Entscheidungsdatum: 06.03.2019
Der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers gegen das Urteil der 22. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld vom 21. März 2018 gemäß § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen
eines Monats
Stellung zu nehmen.
I. Der Kläger nimmt den Beklagten, bei dem er eine private Krankenversicherung im Tarif 105 unterhält, auf die Erstattung von Kosten für physiotherapeutische Behandlungen in Anspruch. Dem Vertrag liegen "Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung" des Beklagten (im Folgenden kurz: AVB) zugrunde, bestehend aus "Teil I Musterbedingungen 1976 des Verbandes der privaten Krankenversicherung (MB/KK 76)" und "Teil II Tarifbedingungen (TB/KK) gültig für die Tarife 100-480, BA 1 - BA 9, AWB und KHT". Darin heißt es in "§ 4 Umfang der Leistungspflicht" in Teil II (TB/KK) unter anderem:
"1.zu § 4 (1) MB/KK:
a) Gebühren und Kosten sind im tariflichen Umfang bis zu den Höchstsätzen der jeweils gültigen amtlichen ärztlichen Gebührenordnungen sowie den Verordnungen über Krankenhauspflegesätze in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin-West erstattungsfähig. Keine Leistungspflicht besteht für die Teile einer Liquidation, die diese Höchstsätze überschreiten oder nicht den Vorschriften der Gebührenordnungen bzw. Verordnungen über Krankenhauspflegesätze entsprechen. Das gilt auch, wenn durch Vereinbarung eine von diesen Verordnungen abweichende Regelung getroffen wurde. ...
..."
Der Kläger nimmt seit 1999 physiotherapeutische und krankengymnastische Behandlungen in Anspruch. Mit Schreiben vom 2. Juli 2014 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass auch bei so genannten Heilmitteln, wozu insbesondere Physiotherapie-Anwendungen zählten, nur Kosten bis zu den Höchstsätzen der amtlichen Gebührenordnungen berücksichtigt würden. Für Physiotherapie-Leistungen nichtärztlicher Therapeuten werde zukünftigen Abrechnungen deshalb das Gebührenverzeichnis für die Angehörigen der Gesundheits- und Medizinalberufe (GebüHh) zugrunde gelegt, soweit nicht im Einzelfall die Höchstsätze der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) noch darüber lägen.
Der Kläger legte dem Beklagten in der Folgezeit weitere Rechnungen für Behandlungen im Zeitraum vom 3. Juli 2014 bis 15. März 2017 zur Regulierung vor, die der Beklagte im Hinblick auf § 4 Teil II 1 a AVB nur noch teilweise erstattete.
Den Differenzbetrag von insgesamt 1.052,56 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Kosten macht der Kläger mit der vorliegenden Klage geltend. Er ist der Auffassung, dass § 4 Teil II 1 a AVB als überraschende Klausel nicht Vertragsbestandteil geworden sei, und hat behauptet, dass die ihm berechneten Entgelte der ortsüblichen Vergütung entsprächen.
In den Vorinstanzen ist die Klage erfolglos geblieben.
II. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass der Beklagte die Erstattung der Heilbehandlungskosten in § 4 Teil II 1 a AVB wirksam auf die Höchstsätze der GOÄ beschränkt habe.
Diese Begrenzung der Erstattungsfähigkeit von Behandlungskosten sei nicht überraschend. Es müsse jedem verständigen Versicherungsnehmer einleuchten, dass der Versicherer nicht jedes beliebige, zwischen ihm und dem Behandler ausgehandelte Honorar in vollem Umfang erstatte. Ebenso müsse sich ihm erschließen, dass diese Kostenbegrenzung auch bei nicht dem Berufsstand der Ärzte angehörenden Behandlern eingreifen solle. Soweit die GOÄ die Vergütung für ärztliche Leistungen regele, könne sie als Berechnungsgrundlage herangezogen werden, ohne dass es darauf ankomme, ob diese Leistungen von einem Arzt oder einem Physiotherapeuten erbracht worden seien.
Diese Begrenzung der Kostenübernahme für einzelne therapeutische Maßnahmen stelle auch keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers dar, weil es auch den Interessen der Versicherten entspreche, das Kostenrisiko und damit die Beitragshöhe zu begrenzen.
Schließlich sei es dem Beklagten nicht nach § 242 BGB verwehrt, sich auf seine Versicherungsbedingungen zu berufen, nachdem er den Kläger rechtzeitig darüber informiert habe, zukünftig nur noch nach seinen Tarifbedingungen abzurechnen.
