Entscheidungsdatum: 22.01.2014
Zur Auslegung eines "unwiderruflichen Bezugsrechts mit Vorbehalt" des Arbeitnehmers in einem vom Arbeitgeber für ihn geschlossenen Rentenversicherungsvertrag für den Fall der insolvenzbedingten Beendigung des Arbeitsverhältnisses (im Anschluss an BGH, Urteile vom 8. Juni 2005, IV ZR 30/04, VersR 2005, 1134 und vom 3. Mai 2006, IV ZR 134/05, VersR 2006, 1059).
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 16. Mai 2013 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Die Parteien streiten im Revisionsverfahren noch um die Bezugsberechtigung aus drei Rentenversicherungsverträgen, die die A. -S. -W. GmbH & Co KG (im Folgenden: Versicherungsnehmerin) bei der Beklagten im Rahmen eines Gruppenversicherungsvertrages für ihre Arbeitnehmer Birgit T. , Jürgen T. und Francesco M. abgeschlossen hatte. Der Versicherungsbeginn lag in den genannten Fällen zwischen dem 1. April 2007 und dem 1. Februar 2008.
In diesen Versicherungen war zugunsten der Arbeitnehmer ein "unwiderrufliches Bezugsrecht mit Vorbehalt" vereinbart. Dieser Vorbehalt ging nach den vereinbarten Bedingungen - mit leicht unterschiedlichen Formulierungen in den einzelnen Fällen - übereinstimmend dahin, dass die Versicherungsnehmerin berechtigt war, Versicherungsleistungen für sich in Anspruch zu nehmen, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalles endete und der Arbeitnehmer zu dieser Zeit noch keine unverfallbare Anwartschaft hatte, was erst dann der Fall sein sollte, wenn er zum Zeitpunkt des Ausscheidens das 30. Lebensjahr vollendet hatte und die Versicherung fünf Jahre bestand.
Über das Vermögen der Versicherungsnehmerin wurde am 17. Mai 2011 das Insolvenzverfahren eröffnet. Aus diesem Grunde endeten die Arbeitsverhältnisse der genannten Arbeitnehmer. Der zum Insolvenzverwalter der Versicherungsnehmerin bestellte Kläger begehrte in dieser Eigenschaft die Auszahlung der Rückkaufswerte der fraglichen drei Versicherungen sowie derjenigen von zwei weiteren Arbeitnehmern in einer Gesamthöhe von insgesamt 7.265,06 €.
Er hat geltend gemacht, dass noch keiner der betroffenen Arbeitnehmer eine unverfallbare Anwartschaft erworben habe. Die Beklagte meint, die Klausel zum Bezugsrecht sei in allen Fällen einschränkend dahin auszulegen, dass der Vorbehalt nicht in den Fällen insolvenzbedingten Ausscheidens des Arbeitnehmers gelte.
Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich der Rückkaufswerte aus den Versicherungen der eingangs genannten Arbeitnehmer in Höhe von 3.690,18 € nebst Zinsen sowie wegen außergerichtlicher Kosten in Höhe von 169,25 € stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Revision der Beklagten.
Die Revision hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass dem Kläger der Anspruch auf Auszahlung der Rückkaufswerte zustehe, nachdem er mit Schreiben vom 24. Mai 2011 erklärt habe, die Gruppenversicherung zur Insolvenzmasse einzuziehen, womit er die Verträge konkludent gekündigt und zugleich die bisherige Bezugsberechtigung der versicherten Arbeitnehmer widerrufen habe.
Im Verfahren 3 AZR 334/06 sei durch Vorlage des Bundesarbeitsgerichts an den Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes (im Folgenden kurz: Gemeinsamer Senat) Einigkeit über die Rechtsweggrenzen hinweg erzielt worden, dass die Vertragsklausel über die eingeschränkt unwiderrufliche Bezugsberechtigung des Arbeitnehmers so auszulegen sei, dass der Vorbehalt "ohne weiteres" auch die insolvenzbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfasse. Es komme deshalb entscheidend darauf an, ob sich "außerhalb des Wortlautes" der Klausel Umstände fänden, die ein anderes Verständnis des Vorbehalts geböten. Das sei nicht der Fall. Die von der Beklagten dargelegten Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern begründeten derartige Umstände nicht, sondern seien solche, die sich gerade "ohne weiteres" aus dem Vorbehalt ergäben.
