Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 30.03.2011


BGH 30.03.2011 - IV ZR 137/08

Berufungsverfahren: Voraussetzungen einer Aufrechnungserklärung in der Berufungsinstanz


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
30.03.2011
Aktenzeichen:
IV ZR 137/08
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend OLG Frankfurt, 5. Februar 2008, Az: 10 U 10/06, Urteilvorgehend LG Wiesbaden, 8. Dezember 2005, Az: 13 O 213/03
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 5. Februar 2008 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt den Beklagten aus abgetretenem Recht des Zeugen G. aus einer Bürgschaftsforderung in Anspruch.

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Der Beklagte hat sich unter anderem mit einer ihm gegen den Zeugen G. zustehenden Darlehensforderung verteidigt. Er hat insoweit geltend gemacht, dass mit dem Zeugen eine Verrechnung der Klageforderung mit dieser Darlehensforderung vereinbart worden sei. In zweiter Instanz hat er außerdem die Hilfsaufrechnung mit der Darlehensforderung erklärt. Der Kläger hat die Verrechnungsabrede bestritten und behauptet, G. habe das Darlehen zu einem späteren Zeitpunkt an den vom Beklagten bevollmächtigten Rechtsanwalt W. zurückgezahlt, der das Geld auch an den Beklagten weitergeleitet habe.

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Das Landgericht hat der Klage in voller Höhe, das Berufungsgericht in Höhe von 68.325,12 € nebst Zinsen stattgegeben. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Revision.

Entscheidungsgründe

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Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

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I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass die Klageforderung grundsätzlich berechtigt, aber in großen Teilen verjährt sei. Dagegen sei die vom Beklagten behauptete Verrechnungsvereinbarung nicht bewiesen und die Hilfsaufrechnung in zweiter Instanz nicht zuzulassen, weil der Kläger nicht in diese eingewilligt habe und sie auch nicht sachdienlich sei.

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Die Sachdienlichkeit sei hier zu verneinen, weil sich das Landgericht mit den für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblichen Fragen, insbesondere der Verjährung, nur sehr unvollkommen auseinandergesetzt und damit die Problematik des Rechtsstreits bereits von sich aus unter Abschneidung einer Tatsacheninstanz in den zweiten Rechtszug verlagert habe. Hinzu komme, dass dem Beklagten die Aufrechnung schon in erster Instanz möglich gewesen wäre, weshalb keine Veranlassung bestehe, diese nunmehr gegen den Willen des Klägers zuzulassen und damit den Parteien eine Tatsacheninstanz zu nehmen. Zudem habe der Kläger angekündigt, im Falle einer Zulassung seinerseits weitergehende Forderungen in den Rechtsstreit einzuführen. Eine solche Verlagerung eines schon bisher unvollkommen behandelten Rechtsstreits in erheblichen weiteren Teilen in die zweite Instanz sei nicht sachdienlich.

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II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen des § 533 Nr. 1 ZPO für eine Aufrechnung in der Berufungsinstanz rechtsfehlerhaft verneint.

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1. Nach dieser Vorschrift ist die Sachdienlichkeit einer Klageänderung, Widerklage oder Aufrechnung nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Maßgebend ist der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit. Für ihre Zulassung kommt es deshalb entscheidend darauf an, ob und inwieweit diese zu einer sachgemäßen und endgültigen Erledigung desjenigen Streitstoffes führt, der den Gegenstand des anhängigen Verfahrens bildet und damit einem anderenfalls zu erwartenden weiteren Rechtsstreit vorbeugt (BGH, Urteile vom 23. November 1960 - V ZR 102/59, BGHZ 33, 398, 400; vom 30. November 1999 - VI ZR 219/98, BGHZ 143, 189, 197 f.; vom 6. April 2004 - X ZR 132/02, NJW-RR 2004, 1076 unter II 2 a; vom 27. September 2006 - VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414 Rn. 10 f.).

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Danach steht insbesondere das "Abschneiden einer Tatsacheninstanz" einer Sachdienlichkeit der Aufrechnung in zweiter Instanz nicht entgegen. Ein allgemeines Recht der Parteien darauf, dass über jeden sachlichen Streitpunkt in zwei Tatsacheninstanzen entschieden wird, ist dem Zivilprozessrecht fremd (BGH, Urteil vom 21. Februar 1991 - III ZR 169/88, NJW 1991, 1893 unter II 3). Ebenso wenig kommt es auf den Widerspruch des Gegners an, da § 533 Nr. 1 ZPO gerade für diesen Fall die Sachdienlichkeitsprüfung fordert. Schließlich ist nicht bedeutsam, ob es dem Beklagten zum Vorwurf gemacht werden kann, die Aufrechnung nicht schon erstinstanzlich geltend gemacht zu haben, weil sich die Zulässigkeitsfrage nicht nach den Präklusionsvorschriften der §§ 530, 531 ZPO, sondern nach § 533 Nr. 1 ZPO richtet. Vielmehr kann die Sachdienlichkeit bei der gebotenen prozesswirtschaftlichen Betrachtungsweise im Allgemeinen nur dann verneint werden, wenn ein völlig neuer Streitstoff in den Rechtsstreit eingeführt werden soll, bei dessen Beurteilung das Ergebnis der bisherigen Prozessführung nicht verwertet werden kann (BGH, Urteil vom 27. September 2006 aaO Rn. 10).

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2. Diesen Maßstab lässt das Berufungsgericht außer Acht, wenn es aus den angeführten Gründen eine Sachdienlichkeit verneint, dabei aber nicht in den Blick nimmt, dass der Streit der Parteien über das Bestehen der zur Aufrechnung gestellten Forderung unmittelbar an den vorherigen Prozessstoff anknüpft.

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Die zur Aufrechnung gestellte Forderung führt keinen völlig neuen Streitstoff in den Rechtsstreit ein, sondern war bereits im Zusammenhang mit der behaupteten Verrechnungsvereinbarung Gegenstand des Prozessvortrags der Parteien. Für die Aufrechnung ist lediglich noch über die Frage der Rückzahlung des Darlehens zu entscheiden. Sie ist von der ebenfalls behaupteten Verrechnungsvereinbarung, über die Beweis erhoben worden ist, nicht zu trennen, nachdem sie der Kläger und der Zeuge G. unter anderem mit dem Vortrag der anderweitigen Rückzahlung des Darlehens in Abrede gestellt haben. Somit können der bisherige Vortrag der Parteien und die dazu gewonnenen Beweisergebnisse auch bei der Verhandlung und Entscheidung über die Aufrechnungsforderung verwertet werden.

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Dagegen spielt es in diesem Zusammenhang keine Rolle, ob der Kläger die Zulassung der Aufrechnung zum Anlass nehmen will, seinerseits weitere Forderungen in den Rechtsstreit einzuführen. Die Zulässigkeit einer etwaigen derartigen Klageänderung wird gemessen am Maßstab des § 533 ZPO selbständig neu zu beurteilen sein. Auf Weiteres kommt es nicht an.

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3. Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Da es zu dem von dem Beklagten zur Aufrechnung gestellten Anspruch weiterer Feststellungen bedarf, ist die Sache gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Dr. Kessal-Wulf                                 Wendt                                          Felsch

                                Lehmann                             Dr. Brockmöller