Dagegen wendet sich der Kläger mit der Revision, mit der er seinen Klageantrag in vollem Umfang weiterverfolgt.
III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
1. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann, und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie vom Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird oder in den beteiligten Verkehrskreisen umstritten ist oder wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen dazu vertreten werden (Senatsbeschluss vom 23. September 2015 - IV ZR 484/14, VersR 2016, 388 Rn. 14 m.w.N.; st. Rspr.).
Die Fragen, ob eine Kostenbegrenzung in Allgemeinen Versicherungsbedingungen einer Krankheitskostenversicherung in der hier vorliegenden Art überraschend ist und ob eine Klausel mit dem vorliegenden Wortlaut auch Leistungen nichtärztlicher Behandler erfasst, sind zwar noch nicht höchstrichterlich entschieden worden. Sie sind aber auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum nicht umstritten oder über den Einzelfall hinaus von Bedeutung. Soweit das Landgericht Coburg eine Klausel zur Begrenzung der Kostenerstattung auf die Sätze der GOÄ für überraschend im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB gehalten hat (VersR 2015, 1244), handelt es sich dabei um eine vereinzelt gebliebene Entscheidung, der zudem eine Klausel mit anderem Wortlaut zugrunde lag.
Mit Blick darauf ist auch eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts nicht geboten. Ebenso liegt keine tragende Rechtssatzabweichung des Berufungsurteils von der Rechtsprechung eines höher- oder gleichrangigen anderen Gerichts vor, die eine höchstrichterliche Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderte.
2. Die Revision hat auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.
a) Das Berufungsgericht hat die streitbefangene Klausel zu Recht als wirksam vereinbart angesehen.
Die in ihr enthaltene Einschränkung des Erstattungsanspruchs ist nicht überraschend im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB.
aa) Es ist in der Senatsrechtsprechung geklärt, dass der Versicherte gerade in Anbetracht eines mit dem Hauptleistungsversprechen weit gesteckten Leistungsrahmens, alle mit der Heilbehandlung zusammenhängenden Aufwendungen zu übernehmen, davon ausgehen wird, dass dieses Leistungsversprechen näherer Ausgestaltung bedarf, die auch Einschränkungen nicht ausschließt (Senatsurteile vom 27. Oktober 2004 - IV ZR 141/03, VersR 2005, 64 unter II 2 a [juris Rn. 30]; vom 19. Mai 2004 - IV ZR 29/03, VersR 2004, 1035 unter II 3 a [juris Rn. 23]; vom 17. März 1999 - IV ZR 137/98, VersR 1999, 745 unter II 3 a [juris Rn. 23]).
bb) Anderes kann der Versicherungsnehmer - entgegen der Auffassung der Revision - auch im Streitfall nicht allein deshalb annehmen, weil es in der zusammenfassenden Beschreibung des "Tarif(s) 105 Ambulanter Krankheitskostentarif mit summenmäßig bestimmter Selbstbeteiligung" durch den Beklagten heißt, dass die dort genannten ambulanten Heilbehandlungen in diesem Tarif zu 100% erstattet würden. Diese lediglich eine Seite umfassende Zusammenfassung stellt offenkundig keine abschließende Regelung der vertraglichen Leistungspflichten dar, sondern hat nur den Charakter einer Übersicht. Das wird schon daraus deutlich, dass sie unmittelbar nach der Überschrift den Hinweis enthält, dass für Versicherungsverhältnisse nach diesem Tarif die jeweiligen Allgemeinen Versicherungsbedingungen gelten.
Der Versicherungsnehmer wird deshalb davon ausgehen, dass die Bezeichnung "100%" nur den in diesem Tarif grundsätzlich erstattungsfähigen Prozentsatz der Aufwendungen angibt, aber nicht zugleich annehmen, dass damit jedes beliebige mit einem Behandler vereinbarte Honorar erstattungspflichtig ist, sondern damit rechnen, dass diesbezügliche Einzelheiten, insbesondere etwaige Begrenzungen in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen geregelt sind. Ein überraschenden Klauseln innewohnender Überrumpelungseffekt (vgl. Senat jeweils aaO) scheidet damit aus.
b) Die Klausel erfasst auch physiotherapeutische Leistungen, die nicht von Ärzten erbracht werden.
