Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 10.10.2012


BGH 10.10.2012 - IV ZB 16/12

Prozesskostenhilfebewilligung: Voraussetzungen einer Aufhebung wegen Falschangaben


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
10.10.2012
Aktenzeichen:
IV ZB 16/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Karlsruhe, 18. April 2012, Az: 9 W 72/11, Beschlussvorgehend LG Konstanz, 17. November 2011, Az: 5 O 120/10 T
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung wegen absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit gemachter falscher Angaben nach § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO setzt nicht voraus, dass die falschen Angaben des Antragstellers zu einer objektiv unrichtigen Bewilligung geführt haben, diese mithin auf den Falschangaben beruht.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 18. April 2012 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Gründe

1

Der Beklagte wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO.

2

I. Von der Klägerin auf Rückzahlung eines Darlehens in Anspruch genommen, beantragte er mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 15. Juni 2010 beim Landgericht ratenfreie Prozesskostenhilfe. In der beigefügten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse war angegeben, er suche nach Arbeit und verfüge weder über eigenes Einkommen noch über Vermögen. Auf Nachfrage des Gerichts ließ er in zwei weiteren Schriftsätzen seines Prozessbevollmächtigten ergänzend vortragen, er habe kein "relevantes" Bankguthaben, wohne bei der Mutter seines Sohnes, welche ihm den Mietanteil stunde und ihn durch Naturalleistungen unterstütze; einen PKW habe er nicht, könne jedoch ein von dritter Seite leihweise zur Verfügung gestelltes Fahrzeug nutzen, wodurch weitere Schulden entstünden. Er biete sich als Security-Kraft und für Bauarbeiten an, habe aber noch keine Aufträge erhalten und sei mittellos.

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Mit Beschluss vom 9. November 2010 bewilligte ihm das Landgericht ratenfreie Prozesskostenhilfe. Am selben Tage wurde der Rechtsstreit durch Vergleich beendet.

4

Im Juni 2011 regte die Klägerin beim Landgericht an, die Prozesskostenhilfe wieder zu entziehen, denn der Beklagte habe schon während des Rechtsstreits einen PKW Audi A6 gefahren und dafür monatliche Kosten von rund 800 € bestritten. Dazu erklärte der Beklagte auf Anfrage des Gerichts, der PKW sei das ehemalige Firmenfahrzeug einer GmbH, deren Mitgesellschafter er gewesen sei; seine Geschäftsanteile habe er inzwischen veräußert. Den Fahrzeugunterhalt nebst Leasingvertrag habe er dabei übernehmen müssen, die Kosten würden ihm von Dritten ausgelegt. Urkunden, welche der Beklagte sodann auf richterliche Anordnung vorlegte, ist weiter zu entnehmen, dass er unter Niederlegung seines Amtes als Geschäftsführer mit notariellem Anteilskauf- und Abtretungsvertrag vom 23. Juni 2010 seinen Geschäftsanteil an der GmbH im Nennwert von 13.000 € und eine Darlehensforderung gegen die GmbH in Höhe von 26.429,04 € zum Preise von insgesamt 3.000 € an Mitgesellschafter verkauft bzw. abgetreten hatte.

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Mit Beschluss des Rechtspflegers vom 17. November 2011 hat das Landgericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufgehoben. Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beklagte sein Rechtsschutzbegehren weiter.

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II. Das nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

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1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts sind die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nach § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO erfüllt, weil der Beklagte im Bewilligungsverfahren absichtlich falsche Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht habe. Er habe sowohl seinen vorgenannten GmbH-Geschäftsanteil als auch die Darlehensforderung gegen die GmbH und seine Gesellschafterstellung verschwiegen, aufgrund der er zur Nutzung des Firmenwagens Audi A6 3.0 TDI DPF quattro berechtigt gewesen sei. Die darin liegende Verletzung der Pflicht, wahre und vollständige Angaben zu machen (§ 117 Abs. 2 ZPO), entfalle nicht durch den zwischen Beantragung und Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgten Verkauf seiner Gesellschaftsbeteiligung, die behauptete Verwendung des Verkaufserlöses zur Schuldentilgung und die weiteren vorgenannten Verfügungen vom Juni 2010. Die diesbezüglichen Informationen habe der Beklagte nicht freiwillig, sondern erst auf gerichtliche Nachfrage gegeben und selbst dabei noch versucht, den Sachverhalt mit der Angabe zu verschleiern, das Geld für die Fahrzeugkosten werde ihm "von dritter Seite zur Verfügung gestellt". Das lasse auf den für eine absichtliche Falschangabe i.S. von § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO erforderlichen Vorsatz schließen.

