Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 06.07.2011


BGH 06.07.2011 - IV ZR 217/09

Berufsunfähigkeitsversicherung: Wirksamkeit einer Zusatzklausel über die Berücksichtigung des Leistungsausschlusses für die Erkrankung eines Auges bei der Bemessung des Berufsunfähigkeitsgrades aus anderen Gründen


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
06.07.2011
Aktenzeichen:
IV ZR 217/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, 7. Oktober 2009, Az: 5 U 87/08 - 9, Urteilvorgehend LG Saarbrücken, 24. Januar 2008, Az: 14 O 237/07
Zitierte Gesetze

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 7. Oktober 2009 durch Beschluss nach § 552a ZPO auf Kosten des Klägers zurückzuweisen.

Beide Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen

4 Wochen

Stellung zu nehmen.

Gründe

1

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor; das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg.

2

I. Der Kläger, selbständiger Juwelier und Goldschmied, fordert Rentenleistungen aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung.

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1. Er leidet an einer Limbusstammzellen-Insuffizienz mit Hornhautdegeneration am linken Auge, in deren Folge er seit 1981 behandelt und mehrfach operiert wurde. Mit Blick darauf wurde in den Versicherungsvertrag auf Verlangen des beklagten Versicherers folgende von ihm vorformulierte Zusatzklausel aufgenommen:

"Es gilt als vereinbart, dass die unten bezeichnete Gesundheitsbeeinträchtigung und alle Leiden einschließlich eventueller Operationsfolgen, die medizinisch nachweisbar damit ursächlich zusammenhängen, eine Leistung aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung nicht bedingt und bei der Festsetzung des Grades der Berufsunfähigkeit aus anderen gesundheitlichen Gründen unberücksichtigt bleibt. Art der Gesundheitsbeeinträchtigung: Erkrankung des linken Auges"

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Nach Vertragsschluss verringerte sich infolge einer anderen Erkrankung auch das Sehvermögen des Klägers auf seinem rechten Auge. Die Beklagte bestreitet einen Versicherungsfall. Infolge der Zusatzklausel müsse die Erkrankung des Klägers auf seinem linken Auge bei der Ermittlung des Grades der Berufsunfähigkeit außer Betracht bleiben, mithin dieses Auge als gesund betrachtet werden. Die Beeinträchtigung des rechten Auges führe für sich genommen nicht zu einem für die beantragte Versicherungsleistung zumindest vorausgesetzten Grad der Berufsunfähigkeit von 33%.

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Der Kläger meint, dieser Grad der Berufsunfähigkeit werde selbst dann überschritten, wenn man unterstelle, sein linkes Auge sei gesund. Im Übrigen habe er die Zusatzklausel so verstehen dürfen, dass lediglich sein linkes Auge unversichert, er also wie ein "Einäugiger" gegen den Verlust der Sehkraft auf seinem rechten Auge versichert sei. Anderenfalls sei die Ausschlussklausel intransparent und benachteilige ihn unangemessen.

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2. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger nicht bewiesen, dass er zu jedenfalls 33% berufsunfähig sei. Die Sehschwäche des linken Auges müsse ungeachtet des Umstandes, dass auch sie sich seit Vertragsschluss verschlechtert habe, bei der Bemessung der Berufsunfähigkeit insgesamt außer Betracht bleiben und stattdessen unterstellt werden, das linke Auge des Klägers sei gesund.

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Das ergebe die Auslegung der Ausschlussklausel. Die Erkrankung eines Organs unberücksichtigt zu lassen, zwinge im Umkehrschluss dazu, es als nicht erkrankt anzusehen. Die Zusatzklausel sei wirksam, halte insbesondere der AGB-rechtlichen Kontrolle stand.

8

Ein Schadensersatzanspruch stehe dem Kläger nicht zu. Selbst wenn die Beklagte beim ihm falsche Vorstellungen über den Umfang des Versicherungsschutzes erweckt haben sollte, habe er nicht behauptet, dass er bei einem anderen Versicherer die Mitversicherung seiner Erkrankung des linken Auges hätte erreichen können.

