Entscheidungsdatum: 16.12.2015
Im Erbscheinsverfahren hat das Beschwerdegericht die Richtigkeit des angekündigten Erbscheins auch insoweit zu prüfen, als der Beschwerdeführer durch eine Unrichtigkeit des Erbscheins nicht beschwert sein kann.
Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 4 wird der Beschluss des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 27. März 2015 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 220.000 €
I. Die Beteiligten zu 1 bis 4 sind die Kinder der am 2. Juli 2013 verstorbenen Erblasserin. Der Beteiligte zu 5 ist der Sohn des Beteiligten zu 4.
Die Erblasserin und ihr Ehemann waren Eigentümer mehrerer Grundstücke, unter anderem eines Hofes im Sinne der Höfeordnung. Sie errichteten mehrere letztwillige Verfügungen und übertrugen noch zu Lebzeiten den Hof an den Beteiligten zu 4. Nach dem Tod ihres Ehemannes errichtete die Erblasserin am 18. Dezember 2003 eine weitere Verfügung, die wie folgt lautet:
"Nachtrag
Zu meinen letztwilligen
Ehegatten verfügung am 18.12.1975 vom 25.3.92 und vom 23.11.1997
ergänze ich, daß unser Sohn P. J.
die Grünfläche Gemarkung M.
Flur 3, Flurstück , das zu 2/5 in
Gütergemeinschaft A. und P. W.
zu 1/5 P. -J. W. gehört, erhalten
soll.
(Sollten unsere Töchter keine leiblichen
Abkömmlinge haben, so sollen folgende
Grundstücke aus dem Grundbesitz in W. -
D. an unsere Töchter als Vorerben
gehen
1) Grundstück Gemarkung Flur D.
G. , Flurstück Nr. Kulturart
Acker Größe 3 ha 36 ar 24 m²
2) Grundstück Gemarkung Flur W.
S. Flurstück Nr. Kulturart Acker
Größe 2 ha 85 ar 27 m²
3) Grundstück Gemarkung Flur D.
Do. Flurstück Nr. Kulturart Acker
Größe 1 ha 85 ar 27 qm Scheunenplan mit
Scheune
Nacherbe soll unser Enkel J. werden."
Der Beteiligte zu 4 wendet sich gegen die Erteilung eines Erbscheins, der auf Antrag der Beteiligten zu 1 sie und die Beteiligten zu 2 und 3 als Miterbinnen zu je 1/3 ausweisen soll. Er ist der Auffassung, er sei selbst Miterbe zu 1/4 geworden und hat seinerseits die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn und die Beteiligten zu 1 bis 3 als Miterben zu je 1/4 ausweist sowie einen Nacherbenvermerk bezüglich des Beteiligten zu 5 enthält. Insoweit steht zur Entscheidung, ob die Nacherbeneinsetzung des Beteiligten zu 5 durch die Erblasserin der Erteilung des von der Beteiligten zu 1 beantragten Erbscheins entgegensteht.
Das Nachlassgericht hat durch Beschluss die Tatsachen, die zur Begründung des Antrags der Beteiligten zu 1 erforderlich sind, für festgestellt erachtet und die sofortige Wirkung des Beschlusses ausgesetzt sowie die Erteilung des Erbscheins bis zur Rechtskraft des Beschlusses zurückgestellt. Zugleich hat das Nachlassgericht dem Beteiligten zu 4 mitgeteilt, es beabsichtige, seinen Erbscheinsantrag aus den Gründen des Feststellungsbeschlusses zurückzuweisen.
Gegen den Feststellungsbeschluss des Nachlassgerichts hat der Beteiligte zu 4 Beschwerde eingelegt, die das Beschwerdegericht mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen hat.
Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 4 mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der er begehrt, den Beschluss des Nachlassgerichts dahingehend abzuändern, dass der Antrag der Beteiligten zu 1 zurückgewiesen wird, hilfsweise die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses unter Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht, § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG.
1. Zur Begründung hat das Beschwerdegericht ausgeführt, die durch das Nachlassgericht vorgenommene Auslegung zur Frage der Erbeneinsetzung der Beteiligten zu 1 bis 3 zu je 1/3 sei nicht zu beanstanden. Den gemeinschaftlichen Testamenten der Erblasserin und ihres Mannes sei eine Einsetzung der Beteiligten zu 1 bis 3 zu gleichberechtigten Miterbinnen zu entnehmen. Hieran ändere auch das Einzeltestament der Erblasserin vom 18. Dezember 2003 nichts. Die Zuwendung eines Miteigentumsanteils an dem Grundstück Gemarkung M. Flur Flurstück an den Beteiligten zu 4 stelle lediglich ein Vermächtnis zu seinen Gunsten dar; eine Erbenstellung ergebe sich hieraus jedoch nicht. Es handele sich um eine an Hofflächen angrenzende Wiese. Dies sei offensichtlich eine durch Zwecküberlegungen bestimmte Zuwendung, die auf den Gegenstand beschränkt sei. Dieses Grundstück mache im Vergleich zu den restlichen im Nachlass befindlichen Grundstücken auch nur einen geringen Bruchteil des Nachlasswertes aus, so dass jedenfalls unter Anwendung der Zweifelsregel des § 2087 Abs. 2 BGB von einem Vermächtnis auszugehen sei.
