Entscheidungsdatum: 27.01.2011
Fleischgebühren
Eine Gemeinde, die in der Zeit zwischen 1991 und 1996 gesonderte Gebühren für Untersuchungen auf Trichinen und für bakteriologische Untersuchungen erhoben hat, hat nicht in einer einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch begründenden hinreichend qualifizierten Weise gegen Art. 5 Abs. 1 der Entscheidung 88/408/EWG und Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 85/73/EWG in der Fassung der Richtlinie 93/118/EG verstoßen .
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 31. Januar 2007 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Beschwerdewert wird auf 247.163,51 € festgesetzt.
I.
Der Kläger verfolgt als Insolvenzverwalter über das Vermögen der P. oHG (im Folgenden: Schuldnerin) nach Aufnahme des Rechtsstreits im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Schadensersatzansprüche gegen die beklagte Stadt im Zusammenhang mit der Erhebung von Untersuchungsgebühren nach fleischhygienerechtlichen Vorschriften in dem Zeitraum vom 1. Januar 1991 bis zum 7. Februar 1996 in behaupteter Höhe von 247.163,51 € weiter. Dem Verfahren ging das von der Schuldnerin erwirkte rechtskräftig gewordene Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 26. September 2002 voraus, mit dem zwischen dem 9. Januar 1991 und 7. Februar 1996 ergangene Gebührenbescheide der Beklagten in Höhe eines Gesamtbetrags von 471.733,85 € aufgehoben wurden und nur insoweit bestehen blieben, als sie der Höhe nach den gemeinschaftsrechtlichen Pauschalgebühren entsprachen. Zugleich wurde die Beklagte zur Rückzahlung dieses Betrags nebst 4 % Zinsen seit dem 18. August 1999 verurteilt. Im anhängigen Verfahren werden wegen der Inanspruchnahme von Bankkredit durch die Schuldnerin entstandene Zinsschäden geltend gemacht, die auf der Heranziehung zu Gebührenzahlungen auf der Grundlage der teilweise aufgehobenen Bescheide beruhen.
Die Klage der Schuldnerin ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger nach Aufnahme des Rechtsstreits die Zulassung der Revision.
II.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO).
1. Zutreffend sind die Vorinstanzen aufgrund der Bindungswirkung des Urteils des Verwaltungsgerichts davon ausgegangen, dass die Gebührenbescheide der Beklagten mit den Bestimmungen der Richtlinie 85/73/EWG des Rates vom 29. Januar 1985 über die Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch und Geflügelfleisch (ABl EG Nr. L 32/14) und der zu ihrer Ausführung ergangenen Entscheidung 88/408/EWG des Rates vom 15. Juni 1988 (ABl EG Nr. L 194/24) beziehungsweise ab dem 1. Januar 1994 mit den die Richtlinie 85/73/EWG ändernden Bestimmungen der Richtlinie 93/118/EG des Rates vom 22. Dezember 1993 (ABl EG Nr. L 340/15) nicht in Einklang standen. Dies betraf zum einen die Festsetzung gesonderter Gebühren für Untersuchungen auf Trichinen und für bakteriologische Untersuchungen, die gegen Art. 5 Abs. 1 der Ratsentscheidung 88/408/EWG beziehungsweise Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 85/73/EWG in der Fassung der Richtlinie 93/118/EG verstieß, wonach die Gemeinschaftsgebühren an die Stelle jeder anderen Abgabe treten, die von den Behörden der Mitgliedstaaten für Fleischuntersuchungen und Hygienekontrollen erhoben wird. Dass die Kosten dieser Untersuchungen von der Gemeinschaftsgebühr erfasst werden, hat der Gerichtshof der Europäischen Union durch Urteil vom 30. Mai 2002 (C-284/00 und C-288/00, Slg. 2002, I-4632 = DVBl. 2002, 1108) auf Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. LRE 39, 45, 54) entschieden. Zum anderen war die Beklagte - ungeachtet ihrer grundsätzlichen Berechtigung, bis zur Höhe ihrer tatsächlichen Untersuchungskosten einen über die Pauschalgebühr hinausgehenden Betrag zu erheben - nicht berechtigt, in der Kalkulation der allgemeinen Untersuchungsgebühr Versorgungsbezüge pensionierter Tierärzte und ihrer Angehörigen zu berücksichtigen.
