Entscheidungsdatum: 13.11.2014
1. Bei einem Wechsel der Lebensversicherung muss der Versicherungsvermittler (hier: Versicherungsvertreter) seinen Kunden (Versicherungsnehmer) insbesondere auf die Folgen und Risiken der vorzeitigen Kündigung einer bestehenden und des Abschlusses einer neuen Lebensversicherung hinweisen.
2. Die Nichtbeachtung der Dokumentationspflicht des Versicherungsvermittlers nach § 61 Abs. 1 Satz 2, § 62 VVG kann zu Beweiserleichterungen zugunsten des Versicherungsnehmers bis hin zu einer Beweislastumkehr führen. Ist ein erforderlicher Hinweis von wesentlicher Bedeutung nicht, auch nicht im Ansatz, dokumentiert worden, so muss grundsätzlich der Versicherungsvermittler beweisen, dass dieser Hinweis erteilt worden ist.
Auf die Revision der Kläger wird der Beschluss des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 22. November 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Die Kläger nehmen die Beklagten unter dem Vorwurf der Verletzung von Hinweis- und Beratungspflichten im Zusammenhang mit der Kündigung eines bestehenden und dem Abschluss eines neuen Lebensversicherungsvertrags auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Beklagten sind selbständige Versicherungsvertreter und als solche für die D. V. AG tätig. Die Beklagte zu 1 überprüfte Anfang des Jahres 2011 den für die Kläger bestehenden Versicherungsschutz. Anschließend kündigten die Kläger ihre mit der Versicherung abgeschlossenen Versicherungsverträge, hierunter auch eine seit dem 1. November 2004 bestehende und bis zum 1. November 2034 laufende kapitalbildende Lebensversicherung; das diesbezügliche Kündigungsschreiben war von der Beklagten zu 1 aufgesetzt worden. Stattdessen schlossen die Kläger über die D. V. AG neue Versicherungen einschließlich einer Lebensversicherung bei der A. M. Versicherung ab. Nachdem die Kläger zu der Einschätzung gelangt waren, dass die neuen Versicherungen für sie ungünstiger seien als die alten, widerriefen sie die Verträge mit der A. M. Versicherung mit der Begründung, sie seien falsch beraten worden. Die Kläger schlossen dann neue Versicherungsverträge mit der Versicherung ab, nachdem der Versuch gescheitert war, den alten Lebensversicherungsvertrag aus dem Jahre 2004 wieder in Kraft zu setzen.
Die Kläger haben geltend gemacht, die Beklagten hätten sie fehlerhaft beraten, indem sie nicht auf die Nachteile einer Kündigung der bestehenden und des Abschlusses einer neuen Lebensversicherung hingewiesen hätten, nämlich den zwischenzeitlichen Wegfall der Steuerfreiheit, das höhere Eintrittsalter mit höheren Prämien, den erneuten Anfall von Abschlusskosten und einen geringeren Garantiezins. Die Kläger sind der Auffassung, die Beklagten hätten eine ordnungsgemäße Beratung zu beweisen. Der ihnen, den Klägern, entstandene Schaden, bemesse sich nach der Differenz der Kosten und Erträge der alten und der neuen Lebensversicherung.
Die Beklagten haben ihre Passivlegitimation bestritten und behauptet, die Kläger hätten die alte Lebensversicherung unbedingt beenden wollen; die Beklagten hätten die Kläger auf die Folgen einer Kündigung der alten Lebensversicherung hingewiesen und ihnen geraten, diese ruhend (beitragsfrei) zu stellen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen eingelegte Berufung der Kläger durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Zwar komme entgegen der Ansicht des Landgerichts eine persönliche Haftung der Beklagten für etwaige Beratungsfehler gemäß § 63 Satz 1 VVG in Betracht. Das Landgericht sei aber zutreffend davon ausgegangen, dass die Kläger für ihre Behauptung, die Beklagten hätten sie fehlerhaft beraten, beweisfällig geblieben seien. Nach allgemeinen Grundsätzen treffe die Beweislast für die geltend gemachte objektive Pflichtverletzung nicht die Beklagten, sondern die Kläger als Anspruchsteller. Ihrer sekundären Darlegungslast hätten die Beklagten genügt, indem sie vorgetragen hätten, die Kläger dahin beraten zu haben, dass von der Kündigung der alten Lebensversicherung wegen der damit verbundenen Nachteile abgesehen und diese lediglich beitragsfrei gestellt werden solle.
