Entscheidungsdatum: 25.01.2017
Die Revision der Beklagten und die Anschlussrevision des Klägers gegen das Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 17. März 2015 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen die Beklagte zu 64% und der Kläger zu 36%.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 2.431,67 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Rentenversicherung.
Diese wurde nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. Januar 2006 nach dem so genannten Antragsmodell abgeschlossen. D. VN zahlte fortan die Versicherungsbeiträge, insgesamt 3.005 €.
Zum 1. Mai 2010 kündigte d. VN den Vertrag. Der Versicherer zahlte daraufhin den Rückkaufswert in Höhe von 1.440,65 € aus.
Mit Schreiben vom 20. Oktober 2010 erklärte d. VN "den Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. bzw. nach § 8 VVG, bzw. den Widerruf nach § 355 BGB".
Mit der Klage hat d. VN - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts verlangt.
Nach Auffassung d. VN ist er wirksam vom Versicherungsvertrag zurückgetreten. Da er nicht ordnungsgemäß über sein Rücktrittsrecht belehrt worden sei, habe er auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. den Rücktritt noch erklären können.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat ihr auf die Berufung d. VN in Höhe von 1.553,76 € stattgegeben und die weitergehende Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision begehrt der Versicherer Aufhebung des Berufungsurteils und auch im Übrigen Zurückweisung der Berufung. D. VN verfolgt mit der Anschlussrevision das Klagebegehren in Höhe von 877,91 € weiter.
Die Revision und die Anschlussrevision haben keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass der Vertrag nach dem Antragsmodell zustande gekommen sei - was die Revision nicht angreift. D. VN habe den Rücktritt wirksam erklärt. Eine ordnungsgemäße Belehrung über das Rücktrittsrecht liege nicht vor. Die im Antragsformular enthaltene Rücktrittsbelehrung enthalte keinen Hinweis darauf, in welcher Form der Rücktritt zu erklären sei. Außerdem sei sie in einer Reihe anderer Erklärungen und Hinweise aufgeführt, ohne drucktechnisch in irgendeiner Form hervorgehoben zu sein. Die gewählte Form der Darstellung gewährleiste nicht in ausreichender Weise, dass d. VN sein Recht zum Rücktritt zur Kenntnis nehme. Die Belehrung über das Rücktrittsrecht sei auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Versicherungsmakler, der für d. VN tätig geworden sei, nach dem unstreitig gebliebenen Vortrag des Versicherers Kenntnis von dem Rücktrittsrecht gehabt habe. Die Funktion der Belehrung - Gewährleistung der Kenntnis des Verbrauchers über sein Recht zum Rücktritt - erfordere, dass d. VN das Rücktrittsrecht persönlich in ordnungsgemäßer Form bewusst gemacht werde, wofür der Versicherer verantwortlich sei. Diese Belehrungspflicht erfülle der Versicherer nicht dadurch, dass er den Versicherungsmakler unterrichte oder dieser das Rücktrittsrecht aus anderen Gründen kenne.
Der Rücktritt sei nicht gemäß § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. einen Monat nach der ersten Prämienzahlung verfristet. Diese Regelung sei richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass sie den Rücktritt auf Dauer nicht hindere.
Der Rücktritt sei nicht gemäß § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB a.F. ausgeschlossen. Die Vorschrift sei nicht analog anwendbar, da der geregelte Sachverhalt und der streitgegenständliche nicht vergleichbar seien. Die Vorschrift diene der Einschränkung des aufgrund Fernabsatzvertriebs gewährten Widerrufsrechts für den Fall, dass innerhalb der Widerrufsfrist Umstände eintreten könnten, die den Wert der angebotenen Leistung maßgeblich veränderten. Mit diesem Fall sei das Rücktrittsrecht gemäß § 8 Abs. 5 Satz 1 VVG a.F., das explizit für Versicherungen der streitgegenständlichen Art, mithin nicht aufgrund eines bestimmten Vertriebswegs, sondern aufgrund der Art des abgeschlossenen Rechtsgeschäfts, vorgesehen sei, nicht vergleichbar. Darüber hinaus fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber habe in § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB a.F. eine spezielle Regelung geschaffen, der er das Widerspruchs- und Rücktrittsrecht des VVG nicht unterstellt habe.
Gemäß § 346 Abs. 1 BGB habe der Versicherer die empfangenen Leistungen in Höhe von 1.553,76 € herauszugeben. Er schulde Herausgabe der gezahlten Prämien in Höhe von 3.005 €. Der Rückzahlungsanspruch sei durch die vorprozessual geleistete Zahlung des Versicherers in Höhe von 1.440,65 € und durch eine weitere Zahlung in Höhe von 8,23 € im Verlauf des Prozesses erfüllt. Als Wertersatz sei ein Betrag in Höhe von 2,36 € (Risikobeitrag) abzuziehen.
Der Versicherer habe grundsätzlich auch die gezogenen Nutzungen herauszugeben. Nach seinem unwidersprochen gebliebenen Vortrag, sämtliche Prämienbeiträge, soweit sie nicht zur Deckung von Vertragskosten verwendet worden seien, vertragsgemäß für d. VN investiert zu haben, sei davon auszugehen, dass er die vom VN pauschal behaupteten Nutzungen so nicht gezogen habe.
