Entscheidungsdatum: 13.04.2011
1. Ein gesetzliches Erbrecht des entfernteren Abkömmlings besteht auch dann, wenn der nähere Abkömmling durch Verfügung von Todes wegen enterbt wurde (Anschluss an RG, 19. Mai 1905, VII 489/04, RGZ 61, 14 und RG, 6. Juni 1918, IV 114/18, RGZ 93, 193). .
2. § 2309 BGB setzt eine Pflichtteilsberechtigung des entfernteren Abkömmlings voraus, beschränkt diese aber zur Vermeidung einer Vervielfältigung der Pflichtteilslast. Ob dem näheren Abkömmling wirksam der Pflichtteil entzogen wurde, kann auch in dem Rechtsstreit über den Pflichtteilsanspruch zwischen dem entfernteren Abkömmling und dem Erben geklärt werden.
Auf die Rechtsmittel des Klägers wird das Urteil des 24. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 10. September 2009 aufgehoben und das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 26. November 2008 geändert.
Der Beklagte wird unter Abweisung des Auskunftsantrags im Übrigen verurteilt, dem Kläger durch Vorlage einer von ihm unterzeichneten, nach Aktiva und Passiva gegliederten Aufstellung des Vermögens der Verstorbenen zum Todestag Auskunft über den Nachlass der am 18. Dezember 2007 verstorbenen Anna Maria H., geborene H., sowie über Ausstattungen i.S. von § 1624 BGB und über alle dem Beklagten bekannten unentgeltlichen Zuwendungen der Erblasserin zu erteilen, soweit diese über die in der Familie üblichen Anstandsschenkungen hinausgingen und, falls es sich um nicht an den Ehegatten der Erblasserin erfolgte Zuwendungen handelte, zur Zeit des Erbfalls zehn Jahre seit der Leistung des zugewendeten Gegenstandes noch nicht verstrichen waren.
Die Sache wird zur Entscheidung über die weiteren mit der Stufenklage verfolgten Klaganträge und über den Antrag auf Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten sowie darüber hinaus zur Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens an das Landgericht Darmstadt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Der Kläger macht im Wege der Stufenklage Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach seiner am 18. Dezember 2007 verstorbenen Großmutter geltend, deren Alleinerbe der Beklagte ist.
Die Parteien sind Geschwister. Ihre Großeltern väterlicherseits setzten sich mit gemeinschaftlichem notariellem Testament vom 26. Februar 1991 gegenseitig zu Alleinerben des Erstversterbenden ein. Der Vater der Parteien wurde zum alleinigen Erben des Längstlebenden bestimmt. Nach dem Tod des Großvaters am 23. Juli 1998 errichtete die Großmutter am 21. Mai 2001 ein notarielles Testament, in dem es unter anderem heißt:
"…
Ich habe bereits mit meinem verstorbenen Ehemann … am 26.02.1991 ein gemeinschaftliches notarielles Testament … errichtet ….
Jedoch sind in der jüngeren Vergangenheit Dinge geschehen, die zu meinem Entschluss geführt haben, dieses Testament vom 26.02.1991 zu widerrufen, meinem Sohn den Pflichtteil zu entziehen und letztwillig neu zu verfügen.
…
Nach dem Tode meines Ehemannes 1998 hat mein Sohn sich zunächst um mich gekümmert und auch meine finanziellen Dinge geregelt.
Hierzu gehörte u.a. auch die In-Verwahrnahme eines mir gehörenden Goldbarrens im Wert von rd. 20.000,-- DM, den ich bisher immer zu Hause aufbewahrt hatte als 'Notgroschen'.
Im Jahr 1999 stand die Reparatur des Daches sowie anderer Dinge in meinem Wohnhaus … an. Ich ging daher mit meinem Sohn zu meiner Hausbank …, um dort den Betrag von rd. 72.000,-- DM abzuheben. Davon sollten diverse Arbeiten am Haus ausgeführt werden ….
Der nach Durchführung der notwendigen Arbeiten verbleibende Betrag war als Schenkung für meinen Sohn bestimmt. …
Mein Sohn hat dann das Geld an sich genommen und versprochen, die besprochenen Arbeiten auch in Auftrag zu geben und durchführen zu lassen.
