Entscheidungsdatum: 24.06.2010
Zur Beachtlichkeit einer Verwaltungsvorschrift für einen Amtsträger, wenn diese wegen einer Befristung außer Kraft getreten ist und nicht durch eine andere ersetzt wurde .
Der Senat beabsichtigt, die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 4. November 2009 - I-11 U 15/09 - gemäß § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Klägerin erhält Gelegenheit, hierzu binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses Stellung zu nehmen.
I.
Die klagende Versicherungsgesellschaft nimmt den Beklagten aus übergegangenem Recht ihres Versicherungsnehmers auf Schadensersatz wegen eines Brands in Anspruch, der am 16. November 2007 in einem in M. gelegenen Wohngebäude ausgebrochen ist. Der Brand entstand durch Hitzeübertragung von dem im Flur des ersten Obergeschosses stehenden Kaminofen und dessen Ofenrohr auf die dahinter liegende Wand. Der Beklagte, der den Kaminofen am 12. Februar 2007 in seiner Eigenschaft als örtlich zuständiger Bezirksschornsteinmeister geprüft und abgenommen hatte, hatte bei seiner Prüfung den zwischen dem Ofenrohr und der gemauerten Wand bestehenden Abstand von (nur) 8,5 cm für unbedenklich erachtet. Die Klägerin hält die Auffassung des Beklagten für rechtsirrig. Ihrer Meinung nach wäre der festgestellte Abstand aufgrund der einschlägigen Bestimmungen nur dann ausreichend gewesen, wenn die Wand mit einer Papiertapete verkleidet gewesen wäre. Bei der vorhandenen, aus Vinyl gefertigten und zudem überstrichenen Tapete wäre ein größerer Abstand einzuhalten gewesen.
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.
II.
Der Senat ist davon überzeugt, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und diese keine Aussicht auf Erfolg hat.
1. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Das Berufungsgericht hat die Revision im Hinblick auf das von ihm verneinte Vorliegen einer schuldhaften Amtspflichtverletzung "gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1, 2 ZPO“ zugelassen. In der Sache hat es das Vorliegen einer objektiven Amtspflichtverletzung für nicht zweifelsfrei erachtet und die Haftung des Beklagten jedenfalls wegen mangelnden Verschuldens abgelehnt. Ob aber der Beklagte in der hier zu beurteilenden konkreten Situation schuldhaft gehandelt hat, weil er hätte erkennen können und müssen, dass der Kaminofen oder das Ofenrohr im Widerspruch zu den einschlägigen Vorschriften angebracht war und deshalb eine erhöhte Brandgefahr bestanden hat, ist eine Frage der einzelfallbezogenen tatrichterlichen Würdigung, die den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung und auch den der Fortbildung des Rechts nicht zu begründen vermag. Im Übrigen hat sich das Berufungsgericht erkennbar an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs orientiert. Der Zulassungsgrund der Divergenz ist deshalb ebenfalls nicht gegeben.
2. Der Senat ist auch davon überzeugt, dass die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision stand.
a) Das Berufungsgericht ist bei der Prüfung des Verschuldens des Beklagten von den vom Bundesgerichtshof formulierten Maßstäben ausgegangen. Grundsätzlich muss sich jeder Amtsträger die zur Führung seines Amtes notwendigen Rechts- und Verwaltungskenntnisse verschaffen. Bei der Gesetzesauslegung und Rechtsanwendung hat er die Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und danach aufgrund vernünftiger Überlegung sich eine Rechtsmeinung zu bilden. Nicht jeder objektive Rechtsirrtum begründet einen Schuldvorwurf. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen die objektiv unrichtige Rechtsanwendung eine Vorschrift betrifft, deren Inhalt - bezogen auf den zur Entscheidung stehenden Einzelfall - zweifelhaft sein kann und noch nicht durch eine höchstrichterliche Rechtsprechung klargestellt ist (vgl. Senatsurteil vom 9. Dezember 2004 - III ZR 263/04 - NJW 2005, 748, 749 m.w.N.).
b) Der Beklagte hatte bei seiner nach § 43 Abs. 7 BauO NRW durchgeführten Überprüfung zu berücksichtigen, dass nach § 17 Abs. 1 BauO NRW bauliche Anlagen sowie andere Anlagen und Einrichtungen unter Berücksichtigung insbesondere der Brennbarkeit der Baustoffe so beschaffen sein müssen, dass der Entstehung eines Brandes oder der Ausbreitung von Feuer und Rauch vorgebeugt wird. Nach § 8 der Feuerungsverordnung NRW müssen zu Bauteilen aus brennbaren Baustoffen bestimmte näher beschriebene Abstände eingehalten werden.
Das Berufungsgericht ist des Weiteren zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte bei seiner Tätigkeit die Verwaltungsvorschrift zur Landesbauordnung des Ministeriums für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport vom 12. Oktober 2000 (MBl. NRW S. 1432) zu beachten hatte, die als allgemeine Weisung nach § 9 Abs. 2 Buchst. a OBG NRW erlassen wurde. Die Verwaltungsvorschrift war zwar, was das Berufungsgericht nicht angesprochen hat und von der Revision beanstandet wird, bis zum 31. Dezember 2005 befristet und damit zum Zeitpunkt der hier durchgeführten Untersuchung formal außer Kraft getreten. Sie ist jedoch nicht durch eine andere Verwaltungsvorschrift ersetzt worden. In dieser Situation können (müssen) die mit der Durchführung und Überwachung der Bauordnung betrauten Stellen und Behörden davon ausgehen, dass sich die Auffassung der obersten Bauaufsichtsbehörde zu den in der Verwaltungsvorschrift gemachten Aussagen auch nach deren Auslaufen nicht geändert hat (vgl. Temme in Gädtke/Temme/Heinz/Czepuck, BauO NRW, 11. Aufl., § 17 Rn. 1a). Dabei darf insbesondere bei "sicherheitsrelevanten" Fragen wie denen des Brandschutzes erwartet werden, dass die oberste Bauaufsichtsbehörde, wenn und soweit die Nichtverlängerung der Geltungsdauer der Verwaltungsvorschrift auf einer anderen Bewertung der Gefahrenlage beruhen sollte, darauf schon vor Erlass einer neuen Verwaltungsvorschrift in geeigneter Weise (Rundschreiben, Runderlasse etc.) hinweist, um zukünftigen Brandgefahren zu begegnen.
Zu § 17 BauO NRW verweist die Verwaltungsvorschrift hinsichtlich der verwendeten brandschutztechnischen Begriffe und der zugehörigen Prüfbestimmungen auf die DIN 4102-4 - Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen. Zugleich bestimmt sie, dass die Bekleidung und die Oberfläche von Bauteilen, die nichtbrennbar oder schwerentflammbar sein müssen, sowie deren Oberflächenbehandlung grundsätzlich in die Beurteilung der Brennbarkeit mit einzubeziehen sind, es sei denn, es handelt sich um Beschichtungen bis 0,5 mm Dicke, um Anstriche oder um Tapeten auf Mauerwerk, Beton oder mineralischen Putzen.
Bei einem Mauerwerk handelt es sich um einen nicht brennbaren Stoff nach Nr. 2.2.1 der DIN 4102-4. In der Vorbemerkung der DIN 2102-4 2.2. ist darauf hingewiesen, dass die Baustoffklasse auch dann erhalten bleibt, wenn die Baustoffe oberflächlich mit Anstrichen auf Dispersions- oder Alkydharzbasis oder mit üblichen Papierwandbekleidungen (Tapeten) versehen sind. Damit steht die Definition für nicht brennbare Stoffe nach der DIN 4102-4 in einem Widerspruch zur Verwaltungsvorschrift zu § 17 BauO NRW, die eine Differenzierung der Tapeten im Hinblick auf das Material, aus dem sie hergestellt sind, nicht vornimmt.
c) Die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, es treffe den Beklagten keinen Verschuldensvorwurf, wenn er sich allein an der Verwaltungsvorschrift zu § 17 BauO und nicht auch an der DIN 4102-4 orientiert und aufgrund dessen den Abstand von 8,5 cm für ausreichend erachtet habe, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
In der Verwaltungsvorschrift, die als Weisung im Sinne des § 9 Abs. 2 OBG NRW von den zuständigen Stellen und Behörden vorrangig zu beachten ist, wird die DIN 4102-4 lediglich zur Baustoffbezeichnung in Bezug genommen. Der Beklagte als Bezirksschornsteinmeister musste nicht in Betracht ziehen, dass hinsichtlich der Einschätzung der Brandgefahr bei mit Tapeten versehenem Mauerwerk ergänzend auf die Festsetzungen der DIN 4102-4 zurückgegriffen werden muss.
Da die Verwaltungsvorschrift keine nähere Beschreibung oder Differenzierungen der verschiedenen Tapetenarten vornimmt, ist auch die Würdigung des Berufungsgerichts frei von Rechtsfehlern, der Beklagte habe sich nicht veranlasst sehen müssen, den Fragen der Entflammbarkeit und des Brandverhaltens der überstrichenen Vinyltapete nachzugehen.
Mangels Verschuldens scheidet ein allein in Betracht kommender Schadensersatzanspruch nach § 839 BGB gegen den Beklagten aus.
Schlick Dörr Wöstmann
Seiters Tombrink