Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 18.01.2012


BGH 18.01.2012 - IV ZR 116/11

Private Unfallversicherung: Tod durch Ertrinken; Darlegungs- und Beweislast


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
18.01.2012
Aktenzeichen:
IV ZR 116/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Nürnberg, 19. Mai 2011, Az: 8 U 1906/10, Urteilvorgehend LG Regensburg, 30. August 2010, Az: 3 O 751/09 (3)
Zitierte Gesetze
§ 2 Abs 1 AUB 1988

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg - 8. Zivilsenat - vom 19. Mai 2011 durch Beschluss nach § 552a ZPO zurückzuweisen.

Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen

vier Wochen.

Gründe

1

I. Der Kläger macht Ansprüche aus einer mit der Beklagten geschlossenen Unfallversicherung, der die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen AUB 88 zugrunde liegen, geltend. Versicherte Person ist neben dem Kläger dessen Sohn R.     M.     . Die Versicherungssumme für den Todesfall beträgt 154.000 €; als Bezugsberechtigte im Todesfall sind die jeweiligen Erben vorgesehen. Am 21. Mai 2008 verstarb R.     M.     bei einem Tauchgang im A.      (Österreich). Er wurde von dem Kläger zu 1/2 sowie von D.     und C.     M.     zu je 1/4 beerbt. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von 154.000 € an die Erbengemeinschaft in Anspruch. Seine Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich seine vom Berufungsgericht zugelassene Revision.

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II. Die Voraussetzungen für eine Zulassung liegen nicht vor; die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).

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1. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu.

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a) Dafür genügt es nicht, dass eine Entscheidung von der Auslegung einer Klausel in Allgemeinen Versicherungsbedingungen abhängt. Erforderlich ist vielmehr, dass deren Auslegung über den konkreten Rechtsstreit hinaus in Rechtsprechung und Rechtslehre oder in den beteiligten Verkehrskreisen umstritten ist (Senatsbeschlüsse vom 20. April 2010 - IV ZR 250/08, VersR 2010, 1078 Rn. 7; vom 10. Dezember 2003 - IV ZR 319/02, VersR 2004, 225 unter 2 a), die Rechtssache damit eine Rechtsfrage im konkreten Fall als entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und klärungsfähig aufwirft und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH, Beschlüsse vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 291; vom 1. Oktober 2002 - XI ZR 71/02, BGHZ 152, 182, 191).

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b) Dass diese Voraussetzungen bei den von der Beklagten verwendeten Unfallversicherungsbedingungen erfüllt sein könnten, wird weder im Berufungsurteil noch in der Revisionsbegründung dargelegt.

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Gemäß § 1 III AUB 88 liegt ein Unfall vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Nicht unter den Versicherungsschutz fallen gemäß § 2 I (1) AUB 88 Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen. Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn diese Störungen durch ein unter diesen Vertrag fallendes Unfallereignis verursacht waren. Der Senat hat hiervon ausgehend die maßgeblichen Grundsätze zur Eintrittspflicht des Versicherers bei Tod durch Ertrinken in seiner Entscheidung vom 22. Juni 1977 (IV ZR 128/75, VersR 1977, 736, 737) entwickelt. Der Anspruchsteller muss nachweisen, dass es einen Unfall in Gestalt des Todes durch Ertrinken gegeben hat. Er braucht jedoch nicht die Ursachen und den Verlauf des Unfalles zu beweisen. Vielmehr genügt die Schilderung von Geschehensabläufen, die den Unfallbegriff der maßgeblichen Versicherungsbedingungen erfüllen. Für den Unfallbegriff kommt es allein auf dasjenige Ereignis an, das den Schaden unmittelbar ausgelöst hat, nicht auf dessen einzelne Ursachen, die nur im Rahmen der Ausschlussklauseln eine Rolle spielen können (BGH, Urteil vom 10. Januar 1957 - II ZR 162/55, BGHZ 23, 76, 80). Der Tod durch Ertrinken ist daher immer ein Unfalltod im Sinne der Unfallversicherungsbedingungen, ohne dass es auf dessen Ursachen ankäme. Die Leistungspflicht des Versicherers ist nur ausgeschlossen, wenn es zu dem Ertrinken durch eine Geistes- oder Bewusstseinsstörung gekommen ist. Das Vorliegen dieses Ausschlusstatbestandes hat der Versicherer darzulegen und zu beweisen.