Nachdem dann jedoch längere Zeit nichts passiert ist, habe ich meinen Sohn erinnert und um Klärung gebeten. Zur Antwort erhielt ich sodann nur den Hinweis, dass er so lange ich lebe überhaupt keine Arbeiten am Haus mehr ausführen lassen würde.
Auf meine Aufforderung hin, dass er mir sodann wieder den für die Arbeiten erforderlichen Geldbetrag wieder zurückgeben solle, … bekam ich zur Antwort, dass er gar nicht daran denke, mir das Geld zurückzuzahlen.
Auch auf die mehrfache Aufforderung meinerseits, mir wenigstens den zur Aufbewahrung überlassenen Goldbarren zurückzugeben, erfolgte keine Reaktion.
Gleichzeitig ist der persönliche Kontakt vollkommen abgerissen.
…
Mein Sohn hat das ihm anvertraute Geld veruntreut und dadurch mein Vertrauen in ihn zutiefst erschüttert.
Aus diesem Grund widerrufe ich hiermit die Erbeinsetzung gem. dem gemeinschaftlichen notariellen Testament vom 26.02.1001 des Notars Dr. B. und entziehe hiermit meinem Sohn Claus Dieter H. auch den Pflichtteil.
…
Ich setze daher nunmehr … meinen Enkel Uwe H. … zu meinem alleinigen und unbeschränkten Erben ein."
Der noch lebende Vater der Parteien hat weder gegenüber der Großmutter noch gegenüber dem Beklagten geltend gemacht, er sei Erbe nach seiner Mutter geworden oder pflichtteilsberechtigt.
Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe ein Pflichtteil aus dem Nachlass der Großmutter zu, und begehrt im Wege der Stufenklage Auskunft über den Bestand des Nachlasses einschließlich anrechnungs- und ausgleichspflichtiger Zuwendungen sowie beeinträchtigender Schenkungen, Abgabe der Versicherung an Eides Statt, Zahlung des Pflichtteilsanspruchs sowie daneben Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen, weil der Kläger schon nicht pflichtteilsberechtigt sei. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Das Rechtsmittel hat in der Sache überwiegend Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Der vom Kläger verfolgte Auskunftsanspruch nach § 2314 Abs. 1 BGB setze voraus, dass dieser als gesetzlicher Erbe seiner Großmutter durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen worden und infolgedessen nach § 2303 BGB pflichtteilsberechtigt sei. Dies sei jedoch nicht der Fall, da der zum Zeitpunkt des Erbfalls als näherer Abkömmling noch lebende Vater der Parteien den Kläger nach § 1924 Abs. 2 BGB von der Erbfolge ausgeschlossen habe.
Etwas anderes könne sich zwar aus § 2309 BGB ergeben, weil der Vater der Parteien wirksam enterbt und ihm der Pflichtteil entzogen worden sei, so dass dieser wie ein bereits zum Zeitpunkt des Erbfalls verstorbener Abkömmling zu betrachten sei. Weitere Voraussetzung sei allerdings, dass die Pflichtteilsentziehung wirksam sei. Dies stehe jedoch nicht fest und könne in diesem Rechtsstreit auch nicht wirksam festgestellt werden, da der Vater der Parteien nicht beteiligt sei. Möglich sei dies nur durch gerichtliche Entscheidung im Verhältnis des von der Entziehung nachteilig betroffenen Pflichtteilsberechtigten und dem noch lebenden Erblasser oder dessen Erben. Alleine darauf, dass der Vater der Parteien die Pflichtteilsentziehung nicht angefochten habe, komme es nicht an, da sich deren Unwirksamkeit auch aus Rechtsgründen ergeben könne, die von der Anfechtung nicht erfasst würden.
II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Dem Kläger steht als Pflichtteilsberechtigtem, der in der Geltendmachung des Pflichtteils nicht durch § 2309 BGB beschränkt ist, ein Auskunftsanspruch nach § 2314 Abs. 1 Satz 1 BGB gegenüber dem Beklagten als Erben der gemeinsamen Großmutter zu.