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II. Das Berufungsgericht hat die Revision gestützt auf § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache mit der Erwägung zugelassen, dass sie die Auslegung einer in ähnlichen Versicherungsverträgen häufiger verwendeten Klausel betreffe.

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Das allein rechtfertigt die Zulassung der Revision indes nicht (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 18. November 2009  IV ZR 36/09, VersR 2010, 645 Rn. 4 m.w.N.). Es ist nicht ersichtlich, dass die Auslegung der Klausel in Rechtsprechung und Literatur umstritten wäre (vgl. zu ähnlichen Klauseln: LG Düsseldorf VersR 2008, 1522 f.; OLG Nürnberg VersR 1987, 249).

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Auch sonstige Zulassungsgründe sind nicht ersichtlich.

12

III. Eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit des Klägers von zumindest 33% lässt sich nicht feststellen, weil die Erkrankung des linken Auges des Klägers bei der Bemessung des Grades der Berufsunfähigkeit nach der von den Parteien wirksam vereinbarten Zusatzklausel außer Betracht bleiben muss und die Beweisaufnahme einen solchen Grad der Berufsunfähigkeit im Übrigen nicht ergeben hat.

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1. Die vom Senat aufgestellten Maßstäbe für die Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen (vgl. nur BGHZ 123, 83, 85; Senatsurteil vom 17. Dezember 2008  IV ZR 9/08, VersR 2009, 341 Rn. 16, 17 m.w.N.) hat das Berufungsgericht beachtet.

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a) Dem in erster Linie maßgeblichen Klauselwortlaut kann der Versicherungsnehmer entnehmen, dass die Erkrankung seines linken Auges weder für sich genommen einen Leistungsanspruch begründen noch im Zusammenspiel mit anderweitigen Erkrankungen den Grad der Berufsunfähigkeit beeinflussen, insbesondere erhöhen kann. Vielmehr soll die Erkrankung des linken Auges selbst im Falle einer möglichen Verschlechterung auf die Feststellung der Berufsunfähigkeit keinerlei Einfluss haben. Das ist, wie das Berufungsgericht zutreffend annimmt, nur möglich, wenn man diese Erkrankung bei der Bestimmung des Grades der Berufsunfähigkeit vollständig außer Betracht lässt und damit im Ergebnis unterstellt, das linke Auge sei gesund (vgl. LG Düsseldorf aaO; OLG Nürnberg aaO).

15

Die Einwände der Revision gegen dieses Verständnis des Klauselwortlauts überzeugen nicht. Soweit sie meint, die Klausel könne ebenso gut dahin verstanden werden, dass die von der Erkrankung des linken Auges ausgehende Beeinträchtigung der Berufsunfähigkeit nach vorausgehender Bestimmung der aus der Erkrankung beider Augen insgesamt folgenden Berufsunfähigkeit "abzuziehen" sei, führt dies zum gleichen Ergebnis. Eine Unklarheit der Klausel i.S. von § 305c Abs. 2 BGB zeigt die Revision damit nicht auf.

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b) Auch bei Berücksichtigung ihres erkennbaren Sinnzusammenhangs kann ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Zusatzklausel nicht anders verstehen. Sie bezweckt eine Einschränkung des vom Versicherer übernommenen Risikos, welches bereits bei der Vertragsanbahnung dadurch erhöht war, dass der Versicherungsnehmer am linken Auge erkrankt war. Die Beklagte war erkennbar nicht bereit, dieses erhöhte Risiko zu versichern, sondern wollte es vom Versicherungsschutz ausnehmen und damit eine dem Kläger nachteilige Regelung treffen. Eine Besserstellung des Versicherungsnehmers war demgegenüber ersichtlich nicht bezweckt; sie läge aber vor, wollte man die Klausel so verstehen, dass der Kläger als ein auf dem linken Auge Erblindeter (als "Einäugiger") versichert wäre. Denn das hätte zur Folge, bei Bemessung der Berufsunfähigkeit die Sehfähigkeit insgesamt allein anhand der Sehkraft des rechten Auges zu bestimmen. Dabei müssten sich Schäden am rechten Auge ungleich stärker auf den Grad der Berufsunfähigkeit auswirken, zumal sogar ein - in Wahrheit nicht gegebener - vollständiger Verlust der Sehkraft des linken Auges in die Bemessung einflösse.