2. Das Berufungsgericht hat wegen dieser Verstöße einen unionsrechtlichen Schadensersatzanspruch verneint, weil es nicht festzustellen vermocht hat, dass die Beklagte durch ihre Satzungsregelungen und die auf dieser Grundlage ergangenen Gebührenbescheide in hinreichend qualifizierter Weise gegen das Recht der Europäischen Union verstoßen hat. Die hiergegen erhobenen Rügen der Beschwerde veranlassen eine Zulassung der Revision nicht.
a) Das Berufungsgericht hat wegen der maßgebenden Kriterien für einen hinreichend qualifizierten Verstoß zur Vermeidung von Wiederholungen auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen, das insoweit eine Passage aus dem Urteil des Gerichtshofs vom 5. März 1996 (C-46/93 und C-48/93 - Brasserie du Pêcheur und Factortame, Slg. 1996, I-1131 = NJW 1996, 1267 Rn. 55) wiedergegeben hat, in der darauf hingewiesen wird, entscheidend sei, ob der Mitgliedstaat die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt seien, offenkundig und erheblich überschritten habe.
Ohne Erfolg beanstandet die Beschwerde insoweit, das Berufungsgericht habe einen unrichtigen Maßstab zugrunde gelegt, weil es hier um eine Fallkonstellation gehe, in der dem Mitgliedstaat kein oder nur ein erheblich verringerter Ermessensspielraum zustehe, so dass die bloße Verletzung des Unionsrechts genüge, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß zu begründen. Das Berufungsgericht hat insoweit zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass den Mitgliedstaaten nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 85/73/EWG und nach Art. 2 Abs. 3 in der Fassung der Richtlinie 93/118/EG die Möglichkeit überlassen blieb, einen höheren Betrag als die Gemeinschaftsgebühr zu erheben, sofern dieser die tatsächlichen Untersuchungskosten nicht überschreitet (vgl. auch EuGH, Urteil vom 30. Mai 2002 - C-284/00 und C-288/00, aaO Rn. 54). Weitere Entscheidungen des Gerichtshofs vom 9. September 1999 (C-374/97 - Feyrer/Landkreis Rottal-Inn – Slg. 1999, I-5167 = EuZW 2000, 22 Rn. 27 f) und 19. März 2009 (C-309/07, Slg. 2009, I-277 Rn. 20 und C-270/07, BeckRS 2009, 70297 Rn. 28, 30) belegen zudem den über Jahre gehenden Klärungsbedarf zu den Möglichkeiten der Mitgliedstaaten, die Pauschalbeträge für bestimmte Betriebe anzuheben oder eine ganz in ihrem Ermessen stehende spezifische Gebühr zu erheben, die die tatsächlichen Kosten nicht überschreitet.
b) In der Sache meint die Beschwerde, soweit es um die Festsetzung gesonderter Gebühren für die Untersuchungen auf Trichinen und für bakteriologische Untersuchungen gehe, müsse man aufgrund des Urteils des Gerichtshofs vom 30. Mai 2002 von einem hinreichend qualifizierten Verstoß ausgehen. Denn der Gerichtshof habe befunden, dass nichts in den zur Prüfung stehenden Richtlinien darauf hindeute, dass die betreffende Gemeinschaftsgebühr nicht die Kosten für derartige Untersuchungen abdecken solle, weil diese nicht in allen Fällen stattfänden oder weil diese Kosten von einer spezifischen Gebühr abgedeckt sein könnten (aaO Rn. 50).
Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass schon vor der vom Gerichtshof herbeigeführten Klärung eine eindeutige Rechtslage bestanden hätte. Das Berufungsgericht verweist insoweit zu Recht auf die Gründe des Vorlagebeschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 2000 (1 C 12.99, LRE 39, 45, 52 f; vgl. auch den Vorlagebeschluss in der Sache 1 C 8.99, GewArch 2000, 384 f), das - vor dem Hintergrund unterschiedlicher instanzgerichtlicher Rechtsprechung - dem Gemeinschaftsrecht keine eindeutige Antwort zur gesonderten Festsetzbarkeit von Gebühren für die in Rede stehenden Untersuchungen zu entnehmen vermochte, und die Bekanntmachung der Protokollerklärung des Agrarrates und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zur Ratsentscheidung 88/408/EWG vom 24. Januar 1989, deren Fußnote 1 nach Auffassung des Senats zumindest die Rechtsauffassung stützen konnte, dass mit der Pauschalgebühr die Kosten für eine Trichinenuntersuchung nicht abgegolten seien.
c) Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Frage nach der Qualifizierung des Verstoßes gegen das Recht der Europäischen Union unter Einbeziehung der Möglichkeiten der mitgliedstaatlichen Behörden beurteilt hat, von den Pauschalgebühren abzuweichen, wenn durch sie die tatsächlichen Untersuchungskosten nicht gedeckt werden. Die Beschwerde sieht zwar ein näheres Klärungsbedürfnis in der Frage, ob es genüge, dass dem Mitgliedstaat nur allgemein ein Abweichen von den gemeinschaftsrechtlichen Regelungen eingeräumt werde, oder ob es - wie sie meint - darauf ankomme, dass sich der Ermessensspielraum auf die konkret getroffene Entscheidung bezieht, die Grundlage des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs ist.