1. Der Kläger kann nach § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB als Abkömmling der Erblasserin vom Beklagten als deren Erben den Pflichtteil verlangen, da er durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen wurde.
a) Er wäre infolge der Enterbung seines Vaters durch das notarielle Testament seiner Großmutter vom 21. Mai 2001 - neben dem Beklagten - deren nächstberufener gesetzlicher Erbe gewesen.
aa) Nach § 1924 Abs. 2 BGB schließt ein zur Zeit des Erbfalls lebender Abkömmling zwar diejenigen von der Erbfolge aus, die durch ihn mit dem Erblasser verwandt sind. Dies gilt jedoch nur für den Fall, dass der nähere Abkömmling auch zur Erbfolge gelangt (vgl. nur RGZ 61, 14, 17 f.; RG, JW 1913, 869, 870).
Ein gesetzliches Erbrecht des entfernteren Abkömmlings besteht daher nicht nur - wie in § 1924 Abs. 3 BGB bestimmt -, wenn der nähere Abkömmling zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr lebt. Erstgenannter tritt auch dann in die Erbenstellung ein und erwirbt ein eigenständiges Erbrecht, wenn der nähere Abkömmling nicht gesetzlicher Erbe wird, weil er die Erbschaft ausgeschlagen hat (§ 1953 Abs. 2 BGB), für erbunwürdig erklärt wurde (§ 2344 Abs. 2 BGB) oder einen - beschränkten - Erbverzicht erklärt hat (§§ 2346 Abs. 1 Satz 2, 2349 BGB).
bb) Ob der entferntere Abkömmling auch dann als gesetzlicher Erbe berufen ist, wenn - wie hier - der nähere Abkömmling durch Verfügung von Todes wegen enterbt wurde, ist umstritten.
(1) Die herrschende Meinung bejaht den Eintritt des entfernteren Abkömmlings in das gesetzliche Erbrecht infolge einer letztwilligen Ausschließung des näheren Abkömmlings (vgl. RGZ 61, 14, 17 f.; 93, 193, 194 f.; RG JW 1913, 869, 870; J. Mayer in Bamberger/Roth, BGB 2. Aufl. § 2309 Rn. 4, 8; MünchKomm-BGB/Lange, 5. Aufl. § 2309 Rn. 12; MünchKomm-BGB/Frank, 3. Aufl. § 2309 Rn. 6; NK-BGB/Bock, 3. Aufl. § 2309 Rn. 3 ff.; PWW/Deppenkemper, BGB 5. Aufl. § 2309 Rn. 2; Soergel/Stein, BGB 13. Aufl. § 1924 Rn. 34, § 1938 Rn. 7; Ebbecke, LZ 1919, 505 f.; Gottwald, Pflichtteilsrecht § 2309 Rn. 1, 4; Joachim, Pflichtteilsrecht 2. Aufl. Rn. 56; Lange/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl. § 37 IV 2 b; J. Mayer in Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz, Handbuch Pflichtteilsrecht 2. Aufl. § 2 Rn. 25, 34).
Demnach gelangten hier die Parteien, nicht aber ihr Vater zur gesetzlichen Erbfolge, nachdem die Erblasserin diesen im Testament vom 21. Mai 2001 gemäß § 2271 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 2294 BGB durch den Widerruf seiner bisherigen Erbeinsetzung enterbt hatte. Hierzu war die Erblasserin berechtigt, weil ihr Sohn sich einer Verfehlung schuldig gemacht hatte, die sie nach § 2333 Nr. 3 BGB in der gemäß Art. 229 § 23 Abs. 4 Satz 1 EGBGB noch anzuwendenden, bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung (BGB a.F.) zur Entziehung des Pflichtteils berechtigte.