Das im Vorlageverfahren an den Gemeinsamen Senat herbeigeführte Einvernehmen bedeute insofern "an sich" eine Abkehr von der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in dessen Urteilen vom 8. Juni 2005 (IV ZR 30/04, VersR 2005, 1134) und vom 3. Mai 2006 (IV ZR 134/05, VersR 2006, 1059).
II. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat bei seiner Auslegung des Bezugsrechtsvorbehalts die Interessen der Beteiligten zu Unrecht nicht berücksichtigt.
1. Im Ansatz zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass der Erfolg der Klage davon abhängt, ob die Rechte aus den Versicherungsverträgen der Masse zustehen, weil bezüglich des Bezugsrechts noch eine Widerrufsmöglichkeit bestand, oder ob sie zum Vermögen der Arbeitnehmer gehören und ihnen ein Aussonderungsrecht zusteht. Dabei steht das eingeschränkt unwiderrufliche Bezugsrecht einem uneingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrecht in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht gleich, solange die tatbestandlichen Voraussetzungen des vereinbarten Vorbehalts nicht erfüllt sind (Senatsurteile vom 8. Juni 2005 - IV ZR 30/04, VersR 2005, 1134 unter II 2; vom 3. Mai 2006 - IV ZR 134/05, VersR 2006, 1059 Rn. 10; BAGE 134, 372 Rn. 23).
Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt - da die Arbeitsverhältnisse hier beendet sind und Unverfallbarkeit der Anwartschaften unstreitig noch nicht gegeben war - allein davon ab, ob die Klausel einschränkend dahin auszulegen ist, dass sie die Fälle insolvenzbedingter Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht erfasst.
2. Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an. Liegt - wie hier - ein Gruppenversicherungsvertrag und damit eine Versicherung zugunsten Dritter vor, so kommt es daneben auch auf die Verständnismöglichkeiten durchschnittlicher Versicherter und ihre Interessen an (Senatsurteil vom 8. Mai 2013 - IV ZR 233/11, VersR 2013, 853 Rn. 40 m.w.N; st. Rspr.).
a) Dabei werden sowohl die Versicherungsnehmerin als auch die Versicherten zunächst vom Wortlaut der Bedingung ausgehen. Insoweit schließt der Vorbehalt zum Widerruf der Bezugsberechtigung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor eingetretener Unverfallbarkeit der Anwartschaft die Fälle insolvenzbedingter Beendigung "ohne weiteres" ein, weil der Wortlaut nicht auf den Beendigungsgrund abstellt (vgl. die Stellungnahme des Senats im Verfahren GmS-OGB 2/07 vom 21. August 2009, wiedergegeben in BAGE 134, 372 Rn. 44).
b) Hierauf darf sich die Auslegung jedoch nicht beschränken. Auch in Fällen insolvenzbedingter Beendigung ist zu fragen, ob der erkennbare Sinnzusammenhang der Klausel unter Berücksichtigung der Interessen von Versicherungsnehmern und Versicherten eine von einem reinen Wortlautverständnis abweichende Interpretation gebietet.
aa) Insoweit hat der Senat - wie das Berufungsgericht noch zutreffend erkennt - schon in seiner früheren Rechtsprechung entscheidend darauf abgestellt, dass dem Arbeitnehmer bei einer nur am Wortlaut orientierten Auslegung die erworbenen Versicherungsansprüche auch in den Fällen entzogen würden, die sich seiner Einflussnahme entziehen und auch sonst nicht seiner Sphäre zuzuordnen sind, sowie dass sich der Arbeitgeber mit dem Vorbehalt auch der weiteren Betriebstreue des Arbeitnehmers vergewissern wolle, wofür es aber genüge, dass der Vorbehalt solche Beendigungsgründe erfasst, die neben der freiwilligen Aufgabe des Arbeitsplatzes auch sonst auf die Person und das betriebliche Verhalten des Arbeitnehmers zurückzuführen sind (Urteile vom 8. Juni 2005 - IV ZR 30/04, VersR 2005, 1134 unter II 3 b; vom 3. Mai 2006 - IV ZR 134/05, VersR 2005, 1059 Rn. 14 ff.). Bei dieser Interessenlage der Arbeitnehmer einerseits und des Arbeitgebers andererseits, die dem Vorbehalt regelmäßig zugrunde liegt, handelt es sich um einen außerhalb des Wortlauts liegenden Umstand.