Die Frage stellt sich in dieser Zuspitzung nicht. Der Bundesgesetzgeber hat zur Umsetzung der in Rede stehenden Rechtsakte der Union von der ihm nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG zustehenden konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht und in § 24 Abs. 2 FlHG den Ländern überlassen, die einzelnen kostenpflichtigen Tatbestände zu bestimmen und damit das in Bezug genommene Gemeinschaftsrecht in nationales Recht zu transformieren. Das Land Nordrhein-Westfalen hat sich dieser Aufgabe - im Anschluss an das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. August 1996 (BVerwGE 102, 39) - mit Rückwirkung zum 1. Januar 1991 erst durch das Fleisch- und Geflügelfleischhygienekostengesetz vom 16. Dezember 1998 (GV. NRW. S. 775) und die hierzu ergangene Ausführungsverordnung vom 6. Mai 1999 (GV. NRW. S. 156) unterzogen. Wegen der Wiedergabe der Einzelheiten, auch gerade zur Trichinenuntersuchung, wird auf den Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 2000 (1 C 12.99, LRE 39, 45, 47) Bezug genommen. Für die Beklagte, die auf örtlicher Ebene aufgrund von Satzungen, die naturgemäß auf der früheren Rechtslage beruhten, Gebühren zu erheben hatte, konnte es daher im Wesentlichen nur darauf ankommen, ob die gemeinschaftsrechtlichen Pauschalgebühren die tatsächlichen Untersuchungskosten deckten, wobei es auch ein Anliegen der Richtlinie 85/73/EWG war, eine Subventionierung der Kostenpflichtigen durch nicht kostendeckende Gebühren zu vermeiden (vgl. Senatsurteil vom 14. Dezember 2000 - III ZR 151/99, BGHZ 146, 153, 162). Deswegen ist der Prüfungsmaßstab, ob das umzusetzende Gemeinschaftsrecht dem Mitgliedstaat die Befugnis vorbehielt, Gebühren in Höhe der tatsächlichen Untersuchungskosten zu erheben, nicht zu beanstanden.
d) Im Ansatz macht die Beschwerde zu Recht darauf aufmerksam, dass sich das Berufungsgericht unter dem Gesichtspunkt des qualifizierten Verstoßes gegen das Recht der Europäischen Union nicht ausdrücklich mit dem Gesichtspunkt auseinandergesetzt hat, die Beklagte habe durch Berücksichtigung der Versorgungsbezüge pensionierter Tierärzte und ihrer Angehörigen eine unzulässige und rechtswidrige Kostenüberdeckung erzielt. Ein Verstoß gegen das Recht der Schuldnerin aus Art. 103 Abs. 1 GG ist hierin indes nicht zu erblicken, da das Berufungsgericht diesen Verstoß gegen das Recht der Union näher ausgeführt hat und nichts dafür spricht, dass es ihn bei der Frage seiner Qualifizierung nicht mehr erwogen hätte.
Auch im Übrigen ist eine Zulassung der Revision in diesem Punkt zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich. Dass die Versorgungsbezüge nicht als Bestandteil der Lohnkosten gewertet werden können, die in Art. 2 Abs. 2 der Ratsentscheidung 88/408/EWG und der Bekanntmachung der Protokollerklärung des Agrarrates und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 24. Januar 1989 sowie in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 85/73/EWG in der Fassung der Richtlinie 93/118/EG als Parameter für kostendeckende Gebühren aufgeführt sind, bedarf keiner Klarstellung durch ein Revisionsurteil des Senats. Es kommt hinzu, dass es nach dem in Bezug genommenen Urteil des Verwaltungsgerichts zwischen der Beklagten und der Fleischerinnung als Betreiber des Schlachthofs vertragliche Vereinbarungen gegeben hat, die diese Versorgungsbezüge zum Gegenstand hatten. Diese atypische Situation für einen einzelnen, nicht mehr bestehenden Schlachthof erfordert keine Leitentscheidung des Senats.
3. Eine Zulassung der Revision ist auch nicht veranlasst, soweit das Berufungsgericht Amtshaftungsansprüche wegen fehlenden Verschuldens der Bediensteten der Beklagten verneint hat. Insoweit wird von einer näheren Begründung abgesehen (§ 544 Abs. 4 Satz 2 ZPO).
4. Danach kommt es nicht auf die Frage an, ob sich aus der Richtlinie 93/118/EG ein Recht des Gebührenschuldners ergibt, das Grundlage für einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch sein kann.
Schlick Dörr Herrmann
Seiters Tombrink