Da die Pflichtteilsentziehung mit ihrem außerordentlichen Gewicht und ihrem demütigenden Charakter einer "Verstoßung über den Tod hinaus" nahe kommt, kommt sie nur bei einer schweren Verletzung der dem Erblasser geschuldeten familiären Achtung in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 6. Dezember 1989 - IVa ZR 249/88, BGHZ 109, 306, 312 f.). Hierbei können auch Verfehlungen gegen das Eigentum oder das Vermögen des Erblassers genügen. Sie müssen aber nach der Natur der Verfehlung und der Art und Weise, wie sie begangen worden sind, eine grobe Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnisses zum Ausdruck bringen und deshalb eine besondere Kränkung des Erblassers bedeuten (vgl. Senatsurteil vom 1. März 1974 - IV ZR 58/72, NJW 1974, 1084 unter 2; MünchKomm-BGB/Lange, § 2333 Rn. 21; Soergel/Dieckmann, BGB 13. Aufl. § 2333 Rn. 9).
Ein derart schweres vorsätzliches Vergehen i.S. von § 2333 Nr. 3 BGB a.F. ist hier anzunehmen. Nach dem unstreitigen und daher vom Revisionsgericht zugrunde zu legenden Sachverhalt hatte die Erblasserin ihrem Sohn einen Betrag von 72.000 DM überlassen, damit er von diesem notwendige Arbeiten an ihrem Haus ausführt. Lediglich der Rest sollte ihm geschenkt sein. Außerdem hatte er einen Goldbarren im Wert von 20.000 DM in Verwahrung genommen. Tatsächlich hat der Sohn keinerlei Arbeiten ausgeführt und weder das Geld noch den Goldbarren zurückgegeben sowie in der Folgezeit jeden Kontakt mit der Erblasserin abgebrochen.
(2) Andere unterscheiden danach, ob der nähere Abkömmling aufgrund einer negativen Verfügung von Todes wegen enterbt wurde (§ 1938 BGB) oder ob er - nur - infolge einer erschöpfenden Erbeinsetzung eines Dritten übergangen wurde. Nur im ersten Fall könne angenommen werden, dass der nähere Abkömmling zur gesetzlichen Erbfolge nicht berufen sein und der entferntere Abkömmling an dessen Stelle einrücken soll (vgl. von Jacubetzky, Recht 1906, 281, 282; Kretzschmar, Recht 1908, 793, 794 f.; so wohl auch MünchKomm-BGB/Leipold, 5. Aufl. § 1924 Rn. 30 f.; Soergel/Dieckmann, BGB 13. Aufl. § 2309 Rn. 2, 7 ff., 12; Staudinger/Werner, BGB [2008] § 1924 Rn. 11, 19; ausdrücklich a.A. und eine derartige Differenzierung nicht treffend: RGZ 93, 193, 195; MünchKomm-BGB/Lange, 5. Aufl. § 2309 Rn. 12; Staudinger/Ferid/Cieslar, BGB [1983] § 2309 Rn. 26; Maenner, Recht 1920, 134, 135).
Das kann hier dahinstehen. Durch die letztwillige Verfügung im notariellen Testament vom 21. Mai 2001, in dem die Erblasserin dem Vater der Parteien zusätzlich den Pflichtteil entzogen hat, hat sie zum Ausdruck gebracht, dass dieser gänzlich vom Nachlass ausgeschlossen sein soll, und mithin auch eine Anordnung i.S. von § 1938 BGB getroffen. Dies hat das Berufungsgericht für § 2309 BGB zutreffend zugrunde gelegt und festgestellt, dass der Vater der Parteien infolge der Enterbung wie ein bereits zum Zeitpunkt des Erbfalls verstorbener näherer Abkömmling zu betrachten sei.