II. Die Revision des Versicherers ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat d. VN zu Recht einen Anspruch aus § 346 Abs. 1 BGB auf Rückgewähr der gezahlten Prämien unter Anrechnung der vom Versicherer bereits geleisteten Zahlungen zuerkannt.
1. Es hat zutreffend angenommen, dass d. VN das Rücktrittsrecht aus § 8 Abs. 5 Satz 1 VVG a.F. wirksam ausgeübt hat.
a) Die mit Schreiben vom 20. Oktober 2010 abgegebene Erklärung d. VN kann ungeachtet ihrer Bezeichnung als "Widerspruch" als Rücktrittserklärung nach § 8 Abs. 5 Satz 1 VVG a.F. ausgelegt werden, zumal § 8 VVG a.F. ausdrücklich genannt wird. Entscheidend ist, dass darin der unbedingte Wille zum Ausdruck kommt, sich rückwirkend vom Vertrag lösen und die Rückzahlung sämtlicher Prämien geltend machen zu wollen (vgl. Senatsurteil vom 29. Juni 2016 - IV ZR 24/14, r+s 2016, 556 Rn. 11 m.w.N.).
b) Das Berufungsgericht hat die im Antragsformular enthaltene Belehrung ohne Rechts- oder Verfahrensfehler als nicht ordnungsgemäß gewertet.
aa) Eine - vom Berufungsgericht vermisste - drucktechnische Hervorhebung der Belehrung war zwar vom Wortlaut des § 8 Abs. 5 VVG a.F. nicht ausdrücklich vorausgesetzt. Der Senat hat aber zu § 8 Abs. 5 VVG a.F. bereits klargestellt, dass auch eine Belehrung über das Rücktrittsrecht zur Erreichung ihres gesetzlichen Zweckes inhaltlich möglichst umfassend, unmissverständlich und aus Sicht der Verbraucher eindeutig sein musste. Das erforderte eine Form der Belehrung, die dem Aufklärungsziel Rechnung trug und darauf angelegt war, den Angesprochenen aufmerksam zu machen und das maßgebliche Wissen zu vermitteln (Senatsurteile vom 29. Juni 2016 aaO Rn. 14; vom 17. Dezember 2014 - IV ZR 260/11, VersR 2015, 224 Rn. 16; jeweils m.w.N.). Ausgehend davon hat das Berufungsgericht beanstandet, dass die Rücktrittsbelehrung in einer Reihe anderer Erklärungen und Hinweise enthalten war und somit nicht gewährleistete, dass sie vom VN zur Kenntnis genommen wurde. Dagegen wendet sich die Revision - zu Recht - nicht.
bb) Anders als die Revision meint, war eine ordnungsgemäße Belehrung über das Rücktrittsrecht hier auch nicht ausnahmsweise deshalb entbehrlich, weil d. VN bei seinem Antrag auf Abschluss des Versicherungsvertrages durch einen Versicherungsmakler beraten worden ist. Eine ordnungsgemäße Rücktrittsbelehrung war nach § 8 Abs. 5 Satz 3 VVG a.F. gesetzlich vorgeschrieben. Darauf, ob d. VN im Einzelfall trotz nicht ordnungsgemäßer Belehrung von seinem Rücktrittsrecht gleichwohl zutreffend Kenntnis hatte, kommt es nicht an. Die Frage der Ordnungsgemäßheit der Belehrung ist abstrakt zu beurteilen, wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Januar 2016 - IV ZR 130/15, r+s 2016, 230 Rn. 15 m.w.N.).
c) Der Wirksamkeit der Rücktrittserklärung stand nicht der Ablauf der Frist aus § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. entgegen, nach der das Rücktrittsrecht bei unterbliebener Belehrung jedenfalls einen Monat nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Diese Befristung ist unwirksam, wie der Senat aufgrund einer richtlinienkonformen Auslegung des § 8 VVG a.F. entschieden und im Einzelnen begründet hat (Senatsurteil vom 17. Dezember 2014 - IV ZR 260/11, VersR 2015, 224 Rn. 20 ff.; vgl. BVerfG WM 2016, 1780).
d) Die Revision macht ohne Erfolg geltend, die Ausübung des Rücktrittsrechts sei aufgrund der Zurechnung der Kenntnis des Versicherungsmaklers und angesichts der jahrelangen Durchführung des Vertrages mit wiederholten, durch d. VN veranlassten Vertragsänderungen treuwidrig. Dies sind keine besonders gravierenden Umstände (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. November 2015 - IV ZR 117/15, juris Rn. 17 und vom 27. Januar 2016 aaO Rn. 16), die im Ausnahmefall auch dem nicht ordnungsgemäß belehrten VN die Geltendmachung seines Anspruchs verwehren können (vgl. Senatsurteil vom 21. Dezember 2016 - IV ZR 425/14, juris Rn. 14).
e) Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte darauf, der Ausübung des Rücktrittsrechts stehe eine analoge Anwendung des § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB a.F. entgegen, der das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei Fernabsatzverträgen für bestimmte Finanzdienstleistungen ausschließt, zu denen nach Auffassung der Beklagten auch fondsgebundene Rentenversicherungen zählen.
aa) Der früher in § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB a.F., nunmehr in § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 BGB geregelte Ausschluss des Widerrufsrechts (BT-Drucks. 17/12637 S. 56) wurde eingefügt durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen vom 2. Dezember 2004 und trat am 8. Dezember 2004 in Kraft. Darin wurde die so genannte Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen (2002/65/EG, ABl. L 271, S. 16, im Folgenden: Fernabsatzrichtlinie II) umgesetzt.
