Entscheidungsdatum: 21.01.2010
Der Einsatz einer computerunterstützten Navigationstechnik bei Durchführung einer Totalendoprothese des Kniegelenks nach Nr. 2153 ist nicht nach Nr. 2562 analog abrechenbar .
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 24. April 2009 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsrechtszugs zu tragen.
Von Rechts wegen
Die Klägerin nimmt den Beklagten aus abgetretenem Recht des Dr. H., Chefarzt im Kreiskrankenhaus S., auf Zahlung restlichen Honorars in Anspruch. Dr. H. hatte im August 2007 beim Beklagten einen endoprothetischen Totalersatz beider Kniegelenke nach der Nr. 2153 des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) unter Einsatz eines computerunterstützten kinematischen Navigationssystems vorgenommen. Die Parteien streiten darüber, ob die "anatomische Vorausberechnung des OP-Gebiets (Zielpunktbestimmung) und Navigation" nach der Nr. 2562 des Gebührenverzeichnisses analog abgerechnet werden kann.
Die Klägerin hat den Beklagten auf Zahlung des auf diese Gebührenposition entfallenden Betrags von 452,46 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen. Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Die Revision ist nicht begründet.
I.
Das Berufungsgericht sieht in der Verwendung der computerunterstützten Navigationstechnik bei der durchgeführten Operation keinen neuartigen operativen Einzelschritt, sondern ein Hilfsmittel des Arztes, der sich nicht mehr allein auf seine Augen, sein Gefühl, seine Fingerfertigkeit und seine Erfahrung verlasse, sondern sich der modernen Computertechnik bediene, um ein besseres Operationsergebnis bzw. eine optimale Zielleistung zu erreichen. Das Navigationssystem sei ein objektiver Assistent des Arztes, das auch nicht die Notwendigkeit bildgebender Voruntersuchungen (Ultraschall, Röntgen) ersetze, die ausweislich der Rechnung vom 18. Oktober 2007 am Vortag des operativen Eingriffs vorgenommen worden seien. Bei dem Einsatz der Navigationstechnik handele es sich daher nicht um eine selbständige Leistung, die gesondert berechnet werden könne.
II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand.
1. Für den Einsatz der computerunterstützten Navigationstechnik der hier durchgeführten Operation nach der Nr. 2153 des Gebührenverzeichnisses enthält das Gebührenverzeichnis der Gebührenordnung für Ärzte keinen eigenen Vergütungstatbestand. Dieser Umstand rechtfertigt es für sich genommen noch nicht, die Abrechenbarkeit dieses Geräteeinsatzes von vornherein zu verneinen. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der mit der Bereitstellung und Handhabung einer solchen Technik verbundene Aufwand bei der Bewertung der Totalendoprothese des Knies nach Nr. 2153 des Gebührenverzeichnisses berücksichtigt worden ist. Nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien war die hier in Rede stehende Technik nämlich weder bei Inkrafttreten der Gebührenordnung für Ärzte vom 12. November 1982 (BGBl. I S. 1522) noch im Zuge der in verschiedenen Teilen vorgenommenen Überarbeitung des Gebührenverzeichnisses durch die zum 1. Januar 1996 in Kraft getretene Vierte Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Ärzte vom 18. Dezember 1995 (BGBl. I S. 1861) bekannt.