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Dass nicht der Beklagte selbst, sondern sein Prozessbevollmächtigter die maßgeblichen Erklärungen gegenüber dem Gericht abgegeben habe, sei wegen § 85 Abs. 2 ZPO unerheblich.

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Es komme nicht darauf an, ob dem Beklagten auch bei wahren und vollständigen Angaben ratenfreie Prozesskostenhilfe hätte bewilligt werden müssen. Zwar sei § 124 Nr. 2 ZPO nach weit verbreiteter Ansicht in Rechtsprechung und Literatur eine Kostenvorschrift ohne Strafzweck, die die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nur gestatte, wenn sie auf den falschen Angaben des Antragstellers beruhe. Zutreffend sei jedoch die Gegenansicht, nach der § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO Sanktionscharakter habe und die Aufhebung der Bewilligung bereits allein als Folge absichtlicher oder grob fahrlässiger falscher Angaben des Antragstellers ermögliche. Sonderfällen könne im Rahmen des von § 124 Nr. 2 ZPO eröffneten Ermessens ausreichend Rechnung getragen werden.

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Hier sei dieses Ermessen dahingehend auszuüben, dass die gesamte Prozesskostenhilfebewilligung aufzuheben sei. Ein weniger gravierender Verstoß gegen die Pflicht zu wahrheitsgemäßen und vollständigen Angaben liege auch unter Zugrundelegung des neueren Vorbringens des Beklagten nicht vor. Insbesondere genügten seine Angaben und die eingereichten Belege noch immer nicht, um Zweifel an seiner Bedürftigkeit auszuräumen. Sollstände auf seinem Konto seien mehrfach durch Bareinzahlungen unbekannter Herkunft im Gesamtwert von 1.450 € ausgeglichen worden, was die Vermutung nahelege, er verfüge über Einkünfte, die er nicht über sein Konto abwickle.

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2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

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a) Die Feststellung des Beschwerdegerichts, der Beklagte habe absichtlich falsche Angaben i.S. des § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO gemacht und seine Darstellung sei darauf gerichtet gewesen, Fragen nach seiner Gesellschafterstellung und daraus resultierenden Einkünften und Veräußerungserlösen zu vermeiden, ist frei von Rechtsfehlern. Soweit der Beklagte darauf verweist, er sei im - seiner Auffassung nach - allein maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung, d.h. am 9. November 2010, nicht mehr GmbH-Geschäftsführer und Gesellschafter gewesen, so dass seine ursprünglichen Angaben am Ende nicht mehr falsch gewesen seien, hat das Beschwerdegericht dies mit aus Rechtsgründen nicht zu beanstandender Begründung für nicht durchgreifend erachtet. Dass die Angaben des Beklagten unvollständig waren, räumt die Rechtsbeschwerde ein. Demgegenüber erscheint der Befund, dass der Beklagte im November 2010 nicht mehr als Geschäftsführer oder Gesellschafter mit der GmbH verbunden war, lediglich als Momentaufnahme, anhand derer sich seine wirtschaftliche Situation nicht ansatzweise überprüfen ließ. Weder im Zeitpunkt der Bewilligungsreife (vgl. dazu OVG Hamburg NVwZ-RR 2011, 661) noch bei seiner Bewilligungsentscheidung war das Landgericht durch die Angaben des Beklagten über dessen wirtschaftliche Verhältnisse und insbesondere deren Entwicklung ausreichend unterrichtet.

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b) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, setzt § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO nicht voraus, dass die falschen Angaben des Antragstellers zu einer objektiv unrichtigen Prozesskostenhilfebewilligung geführt haben, die Bewilligung mithin auf den Falschangaben beruht.

