Entscheidungsdatum: 24.07.2013
Wird für Tiere des Anlagevermögens die Bewertungsfreiheit nach § 6 Abs. 2 EStG in Anspruch genommen, ist die Höhe der Gewinnminderung nicht durch einen zu erwartenden Schlachtwert begrenzt.
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Schweinezucht. Den aus seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit erzielten Gewinn ermittelt er durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) bei Wirtschaftsjahren vom 1. Juli eines Jahres bis zum 30. Juni des Folgejahres (§ 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Satz 1 EStG).
Die im klägerischen Betrieb gehaltenen Sauen werden zunächst zur Zucht eingesetzt. Sobald die Eignung der Sauen für Zuchtzwecke nachlässt und eine Zucht mit ihnen unwirtschaftlich wird, werden sie unverzüglich nach dem Absetzen der Ferkel bzw. dem Umrauschen der Schlachtung zugeführt. Maßnahmen zur Förderung der Verkaufsfähigkeit oder Steigerung des Verkaufswerts der entsprechenden Sauen ergreift der Kläger nicht, vielmehr werden die Tiere für die regelmäßig nur wenige Tage umfassende Zeitspanne bis zur Schlachtung auf herkömmliche Weise gefüttert und versorgt.
In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2003) erklärte der Kläger einen Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von ... €. Die Bewertung des dem Anlagevermögen zugerechneten Schweinebestands nahm er dabei mit den von der Finanzverwaltung im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 14. November 2001 IV A 6 -S 2170- 36/01 (BStBl I 2001, 864) vorgegebenen Richtwerten für die Gruppenbewertung vor. Nach dem jeweiligen Aufzuchtstadium unterteilte er dabei seine Schweine in Zuchteber, Ferkel, Jungsauen und Sauen; den Sauenbestand unterteilte er nochmals in Neuzugänge und Zuchtsauen. Diejenigen Sauen, die im Laufe eines Jahres von Jungsauen zu Sauen versetzt wurden, schrieb er im Jahr ihres Zugangs auf einen Erinnerungswert von 1 € ab. Im Wirtschaftsjahr 2002/03 war dies für 97 Sauen, im Wirtschaftsjahr 2003/04 für 88 Sauen der Fall.
Nachdem die vorgenannte Handhabung im Rahmen einer für die Jahre 1999 bis 2001 beim Kläger durchgeführten Betriebsprüfung aufgefallen war, nahm der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) bei der Veranlagung zur Einkommensteuer 2003 mit Blick auf das BMF-Schreiben in BStBl I 2001, 864 sowie das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. Februar 2001 IV R 19/99 (BFHE 195, 175, BStBl II 2001, 549) eine Gewinnkorrektur vor. Dabei setzte das FA im Einkommensteuerbescheid vom 7. Juni 2005 für den auf den 30. Juni 2003 erklärten Endbestand von 100 Zuchtsauen einen Schlachtwert von jeweils 150 € abzüglich des Erinnerungswerts von 1 €, und somit 100 x 149 € = 14.900 € an und schlug davon die Hälfte dem für das Streitjahr erklärten Gewinn hinzu.
Dagegen erhob der Kläger mit der Begründung Einspruch, dem Ansatz des Schlachtwerts als Mindestwert im Rahmen der Inanspruchnahme der Bewertungsfreiheit des § 6 Abs. 2 EStG im BFH-Urteil in BFHE 195, 175, BStBl II 2001, 549 liege der Gedanke zugrunde, dass die Tiere über eine doppelte Zweckbestimmung verfügten: Für die Zeitspanne, in der sie zur Zucht eingesetzt würden, handele es sich bei ihnen um Produktionsmittel und damit um Anlagevermögen. Da aber von vornherein geplant sei, die Tiere anschließend als Schlachtvieh zu veräußern, wechselten sie nach der Herausnahme aus dem Zuchtbetrieb nach Ansicht des BFH in das Umlaufvermögen, wenn sie entsprechend umgewidmet würden. Eine solche Umwidmung finde aber im Streitfall nicht statt, womit es an der vom BFH unterstellten zweiten Zweckbestimmung der Sauen fehle. Allein die Absicht, ein zum Anlagevermögen gehörendes Wirtschaftsgut zu veräußern, reiche nicht aus, um seinen Wechsel zum Umlaufvermögen zu begründen. Die Sauen dienten allein als Zuchttiere und verlören diese Eigenschaft bis zu ihrer Veräußerung nicht.