2. a) Grundvoraussetzung einer gesonderten Abrechnung des Einsatzes der Navigationstechnik ist nach § 4 Abs. 2 Satz 1, § 6 Abs. 2 GOÄ, dass es sich um eine selbständige ärztliche Leistung handelt. Wie der Senat entschieden hat, kommen prinzipiell alle im Gebührenverzeichnis beschriebenen Leistungen als selbständige ärztliche Leistungen in Betracht (vgl. BGHZ 159, 142, 143). Der Verordnungsgeber hat es dabei in der Hand, auch Leistungen zu beschreiben (und ihre Abrechenbarkeit zu regeln), die in einem so engen Zusammenhang zu einer anderen Leistung stehen, dass man ihre Selbständigkeit in Frage stellen könnte. Dies gilt insbesondere für die Leistung in Nr. 2562 des Gebührenverzeichnisses, auf deren analoge Anwendbarkeit sich die Klägerin beruft. Denn in diesem Gebührentatbestand werden notwendige anatomische Vorausberechnungen, die als Zielpunktbestimmungen bezeichnet werden, für stereotaktische Ausschaltungen im zentralen Nervensystem nach den Nr. 2560, 2561 beschrieben. Zugleich wird positiv bestimmt, dass diese Leistung neben den beiden anderen abgerechnet werden darf, mag es für sie auch keine eigenständige medizinische Indikation geben, die darüber hinausginge, die Leistungen nach den Nr. 2560 und 2561 kunstgerecht zu erbringen (zur unmittelbaren Anwendung der Nr. 2562 vgl. Lang/Schäfer/Stiel/Vogt, Der GOÄ-Kommentar, 2. Aufl. 2002; Brück/Hess/Klakow-Franck, Kommentar zur GOÄ, 3. Aufl. Stand 1. Juli 2005). Der Verordnungsgeber ist insoweit darin frei, für diese speziellen Leistungen der Neurochirurgie die Beschreibungen so zu fassen, dass anstelle einer Komplexgebühr mehrere Gebühren in der Abrechnung miteinander verbunden werden. Insoweit liegt daher ein Regelungszusammenhang vor, in dem sich weder Fragen der Selbständigkeit der Leistung noch solche nach der Reichweite des in § 4 Abs. 2a GOÄ verankerten Zielleistungsprinzips stellen.
b) Eine unbesehene Übertragung dieser besonderen Gebührenkonstellation auf andere Verrichtungen und Techniken, die im Zusammenhang mit Operationen aus dem Abschnitt L (Chirurgie, Orthopädie) des Gebührenverzeichnisses stehen und die dem Verordnungsgeber bei der Bewertung der in Rede stehenden Leistungen nicht bekannt waren, kommt nicht in Betracht, weil sie nicht dazu führen darf, dass die Selbständigkeit der ärztlichen Leistung als Voraussetzung für ihre Abrechenbarkeit und das Zielleistungsprinzip aufgegeben werden, nach dem für eine Leistung, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, nach § 4 Abs. 2a GOÄ eine Gebühr nicht berechnet werden kann (vgl. Senatsurteile BGHZ 159, 142, 143 f; BGHZ 177, 43, 46 f Rn. 6).
c) Gemessen hieran ist die Auffassung des Berufungsgerichts, der Einsatz der Navigationstechnik stelle keine selbständige Leistung dar, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, insbesondere musste das Berufungsgericht insoweit keinen Sachverständigen hinzuziehen.
Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, ist die Selbständigkeit einer ärztlichen Leistung danach zu beurteilen, ob für sie eine eigenständige medizinische Indikation besteht (vgl. Senatsurteile BGHZ 159, 142, 145; vom 16. März 2006 - III ZR 217/05 - NJW-RR 2006, 919, 920 Rn. 10; vom 21. Dezember 2006 - III ZR 117/06 - NJW-RR 2007, 494, 497 Rn. 20, insoweit ohne Abdruck in BGHZ 170, 252; BGHZ 177, 43, 51 f Rn. 14). Der Senat hat damit insbesondere in das Gebührenverzeichnis aufgenommene Leistungen als nicht abrechenbar angesehen, deren Zweck darin bestand, beim Erreichen des Operationsziels benachbarte Strukturen zu schonen und nicht zu verletzen.