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Diese Grundsätze, die auch das Berufungsgericht zugrunde gelegt hat, entsprechen der einheitlichen Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. OLG Stuttgart VersR 2007, 1363, 1364; OLG Hamm VersR 1989, 242, 243; OLG Zweibrücken VersR 1984, 578; Knappmann in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 178 Rn. 7; Schubach/Jannsen, Private Unfallversicherung Ziff. 1 Rn. 14; HK-VVG/Rüffer, VVG 2. Aufl. § 178 Rn. 5; Eichelmann, VersR 1972, 411, 412 f.; ähnlich Grimm, AUB 4. Aufl. Ziff. 1 AUB 99 Rn. 33). Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob es sich - wie vom Berufungsgericht in Erwägung gezogen - um einen Fall typischen oder atypischen Ertrinkens handelt. Die dargestellten Grundsätze sind unabhängig davon anzuwenden, welche konkrete Ursache zu dem Unfall geführt hat. Der Anspruchsteller hat darzulegen und zu beweisen, dass ein Unfall durch Ertrinken, d.h. durch das Eindringen von Wasser in den Kehlkopf, vorliegt. Welche Ursache hierfür maßgeblich war, ist erst für die Beurteilung des Eingreifens eines vom Versicherer zu beweisenden Ausschlusstatbestandes von Bedeutung. Eine unterschiedliche rechtliche Beurteilung der verschiedenen Formen des Ertrinkens und ihrer Ursachen kommt nicht in Betracht.

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2. Die Revision hat auch in der Sache keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat richtig entschieden. Die vom Kläger erhobenen Rügen gegen die Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts gemäß § 286 ZPO greifen nicht durch.

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a) Das Berufungsgericht ist - insoweit von der Revision als ihr günstig zugrunde gelegt - davon ausgegangen, dass R.     M.     ertrunken ist, und hat sich hierzu auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B.    gestützt. Zugleich hat es festgestellt, nach seiner Überzeugung sei mit einer so hohen Sicherheit bewiesen, dass am Anfang der zum Tode des Versicherten führenden Kausalkette eine auf einer funktionellen Herzstörung beruhende Bewusstseinsstörung bestanden habe, dass vernünftige Zweifel daran nicht bestünden, selbst wenn sich der Beweis hierfür nicht mit absoluter Sicherheit führen lasse. Auf dieser Grundlage hat es den Ausschlusstatbestand des § 2 I (1) AUB 88 angenommen. Das ist nicht zu beanstanden. Die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung des Gerichts erfordert keine absolute oder unumstößliche Gewissheit und keine "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit", sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (BGH, Urteil vom 8. Juli 2008  VI ZR 274/07, VersR 2008, 1126 Rn. 7 m.w.N.). Die Würdigung der Beweise ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden ist. Dieses kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (BGH aaO).

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b) Einen solchen Rechtsfehler weist die Revision nicht nach.

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aa) Der Sachverständige Prof. Dr. B.    , dessen Ausführungen das Berufungsgericht gefolgt ist, hat ausgeführt, eine funktionelle Störung der Herztätigkeit sei nach dem Obduktionsbefund als ein "sehr wahrscheinliches" Ereignis anzusehen. Bei dem Versicherten hätten die vier Risikofaktoren der Fettdurchwachsung der rechten Herzmuskulatur, des erhöhten Blutdrucks, der Fettleibigkeit und einer anlagebedingt engen Herzkranzschlagader vorgelegen. Zwar vermochte der Sachverständige nicht mit letzter Sicherheit festzustellen, ob die funktionelle Störung der Herztätigkeit zu dem Unfalltod durch Ertrinken geführt hat. Hierauf kommt es nach den oben dargestellten Grundsätzen aber nicht an. Wenn der Sachverständige feststellt, dass die funktionelle Herzstörung ein sehr wahrscheinliches Ereignis und ein Ertrinkungstod ohne auslösende innere Ursache aufgrund der Obduktionsbefunde nicht belegbar sei, so ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht hierauf seine Überzeugung stützt. Der Kläger versucht lediglich, seine Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Berufungsgerichts zu setzen. Soweit er vorbringt, nach den Feststellungen des erstinstanzlichen Sachverständigen B.    komme auch eine Verunreinigung des Atemgases durch Kohlenmonoxid in Betracht, die vom Versicherten erst spät bemerkt worden sein könnte, vermag eine derart theoretisch mögliche andere Ursache keinen Fehler in der Überzeugungsbildung des Tatrichters zu begründen, wenn eine funktionelle Störung der Herztätigkeit nach den sachverständigen Feststellungen als sehr wahrscheinliches Ereignis in Betracht kommt. Außerdem konnten unstreitig technische Mängel des Tauchgerätes nicht festgestellt werden.