Da das FA bei der Ermittlung der Schlachtwertansätze von einem falschen Sauenbestand für das Wirtschaftsjahr 2002/03 ausgegangen und der Gewinn des Jahres 2003/04 nicht um den Ansatz des Schlachtwerts erhöht worden war, erließ es am 14. Juli 2006 einen entsprechenden Änderungsbescheid.
Mit Einspruchsentscheidung vom 21. August 2006 wies das FA den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück und führte aus, die Zuchtsauen gehörten bei ihrer Fertigstellung zum Anlagevermögen des Betriebs, da sie dazu bestimmt seien, langfristig der Produktion zu dienen. Allerdings seien sie am Ende ihrer Zuchttauglichkeit zu Schlachtvieh bestimmt worden. Demzufolge unterlägen die Tiere einer doppelten Zweckbestimmung, wofür eine Nachmast nicht erforderlich sei. Im Rahmen des § 6 Abs. 2 EStG sei der doppelten Zweckbestimmung dadurch Rechnung zu tragen, dass die Herstellungskosten nur bis zur Höhe des Schlachtwerts abgesetzt werden könnten, denn § 6 Abs. 2 EStG sei rechtssystematisch als ein Anwendungsfall des § 7 EStG anzusehen. Es werde hierdurch auch nicht etwa ein nach Ablauf der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer als Zuchtvieh verbleibender Teilwert berücksichtigt, sondern vielmehr dem Umstand Rechnung getragen, dass die Tiere aufgrund ihrer weiteren Zweckbestimmung als Schlachttiere nach Ablauf der Nutzungsdauer (als Zuchttiere) insoweit noch nicht verbraucht seien.
Dagegen wandte sich der Kläger mit seiner Klage vor dem Finanzgericht (FG), mit welcher er an seiner bisherigen Argumentation festhielt. Während des FG-Verfahrens erging am 9. Oktober 2009 mit Blick auf die Vorläufigkeit nach § 165 der Abgabenordnung ein weiterer Änderungsbescheid, den das FA dem FG zuleitete und der zum Gegenstand des Verfahrens wurde.
Mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 476 veröffentlichten Urteil gab das FG der Klage statt und vertrat die Auffassung, das FA habe zu Unrecht eine Abschreibung der Zuchtsauen nur bis auf deren Schlachtwert anerkannt. Der Kläger sei berechtigt gewesen, die Zuchtsauen durch Inanspruchnahme der Bewertungsfreiheit gemäß § 6 Abs. 2 EStG bis auf einen Erinnerungswert von 1 € abzuschreiben. Die Auffassung des FA, wonach das Abschreibungsvolumen durch den Schlachtwert der Sauen als zu beachtender Restwert begrenzt sei, folge nicht aus dem BFH-Urteil in BFHE 195, 175, BStBl II 2001, 549, weil es eine andere Sachverhaltskonstellation betreffe.
Dagegen wehrt sich das FA mit seiner Revision, die es auf die Verletzung des § 6 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 EStG stützt.
Das FA beantragt, das Urteil des Schleswig-Holsteinischen FG vom 3. Dezember 2009 1 K 264/06 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger berechtigt war, für die Zuchtsauen die Bewertungsfreiheit gemäß § 6 Abs. 2 EStG in Anspruch zu nehmen und insoweit den entsprechenden Sauenbestand auf einen Erinnerungswert abzuschreiben.