Hier tritt in den Vordergrund, dass sich der Einsatz der Navigationstechnik nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, dem Operationsbericht und den eigenen Angaben der Klägerin - die Dr. H. in der mündlichen Revisionsverhandlung bestätigt hat - erst während der Operation entfaltete und damit Teil des in der Nr. 2153 beschriebenen endoprothetischen Totalersatzes der Kniegelenke wurde. Denn die Zielpunktbestimmung, die nach den Angaben der Klägerin zwingende Voraussetzung für die Anwendung der Navigationstechnik ist, wurde nicht vor der Operation, sondern während ihres Verlaufs vorgenommen und hätte für sich genommen keinen Sinn gehabt. Sie erweist sich daher, mag sie auch bei der Bewertung der Leistung in der Nr. 2153 durch den Verordnungsgeber noch nicht bekannt gewesen sein, zwar nicht als notwendiger Bestandteil, aber als eine besondere Ausführungsart jener Operation, die auch ohne Einsatz dieser Technik vorgenommen werden kann (für eine Anerkennung einer roboter-gestützten Hüft-TEP als Variation und zusätzliche selbständige Leistung zu Nr. 2151 vgl. jedoch Brück/Hess/Klakow-Franck, aaO Stand 1. Januar 2003, Nr. 2151). Dass sie nach dem Vortrag der Klägerin zu besseren Ergebnissen führt, weil sie zum eigentlichen Operationsgeschehen - im Sinne der im Gebührenverzeichnis beschriebenen Prothesenimplantation - hinzutretende Maßnahmen einschließt, wie die Vermessung des Hüft-Rotationszentrums, der Beinachsen, der Femurrotation und die Abtastung der Knochenoberfläche zur Bestimmung der Prothesengröße und zur Auswahl des Prothesenmodells, ändert nichts daran, dass sie vollständig der Optimierung der in der Nr. 2153 beschriebenen Operation dient. Die Klägerin übersieht insoweit, dass die Beschreibung von Operationszielen wie in Nr. 2153 des Gebührenverzeichnisses offen lässt, mit welchen Techniken und Methoden der Arzt dieses Ziel erreicht.
Soweit die Klägerin vorträgt, der Einsatz der Navigationstechnik habe ansonsten notwendige und möglicherweise noch kostspieligere präoperative Voruntersuchungen ersetzt, führt dies nicht zur Annahme einer selbständigen ärztlichen Leistung. Das Berufungsgericht hat insoweit zudem ohne Beanstandung der Revision festgestellt, dass der Arzt auf bildgebende Voruntersuchungen wie Röntgenaufnahmen und Ultraschalluntersuchungen nicht verzichtet hat. Im Übrigen hat die Klägerin selbst ihre Ausführungen in dieser Hinsicht unter den Vorbehalt gestellt, dass man einen Vergleich zwischen dem Einsatz des Navigationssystems und dem Umfang notwendiger Voruntersuchungen bei klassischer Vorgehensweise kaum anstellen könne, so dass es sich verbietet, ohne eine nähere medizinische Indikation nicht erbrachte Leistungen aus dem Abschnitt O einer hilfsweisen Berechnung zugrunde zu legen.
3. Ob die Nichtberücksichtigung der computerunterstützten Navigationstechnik und ihrer Verbreitung dazu führt, dass die Honorierung einer Totalendoprothese allein nach der Nr. 2153 des Gebührenverzeichnisses für den Arzt nicht "auskömmlich" ist (vgl. BVerfG ZInsO 2001, 463 f; BGHZ 152, 18, 25; Senatsurteil BGHZ 159, 142, 150 f), ist von der Klägerin weder vorgetragen noch geltend gemacht worden. Sie hat zwar darauf aufmerksam gemacht, mit Hilfe der Navigation gelinge der Einsatz eines künstlichen Hüft- oder Kniegelenks schneller, sicherer und mit durchschnittlich besseren Ergebnissen, und in einem gewissen Gegensatz dazu davon gesprochen, ein in dieser Technik geübter Operateur müsse einen zusätzlichen Zeitbedarf von wenigstens rund 20 Minuten einplanen. Zu den wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Vergütungssituation des Arztes fehlen jedoch nähere Darlegungen, so dass der Senat keinen Anhaltspunkt hat, die Anwendung der Gebührenordnung führe bei einer Honorierung der eigentlichen Operationsleistung ausschließlich nach der Nr. 2153 des Gebührenverzeichnisses zu einer Verletzung des Grundrechts des Arztes aus Art. 12 GG.
Schlick Dörr Herrmann
Seiters Tombrink