Im Senatsurteil vom 17. Dezember 2014 (IV ZR 260/11 aaO Rn. 33) konnte offenbleiben, ob die Regelung auch für das in § 8 Abs. 5 VVG a.F. geregelte Rücktrittsrecht und den hier in Rede stehenden Versicherungsvertrag Geltung beansprucht; eine - auch analoge - Anwendung kam seinerzeit schon deshalb nicht in Betracht, weil der zeitliche Geltungsbereich der Norm nicht eröffnet war.
bb) Hier könnte § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB a.F. zwar in zeitlicher Hinsicht entsprechend herangezogen werden, weil der streitgegenständliche Rentenversicherungsvertrag im Jahr 2006 und damit nach Inkrafttreten der Vorschrift geschlossen wurde. Ein Rückgriff auf diese Bestimmung scheidet gleichwohl aus, selbst wenn man (Renten-)Versicherungen als Finanzdienstleistungen im Sinne von § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB a.F. ansehen kann (vgl. Art. 2 lit. b Fernabsatzrichtlinie II). Die aus der Nichtanwendung des § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. resultierende Regelungslücke hat der Senat bereits entsprechend den zu § 5a VVG a.F. im Senatsurteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 27 ff.) dargelegten Grundsätzen richtlinienkonform dergestalt geschlossen, dass die Vorschrift im Bereich der Lebens- und Rentenversicherung und der Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung nicht anwendbar ist (Senatsurteil vom 17. Dezember 2014 aaO Rn. 20 ff.). Damit verbleibt kein Raum für die von der Beklagten angestrebte Lückenfüllung mittels analoger Anwendung des § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB a.F. Durch einen damit verbundenen vollständigen Ausschluss des Rücktrittsrechts würde die richtlinienkonforme teleologische Reduktion des § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. unterlaufen, was mit dem europarechtlichen Effektivitätsgebot unvereinbar wäre.
2. Infolge der Ausübung des Rücktrittsrechts hat die Beklagte nach § 346 Abs. 1 BGB die vom VN gezahlten Prämien in der vom Berufungsgericht zuerkannten Höhe zurückzugewähren.
III. Auch die Anschlussrevision d. VN ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat d. VN zu Recht die begehrten Nutzungszinsen mangels substantiierten Vortrags verwehrt.
Auch nach § 346 Abs. 1 BGB sind - ebenso wie nach § 818 Abs. 1 Alt. 1 BGB - nur die Nutzungen herauszugeben, die vom Schuldner tatsächlich gezogen wurden (vgl. Senatsurteile vom 11. November 2015 - IV ZR 513/14, VersR 2016, 33 Rn. 41; vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 46; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 51; jeweils m.w.N.). Zudem können bei der Bestimmung der gezogenen Nutzungen die gezahlten Prämien nicht in voller Höhe Berücksichtigung finden (Senatsurteil vom 11. November 2015 aaO Rn. 41 ff.). Nutzungen aus dem Risikoanteil, der dem Versicherer als Wertersatz für den von d. VN faktisch genossenen Versicherungsschutz verbleibt, stehen d. VN nicht zu (vgl. Senatsurteil vom 11. November 2015 aaO Rn. 42). Der auf die Abschlusskosten entfallende Prämienanteil bleibt für Nutzungsersatzansprüche außer Betracht. Mangels abweichender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass der Versicherer diesen Prämienanteil nicht zur Kapitalanlage nutzen konnte (vgl. Senatsurteil vom 11. November 2015 aaO Rn. 44 f.). Hinsichtlich des Verwaltungskostenanteils der Prämien kann nicht vermutet werden, dass der Versicherer Nutzungszinsen in bestimmter Höhe erzielt hat. Der insoweit darlegungsbelastete VN kann sich nicht ohne Bezug zur Ertragslage des jeweiligen Versicherers auf eine tatsächliche Vermutung einer Gewinnerzielung in bestimmter Höhe - etwa wie hier in Höhe des gesetzlichen Zinssatzes von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz - stützen (vgl. Senatsurteil vom 11. November 2015 aaO Rn. 46 ff.). Weiterhin kann nicht vermutet werden, dass der Versicherer aus den Sparanteilen der vom Versicherungsnehmer gezahlten Prämien einen entsprechenden Gewinn erzielt hat (vgl. Senatsurteil vom 11. November 2015 aaO Rn. 52). Insoweit fehlt es auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Anschlussrevision an ausreichendem Vortrag d. VN.
Mayen |
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Harsdorf-Gebhardt |
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Lehmann |
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Dr. Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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