Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 24.04.2012


BFH 24.04.2012 - IV B 84/11

Vereinbarkeit des Verlustausgleichsverbots für Einkünfte aus gewerblicher Tierzucht oder Tierhaltung mit Verfassungsrecht und Europarecht - Darlegungsvoraussetzungen bei Divergenzrüge und behaupteter Verletzung der Sachaufklärungspflicht - Kein Anspruch auf steuerliche Gleichbehandlung mit EG-Ausländern in deren Heimatländern


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
24.04.2012
Aktenzeichen:
IV B 84/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 3. Mai 2011, Az: 13 K 12366/07, Urteil
Zitierte Gesetze
Art 43 EG
Art 49 AEUV

Leitsätze

1. NV: Die Regelung des § 15 Abs. 4 EStG, wonach Verluste aus gewerblicher Tierzucht oder gewerblicher Tierhaltung weder mit anderen Einkünften aus Gewerbebetrieb noch mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen und auch nicht nach § 10d EStG abgezogen werden dürfen, ist sowohl mit der Verfassung als auch mit dem Recht der Europäischen Gemeinschaften bzw. der heutigen Europäischen Union vereinbar .

2. NV: Zu den Darlegungsvoraussetzungen einer Divergenzrüge und einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht .

3. NV: Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das FG das Beteiligtenvorbringen umfänglich zur Kenntnis genommen hat, auch wenn nicht alle Argumente in den Entscheidungsgründen aufgegriffen werden .

Gründe

1

Die Beschwerde hat auch unter Berücksichtigung der Schriftsätze der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) vom 23. März 2012 und vom 20. April 2012 keinen Erfolg. Die von den Klägern erhobenen Rügen sind zum Teil unzulässig, im Übrigen aber unbegründet.

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1. Die Zulassung der Revision ist weder wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) noch wegen der Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) geboten.

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Die von den Klägern sinngemäß aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Regelung des § 15 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG), wonach Verluste aus gewerblicher Tierzucht oder gewerblicher Tierhaltung weder mit anderen Einkünften aus Gewerbebetrieb noch mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen und auch nicht nach § 10d EStG abgezogen werden dürfen, mit der Verfassung bzw. dem Recht der Europäischen Gemeinschaften (EG) bzw. heutigen Europäischen Union (EU) vereinbar ist, hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Vereinbarkeit der Regelung mit der Verfassung ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung hinreichend geklärt. Neue Aspekte, die eine erneute Befassung des BFH erforderlich machen könnten, haben die Kläger nicht aufgezeigt. Ein Verstoß gegen das Recht der EG bzw. der EU liegt ersichtlich nicht vor.

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a) Der BFH hat wiederholt ausgeführt, dass das Verlustausgleichsverbot des § 2a EStG 1971 (nunmehr § 15 Abs. 4 EStG) nicht verfassungswidrig ist. Die Regelung verstößt weder gegen den im Steuerrecht als Grundsatz der Steuergerechtigkeit ausgeprägten Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) noch gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG oder sonstige Verfassungsgrundsätze (BFH-Urteil vom 29. Oktober 1987 VIII R 272/83, BFHE 151, 408, BStBl II 1988, 264, mit umfangreichen Nachweisen zur Rechtsprechung; BFH-Beschluss vom 30. April 2008 IV B 64/07, BFH/NV 2008, 1474). Die Benachteiligung der "gewerblichen Tierzucht oder gewerblichen Tierhaltung" soll die traditionelle, mit der Bodenwirtschaft verbundene, landwirtschaftliche Tierzucht und Tierhaltung, bei der regelmäßig Verluste mangels hoher außerlandwirtschaftlicher Einkünfte nicht verrechnet werden können, vor dem Wettbewerb einer industriell betriebenen Tierproduktion schützen (BFH-Urteil in BFHE 151, 408, BStBl II 1988, 264). Vor diesem Hintergrund hat die Regelung ungeachtet des Umstands, dass sie, wie die Kläger zutreffend ausführen, vor allem als agrarpolitische Maßnahme gegen Abschreibungsgesellschaften gerichtet war, auch heute noch ihre Berechtigung. Die von den Klägern aufgezeigten fortschreitenden Strukturveränderungen in den landwirtschaftlichen Betrieben sind nicht derart gewichtig, dass der vom Gesetzgeber intendierte Schutz der traditionellen Landwirtschaft de facto leerlaufen und damit die sachliche Rechtfertigung für das Verlustausgleichsverbot entfallen würde.

