Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 27.11.2013


BGH 27.11.2013 - III ZB 38/13

Selbstständiges Beweisverfahren: Zulässigkeit der Begutachtung von entgangenem Gewinn


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
27.11.2013
Aktenzeichen:
III ZB 38/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Hamm, 3. Mai 2013, Az: I-11 W 25/13vorgehend LG Bielefeld, 19. März 2013, Az: 1 OH 11/12
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Gegenstand eines Antrages auf schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen gemäß § 485 Abs. 2 Nr. 1 ZPO kann nicht die Begutachtung darüber sein, ob dem Antragsteller durch das Verhalten des Antragsgegners Gewinne in einer bestimmten Mindesthöhe entgangen sind.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 3. Mai 2013 - I-11 W 25/13 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.

Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 270.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller, ein Radiologe, begehrt im selbständigen Beweisverfahren die Begutachtung von entgangenem Gewinn. Er bemühte sich Mitte 2000 in B.      um eine Vollzulassung als kassenärztlicher Vertragsarzt, erhielt von dem Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen jedoch nur eine Teilzulassung als Job-Sharing-Partner eines anderen Radiologen, mit dem er eine radiologische Gemeinschaftspraxis gegründet hatte. Der Entscheidung des Landesausschusses lag eine unzutreffende Mitteilung der Antragsgegnerin zugrunde, nach der in B.      15 statt - wie zutreffend - 14 Radiologen zugelassen waren.

2

Das Landgericht D.     stellte mit rechtskräftigem Urteil vom 4. September 2008 die Verpflichtung der Antragsgegnerin fest, dem Antragsteller den Schaden zu ersetzen, der sich daraus ergibt, dass die Antragsgegnerin dem Landesausschuss in der Zeit vom 1. Juli 2000 bis 30. Juni 2001 unzutreffende Angaben über die Anzahl der in B.       niedergelassenen Radiologen gemacht hat. Der Antragsteller nahm daraufhin die Antragsgegnerin vor dem Landgericht D.       auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch. Seine Teilklage wurde durch Urteil des Oberlandesgerichts H.   vom 31. Oktober 2012 rechtskräftig mit der Begründung abgewiesen, dass er nicht in ausreichender Weise dargelegt habe, dass ihm durch die Pflichtverletzung der Antragsgegnerin aus Anlass seines Ausscheidens aus der bis zum 30. Juni 2001 geführten Gemeinschaftspraxis bei der Verwertung seines Praxisanteils ein Schaden in der von ihm geltend gemachten Höhe entstanden sei.

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Der Antragsteller hat daraufhin die Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens durch schriftliches Sachverständigengutachten zur Frage der Höhe des ihm infolge der unterbliebenen Vollzulassung entgangenen Gewinns beantragt. Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde des Antragstellers ist vom Oberlandesgericht zurückgewiesen worden. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller seinen Antrag weiter.

II.

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Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

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1. Das Beschwerdegericht hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen des § 485 ZPO lägen nicht vor. Es sei weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass gemäß § 485 Abs. 1 ZPO der Verlust eines Beweismittels oder die Erschwerung seiner Benutzung zu besorgen sei. Allgemeine Informationen zur Ermittlung der durchschnittlich realisierbaren Gewinne für eine radiologische Praxis mit Kassenarztsitz ab dem Jahr 2000 seien in Statistiken des statistischen Bundesamts dokumentiert. In Bezug auf Informationen zu seiner damaligen Praxis sei nicht ersichtlich, dass der Antragsteller ihrem Verlust nicht selbst vorbeugen könne.

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Auch die Voraussetzungen des § 485 Abs. 2 ZPO seien nicht erfüllt. Gegenstand der begehrten Begutachtung sei nicht die Feststellung des Wertes einer Sache im Sinne von § 485 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, sondern die Höhe des entgangenen Gewinns. Der Antrag sei nicht auf die Feststellung des aktuellen Wertes einer ganz konkreten Praxis bezogen, sondern darauf, welchen Gewinn der Antragsteller bei Erhalt der Vollzulassung als Kassenarzt habe generieren können. Für eine solche Feststellung sei der Weg eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht eröffnet. Angesichts des Wortlauts dieser Regelung scheide auch eine analoge Anwendung auf die vorliegende Fallkonstellation aus. Die Voraussetzungen des § 485 Abs. 2 Nr. 3 ZPO lägen ebenfalls nicht vor, da es an einem vorangegangenen Personenschaden, Sachschaden oder Sachmangel fehle. Nur für diesen Fall komme aber in Betracht, dass als Folgeschaden auch der entgangene Gewinn Gegenstand eines selbständigen Beweisverfahrens sein könne.

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2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die Voraussetzungen eines selbständigen Beweisverfahrens sind in Bezug auf den Antrag des Antragstellers nicht gegeben.