II.
1. Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Das Berufungsgericht hat erhebliches Vorbringen der Kläger nicht beachtet und in rechtlicher Hinsicht übersehen, dass sich aus einer Verletzung der Dokumentationspflicht des Versicherungsvertreters nach §§ 61, 62 VVG Beweiserleichterungen bis hin zu einer Beweislastumkehr ergeben können.
a) Zu Recht hat das Berufungsgericht als Anspruchsgrundlage auf § 63 VVG abgestellt. Seit dem 22. Mai 2007 gelten für die Haftung des Versicherungsvermittlers (Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler, § 59 Abs. 1 VVG) wegen der Verletzung von Pflichten in der Phase bis zum Abschluss des Versicherungsvertrags vorrangig die speziellen Regelungen des Versicherungsvertragsgesetzes (s. etwa OLG Karlsruhe, VersR 2012, 856, 857; OLG Saarbrücken, VersR 2010, 1181, 1182; OLG Hamm, VersR 2010, 1215; MünchKommVVG/Reiff, § 63 Rn. 22 ff, 34 ff; Prölss/Martin/Dörner, VVG, 28. Aufl., § 63 Rn. 1 ff). Diese waren zunächst in §§ 42a ff, 42e VVG (aF) enthalten (Art. 2 Nr. 1 und Art. 4 Satz 3 des Gesetzes zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts vom 19. Dezember 2006, BGBl. I S. 3232) und finden sich seit dem 1. Januar 2008 - inhaltlich unverändert - in den §§ 59 ff, 63 VVG (Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23. November 2007, BGBl. I S. 2631; s. Art. 1 Abs. 1 und 2 EGVVG).
b) Die als selbständige Versicherungsvertreter für die D. V. AG tätigen Beklagten sind der Haftung nach § 63 VVG unterworfen. Unter den Anwendungsbereich der §§ 59 ff, § 63 VVG fallen gemäß § 59 Abs. 2 VVG auch solche Versicherungsvertreter, die nicht vom Versicherer selbst, sondern von einem anderen Versicherungsvertreter (hier: D. V. AG) als Untervertreter damit betraut sind, gewerbsmäßig Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen (s. dazu etwa MünchKommVVG/Reiff, § 59 Rn. 38 f). Für das Vorliegen einer Ausnahme nach § 66 VVG in Verbindung mit § 34d Abs. 9 Nr. 1 GewO (sogenannte Bagatellvermittler) ist kein Anhaltspunkt vorgetragen oder sonst ersichtlich.
c) Zutreffend hat das Berufungsgericht unter Zugrundelegung des Vorbringens der Kläger eine Pflichtverletzung der Beklagten in Betracht gezogen.
Gemäß § 61 Abs. 1 VVG hat der Versicherungsvermittler den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben und dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags zu dokumentieren. Bei einer Kapitallebensversicherung handelt es sich regelmäßig - so auch hier - um einen komplizierten und damit auch besonders beratungsbedürftigen Versicherungsvertrag (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts, BT-Drucks. 16/1935 S. 24; LG Saarbrücken, VersR 2013, 759, 760; MünchKommVVG/Reiff, § 61 Rn. 6). Der Versicherungsvermittler (hier: Versicherungsvertreter) muss seinen Kunden insbesondere auf die Folgen und Risiken der vorzeitigen Kündigung einer bestehenden und des Abschlusses einer neuen Lebensversicherung hinweisen (vgl. OLG Stuttgart, BeckRS 2011, 02562 mwN; OLG Karlsruhe aaO S. 858 mwN [für Versicherungsmakler]; OLG Saarbrücken, VersR 2011, 1441, 1443 [für Versicherungsmakler]; OLG München, VersR 2012, 1292, 1293 [für Krankenversicherung]; Prölss/Martin/Dörner aaO § 61 Rn. 27 mwN; MünchKommVVG/Reiff, § 61 Rn. 11).