Das Beschwerdegericht hat die vom Nachlassgericht verneinte Frage, ob ein Nacherbenvermerk zu Gunsten des Beteiligten zu 5 in den Erbschein aufzunehmen ist, nicht geprüft. Es hat lediglich darauf hingewiesen, dass es eine gegenständlich beschränkte Nacherbeneinsetzung rechtlich nicht gebe, so dass es bei der Annahme der grundsätzlichen Wirksamkeit einer entsprechenden Anordnung, die dem Senat nicht völlig abwegig erscheine, einer ergänzenden Auslegung gemäß § 2084 BGB zur Umsetzung des wirtschaftlich Bezweckten bedürfe. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 4 habe der Senat diese Fragen allerdings nicht zu prüfen, da die Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts im Erbscheinsverfahren durch das Beschwerderecht des jeweiligen Beschwerdeführers begrenzt werde. Nur soweit dieser durch die erstinstanzliche Entscheidung betroffen sein könne, prüfe das Beschwerdegericht die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Da der Beteiligte zu 4 sein Beschwerderecht allein daraus herleiten könne, dass der angefochtene Beschluss die von ihm in Anspruch genommene Stellung als Miterbe negiere, sei im Beschwerdeverfahren ausschließlich zu prüfen, ob er Miterbe geworden sei, nicht jedoch, ob die Erblasserin den Beteiligten zu 5 wirksam zum Nacherben eingesetzt habe.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
a) Zwar hat sich das Beschwerdegericht im Rahmen der von ihm als Tatrichter vorzunehmenden Auslegung der Testamente rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass die Beteiligten zu 1 bis 3 Erbinnen zu je 1/3 geworden sind und die Zuweisung des Miteigentumsanteils an dem Grundstück Gemarkung M. Flur Flurstück an den Beteiligten zu 4 lediglich als Vermächtnis zu seinen Gunsten zu werten ist. Soweit die Rechtsbeschwerde meint, das Beschwerdegericht habe im Rahmen der Testamentsauslegung den Vortrag des Beteiligten zu 4 bezüglich einer gerechten Verteilung des Vermögens auf alle vier Geschwister im Hinblick auf den Wert des dem Beteiligten zu 4 übertragenen Hofes im Vergleich zum Nachlass gehörswidrig unbeachtet gelassen, versucht sie lediglich ohne Erfolg, ihre Auslegung an die Stelle derjenigen des Beschwerdegerichts zu setzen.
b) Rechtsfehlerhaft ist das Beschwerdegericht aber davon ausgegangen, dass es auf die Beschwerde des Beteiligten zu 4 die Frage der Aufnahme eines Nacherbenvermerks in den Erbschein nicht zu prüfen hatte.
Die Frage der Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts im Erbscheinsverfahren ist umstritten (vgl. Keidel/Zimmermann, FamFG 18. Aufl. § 352 Rn. 154).
aa) Teilweise wird - wie vom Beschwerdegericht vertreten - in Rechtsprechung und Literatur angenommen, die Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts werde im Erbscheinsverfahren durch das Beschwerderecht des jeweiligen Beschwerdeführers begrenzt. Nur soweit dieser durch die erstinstanzliche Entscheidung betroffen sein könne, prüfe das Beschwerdegericht im Rahmen der Begründetheit die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (OLG Hamm FamRZ 2000, 487; OLG Brandenburg FamRZ 1999, 1619 ff.; Jansen, NJW 1970, 1424).
bb) Demgegenüber geht die herrschende Meinung davon aus, dass das Beschwerdegericht im Erbscheinsverfahren in vollem Umfang alle Gesichtspunkte, die geeignet sind, die Unrichtigkeit des Erbscheins zu begründen, auch dann zu prüfen hat, wenn feststeht, dass der Beschwerdeführer insoweit durch eine Unrichtigkeit des Erbscheins nicht beschwert sein kann (OLG München FamRZ 2008, 547, 549; BayObLG NJW-RR 2000, 962, 963; NJW-RR 1997, 389; NJW 1970, 1424; LG Stuttgart Rpfleger 1996, 159 f.; BeckOK-BGB/Siegmann/Höger, BGB § 2353 Rn. 57; Staudinger/Herzog, BGB Bearb. 2010 § 2359 Rn. 132; MünchKomm-BGB/Mayer, 6. Aufl. § 2353 Rn. 141; Palandt/Weidlich, BGB 74. Aufl. § 2359 Rn. 15; Breyer, Rpfleger 1996, 160).
cc) Der herrschenden Meinung gebührt der Vorzug.