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bb) Ohne Erfolg macht die Revision ferner geltend, das Berufungsgericht habe nicht ohne eigene Befragung des lediglich von der Polizei vernommenen Zeugen A.     davon ausgehen dürfen, dass der Versicherte ohne einen bei einem Ertrinken im Falle fehlender vorangegangener Bewusstseinsstörung sicher zu erwartenden heftigen Abwehrkampf ertrunken sei. Zunächst hat der Sachverständige Prof. Dr. B.    bereits ohne Berücksichtigung der Aussage des Zeugen A.     ausgeführt, dass bei dem Versicherten eine funktionelle Störung der Herztätigkeit als sehr wahrscheinliches Ereignis für den Tod durch Ertrinken anzusehen sei. Bereits auf diese Feststellungen durfte das Berufungsgericht seine Überzeugungsbildung stützen. Lediglich ergänzend hat der Sachverständige ausgeführt, falls es einen sonst zu erwartenden "heftigen Abwehrkampf" nicht gegeben habe, sei ein Ertrinken im eigentlichen Sinn sicher auszuschließen.

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Hinzu kommt, dass nach den von dem Zeugen A.     bei der Polizei gemachten Angaben keine Anhaltspunkte dafür bestehen, er sei bei dem Tauchgang derart abgelenkt gewesen, dass er einen Abwehrkampf des Versicherten nicht mitbekommen hätte. Bei seiner Sachverhaltsschilderung, deren Richtigkeit vom Kläger nicht in Abrede gestellt wird, hätte dem Zeugen A.      trotz seines vorangegangenen Problems mit dem Tauchanzug auffallen müssen, wenn es zu einem Abwehrkampf gekommen wäre, wie dieser über einen Zeitraum von ein bis zwei Minuten ohne gleichzeitiges Vorliegen körperinnerer Vorgänge zu erwarten gewesen wäre.

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c) Soweit der Kläger weiter beantragt hat, den Notarzt Dr. T.     sowie den obduzierenden Arzt Dr. H.      als (sachverständige) Zeugen zu der behaupteten "unmittelbaren Todesursache Ertrinkungstod und fehlenden Anzeichen eines Herztodes" zu vernehmen (Schriftsatz vom 12. August 2010 S. 3, sowie Berufungsbegründung vom 4. Oktober 2010 S. 5), war das Berufungsgericht hierzu mangels Erheblichkeit des Vortrags nicht verpflichtet. Es ist auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B.  selbst davon ausgegangen, dass ein Tod durch Ertrinken vorliegt und nicht etwa ein plötzlicher Herztod. Dem Vortrag des Klägers lässt sich demgegenüber nicht entnehmen, dass er die Zeugen zugleich dazu benannt hat, es liege ein Unfalltod durch Ertrinken vor und ein Ausschluss des Versicherungsschutzes wegen einer Geistes- oder Bewusstseinsstörung infolge der Funktionsbeeinträchtigung des Herzens komme nicht in Betracht.

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Abgesehen davon stehen insbesondere der Obduktionsbericht des Dr. H.     und das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. B.    nicht in einem derartigen Widerspruch zueinander, dass eine weitere Sachverhaltsaufklärung geboten wäre.

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d) Schließlich hat der Kläger nicht den ihm obliegenden Beweis geführt, dass die Bewusstseinsstörung ihrerseits durch ein unter den Vertrag fallendes Unfallereignis verursacht worden war (§ 2 I (1) Satz 2 AUB 88; vgl. Knappmann in Prölss/Martin, Nr. 5 AUB 2008 Rn. 28). Insbesondere geht das Berufungsgericht nicht davon aus, dass mit dem Tauchen verbundener Stress ursächlich für das Auftreten funktioneller Herzstörungen bei dem Versicherten war. Vielmehr hat es lediglich ausgeführt, mit dem Tauchen verbundener Stress könne sich nach dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B.    begünstigend auf das Auftreten funktioneller Herzstörungen auswirken. Einen Kausalzusammenhang hat es ebenso wenig festgestellt wie der Sachverständige.

Wendt                                           Felsch                                           Harsdorf-Gebhardt

                    Dr. Karczewski                               Dr. Brockmöller

Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.