aa) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht (Senatsurteile vom 20. Juli 2016 - IV ZR 245/15, VersR 2016, 1184 Rn. 22; vom 23. Juni 1993 - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85 [juris Rn. 14]; st. Rspr.). In erster Linie ist dabei vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (Senatsurteil vom 18. Oktober 2017 - IV ZR 188/16, VersR 2017, 1386 Rn. 12 m.w.N.; st. Rspr.).
bb) Der Wortlaut der Klausel beschränkt die Kostenbegrenzung nicht auf von Ärzten erbrachte Leistungen, sondern erfasst alle Gebühren und Kosten unabhängig von der Person des konkreten Behandlers und regelt insoweit allgemein eine Obergrenze der Erstattungspflicht. Voraussetzung für diese Obergrenze ist danach lediglich, dass es sich um Leistungen handelt, die der Sache nach in den genannten Gebührenordnungen und Verordnungen geregelt sind.
Abweichendes ergibt sich nicht aus dem Sinn und Zweck der Regelung. Dieser besteht darin, im Interesse einer Kostenbegrenzung die Erstattungspflicht der Höhe nach auch dann auf die Vergütung zu begrenzen, die ein Arzt für dieselbe Leistung von seinem Patienten verlangen könnte, wenn sie durch einen sonstigen Behandler - hier einen Physiotherapeuten - erbracht wird. Damit wird gerade für den Fall, dass dieser Behandler nicht an amtliche Gebührenordnungen gebunden ist, einem Erstattungsanspruch in beliebiger Höhe zu Lasten der Versichertengemeinschaft vorgebeugt. Dieser Sinn und Zweck ist für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer auch ohne ein bei ihm nicht vorauszusetzendes Wissen über Einzelheiten des Inhalts der GOÄ erkennbar. Auch insoweit ist der Inhalt der Klausel deshalb für den Versicherungsnehmer nicht überraschend.
cc) Der Berufung des Beklagten auf die vertragliche Regelung steht auch seine jahrelang geübte Abrechnungspraxis nicht entgegen.
(1) Ein treuwidriges Verhalten des Beklagten (§ 242 BGB) hat das Berufungsgericht mit Recht verneint, nachdem er den Kläger mit Schreiben vom 2. Juli 2014 auf eine zukünftig den Versicherungsbedingungen entsprechende Handhabung hingewiesen hat.
(2) Entgegen der Auffassung der Revision liegt aber auch keine stillschweigende Vertragsänderung vor, die den Beklagten an einer Berufung auf § 4 Teil II 1 a AVB hindern würde.
Der Umstand, dass der Beklagte im Rahmen der früheren Erstattungspraxis keine Abzüge an den Rechnungen vorgenommen hat, lässt auch aus Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers nicht auf einen Willen zur Abänderung der vertraglichen Regelungen schließen. Ein solches Verhalten lässt sich vielmehr naheliegend dahin deuten, dass dem Beklagten die Überschreitung vertragsgemäß geschuldeter Leistungen zunächst nicht aufgefallen ist. Die Annahme, dass er für alle Versicherungsnehmer verwendete Versicherungsbedingungen gegenüber einem einzelnen Versicherungsnehmer außer Kraft setzen wolle, liegt jedenfalls ohne Abgabe zusätzlicher Erklärungen fern.
c) Schließlich ergibt sich ein weitergehender Erstattungsanspruch des Klägers entgegen der Auffassung der Revision weder aus § 192 Abs. 1 VVG noch aus § 612 Abs. 2 BGB.
Nach § 192 Abs. 1 VVG besteht der Erstattungsanspruch gerade nur im vereinbarten Umfang, womit die Vereinbarung zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer im Versicherungsvertrag und nicht diejenige zwischen dem Versicherungsnehmer und seinem Behandler gemeint ist (vgl. Kalis in MünchKomm-VVG, 2. Aufl. § 192 Rn. 44; Reinhard in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl. § 192 Rn. 7; Muschner in Langheid/Rixecker, VVG 6. Aufl. § 192 Rn. 5).
Die Regelung des § 612 Abs. 2 BGB wiederum betrifft primär die Frage der Vergütung der dienstvertraglichen Leistung des Behandlers und stellt keine Anspruchsgrundlage für weitergehende Erstattungsansprüche im Versicherungsverhältnis dar, wenn dort wie im Streitfall eine Obergrenze der Erstattungsfähigkeit von Behandlungskosten vereinbart ist. Auf die Frage, welches die übliche Vergütung für die physiotherapeutische Leistung ist, kommt es deshalb nicht an.
Mayen |
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Harsdorf-Gebhardt |
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Lehmann |
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Dr. Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.