Entscheidungsdatum: 16.02.2011
Der Kläger trägt die Kosten des Zwischenstreits.
Beschwerdewert: 2.000 €
I. Die Parteien streiten über das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts.
Die Rechtsbeschwerdeführerin war Strafverteidigerin in einem gegen ihre Mandantin und deren Ehemann geführten Strafverfahren wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung. Im Rahmen der Hauptverhandlung kam es zu einer Absprache über einen Täter-Opfer-Ausgleich und den Abschluss einer Schlichtungsvereinbarung zwischen Angeklagten und Geschädigtem, die die Voraussetzung für eine milde Bestrafung, die noch zur Bewährung ausgesetzt werden konnte, schaffen sollte. Das Gericht machte insoweit deutlich, dass hierfür eine Zahlung von 10.000 € an den Geschädigten erforderlich sei. In einer Verhandlungspause fanden auf dem Gerichtsflur Gespräche unter den Angehörigen der Angeklagten über die Aufbringung des benötigten Betrages statt, bei denen auch die Verteidiger der Angeklagten zugegen waren. Diese endeten damit, dass der Vater und der Bruder des angeklagten Ehemannes je 5.000 € in bar zur Weiterleitung an den Geschädigten zur Verfügung stellten.
Im Ausgangsverfahren nimmt der Bruder des angeklagten Ehemannes die Mutter der angeklagten Ehefrau auf Rückzahlung der von ihm geleisteten 5.000 € mit der Behauptung in Anspruch, ihr den Betrag als Darlehen gewährt zu haben. Das Geld sei zur "Auslösung" ihrer Tochter bestimmt gewesen und sie habe zugesagt, ihm die 5.000 € umgehend zurückzuzahlen.
Zum Beweis für diese Behauptung hat sich der Kläger unter anderem auf das Zeugnis der Rechtsbeschwerdeführerin berufen. Diese hat das Zeugnis unter Berufung auf § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO i.V.m. § 43a Abs. 2 BRAO verweigert, nachdem ihre Mandantin sie zunächst nicht von der Schweigepflicht entbunden hat.
Das Amtsgericht hat durch Zwischenurteil die Weigerung der Zeugin für unberechtigt erklärt. Das Landgericht hat ihre hiergegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde hat die Zeugin ihre Weigerung weiterverfolgt. Im Laufe des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat die frühere Angeklagte die Befreiung von der Schweigepflicht erteilt. Die Parteien des Zwischenstreits haben daraufhin diesen für erledigt erklärt.
II. Es entspricht billigem Ermessen i.S. von § 91a ZPO, die Kosten dem Kläger aufzuerlegen, weil die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ohne das erledigende Ereignis Erfolg gehabt hätte.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt:
Die Abmachungen zwischen den Angehörigen über eine eventuelle Erstattungspflicht zählten nicht zu den Tatsachen, die der Rechtsanwalt in Ausübung seiner Tätigkeit als Verteidiger erfahren habe. Sie seien so weit von der Verteidigung entfernt, dass sie dem Zufallswissen eines auf den Termin wartenden Rechtsanwalts gleichzustellen seien. Die Verschwiegenheitspflicht bestehe nur im Interesse des Mandanten und werde durch diese begrenzt. Etwaige Interessen der damaligen Angeklagten, ihre Angehörigen von einer Inanspruchnahme wegen der zur Verfügung gestellten Beträge für die Schadenswiedergutmachung befreit zu sehen, seien im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung nicht schutzwürdig. Deshalb bestehe hier keine Ausnahme von der grundsätzlich geltenden Zeugnispflicht.
2. Das hätte rechtlicher Nachprüfung nicht standgehalten. Die angefochtene Entscheidung verkennt die Reichweite der in § 43a Abs. 2 BRAO und inhaltsgleich in § 2 der Berufsordnung für Rechtsanwälte geregelten Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts.
a) Unter die Verschwiegenheitspflicht gemäß § 43a Abs. 2 BRAO fällt alles, was dem Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufs bekannt geworden ist, ohne dass es darauf ankommt, von wem und auf welche Weise er sein Wissen erworben hat. Die Pflicht betrifft deshalb auch Zufallswissen, das im Rahmen beruflicher Tätigkeit erlangt worden ist (allgem. M.; vgl. Henssler in Henssler/Prütting, BRAO 3. Aufl. § 43a Rn. 46, 48; Feuerich in Feuerich/Weyland, BRAO 7. Aufl. § 43a Rn. 16; Hartung in Hartung/Römermann, Berufs- und Fachanwaltsordnung § 2 BerufsO Rn. 16). Abzugrenzen hiervon ist, was dem Anwalt nur anlässlich seiner beruflichen Tätigkeit zur Kenntnis kommt, ohne dass ein innerer Zusammenhang mit dem Mandat besteht, wie es z.B. bei solchem Wissen der Fall ist, das der Rechtsanwalt als wartender Zuhörer einer Gerichtsverhandlung erwirbt, die mit seinem Mandat nichts zu tun hat (Henssler aaO Rn. 50; Feuerich aaO; Hartung aaO Rn. 17).
Die Rechtsbeschwerdeführerin war jedoch nicht zufällige Zuhörerin der Unterredung auf dem Gerichtsflur, sondern hat ihr ersichtlich in ihrer Eigenschaft als Verteidigerin ihrer Mandantin beigewohnt. Dafür war eine aktive Beteiligung an den Gesprächen nicht erforderlich. Es liegt angesichts ihrer Bedeutung für die mit einer Freiheitsstrafe bedrohte Angeklagte, die den Gerichtssaal nicht verlassen durfte und deshalb an den Gesprächen nicht teilnehmen konnte, auf der Hand, dass die Anwesenheit ihrer Verteidigerin in ihrem Interesse lag, um sie sachgerecht unterrichten und beraten und zumindest im Bedarfsfalle eingreifen zu können, damit die Schlichtungsvereinbarung zustande kommen konnte. Ob und wie das hierfür benötigte Geld aufgebracht werden konnte, berührte die Interessen der Angeklagten in hohem Maße. Nach alledem hat ihre Verteidigerin das Gespräch nicht als unbeteiligte Dritte verfolgt.
b) Von der somit eingreifenden Verschwiegenheitspflicht konnte die Zeugin daher nur durch ihre Mandantin befreit werden (§ 385 Abs. 2 ZPO). Diese ist "Herr des Geheimnisses" (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1989 - III ZR 112/88, BGHZ 109, 260 unter III 2) bezüglich mandatsbezogener Tatsachen auch dann, wenn sie dem Anwalt von Dritten mitgeteilt worden sind (Henssler aaO Rn. 62).
Zwar ist es streitig, ob den Anwalt bezüglich solcher Tatsachen, die er von einem Dritten erfährt und an deren Geheimhaltung dieser ein Interesse hat, auch diesem gegenüber eine Verschwiegenheitspflicht treffen kann, die er zu beachten hat (bejahend OLG Köln NJW 2000, 3656 f.; ablehnend Henssler aaO Rn. 49; Hartung aaO Rn. 22; Rüpke, NJW 2002, 2835 ff.). Dies ist jedoch unabhängig von der Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Mandanten zu sehen. Deren Umfang richtet sich nicht danach, ob und welche Interessen der Dritte an einer Geheimhaltung hat.
c) Wird dem Anwalt - wie hier zunächst - durch den Mandanten Befreiung von seiner Verschwiegenheitspflicht nicht erteilt, so hat er diese grundsätzlich zu beachten. Ausnahmen kommen nur aus Gründen des Gemeinwohls in Betracht, wenn es um die Bekämpfung schwerster Straftaten oder die Erfüllung von Steuergesetzen geht (vgl. Feuerich aaO Rn. 14 m.w.N.). Dies kommt hier nicht in Betracht. Eine generelle Abwägung, ob schutzwürdige Interessen des Mandanten berührt sind, obliegt dem Anwalt dagegen nicht.
Dr. Kessal-Wulf Wendt Felsch
Lehmann Dr. Brockmöller