Gemäß § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG bestimmt sich das Beschwerdeverfahren nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Es handelt sich mithin um eine zweite Tatsacheninstanz, in der das Beschwerdegericht im Wege der Amtsermittlung gemäß § 26 FamFG und § 2358 BGB, der hier gemäß Art. 229 § 36 EGBGB weiter anzuwenden ist, eine eigene Beurteilung der Sach- und Rechtslage vornimmt, ohne auf Grund einer durch das Beschwerdeziel bestimmten Dispositionsmaxime der Beteiligten oder den Grundsatz des Verbots der reformatio in peius beschränkt zu sein (so auch OLG München aaO; MünchKomm-BGB/Mayer aaO). Diese Verfahrensart sowie der Grundsatz der Amtsermittlung - auch in der Beschwerdeinstanz - stehen einer eingeschränkten Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts entgegen.
Erfüllt die Beschwerde gegen einen Feststellungsbeschluss nach § 352e FamFG (bisher: § 352 FamFG) oder einen erteilten Erbschein die Zulässigkeitsvoraussetzungen der §§ 58 ff. FamFG und ist sie insbesondere vom Berechtigten nach § 59 FamFG eingelegt worden, so sind Beschränkungen des Prüfungsumfangs auf Begründetheitsebene nicht mehr möglich. Der Disposition des Beschwerdeführers unterliegt allein die Einlegung und Aufrechterhaltung des Rechtsmittels; dessen Beschränkung unterfällt ihr hingegen nur insoweit, als der Verfahrensgegenstand teilbar ist oder in der angefochtenen Entscheidung mehrere selbstständige Verfahrensgegenstände entschieden worden sind. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens im Falle eines Feststellungsbeschlusses nach § 352e FamFG ist jedoch der vom Nachlassgericht angekündigte Erbschein, für dessen Erlass es die Tatsachen als festgestellt erachtet hat. Hierbei handelt es sich - worauf die Rechtsbeschwerde zu Recht hinweist und was das Beschwerdegericht in seiner Entscheidung über die uneingeschränkte Zulassung der Rechtsbeschwerde auch selbst erkennt - um einen unteilbaren Verfahrensgegenstand, über den der Beschwerdeführer nicht disponieren kann und der deshalb unter allen erbrechtlichen Gesichtspunkten zur Überprüfung durch das Beschwerdegericht gestellt ist.
Die Rechtsbeschwerde weist zudem zu Recht darauf hin, dass ein möglicherweise fehlendes Interesse des Beschwerdeführers an der weitergehenden Überprüfung des Erbscheins, unabhängig von der eigenen Betroffenheit, die gesetzliche Verpflichtung nach § 2361 Satz 1 BGB (bisher: § 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB) zur Einziehung eines unrichtigen Erbscheins nicht einschränken kann. Danach hat das Nachlassgericht die Richtigkeit eines Erbscheins von Amts wegen nachzuprüfen, sobald sich irgendein Anlass ergibt, der auf seine Unrichtigkeit hindeutet (MünchKomm-BGB/Mayer, 6. Aufl. § 2361 Rn. 23), und unrichtige Erbscheine wieder einzuziehen. Ergibt sich eine solche Unrichtigkeit im Beschwerdeverfahren, so hat das Beschwerdegericht das Nachlassgericht zur Einziehung des Erbscheins anzuweisen (MünchKomm-BGB/Mayer, aaO Rn. 33). Es kann über eine Unrichtigkeit des Erbscheins nicht unter Berufung auf mangelnde Prüfungskompetenz hinwegsehen.
Die vom Brandenburgischen Oberlandesgericht (FamRZ 1999, 1619, 1620) aufgezeigte Gefahr von "Popularbeschwerden" besteht schon auf Grund der gemäß § 59 FamFG für die Zulässigkeit der Beschwerde erforderlichen Beschwerdeberechtigung nicht.
Auch die vom Beschwerdegericht aufgezeigten Gesichtspunkte der Verfahrensökonomie und des Rechtsfriedens rechtfertigen eine Abweichung von dem im Erbscheinsverfahren bestehenden Grundsatz der Amtsermittlung sowie der Pflicht zur Einziehung falscher Erbscheine nicht. Die Rechtssicherheit und die Verfahrensökonomie gebieten vielmehr eine unbeschränkte Prüfung durch das Beschwerdegericht, um die spätere Einziehung unrichtiger Erbscheine in einem weiteren, von Amts wegen einzuleitenden Verfahren zu vermeiden.
III. Da das Beschwerdegericht auf Grund der von ihm vertretenen Rechtsauffassung zur Frage der Aufnahme eines Nacherbenvermerks keine Sachentscheidung getroffen hat und daher insoweit sämtliche erforderlichen Feststellungen fehlen, ist der angefochtene Beschluss gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG aufzuheben und die Sache - da es sich um einen unteilbaren Verfahrensgegenstand handelt - insgesamt an das Beschwerdegericht zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Mayen Felsch Lehmann
Dr. Brockmöller Dr. Bußmann