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2. In der genannten Auslegung hält die Klausel einer Kontrolle anhand der §§ 305c, 306, 307 bis 309 BGB stand.

18

a) Sie ist kontrollfähig, weil sie nach Wortlaut und erkennbarem Zweck das vom Versicherer gegebene Hauptleistungsversprechen lediglich einschränkt, verändert, ausgestaltet oder sonst modifiziert (Senatsurteil vom 26. September 2007 - IV ZR 252/06, VersR 2007, 1690 Rn. 13 m.w.N.).

19

b) Die Zusatzklausel ist keine überraschende Klausel i.S. des § 305c Abs. 1 BGB, weil ihr kein Überrumpelungseffekt innewohnt. Sie weicht nicht deutlich in einer Art und Weise von den Erwartungen des Versicherungsnehmers ab, mit der er nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht (vgl. Senatsurteile vom 30. September 2009 - IV ZR 47/09, VersR 2009, 1622 Rn. 13; vom 6. Dezember 1995 - IV ZR 363/94, VersR 1996, 322 unter 2 a; vom 17. März 1999 - IV ZR 137/98, VersR 1999, 745 unter II 3 a; vom 19. Mai 2004 - IV ZR 176/03, juris Rn. 25; vom 27. Oktober 2004 - IV ZR 141/03, VersR 2005, 64 unter II 2 a; vom 18. Februar 2009 - IV ZR 11/07, VersR 2009, 623 Rn. 18). Vielmehr ist sie - individuell auf die Erkrankung des Klägers bezogen - im Zuge der Vertragsanbahnung als zusätzliche Bedingung in den Vertrag aufgenommen worden. Schon dadurch war das Augenmerk des Klägers in besonderer Weise auf diese Vereinbarung gelenkt, ohne die die Beklagte nicht zum Vertragsabschluss bereit war und mit der sie erkennbar bezweckte, die Erkrankung des linken Auges vom Versicherungsschutz auszunehmen. Die Herausnahme individueller gesundheitlicher Risiken aus dem Versicherungsschutz stellt in der Personenversicherung auch keinen ungewöhnlichen, sondern Versicherungsnehmern weithin geläufigen Vorgang dar.

20

c) Dass die Klausel auch der Kontrolle nach den §§ 306, 307 bis 309 BGB unterliegt, folgt aus § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB. Obwohl der Kläger hier das Risiko versichert hat, seine selbständige berufliche Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben zu können, ist er Verbraucher i.S. der § 310 Abs. 3 Satz 1, § 13 BGB. Eine solche Absicherung zählt als Maßnahme der Gesundheitsvorsorge zur privaten Sphäre und ist deshalb nicht der gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit des Klägers i.S. des § 13 BGB zuzurechnen (Palandt/Ellenberger, BGB 70. Aufl. § 13 Rn. 3; Martinek in jurisPK, BGB 5. Aufl. [2010] § 13 Rn. 51).

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aa) Die Zusatzklausel führt nicht zu einer Beweislastverschiebung zu Lasten des Versicherungsnehmers i.S. von § 309 Nr. 12 BGB. Sie belässt es vielmehr dabei, dass der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall darlegen und beweisen muss (vgl. Senatsurteil vom 11. November 1987 - IVa ZR 240/86, VersR 1988, 234 unter 2 c, in BGHZ 102, 194 ff. nicht abgedruckt; Senatsbeschluss vom 20. Januar 2010 - IV ZR 111/07, r+s 2010, 251 Rn. 3). Ihr Regelungsgehalt beschränkt sich darauf, die Erkrankung am linken Auge für die Begründung der Berufsunfähigkeit oder die Feststellung ihres Grades auszuschließen. Damit geht indes keine Verpflichtung des Versicherungsnehmers einher, die Voraussetzungen des Risikoausschlusses dahin auszuräumen, dass ein bestimmter Grad der Berufsunfähigkeit nicht von der Erkrankung des linken Auges herrühre. Denn dieser steht nicht von vorn herein fest, sondern ergibt sich erst aus der Gewichtung der vom Versicherungsnehmer darzulegenden und zu beweisenden Gesundheitsbeeinträchtigungen. Wird die Erkrankung am linken Auge davon ausgenommen, so muss die Berufsunfähigkeit anhand anderweitiger Gründe bemessen werden. Die Frage, ob und inwieweit sie auch auf der Erkrankung des linken Auges beruht, stellt sich danach nicht mehr.