(3) Die herrschende Meinung wird in neuerer Zeit von vereinzelten Stimmen in der Literatur in Zweifel gezogen. Ein entfernterer Abkömmling könne aufgrund einer Verfügung des Erblassers nicht in die Stellung eines gesetzlichen Erben einrücken und damit - im Falle der eigenen Enterbung - auch nicht pflichtteilsberechtigt werden (vgl. Hk-PflichtteilsR/Heisel, § 2309 Rn. 12; Staudinger/Haas, BGB [2006] § 2309 Rn. 16 f., 31 ff.; Bestelmeyer, FamRZ 1997, 1124, 1130 ff.; Heymann, Die Grundzüge des gesetzlichen Verwandten-Erbrechts 1896 S. 53 f.; i.E. ähnlich Strohal, Das Pflichtteilsrecht der entfernteren Abkömmlinge und der Eltern des Erblassers 1899 S. 8 f.). Begründet wird dies vor allem damit, dass das Bürgerliche Gesetzbuch für den Fall der Enterbung keine Vorversterbensfiktion kenne (Hk-PflichtteilsR/Heisel, § 2309 Rn. 12; Staudinger/Haas, BGB [2006] § 2309 Rn. 16; Bestelmeyer, FamRZ 1997, 1124, 1130) und es daher nicht zum Eintreten des entfernteren Abkömmlings nach § 1924 Abs. 3 BGB komme. Zudem dürfe eine letztwillige Verfügung nicht in einzelne enterbende Verfügungen aufgespalten werden, nach denen die entfernteren Abkömmlinge zunächst gesetzliche Erben und sodann selbst enterbt würden. Das ließe unberücksichtigt, dass sich die Frage, wer zum Erbe kraft Gesetzes berufen sei, erst im Erbfall stellen könne. Daher werde nur der nähere Abkömmling als gesetzlicher Erbe ausgeschlossen, nicht aber die entfernteren, die zu diesem Zeitpunkt nicht gesetzliche Erben seien (so Bestelmeyer, FamRZ 1997, 1124, 1131).
Weiter wird vorgebracht, dass die aus der Testierfreiheit fließende Befugnis des Erblassers, jemanden von der gesetzlichen Erbfolge auszuschließen, für die Frage der Pflichtteilsberechtigung keine Beachtung finden könne. § 2303 BGB knüpfe an den hypothetischen Fall der gesetzlichen Erbfolge an, ein entfernterer Verwandter könne daher aufgrund einer Verfügung des Erblassers nicht pflichtteilsberechtigt werden (so Staudinger/Haas, BGB [2006] § 2309 Rn. 16).
(4) Zutreffend ist die vom Reichsgericht begründete Auffassung.
Für vergleichbare Fallkonstellationen der Ausschlagung (§ 1953 Abs. 2 BGB), der Erbunwürdigkeit (§ 2344 Abs. 2 BGB) sowie des beschränkten Erbverzichts (§ 2346 Abs. 1 Satz 2, § 2349 BGB) hat der Gesetzgeber zwar eine Regelung dahin getroffen, dass in diesen Fällen die Erbschaft demjenigen anfällt, welcher berufen sein würde, wenn der Weggefallene zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte. Dass eine solche gesetzliche Bestimmung für die Ausschließung eines Abkömmlings von der Erbfolge durch Verfügung von Todes wegen fehlt, rechtfertigt jedoch nicht den Schluss, dass es in dieser Konstellation nicht zum Eintreten des Abkömmlings nach § 1924 Abs. 3 BGB kommen kann. Denn die Entstehungsgeschichte der genannten Normen - einschließlich derjenigen des § 1924 BGB - belegt, dass der Gesetzgeber einen Gleichlauf der Folgen der Ausschlagung, der Ausschließung durch Verfügung von Todes wegen und der Erbunwürdigkeit beabsichtigte.