Maßgeblich für die Auslegung des Vorbehalts ist dabei allein die Interessenlage, wie sie sich im Zeitpunkt der Begründung des Versicherungsschutzes darstellt, so dass die Interessen von Insolvenzgläubigern nach der erst später erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Rolle spielen können.
Zwar meint das Berufungsgericht, diese Interessenlage sei bereits im Wortlaut der Klausel dadurch hinreichend angesprochen, dass die Versicherten als Arbeitnehmer, die Versicherungsnehmerin als Arbeitgeber und das Versicherungsprodukt als der betrieblichen Altersversorgung dienend benannt sei(en), und hieraus folge, dass sich der beschriebene Interessenkonflikt allein anhand des Wortlautes der Vertragsklausel "ohne weiteres" entwickeln lasse. Dies trifft aber nicht zu.
Vielmehr sind der Wortlaut einer vertraglichen Regelung und die Interessenlage der Vertragsbeteiligten zwei unterschiedliche, streng voneinander zu unterscheidende Auslegungskriterien. Dies wird besonders in denjenigen Fällen deutlich, in denen die erkennbare Interessenlage ein vom eindeutigen Wortlaut abweichendes Auslegungsergebnis erfordert. Daran ändert es nichts, wenn sich ein Hinweis auf die maßgeblichen Interessen bereits aus dem Wortlaut selbst ergibt. Dies macht die Interessenberücksichtigung nicht zu einem Teil der Wortlautauslegung.
bb) Die Berücksichtigung vorgenannter Gesichtspunkte bei der Auslegung des Vorbehalts hat das Berufungsgericht ferner auch deshalb zu Unrecht abgelehnt, weil es unzutreffend der Auffassung ist, das im Vorlageverfahren vor dem Gemeinsamen Senat herbeigeführte Einvernehmen bedeute eine Abkehr von der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes.
Eine derartige Abkehr hat es weder im Vorlageverfahren vor dem Gemeinsamen Senat noch danach gegeben. Der Senat hat in seiner Stellungnahme im Verfahren GmS-OGB 2/07 (aaO) im Gegenteil ausdrücklich klargestellt, dass Auslegungsgesichtspunkte außerhalb des Wortlauts, die ein anderes Verständnis gebieten könnten, von seiner Bejahung der präzisierten Vorlagefrage nicht berührt würden, weil diese Frage ausschließlich aufgrund des in der Frage gegebenen Wortlauts zu beantworten sei und beantwortet werde. Damit ist auch in diesem Vorlageverfahren das Primat der Auslegung klargestellt worden, und der Senat hat danach weiter daran festgehalten, dass es jeweils der Auslegung im Einzelfall bedarf, wann die tatbestandlichen Voraussetzungen eines solchen Vorbehalts erfüllt sind (Senatsurteil vom 2. Dezember 2009 - IV ZR 65/09, VersR 2010, 517 Rn. 10; Senatsbeschluss vom 6. Juni 2012 - IV ZA 23/11, NZI 2012, 762 Rn. 3).
cc) Dies steht ferner nicht im Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Dieses hat vielmehr ebenfalls ausgeführt, dass Umstände außerhalb der Urkunde bei der Auslegung zu berücksichtigen sind und daher eine Auslegung im Einzelfall geboten ist (BAGE 134, 372 Rn. 46 und 48). Zu diesen Umständen zählt - wie dargelegt - die das Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers beeinflussende Interessenlage der Vertragsparteien und der Versicherten bei Vertragsschluss. Dagegen wird sein Verständnis vom Inhalt einer versicherungsvertraglichen Bezugsrechtserklärung regelmäßig nicht entscheidend von der - ihm in der Regel unbekannten - gesetzlichen Bestimmung des § 1b BetrAVG beeinflusst, die dem Arbeitgeber einen Widerruf des Bezugsrechts erst ab Eintritt der Unverfallbarkeit verbietet.
III. Das Berufungsgericht wird daher, ggf. nach ergänzendem Vortrag der Parteien, erneut zu prüfen haben, ob unter Berücksichtigung dieser Interessen eine von einem reinen Wortlautverständnis abweichende Interpretation der Bezugsrechtsklausel geboten ist oder ob andere Gesichtspunkte vorliegen, die auch unter Berücksichtigung dieser Interessen ein Festhalten am Wortlaut gebieten.
Mayen Wendt Felsch
Lehmann Dr. Brockmöller