Sollten die Beklagten die Kläger nicht auf die negativen Folgen einer Kündigung der alten - für die Kläger günstigen - Kapitallebensversicherung hingewiesen haben, so hätten sie ihre Beratungspflicht verletzt.
d) Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Kläger seien für den von ihnen geltend gemachten Beratungsfehler beweisfällig geblieben, ist allerdings von Rechtsfehlern beeinflusst.
aa) Im Ansatz zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass grundsätzlich der den Schadensersatz begehrende Kunde (Versicherungsnehmer) darlegen und beweisen muss, dass der Versicherungsvermittler seine Beratungspflicht verletzt hat, wobei den Versicherungsvermittler eine sekundäre Darlegungslast trifft (Senatsurteil vom 25. September 2014 - III ZR 440/13, BeckRS 2014, 19132 Rn. 34 mwN).
bb) Das Berufungsgericht hat jedoch verkannt, dass sich die Kläger unter anderem auch darauf berufen haben, dass die Beklagten die Beratung nicht dokumentiert hätten, und dass sich hieraus Folgen für die Beweislastverteilung ergeben können.
(1) Die Kläger haben unwidersprochen vorgetragen, dass es kein Protokoll und keine Auflistung über alle wesentlichen leistungs- und beitragsrelevanten Unterschiede der bestehenden und der angebotenen Versicherung gebe, und geltend gemacht, dass hieraus die Beweisbelastung der Beklagten folge (Berufungsbegründung vom 21. Mai 2013, Seite 9 [GA II 236]). Dieses - unstreitige - Vorbringen, das in der Sache dahin geht, dass es an einer Dokumentation über die Beratung durch die Beklagten fehle, hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt.
(2) Dieser Vortrag ist entscheidungserheblich. Die Nichtbeachtung der Dokumentationspflicht des Versicherungsvermittlers nach § 61 Abs. 1 Satz 2, § 62 VVG kann Beweiserleichterungen zugunsten des Versicherungsnehmers bis hin zu einer Beweislastumkehr nach sich ziehen (Senatsurteil vom 25. September 2014 aaO mwN; s. auch BT-Drucks. 16/1935 S. 26). Die Funktion der vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Dokumentationspflicht liegt vornehmlich darin, dass der Versicherungsnehmer mit einer Beratungsdokumentation die wesentlichen Inhalte der Beratung vor Augen geführt und an die Hand bekommt; hierdurch wird er in die Lage versetzt, seine Entscheidung des Näheren zu überprüfen und den ihm sonst kaum möglichen Nachweis über den Inhalt der Beratung zu führen. Wird ihm diese Nachweismöglichkeit durch das Fehlen einer Dokumentation abgeschnitten, so hat dies zu seinen Gunsten Auswirkungen auf die Verteilung der Beweislast. Ist ein erforderlicher Hinweis von wesentlicher Bedeutung - wie er auch hier in Rede steht - nicht, auch nicht im Ansatz, dokumentiert worden, so muss grundsätzlich der Versicherungsvermittler beweisen, dass dieser Hinweis erteilt worden ist (vgl. OLG München, VersR 2012, 1292, 1293; OLG Saarbrücken, VersR 2011, 1441, 1443 und VersR 2010, 1181, 1182; MünchKommVVG/Reiff, § 63 Rn. 49). Gelingt ihm dieser Beweis nicht, so ist zugunsten des Versicherungsnehmers davon auszugehen, dass der betreffende Hinweis nicht erteilt worden ist, der Versicherungsvermittler mithin pflichtwidrig gehandelt hat.
2. Hiernach kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO). Das Berufungsgericht wird unter Beachtung der beweisrechtlichen Folgen einer Verletzung der Dokumentationspflicht der Beklagten erneut zu prüfen haben, ob eine Pflichtverletzung der Beklagten vorliegt und ob und inwieweit das Schadensersatzbegehren der Kläger begründet ist.
Schlick Wöstmann Tombrink
Remmert Reiter