(aa) Der 1. Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs enthielt - im Einklang mit den Motiven - in § 1972 eine Regelung, nach der die Fälle der Ausschlagung, des Ausschlusses, des Erbverzichts und der Erbunwürdigkeit gleich behandelt werden sollten und der gesetzliche Erbe "in Ansehung der gesetzlichen Erbfolge als vor dem Erbfalle gestorben anzusehen" sei. Dies wurde von der 2. Kommission "sachlich ohne Widerspruch" gebilligt (vgl. Protokolle V, S. 483; davon ausgehend auch Protokolle V, S. 512 zum späteren § 2309 BGB, wonach der nähere Abkömmling durch "Ausschließung von der gesetzlichen Erbfolge … als gesetzlicher Erbe in Fortfall kommt"; ferner Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Erbrecht Bd. 1 S. 79 zu den Beratungen der 1. Kommission). Mit Blick auf die ausdrücklichen Regelungen bei Ausschlagung und Erbunwürdigkeit sollte § 1972 des 1. Entwurfs jedoch neu gefasst werden und sich nur noch auf die Ausschließung durch letztwillige Verfügung und den Erbverzicht erstrecken. In späteren Beratungen gelangte die 2. Kommission - ergänzend - dazu, das noch dem 1. Entwurf zugrunde liegende Prinzip (vgl. Motive V, S. 480 f.), dass der Erbverzicht nicht das selbständige Erbrecht von Abkömmlingen berühren solle, zugunsten einer Regelung aufzugeben, nach der "im Zweifel auch die Abkömmlinge des Verzichtenden von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen" würden (vgl. Protokolle V, S. 604 ff.).
In der Folge hat die Redaktionskommission jedoch davon abgesehen, eine § 1972 des 1. Entwurfs entsprechende Bestimmung zu übernehmen; eine derartige Regelung fehlt daher im nachfolgenden Teilentwurf zum Erbrecht und im Bürgerlichen Gesetzbuch. Dafür, dass damit jedoch eine Änderung betreffend das Erbrecht entfernterer Abkömmlinge im Falle des Ausschlusses des näheren Abkömmlings einhergehen sollte, bestehen keine Anhaltspunkte. Der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuchs ging - entsprechend dem Gedanken des § 1972 des 1. Entwurfs - davon aus, dass die Entziehung des gesetzlichen Erbrechts, soweit nichts anderes angeordnet ist, nicht über die Person des unmittelbar Betroffenen hinauswirken soll (vgl. RGZ 61, 14, 17 f.; Staudinger/Werner, BGB [2008] § 1924 Rn. 19).
Die mögliche Nachfolge eines entfernteren Abkömmlings in die Stellung als gesetzlicher Erbe bei gleichzeitigem Bestehen einer Pflichtteilsberechtigung des näheren Abkömmlings, die nach § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB die Ausschließung von der gesetzlichen Erbfolge zugunsten des - neuen - gesetzlichen Erben erfordert, setzt auch die Regelung des § 2320 BGB voraus (vgl. RG, JW 1913, 869, 870).
(bb) Es trifft nicht zu, dass einer letztwilligen Verfügung nicht einzelne enterbende Verfügungen entnommen werden können. In Rechtsprechung und Lehre ist vielmehr anerkannt, dass eine Enterbung des entfernteren Abkömmlings zwar nicht schon alleine in der Ausschließung des näheren Abkömmlings gründet, jedoch dann anzunehmen ist, wenn sich ein dahin gehender, zusätzlicher Erblasserwille feststellen lässt (vgl. nur BGH, Urteil vom 14. Januar 1959 - V ZR 28/58, FamRZ 1959, 149 unter I 1; RGZ 61, 14, 16; RG, JW 1913, 869, 870; MünchKomm-BGB, 5. Aufl. § 1924 Rn. 31; Soergel/Stein, BGB 13. Aufl. § 1924 Rn. 34, § 1938 Rn. 7; a.A. Bähr, Archiv für bürgerliches Recht, Bd. 3 [1899] S. 141, 200).
(cc) Die Enterbung des näheren Abkömmlings führt zunächst nur zum Einrücken des entfernteren in die Stellung als gesetzlicher Erbe, so dies nach dem Erblasserwillen anzunehmen ist. Erst durch eine weitere Verfügung, mit der nunmehr auch der entferntere Abkömmling von der Erbfolge ausgeschlossen wird, kommt diesem eine Pflichtteilsberechtigung nach § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB zu. Diese leitet sich jedoch nicht aus einer Verfügung von Todes wegen ab, sondern gründet in dem selbständigen Erbrecht des entfernteren Abkömmlings. Infolge der Enterbung von Abkömmlingen mehrerer Stufen kommt es dann zu einer möglichen Konkurrenz von Pflichtteilsansprüchen, die durch § 2309 BGB eine Regelung erfahren hat.