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bb) Gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstößt die Zusatzklausel nicht. Sie enthält eine klare Regelung, die dem Versicherungsnehmer den ihn treffenden Nachteil beim Nachweis der Berufsunfähigkeit ausreichend veranschaulicht (vgl. dazu Senatsurteile vom 11. Februar 2009 - IV ZR 28/08, VersR 2009, 533 Rn. 14; vom 30. April 2008 - IV ZR 241/04, VersR 2008, 816 Rn. 15 m.w.N.; vom 26. September 2007 - IV ZR 252/06, VersR 2007, 1690 Rn. 16 ff.). Er erkennt, dass eine Erkrankung des linken Auges auch nicht ergänzend zur Erhöhung des Grades einer Berufsunfähigkeit herangezogen werden kann, er diesbezüglich nicht anders gestellt ist, als wäre sein linkes Auge gesund. Dass die Klausel den Nachweis erschwert, eine Störung des räumlichen Sehens (der Binokularfunktion) beruhe allein oder vorwiegend auf einer Beeinträchtigung des rechten Auges ist eine für den Versicherungsnehmer erkennbare Folge daraus.

23

cc) Die Frage, ob die Zusatzklausel wesentliche Rechte des Versicherungsnehmers in einer die Erreichung des Vertragszwecks gefährdenden Weise einschränkt (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB), hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler verneint. Eine Leistungsbegrenzung begründet für sich genommen noch keine Vertragszweckgefährdung, sondern bleibt grundsätzlich der freien unternehmerischen Entscheidung des Versicherers überlassen, soweit er nicht mit der Beschreibung der Hauptleistung beim Versicherungsnehmer falsche Vorstellungen erweckt (Senatsurteil vom 11. Februar 2009 - IV ZR 28/08, VersR 2009, 533 Rn. 19 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Mit dem Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung bezweckt der Versicherungsnehmer Schutz vor einem dauerhaften krankheitsbedingten Verlust des aus seiner beruflichen Tätigkeit erzielten Einkommens. Dem wird die vom Kläger gehaltene Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung trotz der hier in Rede stehenden Ausschlussklausel gerecht.

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Eine Gefährdung des Vertragszwecks liegt erst dann vor, wenn die Einschränkung den Vertrag seinem Gegenstand nach aushöhlt und in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos macht (Senatsurteil vom 11. Februar 2009 aaO Rn. 21 m.w.N.). In der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung scheidet eine solche Vertragszweckgefährdung aus, solange das primäre Leistungsversprechen nicht angetastet wird. Hier bleibt jedwede Berufsunfähigkeit des Klägers versichert, solange sie einen Grad von 33% oder mehr erreicht und nicht von der Erkrankung des Klägers am linken Auge beeinflusst ist. Der Beklagten wiederum kann ein - auch mit Blick auf die übrigen Versicherten - berechtigtes Interesse nicht abgesprochen werden, außergewöhnliche und insbesondere in vorvertraglichen Erkrankungen bereits angelegte Risiken vom Versicherungsschutz auszunehmen.

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3. Dass sich allein aufgrund der Schädigung des rechten Auges des Klägers eine Berufsunfähigkeit von zumindest 33% nicht feststellen lässt, hat das Berufungsgericht mit sachverständiger Hilfe ohne Rechtsfehler dargelegt.

26

4. Gegen die Ablehnung von Schadensersatzansprüchen des Klägers hat die Revision im Übrigen nichts erinnert.

Dr. Kessal-Wulf                                                       Wendt                                                    Felsch

                                         Lehmann                                                Dr. Brockmöller

Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.