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Die Frage ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

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aa) Einer weit verbreiteten Auffassung zufolge dienen die in § 124 ZPO unter den Nummern 1 bis 3 aufgeführten Tatbestände sämtlich allein dem Zweck, dem von einer Prozesskostenhilfebewilligung Begünstigten sachlich nicht gerechtfertigte Vorteile wieder zu entziehen und so eine objektiv zutreffende Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe herbeizuführen. Auch § 124 Nr. 2 ZPO sei mithin eine rein kostenrechtliche Bestimmung ohne Sanktionscharakter. Sie habe als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zur Voraussetzung, dass die Bewilligung auf den Falschangaben des Antragstellers beruhe, mithin objektiv falsch sei (vgl. OLG Bamberg FamRZ 1987, 1170 f.; OLG Brandenburg Rpfleger 2001, 503 f.; OLGR 2005, 930 f.; OLG Düsseldorf JurBüro 1986, 296 f.; MDR 1991, 791; OLG Koblenz OLGR 2005, 887 f.; OLG Köln FamRZ 1998, 1523; Stein/Jonas/Bork, ZPO 22. Aufl. § 124 Rn. 13; Musielak/Fischer, ZPO 8. Aufl. § 124 Rn. 5; Zöller/Geimer, ZPO 29. Aufl. § 124 Rn. 5; Baumbach/Hartmann, ZPO 70. Aufl. § 124 Rn. 37; BeckOK-ZPO/Kratz, Stand 15. Juli 2012 § 124 Rn. 19, 19.1; MünchKomm-ZPO/Motzer, 3. Aufl. § 124 Rn. 3 und 11; HK-ZPO/Pukall, 2. Aufl. § 124 Rn. 3; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO 32. Aufl. § 124 Rn. 3). Befürworter dieser Auffassung verweisen darauf, dass dem Verständnis des § 124 Nr. 2 ZPO als Sanktionsvorschrift das aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Gebot der weitgehenden Angleichung der Situation Bemittelter und Unbemittelter bei der Verwirklichung von Rechtsschutz entgegenstehe. Ein objektiv gegebener Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sei bei einem verfassungskonformen Verständnis des § 124 Nr. 2 ZPO höher zu bewerten als eine Oberflächlichkeit oder Unaufrichtigkeit des Antragstellers (OLG Brandenburg Rpfleger 2001, 503, 504; ähnlich BeckOK-ZPO/Kratz, Stand 15. Juli 2012 § 124 Rn. 19.1). Ergänzend wird angenommen, das Zivil(prozess)recht sei kein geeigneter Ort, Sanktionen zwischen der Partei und dem Staat festzusetzen (Kratz aaO).

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bb) Die Gegenmeinung (OLG Bamberg FamRZ 1989, 1204; OLG Brandenburg NJ 2007, 25; OLG Braunschweig OLGR 2005, 373, 374 f.; OLG Hamm Rpfleger 1986, 238; OLG Köln FamRZ 1987, 1169; 1988, 740; Wieczorek/Schütze, ZPO 3. Aufl. § 124 Rn. 9), der sich das Beschwerdegericht angeschlossen hat, verweist demgegenüber vorwiegend auf Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte des § 124 ZPO. Gegen die behauptete Zielsetzung, lediglich eine objektiv zutreffende Bewilligungsentscheidung herbeizuführen, und die Verneinung jeglichen Sanktionscharakters der Vorschrift spreche bereits, dass § 124 ZPO lediglich von einer "Aufhebung", nicht aber einer "Änderung" oder "Anpassung" der Bewilligungsentscheidung spreche. Nach dem Gesetzeswortlaut könne die Bewilligungsentscheidung aufgehoben werden, "wenn" - und nicht nur "soweit" - die Tatbestände der Nummern 1 bis 4 erfüllt seien (OLG Köln FamRZ 1987, 1169; OLG Braunschweig OLGR 2005, 373, 374). Im Übrigen habe der Gesetzgeber die Fälle absichtlicher und grob fahrlässiger Falschangaben des Antragstellers in den Nummern 1 und 2 des § 124 ZPO getrennt vom Fall des bloßen Fehlens der Bewilligungsvoraussetzungen (Nr. 3) geregelt. Daraus sei zu schließen, dass das Gesetz diesen unterschiedlichen Tatbeständen auch unterschiedliche Bedeutung für eine Aufhebung der Bewilligung beimesse. Da sämtliche Fälle des § 124 ZPO eine Ermessensentscheidung eröffneten, müsse in diese auch der unterschiedliche Unwertgehalt der einzelnen Tatbestandsvarianten einfließen, woraus sich ergebe, dass die Vorschrift nicht allein auf einen objektiven kostenrechtlichen Ausgleich ziele, sondern Strafcharakter habe (OLG Köln FamRZ 1988, 740). Dafür spreche auch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes. In der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs zum Gesetz vom 13. Juni 1980 (BGBl. I, 677), mit welchem das frühere Armenrecht durch das Institut der Prozesskostenhilfe abgelöst wurde, heißt es zur Begründung des § 122 ZPO-E, der später als § 124 in die Zivilprozessordnung aufgenommen worden ist:

"Ob das Gericht bei Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufhebt, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Bei weniger gravierenden Verstößen gegen die Verpflichtung, zutreffende Angaben über die maßgebenden Verhältnisse zu machen …, kann eine rückwirkende Änderung der Bestimmungen über die Zahlungsverpflichtungen der Partei … die angemessenere Reaktion des Gerichts sein." (BT-Drucks. 8/3068 S. 31).

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Hieraus wird gefolgert, § 124 Nr. 1 und 2 ZPO ermögliche in schwerer wiegenden Fällen von Falschangaben die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung, ohne dass es auf Weiteres ankäme (OLG Köln FamRZ 1987, 1169, 1170).

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cc) Eine vermittelnde Meinung nimmt das Oberlandesgericht Zweibrücken ein (OLGR 2007, 958-960): Für einen Strafcharakter der Tatbestände in § 124 Nr. 1 und 2 ZPO spreche, dass eine nachträgliche Anpassung der Prozesskostenhilfebewilligung an die objektive Sach- und Rechtslage - wenngleich auf vier Jahre befristet - bereits in § 124 Nr. 3 ZPO geregelt sei, so dass die Aufstellung zweier weiterer Tatbestände (in den Nr. 1 und 2) mit gleicher Rechtsfolge, jedoch zusätzlichen qualifizierten Schuldvoraussetzungen keinen Sinn ergebe. Kennzeichnend für die in § 124 Nr. 2 ZPO geregelten Sachverhalte sei allerdings, dass dem Gericht keine ausreichende Grundlage für die Feststellung gewährt werde, der Antragsteller sei bedürftig. Das Gericht müsse deshalb im Rahmen der ihm eröffneten Ermessensentscheidung prüfen, ob sich die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse trotz der mittels Falschangaben heraufbeschworenen Unsicherheit noch ausreichend sicher feststellen ließen. Die Darlegungslast hierfür liege beim Antragsteller. Ergebe diese Prüfung hinreichend sicher, dass der Antragsteller bedürftig sei, könne ihm die Prozesskostenhilfe belassen werden, anderenfalls sei die Aufhebung der Bewilligung keine Strafe, sondern lediglich beweisrechtliche Folge der vom Antragsteller geschaffenen Unsicherheit.

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dd) Der Bundesgerichtshof hat lediglich vor Inkrafttreten der 2. Alternative des § 124 Nr. 2 ZPO (vgl. KostÄndG 1986 BGBl. I 1986, 2326, 2338) ausgesprochen, dass der Antragsteller seinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sachlich gerechtfertigten Umfang nicht dadurch verwirke, dass er seine Offenbarungspflicht in Bezug auf eine Veränderung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse verletze (BGH, Beschluss vom 14. März 1984 - IVb ZB 114/83, FamRZ 1984, 677, 678 unter II 1 a). Im Übrigen hat er die hier erörterte Frage bisher ausdrücklich offen gelassen (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 - X ZR 119/99, juris Rn. 6).

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ee) Die oben unter bb) vorgestellte Rechtsauffassung trifft zu.

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Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Gesetzeszweck des § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO sprechen dafür, dass das Gericht die Prozesskostenhilfebewilligung bei absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit gemachten falschen Angaben des Antragstellers auch dann aufheben kann, wenn die Bewilligung nicht auf diesen Angaben beruht, sofern die falschen Angaben jedenfalls generell geeignet erscheinen, die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe zu beeinflussen.