1. Es besteht zunächst kein Zweifel daran und ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig, dass der Kläger bezogen auf das Streitjahr das Wahlrecht auf Sofortabschreibung der Herstellungskosten für geringwertige Wirtschaftsgüter nach § 6 Abs. 2 EStG in Anspruch nehmen konnte. Nach den mit Revisionsrügen nicht angegriffenen Feststellungen des FG erfüllten die aus Jungsauen zu Sauen versetzten Tiere im jeweiligen Wirtschaftsjahr der Fertigstellung der Zuchtsauen die materiellen und formellen Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 2 EStG. Geht man insoweit von den im BMF-Schreiben in BStBl I 2001, 864 vorgegebenen Richtwerten für die Gruppenbewertung aus, so lagen die Herstellungskosten der Zuchtsauen weit unter 410 € (§ 6 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ebenso steht die selbständige Nutzungsfähigkeit dieser Anlagegüter (§ 6 Abs. 2 Sätze 2 und 3 EStG) außer Zweifel. Im Streitfall waren auch die buchmäßigen Voraussetzungen der Bewertungsfreiheit nach § 6 Abs. 2 Sätze 4 und 5 EStG durch Aufzeichnungen im Zuchtbuch und Bestandsverzeichnis für jedes einzelne Tier erfüllt.
2. Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Inanspruchnahme des § 6 Abs. 2 EStG im Streitfall bis auf einen Erinnerungswert von jeweils 1 € in Höhe der vollen Herstellungskosten zulässig war. Der Betriebsausgabenabzug war nicht durch einen zu berücksichtigenden Schlachtwert im Sinne eines Restwerts begrenzt.
a) Bereits in seinem Urteil vom 4. Juni 1992 IV R 101/90 (BFHE 169, 397, BStBl II 1993, 276, unter 1.) hat der Senat für Milchkühe entschieden, dass diese mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten, ab Beginn ihrer Nutzung nach vollendeter Aufzucht aber vermindert um Absetzungen für Abnutzung (AfA) anzusetzen sind (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG). Allerdings hat der Senat im genannten Urteil (unter 3.; ähnlich Senatsurteil vom 6. August 1998 IV R 67/97, BFHE 186, 402, BStBl II 1999, 14, unter 2.f) auch festgestellt, dass bei den genannten Tieren ein Schlachtwert zu berücksichtigen ist und dies im Wesentlichen mit der zweifachen Zweckbestimmung der Nutzung dieser Tiere einerseits zur Produktion und andererseits als Schlachtvieh begründet.
b) In seinem Urteil in BFHE 195, 175, BStBl II 2001, 549 (unter 2.a) hat der Senat für den Fall von im Anlagevermögen gehaltenen Zuchtsauen und bezogen auf die Inanspruchnahme der Bewertungsfreiheit nach § 6 Abs. 2 EStG an diese Begründung angeknüpft. Er hat dazu ausgeführt, dass § 6 Abs. 2 EStG als Anwendungsfall des § 7 EStG anzusehen ist (ähnlich bereits Senatsurteil vom 27. Januar 1994 IV R 101/92, BFHE 174, 224, BStBl II 1994, 638) und der Wortlaut der Norm der Berücksichtigung eines Schlachtwerts bei geringwertigen Wirtschaftsgütern ebenso wenig entgegensteht wie der Wortlaut des § 7 Abs. 1 EStG bei solchen Anlagegütern, die zwingend einer Abschreibung unterliegen. Allerdings hat der Senat (unter 2.b des genannten Urteils) einschränkend ausgeführt, dass bei den angesprochenen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens (nur) dann eine Kürzung des Abschreibungsvolumens um den Wert nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG im Zeitpunkt der Umwidmung erforderlich ist, wenn von vornherein eine nachhaltige Nutzung auch als Umlaufvermögen geplant ist. Für die Berechnung der AfA ist danach nur dann ein Schlachtwert zu berücksichtigen, wenn die doppelte Zweckverwendung der betroffenen Tiere zur Produktion und als Schlachtvieh von Anfang an geplant ist. Soll eine entsprechende Umwidmung nicht stattfinden, so ist --auch mit Blick auf einen nachfolgenden Verkauf-- weiter von Anlagevermögen auszugehen.
c) Das FG ist bezogen auf den Streitfall von den vorgenannten Rechtsgrundsätzen ausgegangen und zu dem Schluss gelangt, dass dort mangels geplanten Umwidmungsakts die Inanspruchnahme der Bewertungsfreiheit des § 6 Abs. 2 EStG nicht nur bis zur Höhe des Schlachtwerts, sondern bis auf einen Erinnerungswert zulässig war. Dieser Schluss verletzt weder Denkgesetze noch Erfahrungssätze. Der Streitfall unterscheidet sich in entscheidungserheblicher Weise von dem dem Senatsurteil in BFHE 195, 175, BStBl II 2001, 549 zugrunde liegenden Fall.