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Auch das weitere Vorbringen, dass das Verlustausgleichsverbot bei ihnen, den Klägern, nicht mit dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit --Verstoß gegen das subjektive Nettoprinzip-- vereinbar sei, da jedenfalls im Streitjahr eine verfassungswidrige Besteuerung des Existenzminimums vorliege, weil negative Einkünfte einstweilen unberücksichtigt blieben, die höher seien als die positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten, vermag die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen. Zwar hat der BFH im summarischen Verfahren ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 Sätze 2 ff. EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes (StEntlG) 1999/2000/2002 geäußert, als aufgrund des begrenzten Verlustausgleichs eine Einkommensteuer auch dann festzusetzen ist, wenn dem Steuerpflichtigen von seinem im Veranlagungszeitraum Erworbenen bei Vorliegen sog. echter Verluste nicht einmal das Existenzminimum verbleibt (z.B. BFH-Beschlüsse vom 6. März 2003 XI B 76/02, BFHE 202, 147, BStBl II 2003, 523, und vom 25. Februar 2005 XI B 78/02, BFH/NV 2005, 1279). Diese Rechtsprechung bezieht sich aber unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG auf die Notwendigkeit des uneingeschränkten vertikalen Verlustausgleichs zwischen sich in ihrer Struktur entsprechenden Einkunftsarten (ebenso BFH-Urteil vom 7. November 2006 IX R 45/04, BFH/NV 2007, 1473). Zudem hat der BFH seine Zweifel maßgeblich darauf gestützt, dass die zur Einführung des § 2 Abs. 3 Sätze 2 ff. EStG bemühten Gründe, nämlich die defizitäre Haushaltslage oder der durch die allgemeine Tarifsenkung des StEntlG 1999/2000/2002 entstandene Finanzbedarf, keine Durchbrechung des subjektiven Nettoprinzips rechtfertigen. Hieraus ergibt sich aber nicht die Notwendigkeit einer Gleichbehandlung mit Verlusten aus der gewerblichen Tierzucht oder gewerblichen Tierhaltung, weil deren Besonderheiten --wie ausgeführt-- nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 1 GG eine von den anderen Einkunftsarten abweichende Sonderregelung für den Verlustausgleich rechtfertigen.

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b) Die Versagung des Verlustausgleichs verstößt auch nicht gegen die Vorschriften des Rechts der EG bzw. der heutigen EU. Insbesondere wird hierdurch, wie das Finanzgericht (FG) zutreffend ausgeführt hat, die im EG-Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit (Art. 52-58 EG-Vertrag; dann Art. 43-48 EG; nunmehr Art. 49-55 AEUV) nicht verletzt. Denn die Regelung des § 15 Abs. 4 EStG betrifft im Inland unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtige gleichermaßen. Ein Anspruch auf steuerliche Gleichbehandlung mit der steuerlichen Behandlung von EG-Ausländern in deren Heimatländern, wie von den Klägern im Hinblick auf die in anderen EU-Ländern teilweise praktizierte Gruppenbesteuerung eingefordert, sieht das Gemeinschafts- bzw. nunmehr Unionsrecht nicht vor.