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a) Das Beschwerdegericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Voraussetzungen der Anordnung einer Begutachtung durch einen Sachverständigen gemäß § 485 Abs. 1 ZPO verneint.

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Die Besorgnis eines Verlusts oder einer Erschwerung der Benutzung eines Beweismittels im Sinne von § 485 Abs. 1 ZPO in Bezug auf die damalige Praxis des Antragstellers hängt davon ab, ob die entsprechenden, vom Antragsteller in der Beschwerdebegründung genannten Beweismittel trotz Ablaufs der Zehnjahresfristen nach § 147 AO und § 10 Abs. 3 der Berufsordnung der Ärztekammer W.    -L.    bereits zum Zeitpunkt seiner Antragstellung gemäß § 485 ZPO am 14. Dezember 2012 noch vorhanden sind und für die Begutachtung durch einen Sachverständigen zur Verfügung stehen. Sie ist des Weiteren von dem Inhalt der Vereinbarungen abhängig, die der Antragsteller zum Zeitpunkt seines Ausscheidens aus der Gemeinschaftspraxis mit dem seinerzeitigen Mitinhaber der Praxis in Bezug auf die Aufbewahrung und seinen Zugang zu den vom Antragsteller genannten Beweismitteln getroffen hat. Die Rechtsbeschwerde zeigt konkreten Vortrag des Antragstellers zu diesen, die Voraussetzungen des § 485 Abs. 1 ZPO ausfüllenden Tatsachen nicht auf. Das Beschwerdegericht hat daher zutreffend angenommen, dass die Besorgnis des Verlusts eines Beweismittels oder die Erschwerung seiner Benutzung weder dargelegt noch sonst ersichtlich ist.

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b) Das Beschwerdegericht hat zutreffend auch die Voraussetzungen des § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO verneint.

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aa) Eine schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen nach § 485 Abs. 2 Satz 1 ZPO setzt, was von der Beschwerde verkannt wird, nicht lediglich ein rechtliches Interesse des Antragstellers voraus. Erforderlich ist zusätzlich, dass einer der in § 485 Abs. 2 Satz 1 ZPO enumerativ aufgeführten Gegenstände begutachtet werden soll (vgl. Regierungsentwurf eines Rechtspflege-Vereinfachungsgesetzes vom 1. Dezember 1988, BT-Drucks. 11/3621 S. 42). Gegenstand der Begutachtung können nur die im Gesetz genannten Feststellungen sein (Zöller/Herget, ZPO, 30. Aufl., § 485 Rn. 9; Musielak/Huber, ZPO, 10. Aufl., § 485 Rn. 12; Müller in Festschrift für Egon Schneider, 1997, S. 405, 413 f).

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bb) Ausgangspunkt für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO gegeben sind, ist der im Einzelfall gestellte Antrag. Vorliegend begehrt der Antragsteller die Begutachtung darüber, ob ihm durch die unzutreffenden Angaben der Antragsgegnerin Gewinne in Höhe von mindestens 270.000 € vor Steuern entgangen sind. Der Antrag ist nicht auf die Begutachtung des Wertes des seinerzeitigen Praxisanteils mit (fiktivem) Kassenarztsitz des Antragstellers gerichtet. Allenfalls handelt es sich bei diesem Wert um ein Hilfsmittel zur Berechnung des entgangenen Gewinns.

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cc) Die Zulässigkeit eines Antrags nach § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO richtet sich indes nach dem unmittelbaren Antragsgegenstand und nicht danach, ob im Rahmen der Begutachtung des Antragsgegenstandes - allein oder neben anderen Faktoren - auch der Wert einer Sache zu begutachten ist. Vorliegend kann daher dahinstehen, ob ein Praxisanteil mit Kassenarztsitz als "Sache" im Sinne von § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu qualifizieren ist. Offen bleiben kann ebenfalls, ob von dem Begriff "Wert einer Sache" nicht nur der tatsächliche, gegenwärtige Wert einer Sache, sondern auch ein fiktiver Wert umfasst wird (bejahend für den künftigen Wert einer Sache: Müller aaO S. 414 als Gesichtspunkt für die Berechnung des entgangenen Gewinns; Born, FPR 2009, 305, 307; verneinend: OLG Hamm, VRS 84, 429; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Aufl., § 485 Rn. 10; wohl auch Ulrich, Selbständiges Beweisverfahren mit Sachverständigen, 2008, S. 28). Denn der Antrag des Antragstellers ist - worauf das Beschwerdegericht zutreffend hingewiesen hat - nicht auf die Begutachtung des Wertes seines damaligen Praxisanteils bei (fiktiver) kassenärztlicher Zulassung gerichtet, sondern auf den ihm entgangenen Gewinn. Der entgangene Gewinn ist jedoch bereits nach Wortlaut und Inhalt keine "Sache", seine Höhe nicht der "Wert einer Sache" im Sinne von § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO.