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(1) § 124 ZPO nennt unter den Nummern 1 bis 3 drei unterschiedliche Tatbestände, die die Ermessensentscheidung eröffnen, eine frühere Prozesskostenhilfebewilligung mit Blick auf die Bewilligungsvoraussetzungen, bzw. ihre Darlegung, aufzuheben. In den Nummern 1 und 2, welche zum einen eine unrichtige Darstellung des Streitstandes, zum anderen unrichtige Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers zum Gegenstand haben, ist nicht davon die Rede, die Aufhebung der Bewilligung setze zusätzlich voraus, dass letztere auf den falschen Angaben beruhe, mithin nicht der objektiven Sachlage entspreche. Dies wird ausdrücklich nur in Nummer 3 vorausgesetzt und bildet dort den alleinigen Aufhebungsgrund. Wollte man annehmen, dieselbe Voraussetzung gelte - ungeschrieben - auch im Rahmen der Nummern 1 und 2, beschränkte sich deren Regelungsgehalt darauf, die Befristung der in Nummer 3 ohnehin eröffneten Aufhebungsmöglichkeit in Fällen schuldhaft falscher Angaben entfallen zu lassen.

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Ein solches Verständnis wird dem Aufbau der Vorschrift nicht gerecht. Ihm liegt stattdessen erkennbar zugrunde, dass derjenige Antragsteller, der im Bewilligungsverfahren schuldhaft falsche Angaben macht, sich mithin subjektiv falsch verhält, hinsichtlich des Bestandes seiner Bewilligung weniger schutzwürdig erscheint, als derjenige, dessen Bewilligung sich lediglich als objektiv unzutreffend erweist. Dementsprechend regeln die Tatbestände in § 124 Nr. 1 und 2 ZPO und in § 124 Nr. 3 ZPO Aufhebungsgründe von unterschiedlichem Unwertgehalt, was in der zeitlichen Begrenzung der Aufhebung der Bewilligung nach Nummer 3 seinen Ausdruck findet. Hätten alle Tatbestände eine objektive Unrichtigkeit der ursprünglichen Bewilligung zur gemeinsamen Voraussetzung, wäre zu erwarten gewesen, dass dies "vor die Klammer gezogen", d.h. den Nummern 1 bis 3 vorangestellt worden wäre. Im Übrigen hätten die qualifizierten subjektiven Voraussetzungen der Nummern 1 und 2 in diesem Falle nur noch Bedeutung für die in Nummer 3 geregelte Befristung. Es hätte dann kein Anlass bestanden, sie vor der Regelung der Nummer 3 als gesonderte Tatbestände zu formulieren, sondern genügt, es bei der Regelung der Nummer 3 bewenden zu lassen und ihr einen letzten Halbsatz hinzuzufügen, demzufolge die Befristung nicht gelte, wenn die Bewilligung auf einer unrichtigen Darstellung des Streitstandes oder absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit gemachten unrichtigen Angaben des Antragstellers zu seinen persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen beruht.

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(2) Das Argument, die Zivilprozessordnung sei nicht der Ort, Sanktionen zwischen Staat und Bürger zu regeln, überzeugt ebenso wenig wie das allgemeine, von seinen Befürwortern nicht näher begründete Postulat, § 124 ZPO wohne als rein kostenrechtlicher Bestimmung kein Sanktionscharakter inne. Dabei wird bereits verkannt, dass das Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, wenngleich aus Gründen der Sachnähe in der Zivilprozessordnung geregelt, nicht Teil des kontradiktorischen Rechtstreits, sondern ein eigenes, seinem Wesen nach öffentlich-rechtliches Subventionsverfahren der Daseinsvorsorge darstellt, bei dem die bedürftige Partei dem bewilligenden Staat als Antragsteller gegenübertritt, während der Prozessgegner keine Parteirolle einnimmt, sondern lediglich ein Anhörungsrecht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 1983 - VI ZR 100/83, BGHZ 89, 65 f.). Es ist deshalb nicht möglich, aus dem allgemeinen Wesen des Zivilprozesses Rückschlüsse auf den Regelungsgehalt der allein das Verfahren zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe betreffenden Bestimmungen zu ziehen. Die §§ 114 ff. ZPO regeln insoweit eigenständig die Voraussetzungen, unter denen eine Rechtsschutz suchende Partei staatliche Unterstützung beanspruchen kann, umgekehrt aber in § 124 ZPO auch die Voraussetzungen für die Rücknahme der Bewilligung. Dass es dem Gesetzgeber dabei nicht möglich sein sollte, auch Verwirkungstatbestände für den Fall unlauteren Verhaltens des Antragstellers zu schaffen, ist nicht ersichtlich. Für einen Sanktionscharakter der in § 124 Nr. 1 und 2 ZPO getroffenen Regelungen spricht insoweit gerade die alleinige Anknüpfung an ein Verschulden des Antragstellers im Kontrast zu der verschuldensunabhängigen Korrektur der Bewilligung nach § 124 Nr. 3 ZPO.