(dd) Die abweichende Auffassung würde schließlich zu Wertungswidersprüchen führen, die von der herrschenden Meinung vermieden werden. Denn die Nachkommen eines näheren Abkömmlings, der lediglich enterbt wurde, würden schlechter stehen, als diejenigen eines näheren Abkömmlings, gegenüber dem das Verdikt der Erbunwürdigkeit aus den Gründen des § 2339 BGB ausgesprochen wurde (vgl. Soergel/Dieckmann, BGB 13. Aufl. § 2309 Rn. 12).
b) Infolge der Einsetzung des Beklagten im notariellen Testament vom 21. Mai 2001 zum Alleinerben wurde der Kläger durch Verfügung von Todes wegen von der gesetzlichen Erbfolge nach seiner Großmutter - stillschweigend - ausgeschlossen (vgl. MünchKomm-BGB/Lange, 5. Aufl. § 2303 Rn. 18, § 2309 Rn. 12). Hierdurch erlangte er ein Pflichtteilsrecht nach § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB.
2. Für die vom Kläger verfolgten Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche ist weiter maßgeblich, ob er in deren Geltendmachung durch § 2309 BGB beschränkt ist. Danach ist er als entfernterer Abkömmling insoweit nicht pflichtteilsberechtigt, als ein Abkömmling, der ihn im Falle der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde, den Pflichtteil verlangen kann oder das ihm Hinterlassene annimmt.
a) § 2309 BGB setzt nach nahezu einhelliger Meinung eine nach allgemeinen Vorschriften bestehende Pflichtteilsberechtigung des entfernteren Abkömmlings - hier des Klägers - voraus, beschränkt diese aber (vgl. MünchKomm-BGB/Lange, 5. Aufl. § 2309 Rn. 2, 5; Soergel/Dieckmann, BGB 13. Aufl. § 2309 Rn. 1; Staudinger/Haas, BGB [2006] § 2309 Rn. 5; Ebbecke, LZ 1919, 505, 511 f.; Kretzschmar, Recht 1908, 793, 795 f.). Dadurch soll eine Vervielfältigung der Pflichtteilslast vermieden werden, die ansonsten durch das Nachrücken entfernterer Abkömmlinge in den Kreis der Pflichtteilsberechtigten entstehen würde; dem jeweiligen Stamm soll nur ein Pflichtteil zukommen (vgl. statt vieler Motive V, S. 401 f.; Protokolle V, S. 512; MünchKomm-BGB/Lange, 5. Aufl. § 2309 Rn. 1; Soergel/Dieckmann, BGB 13. Aufl. § 2309 Rn. 1; Staudinger/Haas, BGB [2006] § 2309 Rn. 5).
Dem Kläger als entfernterem Abkömmling steht daher ein nicht beschränktes Pflichtteilsrecht zu, wenn - und soweit - sein Vater als näherer Abkömmling selbst den Pflichtteil nicht fordern kann, weil ihm dieser wirksam nach § 2333 BGB entzogen wurde (vgl. dazu Motive V, S. 402; J. Mayer in Bamberger/Roth, BGB 2. Aufl. § 2309 Rn. 8; MünchKomm-BGB/Frank, 3. Aufl. § 2309 Rn. 12; Soergel/Dieckmann, BGB 13. Aufl. § 2309 Rn. 3, 17; Staudinger/Ferid/Cieslar, BGB [1983] § 2309 Rn. 28; Ebbecke, LZ 1919, 505, 510 ff.; von Jacubetzky, Recht 1906, 281, 283; Langheineken, SächsArch 14 [1904], 319, 328 f.).
b) Da die im notariellen Testament vom 21. Mai 2001 ausgesprochene Entziehung des Pflichtteils aufgrund der Verfehlungen des Vaters der Parteien gegenüber der Erblasserin gestützt auf § 2333 Nr. 3 BGB a.F. wirksam erfolgen konnte und den formellen Anforderungen nach § 2336 Abs. 1, 2 BGB a.F. genügte, ist dieser nicht berechtigt, seinerseits den Pflichtteil zu verlangen, und somit nicht in der Lage, den Kläger nach § 2309 BGB von der Geltendmachung seiner Pflichtteilsberechtigung auszuschließen.