aa) In dem dem Urteil in BFHE 195, 175, BStBl II 2001, 549 zugrunde liegenden Fall hat der Senat die Umwidmung der Sauen von Anlage- in Umlaufvermögen daraus abgeleitet, dass die ursprüngliche Nutzung der Tiere als Anlagevermögen zunächst beendet worden war und sie dann allein zum Zweck des späteren Verkaufs als Schlachttiere und zur Steigerung des Schlachtgewichts noch einige Zeit gefüttert worden waren.
bb) Eine derartige Aufmästung hat im Streitfall allerdings nach den den Senat insoweit bindenden und nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) nicht stattgefunden. Vielmehr sind die betroffenen Sauen, nachdem die Zucht mit ihnen unwirtschaftlich geworden war, zeitnah der Schlachtung zugeführt worden. Der Kläger ergriff also gerade keine Maßnahmen zur Förderung der Verkaufsfähigkeit oder Steigerung des Verkaufswerts der Sauen, sondern fütterte sie lediglich einige Tage auf herkömmliche Weise.
cc) Der Schluss des FG, dass die angesprochene kurzfristige Fütterung der betroffenen Sauen nicht zur Umwidmung von Anlage- in Umlaufvermögen geführt hat, verletzt weder Denkgesetze noch Erfahrungssätze, denn durch die kurzfristige Fütterung sind keine Wirtschaftsgüter anderer Marktgängigkeit entstanden. Die Sauen sind folglich auch nicht als Umlaufvermögen abverkauft worden. Der Kläger hat die betroffenen Sauen vielmehr lediglich aus Wirtschaftlichkeitsgründen aus dem Zuchtbetrieb genommen und sie anschließend zeitnah verkauft, weil nach den vom Kläger vorgetragenen neueren Erkenntnissen der landwirtschaftlichen Forschung Zuchtsauen nach der Beendigung der Verwendung für Zuchtzwecke über einen längeren Zeitraum erheblich an Gewicht verlieren. Eine Aufmästung erschien dem Kläger vor diesem Hintergrund unwirtschaftlich, weshalb er die Sauen nur deshalb weiter gefüttert hat, um sie lebend, aber nicht aufgemästet der Schlachtung zuzuführen.
3. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass der Schlachtwert von 150 € pro Tier nicht wesentlich geringer ist als die Herstellungskosten von 180 € je Tier. Zwar hat der Senat in seinen Urteilen in BFHE 169, 397, BStBl II 1993, 276 (unter 3.) und in BFHE 186, 402, BStBl II 1999, 14 (unter 2.f) für Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens entschieden, dass von einer Abschreibung auf einen Erinnerungswert jedenfalls dann abgesehen werden muss, wenn der Restwert wesentlich ist. Abgesehen davon, dass der Senat im Urteil in BFHE 169, 397, BStBl II 1993, 276 (unter 3.) auch insoweit auf das Erfordernis einer doppelten Zweckbestimmung hingewiesen hat, hält der Senat es bei Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die unter den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 2 EStG fallen, für ausgeschlossen, dass im Zeitpunkt der Umwidmung noch ein wesentlicher Restwert existiert. Dies ergibt sich daraus, dass bei Anschaffungs- oder Herstellungskosten in Höhe von maximal 410 € der Schlachtwert im Sinne eines Restwerts nur einen absolut geringfügigen und damit unwesentlichen Betrag ausmachen kann (vgl. Schmidt/Kulosa, EStG, 32. Aufl., § 6 Rz 600; Kleinle/Dreixler in Herrmann/Heuer/Raupach, § 6 EStG Rz 1278). Soweit das Senatsurteil in BFHE 195, 175, BStBl II 2001, 549 anders zu verstehen sein sollte (vgl. etwa Blümich/Ehmcke, § 6 EStG Rz 1157), hält der Senat daran nicht mehr fest.