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(3) Dieses Verständnis stützt auch die amtliche Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozessordnung und anderer Gesetze vom 18. März 1985 (BT-Drucks. 10/3054). Danach wurde mit dem Gesetz zur Änderung von Kostengesetzen vom 9. Dezember 1986 (KostÄndG 1986 BGBl. I 2326) § 124 Nr. 2 ZPO erklärtermaßen als "erforderliche Sanktion bei einer Verletzung der Erklärungspflicht nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO" (BT-Drucks. 10/3054 S. 22) um die zweite Alternative erweitert. Auch der Aufhebungsgrund in § 124 Nr. 4 ZPO wird als reine Sanktion für die Missachtung der richterlichen Zahlungsanordnung verstanden (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2005 - VI ZB 72/03, NJW-RR 2006, 197 unter II 2 b).

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Ferner geben die Gesetzgebungsmaterialien zu § 124 Nr. 1 und 2 ZPO Hinweise darauf, dass die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch allein als Folge falscher Angaben des Antragstellers möglich sein sollte. In der amtlichen Begründung des Entwurfs eines Gesetzes über die Prozesskostenhilfe vom 17. Juli 1979 heißt es zum dortigen § 122, aus dem später der § 124 ZPO hervorgegangen ist:

"Absatz 1 erlaubt die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe aufzuheben, wenn die Partei die Bewilligung durch bewußt falsche Angaben über das Streitverhältnis oder über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse erschlichen hat, wenn sie grob fahrlässig unrichtige Angaben über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat, wenn sie bewußt oder grob fahrlässig ihrer Anzeigepflicht nach § 121 … nicht nachgekommen ist oder wenn sie mit den angeordneten Zahlungen erheblich in Rückstand ist. …

Nach Absatz 2 kann das Gericht die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe aufheben, wenn die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Anfang an nicht vorlagen oder später entfallen sind. … In diesen Fällen soll jedoch eine zeitliche Grenze für die Aufhebung … bestehen." (BT-Drucks. 8/3068 S. 31).

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Daraus wird ersichtlich, dass der Entwurf in zwei getrennten Absätzen zwischen einer verschuldensabhängigen und einer lediglich auf objektiven Gründen beruhenden Aufhebung der Bewilligung unterschied, und der Gesetzgeber neben dem Erschleichen der Bewilligung auch grob fahrlässig unrichtige Angaben des Antragstellers für die Aufhebung ausreichen lassen wollte. Der Entwurf hat, wie das Beschwerdegericht zutreffend dargelegt hat, im nachfolgenden Gesetzgebungsverfahren zwar redaktionelle Änderungen erfahren (vgl. dazu BT-Drucks. 10/3054 S. 22), insbesondere ist davon abgesehen worden, die objektiven Aufhebungsgründe in einem gesonderten Absatz 2 zu regeln; eine sachliche Änderung ging damit indes nicht einher.

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(4) Der Gesetzeszweck spricht ebenfalls dafür, § 124 Nr. 2 ZPO als Verwirkungstatbestand anzusehen, bei dem es auf eine Kausalität der falschen Angaben für die Bewilligung nicht ankommt.

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Im Prüfungsverfahren zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe, das unter einem besonderen Beschleunigungsgebot steht (vgl. dazu Zöller/Geimer, ZPO 29. Aufl. § 118 Rn. 13), ist der Antragsteller - wie sich insbesondere aus § 117 Abs. 2 Satz 1 und § 118 Abs. 2 ZPO ergibt - bei der Aufklärung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in besonderem Maße zur Mitwirkung verpflichtet. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, kann das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnen. Zu eigenen Ermittlungen ist es dann in der Regel nicht verpflichtet. § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO enthält insoweit ebenfalls eine Sanktion für unvollständige oder nicht rechtzeitige Angaben des Antragstellers (vgl. dazu OLG Saarbrücken OLGR 2009, 336, 337), für die es nicht darauf ankommt, ob der Antragsteller die Voraussetzungen für die Bewilligung materiell erfüllt. Es wird vielmehr allein auf seine unzureichende Mitwirkung im Bewilligungsverfahren abgestellt. Die genannten Regelungen beruhen darauf, dass das Gericht im Bewilligungsverfahren, welches sich im Interesse des Antragstellers an einer schnellen Entscheidung mit einer Glaubhaftmachung der Bewilligungsvoraussetzungen begnügt, in besonderem Maße auf ein redliches Verhalten des Antragstellers angewiesen ist. Begründet der Antragsteller in vorwerfbarer Weise Zweifel an seiner Redlichkeit, erscheint es angemessen, ihm die nachgesuchte finanzielle Unterstützung zu versagen, weil ein summarisches Prüfungsverfahren dann nicht mehr möglich ist.