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2. Eine Divergenz zu einer Entscheidung eines anderen Gerichts ist nicht in zulässiger Weise dargetan. Zur Darlegung der Divergenz (§§ 115 Abs. 2 Nr. 2, 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) ist es erforderlich, dass in der Beschwerdeschrift abstrakte Rechtssätze des vorinstanzlichen Urteils und abstrakte Rechtssätze aus angeblich abweichenden Entscheidungen des BFH oder eines anderen Gerichts so gegenübergestellt werden, dass eine Abweichung erkennbar wird (BFH-Beschluss vom 30. Mai 2005 X B 149/04, BFH/NV 2005, 1618). Hieran fehlt es im Streitfall. Die Behauptung, das FG setze sich mit eigenen Aussagen in Widerspruch, soweit es ausgeführt habe, dass verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung des § 15 Abs. 4 EStG nicht bestünden, genügt diesen Anforderungen nicht. Insoweit rügen die Kläger im Ergebnis eine fehlerhafte Subsumtion des vorliegenden Sachverhalts unter den vorangestellten Rechtssatz.

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3. Eine Zulassung der Revision ist auch nicht zur Sicherung der Rechtseinheit (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) geboten. Zwar ist die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO auch dann zuzulassen, wenn ein Rechtsfehler des FG zu einer "greifbar gesetzwidrigen" Entscheidung geführt hat. Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Entscheidung des FG in einem solchen Maße fehlerhaft ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wiederhergestellt werden könnte (ständige Rechtsprechung, s. BFH-Beschluss vom 28. August 2007 VII B 357/06, BFH/NV 2008, 113, m.w.N.). Diese Voraussetzung kann etwa dann vorliegen, wenn das FG eine offensichtlich einschlägige entscheidungserhebliche Vorschrift übersehen hat (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Juli 2003 V B 72/02, BFH/NV 2003, 1597) oder wenn das Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt oder auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Februar 2006 III B 128/04, BFH/NV 2006, 1116). Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze ist im Streitfall kein sog. qualifizierter, zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO führender Rechtsanwendungsfehler ersichtlich. Soweit die Kläger suggerieren, die Entscheidung sei durch die mediale Berichterstattung über die Massentierhaltung sowie durch die Tatsache beeinflusst worden, dass der Kläger … Herkunft sei, vermag der Senat dies den Entscheidungsgründen nicht ansatzweise zu entnehmen.

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4. Einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht haben die Kläger nicht hinreichend dargelegt.

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Mit ihrem Vorbringen, das FG habe nicht geprüft, ob das Existenzminimum verfassungswidrig besteuert worden sei, wenden sich die Kläger inhaltlich im Kern gegen die rechtliche Würdigung des FG. Damit machen sie jedoch keinen Verfahrensfehler, sondern die unzutreffende Anwendung materiellen Rechts geltend, die nicht zur Zulassung der Revision führt. Denn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen (BFH-Beschluss vom 12. Mai 2010 IV B 137/08, BFH/NV 2010, 1850).

11

5. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist ebenfalls nicht hinreichend dargelegt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) gewährleistet den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens das Recht, vor Gericht Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen, sofern das Vorbringen nicht nach den Prozessvorschriften ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder kann (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 26. März 2007 II S 1/07, BFH/NV 2007, 1094, m.w.N.). Dass das FG entscheidungserhebliche Ausführungen der Kläger, insbesondere zur Besteuerung des Existenzminimums, nicht zur Kenntnis genommen hat, ist nicht ersichtlich. Es ist vielmehr regelmäßig davon auszugehen, dass das FG das Vorbringen der Beteiligten umfänglich zur Kenntnis genommen hat, auch wenn nicht alle Argumente in den Entscheidungsgründen aufgegriffen werden. Im Streitfall hat das FG, wie sich bereits dem Tatbestand entnehmen lässt, sehr wohl erkannt, dass die Summe der negativen Einkünfte, die gemäß § 15 Abs. 4 EStG einstweilen unberücksichtigt bleiben, die Summe der positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten übersteigt. Gleichwohl hat es im Streitfall keinen Verstoß gegen das subjektive Nettoprinzip angenommen. Im Ergebnis rügen die Kläger auch insoweit nur die unzutreffende Anwendung des materiellen Rechts.

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Eine Verletzung des § 96 Abs. 1 FGO wird mit diesem Vorbringen ebenso wenig dargelegt.