Anders als das Berufungsgericht meint, kann dies auch im hier zu entscheidenden Rechtsstreit zwischen entfernterem Abkömmling und Erben festgestellt werden. Denn die Selbständigkeit der Pflichtteilsberechtigung des Klägers als entfernterem Abkömmling steht der Annahme entgegen, dass nach Eintritt des Erbfalls die Wirksamkeit der Pflichtteilsentziehung nur in einem Rechtsstreit des näheren Abkömmlings mit dem Erben geklärt werden könne. Dies würde zu dem unannehmbaren Ergebnis führen, dass der Erbe die Absicht des Erblassers, der seinem Kind den Pflichtteil zur Strafe entzieht, ihn aber seinem Enkel erhalten will, ohne Zuziehung des letzteren durchkreuzen und sich von seiner Pflichtteilslast durch Verständigung mit einem nicht berechtigten, ihm willfährigen Abkömmling ganz oder zum Teil befreien könnte (RGZ 93, 193, 196). Der Erbe ist durch die Möglichkeit der Streitverkündung nach § 72 ZPO und der Hinterlegung nach § 372 BGB hinreichend davor geschützt, die dem Pflichtteilsberechtigten geschuldete Leistung mehrfach erbringen zu müssen, weil diejenige an einen nicht berechtigten Abkömmling nicht gegenüber dem berechtigten befreit (RGZ aaO; vgl. auch J. Mayer in Bamberger/Roth, BGB 2. Aufl. § 2309 Rn. 8; Erman/Schlüter, BGB 12. Aufl. § 2309 Rn. 1; Johannsen in BGB-RGRK, 12. Aufl. § 2309 Rn. 2; Soergel/Dieckmann, BGB 13. Aufl. § 2309 Rn. 18; Ebbecke, LZ 1919, 505, 513 f.).
III. Auf die Revision des Klägers ist das Berufungsurteil daher aufzuheben und der Beklagte in Änderung des landgerichtlichen Urteils zur Erteilung von Auskunft zu verurteilen (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 3 ZPO).
Dabei ist dem diesbezüglichen Begehren allerdings nicht im vollen Umfang zu entsprechen. Der Kläger kann Auskunft nach § 2314 Abs. 1 Satz 1 BGB zwar nicht nur über die tatsächlich vorhandenen Nachlassgegenstände, sondern auch über den so genannten fiktiven Nachlassbestand verlangen, also über anrechnungs- (§ 2315 BGB) und ausgleichspflichtige Zuwendungen (§§ 2316, 2050 ff. BGB), zu denen eine Ausstattung nach § 1624 BGB zählt (vgl. nur MünchKomm-BGB/v. Sachsen Gessaphe, 5. Aufl. § 1624 Rn. 15), sowie über Schenkungen der Erblasserin und über Verbindlichkeiten des Nachlasses (vgl. nur Senatsurteil vom 9. November 1983 - IVa ZR 151/82, BGHZ 89, 24, 27; MünchKomm-BGB/Lange, 5. Aufl. § 2314 Rn. 5). Die Auskunftsverpflichtung über Schenkungen betrifft jedoch nur nach § 2325 BGB ergänzungspflichtige (vgl. dazu BGH, Urteil vom 2. November 1960 - V ZR 124/59, BGHZ 33, 373, 374; Tanck in Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz, Handbuch Pflichtteilsrecht 2. Aufl. § 14 Rn. 130; Kasper in Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht § 9 Rn. 58), so dass dem insofern unbeschränkt verfolgten Begehren teilweise nicht stattzugeben ist.
Darüber hinaus ist der Rechtsstreit zur Entscheidung über die weiteren im Wege der Stufenklage (§ 254 ZPO) geltend gemachten Klaganträge in analoger Anwendung von § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO auf Antrag des Klägers an das Landgericht zurückzuverweisen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 3. Mai 2006 - VIII ZR 168/05, NJW 2006, 2626 Rn. 13 ff.).
Dr. Kessal-Wulf Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller