Entscheidungsdatum: 03.04.2019
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 26. Juni 2018 aufgehoben.
Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin vom 23. April 2018 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Gegenstandswert: bis 7.000 €
I. Die Parteien streiten über den Rechtsweg.
Der Kläger begehrt mit seiner beim Landgericht erhobenen Klage von dem beklagten Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Leistungen wegen behaupteter Berufsunfähigkeit. Die Satzung des Beklagten enthält auszugsweise folgende Bestimmungen:
ʺ§ 1
[...]
2) ... [der Beklagte] dient der Pensions- und Hinterbliebenenversorgung der Angestellten deutscher Banken und weiterer im Finanzdienstleistungsbereich tätiger Unternehmen sowie ihnen verbundener Dienstleistungsunternehmen und dem Betrieb von Geschäften der Verwaltung von Versorgungseinrichtungen.
[...]
§ 3
1) ... [der Beklagte] nimmt von Unternehmen im Sinne von § 1 Abs. 2 der Satzung Anträge auf Versicherung ihrer Angestellten entgegen. Mit dem Abschluss des Versicherungsvertrages erwerben sowohl die vertragsschließenden Unternehmen [...] als auch ihre beim ... [Beklagten] versicherten Angestellten [...] die Mitgliedschaft.
[...]ʺ
Der Kläger war im Jahr 1990 über seine damalige Arbeitgeberin bei dem Beklagten angemeldet worden. Er arbeitete sodann für verschiedene weitere Banken. Zum 30. Juni 2017 wurde er bei dem Beklagten abgemeldet. Seither ist seine Versicherung beim Beklagten beitragsfrei gestellt.
Das Landgericht hat sich für zuständig erklärt. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten hat das Kammergericht den Beschluss des Landgerichts aufgehoben, den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Berlin verwiesen. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Beschlusses.
II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts (KG DB 2018, 2123) ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht eröffnet. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) ArbGG sei vielmehr die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gegeben.
Bei dem Beklagten handele es sich um eine Sozialeinrichtung des privaten Rechts. Darunter sei ein von einem oder mehreren Arbeitgebern errichtetes zweckgebundenes Sondervermögen zu verstehen, das der Verwaltung bedürfe und dessen Zweck darin bestehe, soziale Leistungen an gegenwärtige oder ehemalige Arbeitnehmer zu erbringen. Diese Kriterien seien bei dem Beklagten, der eine branchenspezifische Pensionskasse im Sinne des § 1b Abs. 3 BetrAVG sei, erfüllt. Die nach § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates vorgesehene Beschränkung des Wirkungsbereichs von Sozialeinrichtungen auf den Betrieb, das Unternehmen oder den Konzern sei keine Voraussetzung für eine Sozialeinrichtung im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes.
Im Streitfall sei zudem eine greifbare Nähe des Beklagten zu dem früheren Arbeitsverhältnis des Klägers gegeben. Die Versicherung, aus der der Kläger seine Ansprüche herleite, habe nur deswegen abgeschlossen werden können, weil er Arbeitnehmer der Bank gewesen sei, die ihn beim Beklagten angemeldet habe. Der Beklagte sei keine Einrichtung, die einer unbeschränkten Anzahl unterschiedlicher Arbeitnehmer offenstehe. Vielmehr beruhe die Mitgliedschaft auf der Zugehörigkeit zu einer ganz bestimmten Branche, sodass der Mitgliederkreis klar umgrenzt sei. Die jeweiligen Parteien des Arbeitsverhältnisses könnten in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Beklagten sowohl über die Mitgliederversammlung als auch über den paritätisch besetzten Aufsichtsrat aktiv auf nahezu sämtliche Belange des Beklagten Einfluss ausüben.
Die streitgegenständlichen Ansprüche stünden mit dem früheren Arbeitsverhältnis des Klägers auch in einem rechtlichen und unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Gemäß § 13 GVG ist der vom Kläger beschrittene Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten zulässig. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts sind die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) ArbGG im Streitfall nicht erfüllt.
Nach dieser Vorschrift sind die Gerichte für Arbeitssachen unter anderem ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern oder ihren Hinterbliebenen und Sozialeinrichtungen des privaten Rechts über Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis oder Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis in rechtlichem oder unmittelbar wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, soweit nicht die ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts gegeben ist.
Im Streitfall kann offenbleiben, ob die in § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ausdrücklich vorausgesetzte Beschränkung des Wirkungsbereichs der Sozialeinrichtung auf den Betrieb, das Unternehmen oder den Konzern ein Wesensmerkmal der Sozialeinrichtung beschreibt und in diesem Sinne auf § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) ArbGG zu übertragen ist oder ob der Erforderlichkeit dieser zusätzlichen gesetzlichen Beschränkung gerade entnommen werden kann, dass sie dem Begriff der Sozialeinrichtung nicht innewohnt. Denn bei dem Beklagten handelt es sich unabhängig davon nicht um eine Sozialeinrichtung im Sinne der genannten Bestimmung (so im Ergebnis auch BAG, Beschluss vom 14. November 2017 - 9 AS 8/17 Rn. 10 f., n.v.; a.A. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28. November 2018 - 9 W 26/18, BeckRS 2018, 35911 Rn. 9 ff.; OLG Köln, Beschluss vom 30. Oktober 2018 - 20 W 17/18, n.v.; KG VersR 2003, 1194 [juris Rn. 11]).
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt eine Sozialeinrichtung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) ArbGG vor, wenn eine soziale Leistung des Arbeitgebers nach allgemeinen Richtlinien aus einer abgesonderten, besonders zu verwaltenden Vermögensmasse erfolgt (BAG NZA 2014, 221 Rn. 18; BAGE 99, 1 unter II 1 [juris Rn. 16]; GWBG/Waas, ArbGG 8. Aufl. § 2 Rn. 72; Kalb in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht 8. Aufl. § 2 ArbGG Rn. 101). Die soziale Leistung muss sich danach als eine solche des Arbeitgebers darstellen. Dem schließt sich der Senat an.
Der durch Artikel 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Beschleunigung und Bereinigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens vom 21. Mai 1979 (BGBl. I S. 545) in das Arbeitsgerichtsgesetz aufgenommene Begriff der Sozialeinrichtung entspricht dem in § 2 Abs. 4 Satz 2 des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 3. September 1953 (BGBl. I S. 1267) verwendeten Begriff der Wohlfahrtseinrichtung (BT-Drucks. 8/1567 S. 26 re. Sp.; BAG NZA 2014, 221 Rn. 18). Diesem Begriff war die Errichtung durch den Arbeitgeber immanent (vgl. BAGE 17, 59 unter II [juris Rn. 14]). In der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zum Arbeitsgerichtsgesetz 1953 heißt es, die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts werde auf Wohlfahrtseinrichtungen ausgedehnt, ʺwelche der Arbeitgeber [...] errichtet hatʺ (BT-Drucks. Nr. 3516 S. 25 li. Sp.). Die erforderliche Nähe der Einrichtung zum Arbeitgeber klang auch in der in § 2 Abs. 4 Satz 2 ArbGG 1953 vorgesehenen zusätzlichen Beschränkung ihres Wirkungsbereichs auf ʺdenʺ Betrieb oder ʺdasʺ Unternehmen an, die einen weiteren Bezug zum Arbeitgeber als Betriebs- oder Unternehmensinhaber herstellte (vgl. BAGE 17, 59 unter II [juris Rn. 14]). Mit der genannten Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes wurde diese Beschränkung zwar beseitigt; der Begriff der Sozialeinrichtung sollte mit dem der Wohlfahrtseinrichtung aber deckungsgleich sein (BT-Drucks. 8/1567 S. 26 re. Sp.). Wie dieser setzt er daher eine Leistungserbringung voraus, die dem Arbeitgeber zuzurechnen ist, weil die Einrichtung von ihm errichtet wurde.
Der Umstand, dass § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) ArbGG mittlerweile keine Beschränkung des Wirkungsbereichs der Sozialeinrichtung auf den Betrieb oder das Unternehmen mehr voraussetzt, ändert daher nichts daran, dass keine Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nach dieser Bestimmung eröffnet wird, wenn die Einrichtung nicht eine besondere Nähe zum Arbeitsverhältnis aufweist (vgl. BAG NZA 2014, 221 Rn. 18).
Diese Nähe ist nur gegeben, wenn die soziale Leistung aus einem Sondervermögen erbracht wird, das der Arbeitgeber oder mit ihm im Konzernverbund stehende und ihm daher zuzuordnende Unternehmen zur Verfügung gestellt haben (BAG NZA 2014, 221 Rn. 20). Denn nur in diesem Fall stellt sich die Leistung als eine des Arbeitgebers dar und betrifft daher spezifisch das Arbeitsverhältnis des am Rechtsstreit beteiligten Arbeitnehmers. Demgegenüber liegt, anders als das Beschwerdegericht meint (vgl. auch LAG Hessen, Beschluss vom 8. Juli 2013 - 6 Ta 180/13, juris Rn. 28; KG VersR 2003, 1194 [juris Rn. 11]; ErfK/Koch, 19. Aufl. § 2 ArbGG Rn. 22; GMP/Schlewing, ArbGG 9. Aufl. § 2 Rn. 89; Schwab/Weth, ArbGG 5. Aufl. § 2 Rn. 155), keine Sozialeinrichtung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) ArbGG vor, wenn das Sondervermögen von mehreren Arbeitgebern errichtet wurde und diese nicht miteinander verbundenen Arbeitgeber Beiträge als Mitglieder der Einrichtung zahlen (vgl. BAG, Beschluss vom 14. November 2017 - 9 AS 8/17, Rn. 11 n.v.), weil durch die Beteiligung mehrerer Arbeitgeber die erforderliche Nähe zum einzelnen, streitgegenständlichen Arbeitsverhältnis entfällt (BAG NZA 2014, 221 Rn. 20).
b) Danach ist der Beklagte nicht als eine Sozialeinrichtung im hier maßgeblichen, zuständigkeitsrechtlichen Sinne zu qualifizieren (BAG, Beschluss vom 14. November 2017 - 9 AS 8/17, Rn. 10 f. n.v.). Der Beklagte ist nicht von einem Arbeitgeber errichtet worden; sein Vermögen ist kein von einem Arbeitgeber des Klägers zur Verfügung gestelltes Sondervermögen. Wie das Beschwerdegericht festgestellt hat, werden die Leistungen des Beklagten aus Zahlungen mehrerer Unternehmen, die nur ihre Zugehörigkeit zur Finanzdienstleistungsbranche verbindet, finanziert.
Demgegenüber sind die vom Beschwerdegericht hervorgehobenen Umstände, dass das Versicherungsverhältnis seine Entstehung dem früheren Arbeitsverhältnis des Klägers verdankt, die Mitgliedschaft beim Beklagten branchenabhängig ist und die Mitglieder auf die Belange des Beklagten Einfluss ausüben können, für die Einordnung als Sozialeinrichtung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) ArbGG nicht von entscheidender Bedeutung. Dasselbe gilt für die von der Beschwerdeerwiderung betonte Eigenschaft des Beklagten als regulierte Pensionskasse (vgl. § 233 Abs. 1 Satz 1 VAG). Anders als die Beschwerdeerwiderung und das Oberlandesgericht Karlsruhe (Beschluss vom 28. November 2018 - 9 W 26/18, BeckRS 2018, 35911 Rn. 14 f.) meinen, kommt es für die Anwendung des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) ArbGG nach allem auch nicht auf Unterschiede zwischen dem Beklagten und einem Versicherungsunternehmen, das Direktversicherungen (vgl. § 1b Abs. 2 Satz 1 BetrAVG) anbietet, oder darauf an, dass die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen für den Kläger unter Kostengesichtspunkten vorteilhaft sein könnte.
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