Entscheidungsdatum: 28.02.2013
NV: Eine Vollzeiterwerbstätigkeit steht der Berücksichtigung als Kind im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht entgegen. Dies gilt auch dann, wenn sich das Kind aus einer mehrjährigen Berufstätigkeit heraus um eine weitere Berufsausbildung bemüht, diese Ausbildung aus studienorganisatorischen Gründen aber nicht sogleich antreten kann und bis dahin im Beruf weiterarbeitet. Zur Prüfung der Frage, ob der Grenzbetrag überschritten ist, sind daher auch die während der Vollzeiterwerbstätigkeit erzielten Einkünfte und Bezüge des Kindes einzubeziehen .
I. Streitig ist, ob der Grenzbetrag i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Streitzeitraum (August bis Dezember 2009) geltenden Fassung überschritten ist.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist der Vater einer volljährigen Tochter T, die bis zum 21. August 2009 Angestellte im öffentlichen Dienst war und aus diesem Vollzeitbeschäftigungsverhältnis entsprechende Einkünfte erzielte.
T bewarb sich bei der berufsbildenden Schule X um einen Platz im Ausbildungsgang "Berufsoberschule I Wirtschaft". Im März 2009 erhielt sie die Aufnahmebestätigung. Ab dem 24. August 2009 besuchte T sodann die Schule. Daneben ging sie einer Teilzeitbeschäftigung nach, für die sie monatlich 500 € brutto erhielt.
Der Kläger beantragte Kindergeld für die Monate August bis Dezember 2009. Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte den Antrag ab. Sie ging davon aus, dass T ab März 2009 zunächst gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG als ausbildungsplatzsuchendes Kind und ab August 2009 gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG als Kind in Berufsausbildung zu berücksichtigen sei und ihre in diesem Zeitraum bezogenen Einkünfte und Bezüge über dem anteiligen Grenzbetrag lägen. Während der Einspruch erfolglos blieb, entsprach das Finanzgericht (FG) dem Begehren des Klägers. Es führte aus, dass insbesondere der Berücksichtigungstatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht gegeben sei. Dieser Vorschrift komme lediglich die Funktion einer Auffangregelung zu. Sie sei nicht auf solche Kinder anzuwenden, die sich in einer Vollzeitbeschäftigung befänden und sich aus dieser Situation heraus für eine weitere Berufsausbildung bewerben würden.
Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung sachlichen Rechts. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei ein Kind, das auf einen Ausbildungsplatz warte oder sich zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befinde, auch dann zu berücksichtigen, wenn es einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehe. Dass die Bewerbung aus einer solchen Tätigkeit heraus erfolgt sei, stehe der Berücksichtigung gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht entgegen. Daher seien die Einkünfte aus dieser Tätigkeit bei der Prüfung der Grenzbetragsüberschreitung einzubeziehen. Im Streitfall sei der anteilige Grenzbetrag überschritten.
Die Familienkasse beantragt, das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 2. August 2011 6 K 2625/10 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision der Familienkasse als unbegründet zurückzuweisen.
Er nimmt auf die Begründung des angefochtenen Urteils Bezug und führt ergänzend aus, dass er lediglich für den Zeitraum August bis Dezember 2009 einen Kindergeldantrag gestellt habe. Deshalb sei allein die Regelung in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG einschlägig. T habe sich in der Zeit, in der sie einer den vollen Lebensunterhalt sicherstellenden Erwerbstätigkeit nachgegangen sei, nicht in Berufsausbildung befunden.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Vorinstanz hat die Tochter des Klägers rechtsfehlerhaft nicht im Zeitraum März bis Dezember 2009 als Kind gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG berücksichtigt und deshalb ihre in dieser Zeitspanne erzielten Einkünfte bei der Prüfung der Grenzbetragsüberschreitung zu Unrecht nicht einbezogen. Die tatsächlichen Feststellungen des FG ermöglichen noch keine abschließende Beurteilung, ob der Grenzbetrag überschritten ist.
