nicht von vornherein ungeeignet. Anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Revision zitierten Urteil des Oberlandesgerichts Hamm (VersR 1978, 711), weil sich in dem dort entschiedenen Sachverhalt die Person des tätig gewesenen Sachbearbeiters gerade nicht mehr feststellen ließ.

19

Der Annahme einer Obliegenheitsverletzung steht nicht entgegen, dass die Klägerin das, was sie an Tatsachen schon ermittelt hatte und deshalb positiv wusste, dem führenden Versicherer mit der Schadenanzeige und dem Bericht ihres Mitarbeiters H.       bereits mitgeteilt hatte. Der auskunftspflichtige Versicherungsnehmer muss sich über die Tatsachen, zu denen der Versicherer berechtigt Auskunft verlangt, gegebenenfalls erkundigen (Senatsurteil vom 21. April 1993 - IV ZR 34/92, VersR 1993, 828 unter 2 c; vgl. auch Prölss in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 31 Rn. 3; Voit/Knappmann in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 5 AHB Rn. 6). Deshalb war die Klägerin verpflichtet, sich auch weiteres Tatsachenwissen zu verschaffen, indem sie ihre frühere Mitarbeiterin be- fragte, ob diese eine konkrete Erinnerung an den Vorgang habe oder sonst Angaben zur Art ihrer damaligen Sachbearbeitung und deren Gründen machen könne.

20

Schließlich ist es für die Annahme einer Obliegenheitsverletzung unerheblich, dass sich die Sachbearbeiterin im Zeitpunkt der Aufforderung des Versicherers im Erziehungsurlaub befand. Dieser Umstand enthob die Klägerin nicht ihrer Obliegenheit, sich um eine Stellungnahme ihrer Mitarbeiterin wenigstens zu bemühen.

21

3. Die Obliegenheitsverletzung der Klägerin ist auch nicht folgenlos geblieben, so dass es auf die weiteren Voraussetzungen der so genannten Relevanzrechtsprechung des Senats (vgl. dazu Senatsurteile vom 28. Februar 2007 - IV ZR 231/05, VersR 2007, 785 unter II 2 b; vom 26. Januar 2005 - IV ZR 239/03, VersR 2005, 493 unter II 2 c; vom 21. Januar 1998 - IV ZR 10/97, VersR 1998, 447 unter 2 b) nicht ankommt. Denn es steht nicht fest, ob und gegebenenfalls welche weiteren Erkenntnisse eine Befragung der Mitarbeiterin der Klägerin erbracht hätte, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die Unterlassung auf die Möglichkeiten zur Feststellung des Versicherungsfalls ausgewirkt hat.

Mayen                              Wendt                                       Felsch

                   Lehmann                          Dr. Brockmöller