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dd) Etwas anderes ergibt sich - entgegen der Auffassung der Beschwerde - weder aus der Entstehungsgeschichte noch aus Sinn und Zweck von § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO.

15

Mit der Neufassung der §§ 485 ff ZPO durch Artikel 1 Nr. 30 des am 1. April 1991 in Kraft getretenen Rechtspflege-Vereinfachungsgesetzes vom 17. Dezember 1990 (BGBl I S. 2847) wurde das bisherige Beweissicherungsverfahren erheblich erweitert. Zur Begründung wurde angeführt, dass die vor- oder außergerichtliche Beweisaufnahme auch dann zweckmäßig sei, wenn der Streit der Parteien nur von der Entscheidung tatsächlicher Fragen abhänge. Die gesonderte Begutachtung durch einen Sachverständigen führe häufig zu einer die Parteien zufriedenstellenden Klärung und damit eher zum Vergleich als in einen Prozess (vgl. BT-Drucks. 11/3621 S. 23, 41).

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Zwar hätte sich mit dem auf diese Weise beschriebenen Zweck der Erweiterung des seinerzeitigen Beweissicherungsverfahrens gegebenenfalls auch die Einrichtung eines generell auf die Begutachtung von Tatsachen bezogenen selbständigen Beweisverfahrens begründen lassen. Der Gesetzgeber hat von einer entsprechenden Formulierung des neuen § 485 Abs. 2 ZPO jedoch bewusst abgesehen. Er hat stattdessen die Gegenstände der Begutachtung in dem Katalog des § 485 Abs. 2 Satz 1 ZPO ausdrücklich begrenzt und dies im Einzelnen begründet (BT-Drucks. 11/3621 S. 23, 42). Vor diesem Hintergrund mag allenfalls eine durch Sinn und Zweck des Gesetzes gerechtfertigte weite Auslegung der in § 485 Abs. 2 ZPO normierten Voraussetzungen des selbständigen Beweisverfahrens in Betracht kommen, nicht aber eine Auslegung über ihren eindeutigen Wortlaut hinaus. Eine solche, über den eindeutigen Wortlaut hinaus gehende Auslegung wäre indes bei einer Einbeziehung des entgangenen Gewinns in den Begriff "Wert einer Sache" gegeben.

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ee) Auch aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20. Oktober 2009 (VI ZB 53/08, NJW-RR 2010, 946 Rn. 6 f) folgt - entgegen der Auffassung der Beschwerde - kein weitergehendes Verständnis von § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO. Diese Entscheidung betrifft ausschließlich die Bestimmung des § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO und die dort ermöglichte Begutachtung des Aufwands für die Beseitigung eines Personenschadens. Da der Begriff des Personenschadens sich auch auf den entgangenen Gewinn bezieht, handelt es sich bei dem entgangenen Gewinn um einen "Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens" im Sinne des § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO (BGH aaO). Für die Auslegung von § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO ergibt sich aus dieser Entscheidung nichts.

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c) Das Beschwerdegericht hat zutreffend auch eine analoge Anwendung der Regelung in § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die vorliegende Fallkonstellation abgelehnt.

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Insofern fehlt es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke als Voraussetzung für eine analoge Anwendung der vorgenannten Vorschrift. Denn der Gesetzgeber hat - wie bereits ausgeführt - von einer (noch) weiterreichenden Formulierung der Voraussetzungen des selbständigen Beweisverfahrens in § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO bewusst abgesehen. Die Erleichterung einer vorprozessualen Einigung der Parteien als Zweck der Erweiterung des Beweissicherungsverfahrens (vgl. BT-Drucks. 11/3621 S. 41) hätte auch eine Formulierung von § 485 Abs. 2 Satz 1 ZPO dahingehend erlaubt, dass eine Partei die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen (stets dann) beantragen kann, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass eine Tatsache festgestellt wird, die einer solchen Begutachtung zugänglich ist. Hiervon hat der Gesetzgeber indes bewusst abgesehen und stattdessen einen Katalog einzelner Gegenstände formuliert, deren Begutachtung im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens gemäß § 485 Abs. 2 Satz 1 zulässig ist. Nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 485 Abs. 1 ZPO soll danach die Beweiserhebung über "jedes denkbare Beweisthema" möglich sein (BT-Drucks. 11/3621 S. 41). Vor diesem Hintergrund kann in Bezug auf die Begutachtung von entgangenem Gewinn nicht von einer planwidrigen Regelungslücke in § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO ausgegangen werden. Eine analoge Anwendung dieser Bestimmung würde dem in der Gesetzesbegründung und dem Katalog des § 485 Abs. 2 ZPO zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers erkennbar zuwider laufen.

Schlick                        Herrmann                          Hucke

               Tombrink                         Remmert