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(5) Wie das Beschwerdegericht zutreffend annimmt, ist eine einschränkende Auslegung des § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO auch aus Verfassungsgründen nicht geboten. Zwar folgt aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), dem Rechtsstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) die Verpflichtung des Staates, die Situation Bemittelter und Unbemittelter im Bereich des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen, insbesondere letzteren den Zugang zu den Gerichten nicht unverhältnismäßig zu erschweren (vgl. BVerfG NJW 2009, 209 f. m.w.N.). Dem trägt die von der Zivilprozessordnung eröffnete Möglichkeit, Prozesskostenhilfe zu erhalten, Rechnung. Die vorgenannten verfassungsrechtlichen Vorgaben besagen indes nicht, dass dem um Prozesskostenhilfe Nachsuchenden nicht auferlegt werden könnte, die persönlichen und wirtschaftlichen Bewilligungsvoraussetzungen in redlicher Weise darzulegen. Ebenso wenig verstößt es gegen die vorgenannte staatliche Verpflichtung zur Angleichung, wenn das Gesetz an ein schuldhaftes unredliches Verhalten des Antragstellers die Verwirkung des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe knüpft. Dem Beschwerdegericht ist darin zuzustimmen, dass § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO der Gefahr einer unverhältnismäßigen Erschwernis des Zugangs zu den Gerichten schon dadurch ausreichend begegnet, dass die Aufhebung der Bewilligung lediglich bei einem qualifizierten Verschulden des Antragstellers ermöglicht wird und zudem besonderen Härtefällen im Rahmen der durch die Vorschrift eröffneten Ermessensentscheidung ausreichend Rechnung getragen werden kann.

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c) Das gemäß § 124 ZPO eröffnete Ermessen hat das Beschwerdegericht ohne Rechtsfehler ausgeübt. Seine Feststellung, der Beschwerdeführer habe seine frühere Beteiligung an der GmbH und seine Darlehensforderung gegen diese nicht von sich aus mitgeteilt und selbst auf Nachfrage des Gerichts noch bewusst verschleiert, um weitere Nachfragen zu vermeiden, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

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Die Rechtsbeschwerde rügt die Feststellung des Beschwerdegerichts, dem Konto des Beklagten seien Bareinzahlungen unbekannter Herkunft in Höhe von insgesamt 1.450 € zugeflossen, was die Vermutung eigener Einkünfte nahe lege. Dabei habe das Beschwerdegericht übergangen, dass der Beklagte - unter anderem mittels einer schriftlichen Bestätigung der Mutter seines Sohnes - dargelegt habe, die Einzahlungen stammten von dieser. Das verkennt aber, dass das Beschwerdegericht die Glaubwürdigkeit des Beklagten infolge seiner vorsätzlichen Falschangaben insgesamt in Zweifel gezogen und aus diesem Grunde weder sein Vorbringen im Aufhebungs- und Beschwerdeverfahren noch die dazu vorgelegten Nachweise als ausreichend angesehen hat, um Zweifel an seiner Bedürftigkeit auszuräumen. Die Rechtsbeschwerde versucht insoweit ohne Erfolg, diese Beweiswürdigung durch eine eigene Würdigung zu ersetzen.

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Im Übrigen ist auch nichts dafür ersichtlich, dass hier lediglich ein weniger gravierender Verstoß gegen die Verpflichtung, zutreffende Angaben über die maßgeblichen Verhältnisse zu machen, vorliegt, bei dem lediglich eine rückwirkende Änderung der Bestimmungen über die Zahlungsverpflichtungen des Beklagten angemessen wäre (vgl. dazu BT-Drucks. 8/3068 S. 31).

Mayen                                                 Wendt                                                    Felsch

                    Harsdorf-Gebhardt                                       Dr. Karczewski