Entscheidungsdatum: 02.12.2010
Zur Berücksichtigung von Darstellungen in einem in Aufstellung befindlichen Flächennutzungsplan als einem privilegierten Außenbereichsvorhaben (hier: Errichtung von Windkraftanlagen) entgegenstehender öffentlicher Belang .
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 26. August 2009 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsrechtszugs hat die Beklagte zu tragen.
Von Rechts wegen
Der Kläger macht gegen die beklagte Stadt aus abgetretenem Recht Amtshaftungsansprüche wegen rechtswidriger Versagung einer Baugenehmigung für zwei Windkraftanlagen geltend.
Am 13. Februar 2002 beantragte die Firma W. die Genehmigung zur Errichtung von zwei Windkraftanlagen auf im Außenbereich der Beklagten gelegenen Grundstücken. Diese standen im Eigentum eines Dritten, der mit der antragstellenden Firma einen Nutzungsvertrag abgeschlossen hatte. Das betreffende Gebiet war im damals gültigen Flächennutzungsplan als Fläche für die Landwirtschaft dargestellt. Am 31. Mai 2002 erteilte die Bezirksregierung D. die luftrechtliche Zustimmung zum Bau der Anlagen bis zu einer Höhe von 138,5 m über Grund. Die Genehmigung ging bei der beklagten Stadt am 6. Juni 2002 ein.
Zeitgleich betrieb die Beklagte die 51. Änderung des Flächennutzungsplans. Am 14. März 2002 beschloss sie die frühzeitige Bürgerbeteiligung gemäß § 3 Abs. 1 BauGB. Am 11. April 2002 fand eine Bürgerversammlung statt. Am 15. Mai 2002 wurde die Durchführung der öffentlichen Planauslegung gemäß § 3 Abs. 2 BauGB für die Zeit vom 24. Mai 2002 bis zum 26. Juni 2002 beschlossen. In der Ratssitzung vom 27. Juni 2002 beriet der Stadtrat der Beklagten über die im Rahmen der Offenlegung vorgebrachten Anregungen und beschloss gleichzeitig die 51. Änderung des Flächennutzungsplans. Dieser trat nach Genehmigung durch die Bezirksregierung und Bekanntmachung am 25. September 2002 in Kraft. In diesem Flächennutzungsplan war nunmehr im nordöstlichen Stadtgebiet erstmals eine Konzentrationsfläche für Windkraftanlagen vorgesehen. Die vom Bauherrn im hiesigen Verfahren beantragte Baugenehmigung sah jedoch einen anderen Standort für die Windkraftanlagen außerhalb der Konzentrationsfläche vor.
Die ursprüngliche Bauantragstellerin übertrug mit Vereinbarung vom 12. Juli 2002 ihre Rechte aus der Nutzungsvereinbarung mit dem Grundstückseigentümer an die W. GmbH, deren Geschäftsführer der Kläger bis Ende März 2006 war. Die W. GmbH trat im Weiteren ihre Ansprüche aus der Versagung der Baugenehmigung an den Kläger ab.
Mit Bescheid vom 30. Juli 2002 lehnte die Beklagte die Baugenehmigung ab. Der gegen die Versagung der Baugenehmigung gerichtete Widerspruch blieb erfolglos. Die hiergegen erhobene Verpflichtungsklage auf Erteilung der Baugenehmigung, hilfsweise auf Feststellung, dass die Beklagte bis zum Inkrafttreten der Änderung des Flächennutzungsplans zur Erteilung der Baugenehmigung verpflichtet war, wurde vom Verwaltungsgericht Düsseldorf durch rechtskräftiges Urteil vom 24. Mai 2004 abgewiesen. Der Genehmigung der beantragten Anlage stehe mit der nunmehr verbundenen Ausweisung der Konzentrationsflächen für Windkraftanlagen durch die wirksame 51. Änderung des Flächennutzungsplans die Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB entgegen. Bezüglich des Hilfsantrags verneinte das Verwaltungsgericht das erforderliche Feststellungsinteresse.
Das Landgericht hat den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Schadensersatz wegen Versagung der beantragten Baugenehmigung für die zwei Windkraftanlagen in Höhe von 1.762.824 € dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Die Revision ist unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten dem Grunde nach festgestellt. Es hat - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung mit dem Eingang der letzten Stellungnahme von den Trägern öffentlicher Belange am 6. Juni 2002 vorgelegen hätten und die Beklagte die Genehmigung umgehend hätte erteilen müssen. Der Flächennutzungsplan nach seiner 51. Änderung könne vor seinem Inkrafttreten nicht als öffentlicher Belang der Genehmigungsfähigkeit der beantragten Windkraftanlagen nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Satz 3 BauGB entgegengehalten werden. Die in der Kommentarliteratur angesprochenen Fälle, in denen ein weit fortgeschrittener Planungsstand bei der Aufstellung von Bauleitplänen einen öffentlichen Belang im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB darstellen könne, seien mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Es gehe nämlich um die Ausschlusswirkung einer Standortfestlegung für Windenergieanlagen nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB. Diese Ausschlusswirkung komme nur wirksamen Flächennutzungsplänen zu, nicht aber Entwürfen eines Flächennutzungsplans, auch wenn diese bereits planreif seien.
II.
Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision jedenfalls im Ergebnis stand. Zu Recht hat das Berufungsgericht die Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs dem Grunde nach bejaht.
1. Mit zutreffenden rechtlichen Erwägungen und von der Revision unbeanstandet hat das Berufungsgericht die von der Beklagten zur Ablehnung des Baugesuchs gegebene Begründung (Verstoß gegen eine auf der Grundlage des § 86 Bau NRW erlassene Bauhöhenbegrenzungssatzung) für nicht tragfähig erachtet.
2. Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist weiter die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte könne auch nicht unter Berufung auf die Grundsätze des rechtmäßigen Alternativverhaltens geltend machen, der Erteilung der beantragten Genehmigung habe jedenfalls die beabsichtigte (51.) Änderung des Flächennutzungsplans entgegengestanden.
a) Das Berufungsgericht hat in tatrichterlicher Würdigung aller Umstände festgestellt, dass die Beklagte bei rechtmäßigem Verhalten umgehend nach dem 6. Juni 2002 - und damit vor dem 27. Juni 2002, dem Tag der Beschlussfassung über die Änderung des Flächennutzungsplans - die Baugenehmigung hätte erteilen müssen. Dieser Würdigung, die Rechtsfehler nicht erkennen lässt, setzt die Revision - zudem auch erst in dem nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist eingegangenen Schriftsatz vom 27. April 2010 - lediglich ihre abweichende tatsächliche Bewertung entgegen.
b) Zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife über den Bauantrag stand dem nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegierten Vorhaben kein öffentlicher Belang entgegen.
aa) Nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB stehen einem Vorhaben wie dem hier beantragten in der Regel öffentliche Belange (unter anderem) auch dann entgegen, soweit hierfür durch Darstellungen im Flächennutzungsplan eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, setzt eine Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB jedoch voraus, dass der Flächennutzungsplan mit der dem Bauvorhaben entgegenstehenden Darstellung wirksam ist (BVerwG ZfBR 2010, 675, 676 f; BauR 2003, 1172, 1174; vgl. auch BVerwGE 122, 364, 367 zum regionalen Raumordnungsplan). Hiergegen erhebt die Revision auch keine Einwendungen. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Baugesuchs war die 51. Änderung des Flächennutzungsplanes noch nicht wirksam geworden.
bb) Dem beantragten Bauvorhaben stand auch kein öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB entgegen.
Es kann in diesem Verfahren dahinstehen, ob die von der Revision bekämpfte Rechtsauffassung des Berufungsgerichts - die auch zur Zulassung der Revision geführt hat - zutrifft, dass Darstellungen in noch in Aufstellung befindlichen Flächennutzungsplänen nicht als öffentlicher Belang zu berücksichtigen seien. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage bislang offen gelassen (vgl. BVerwG ZfBR 2010, 675, 682; BauR 2003, 1172, 1174 f). Nach seiner Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, können Darstellungen in noch in Aufstellung befindlichen Flächennutzungsplänen jedenfalls nur dann einem beabsichtigten Bauvorhaben als öffentlicher Belang entgegenstehen, wenn sie inhaltlich konkretisiert sind, so dass die hinreichend sichere Erwartung gerechtfertigt ist, dass der jeweilige Plan über das Entwurfsstadium hinaus beschlossen und wirksam werden wird. Es würde dem Gewährleistungsgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zuwider laufen, ein ansonsten zulässiges Vorhaben an Zielvorstellungen des Planungsträgers scheitern zu lassen, bei denen noch nicht absehbar ist, ob sie je ins Werk gesetzt werden. Die Planung muss deshalb ein genügendes Maß an Verlässlichkeit bieten, um auf der Genehmigungsebene als Versagungsgrund zu dienen. Diesem Erfordernis ist erst dann genügt, wenn ein Planungsstand erreicht ist, der die Prognose nahe legt, dass die ins Auge gefasste planerische Aussage Eingang in die endgültige Planfassung finden wird (vgl. BVerwGE 122, 364, 372 zu einem in Aufstellung befindlichen Ziel der Raumplanung). Nach diesen Maßstäben kann ein in Aufstellung befindlicher Flächennutzungsplan sich auf die Entscheidung über ein Baugesuch erst dann auswirken, wenn er den Anforderungen genügt, unter denen nach § 33 BauGB ein in der Aufstellung befindlicher Bebauungsplan Wirkung zu entfalten vermag; dies setzt nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 BauGB („formelle Planreife“) insbesondere voraus, dass das Anregungsverfahren nach § 3 Abs. 2 BauGB durchgeführt worden ist (BVerwG Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 129; vgl. BVerwG BauR 2003,1172,1175). Dieses Verfahren ist aber nicht schon dann durchgeführt, wenn die Auslegungsfrist verstrichen ist, sondern erst, wenn die Gemeinde die vorgebrachten Anregungen geprüft hat (vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB [März 2007] § 33 Rn. 31; Schrödter/Rieger, BauGB, 7. Aufl., § 33 Rn. 6; Krautzberger in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 11. Aufl., § 33 Rn. 7).
Im vorliegenden Fall beschloss der Rat der Beklagten am 27. Juni 2002 die 51. Änderung des Flächennutzungsplans und befand dabei auch über die im Anregungsverfahren vorgebrachten Änderungsvorschläge. Formelle Planreife kann damit erst ab dem 27. Juni 2002 angenommen werden. Somit kann die 51. Änderung des Flächennutzungsplans dem hier im Verfahren in Streit stehenden Bauvorhaben nicht als öffentlicher Belang entgegengehalten werden, da die Entscheidungsreife über den Bauantrag zeitlich vorher, nämlich unmittelbar nach dem 6. Juni 2002 eingetreten war. Auf die Frage, ob die Darstellungen in einem Flächennutzungsplan erst und nur dann als öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB in Betracht zu ziehen sind, wenn dieser formell in Kraft getreten und wirksam ist, kommt es deshalb nicht an.
Schlick Herrmann Wöstmann
Seiters Tombrink