1. Für ein über 18 Jahre altes Kind, das, wie T im Streitjahr 2009, das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG u.a. dann Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) oder eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG) und seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten Einkünfte und Bezüge 7.680 € im Kalenderjahr nicht übersteigen. Für jeden Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 oder 2 an keinem Tag vorliegen, ermäßigt sich der Betrag nach Satz 2 oder 3 um ein Zwölftel (sog. anteiliger Grenzbetrag). Einkünfte und Bezüge des Kindes, die auf diese Kalendermonate, die sog. Kürzungsmonate, entfallen, bleiben außer Ansatz (§ 32 Abs. 4 Satz 7 und 8 EStG).
In Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 24. Februar 2010 III R 3/08, BFH/NV 2010, 1262). Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG ist ein Kind zu berücksichtigen, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn das Kind noch keinen Ausbildungsplatz gefunden hat, sondern auch dann, wenn ihm ein Ausbildungsplatz bereits zugesagt wurde, es diesen aber aus schul-, studien- oder betriebsorganisatorischen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt antreten kann (z.B. Senatsurteil vom 17. Juni 2010 III R 34/09, BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 982).
2. Diesen Maßstäben entspricht die angegriffene Entscheidung nicht.
a) T war in den Monaten März bis August 2009 als Kind nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen, denn sie hatte sich nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) um eine weitere Ausbildung beworben, im März eine Aufnahmezusage für das kommende Schuljahr erhalten und diese Ausbildung entsprechend der Aufnahmezusage zum 24. August 2009 tatsächlich begonnen. Anhaltspunkte dafür, dass T gleichwohl in der Zeit von März bis August 2009 nicht ausbildungswillig gewesen ist, hat das FG nicht festgestellt.
Falls sich T für den Schulbesuch bereits vor dem März 2009 beworben haben sollte --wofür einiges spricht, was vom FG bislang aber noch nicht aufgeklärt wurde--, wäre sie nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 15. September 2005 III R 67/04, BFHE 211, 452, BStBl II 2006, 305) grundsätzlich bereits ab dem Bewerbungsmonat gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen gewesen.
b) Entgegen der Auffassung des FG wurde der Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht dadurch ausgeschlossen, dass T sich aus einer Vollzeiterwerbstätigkeit heraus um eine weitere Schulausbildung beworben hat. Der Senat hält an seinem Grundsatzurteil in BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 982 fest, wonach die Vollzeiterwerbstätigkeit der Berücksichtigung als Kind i.S. des § 32 Abs. 4 EStG nicht entgegensteht. Die Grundsätze dieses Urteils sind nicht nur anzuwenden, wenn das Kind etwa nach dem Abitur auf einen Studienplatz wartet und die Wartezeit mit einer in Vollzeit ausgeübten Erwerbstätigkeit überbrückt. Sie gelten auch dann, wenn das Kind sich aus einer mehrjährigen Berufstätigkeit heraus um eine weitere Berufsausbildung bemüht, diese Ausbildung aus studienorganisatorischen Gründen aber nicht sogleich antreten kann und bis dahin im Beruf weiterarbeitet. Für die vom FG der Sache nach vorgenommene einschränkende Auslegung des Berücksichtigungstatbestands gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG im letztgenannten Fall ist kein Raum.
c) Zur Beantwortung der Frage, ob der Grenzbetrag überschritten ist, sind daher alle Einkünfte und Bezüge der T aus den Monaten März bis Dezember 2009 einzubeziehen. Sollte sich T bereits vor März 2009 beworben haben und damit noch in weiteren Monaten zu berücksichtigen sein, wären noch die Einkünfte und Bezüge dieser Monate zu ermitteln. Ausreichende Feststellungen zur Höhe dieser Einkünfte und Bezüge hat das FG --von seinem Standpunkt aus folgerichtig-- nicht getroffen. Diese wird es im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.