Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 28.06.2012


BFH 28.06.2012 - III R 86/09

Hinzurechnung einer ausländischen Familienleistung - Änderungsbescheid im Revisionsverfahren


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
28.06.2012
Aktenzeichen:
III R 86/09
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend FG München, 14. Februar 2008, Az: 15 K 779/05, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. Ein in Deutschland lebender und Unterhalt zahlender Vater kann bei seiner Veranlagung zur Einkommensteuer (1998 bis 2000) den verdoppelten Kinder- und den verdoppelten Betreuungsfreibetrag abziehen, wenn die in Norwegen lebende Mutter dort für das gemeinsame Kind Kindergeld erhält und die sog. Günstigerprüfung ergibt, dass das Kindergeld die gebotene steuerliche Freistellung des Kindesexistenzminimums nicht in vollem Umfang bewirkt .  

2. In diesem Fall ist das norwegische Kindergeld bei der Einkommensteuerveranlagung des Vaters der Einkommensteuer hinzuzurechnen. Dies gilt unabhängig davon, ob das in Norwegen gezahlte Kindergeld die Höhe der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht des Vaters gemindert hat .

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die in den Streitjahren 1998 bis 2000 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger hat aus einer früheren Beziehung zu einer anderen Frau einen --in den Streitjahren minderjährigen-- Sohn (S), der bei der Mutter in Norwegen lebt. Für sein nichteheliches Kind leistete der Kläger Unterhalt nach norwegischem Recht. Die Mutter bezog norwegisches Kindergeld. Bei der Bemessung der Unterhaltshöhe blieb das Kindergeld unberücksichtigt, insbesondere stand dem Kläger nach norwegischem Recht kein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch zu. Denn eine dem früheren § 1612b Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) vergleichbare Vorschrift existierte im norwegischen Recht nicht.

2

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte S in den streitigen Einkommensteuerfestsetzungen dergestalt, dass er einen Kinderfreibetrag mit den verdoppelten Beträgen des § 32 Abs. 6 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in den in den Streitjahren geltenden Fassungen (EStG) vom Einkommen abzog. Das FA ging hierbei davon aus, dass der Freibetrag günstiger sei als das norwegische Kindergeld. Die Beträge verdoppelte es im Hinblick auf die fehlende unbeschränkte Einkommensteuerpflicht der Kindsmutter. Die tarifliche Einkommensteuer erhöhte es schließlich im Hinblick auf das in Norwegen bezogene Kindergeld. Den Hinzurechnungsbetrag setzte es in Höhe der in Deutschland geltenden Kindergeldsätze an.

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Während die Kläger mit ihrem Begehren, ihnen den Kinderfreibetrag zu gewähren, ohne zugleich die Einkommensteuer um das Kindergeld zu erhöhen, im Einspruchsverfahren nicht durchdrangen, konnten sie im finanzgerichtlichen Verfahren einen Teilerfolg erzielen. Das Finanzgericht (FG) sah in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1381 veröffentlichten Urteil zwar nur die Voraussetzungen für den Ansatz des einfachen Kinderfreibetrags als erfüllt an, erhöhte die tarifliche Einkommensteuer allerdings nicht um das Kindergeld.

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Mit seiner Revision rügt das FA eine Verletzung von § 31 EStG und von § 32 Abs. 6 EStG. Die letztgenannte Vorschrift sehe in ihrem Satz 3 Nr. 1 vor, dass die verdoppelten Beträge für das sächliche Existenzminimum und für den Betreuungsbedarf anzusetzen seien, wenn ein Elternteil nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sei. Auf die Mutter des S treffe dies zu. Dass zwischen der Klägerin und dem S kein Kindschaftsverhältnis bestehe, sei entgegen der Auffassung des FG nicht rechtserheblich. Mit der unterbliebenen Erhöhung der Einkommensteuer sei das FG von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) abgewichen. Nach dieser Rechtsprechung sei weder die Tatsache, dass der Kläger norwegisches oder deutsches Kindergeld nicht erhalten habe, noch das Fehlen eines zivilrechtlichen Ausgleichsanspruchs nach dem Muster des § 1612b BGB geeignet, die vom FG unterlassene Erhöhung der Einkommensteuer zu rechtfertigen.

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Das FA beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Die Kläger haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist begründet.

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1. Auf die Revision ist das Urteil des FG bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre, über deren Rechtmäßigkeit das FG entschieden hat, während des Revisionsverfahrens mit Bescheiden vom 27. Dezember 2011 geändert wurden und diese Änderungsbescheide nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens geworden sind (vgl. dazu BFH-Urteil vom 29. März 2007 IV R 72/02, BFHE 217, 514, BStBl II 2008, 420, m.w.N.).

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Das vorinstanzliche Urteil ist somit gegenstandslos geworden; die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind hierdurch jedoch nicht weggefallen (BFH-Urteil in BFHE 217, 514, BStBl II 2008, 420).

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2. Die nicht spruchreife Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

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Für den nichtehelichen Sohn des Klägers waren der verdoppelte Kinderfreibetrag und --im Streitjahr 2000-- der verdoppelte Betreuungsfreibetrag vom Einkommen abzuziehen. Die tarifliche Einkommensteuer war um die norwegische Familienleistung zu erhöhen. Da bislang nicht ermittelt wurde, in welcher Höhe der Kindsmutter norwegisches Kindergeld zugeflossen ist, wird das FG die erforderlichen Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.

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a) Nach § 31 Satz 4 EStG sind bei der Veranlagung zur Einkommensteuer der Kinderfreibetrag --in den Veranlagungszeiträumen 1998 und 1999-- oder die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG --im Veranlagungszeitraum 2000-- abzuziehen, wenn die gebotene steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes durch das Kindergeld nicht in vollem Umfang bewirkt wird. In diesen Fällen sind das Kindergeld oder vergleichbare Leistungen nach § 36 Abs. 2 EStG zu verrechnen, auch soweit sie dem Steuerpflichtigen im Wege eines zivilrechtlichen Ausgleichs zustehen (§ 31 Satz 5 EStG). Wird nach ausländischem Recht ein höheres Kindergeld als nach § 66 EStG gezahlt, so beschränkt sich die Verrechnung auf die Höhe des inländischen Kindergeldes (§ 31 Satz 6 EStG). In den Veranlagungszeiträumen 1998 und 1999 sah § 32 EStG in seinem Abs. 6 Satz 1 vor, dass für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen ein Kinderfreibetrag von 288 DM für jeden Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen vorgelegen haben, bei der Veranlagung zur Einkommensteuer abgezogen wird. Bei zusammen veranlagten Ehegatten ist dieser Betrag zu verdoppeln, wenn das Kind zu beiden Ehegatten in einem Kindschaftsverhältnis steht (§ 32 Abs. 6 Satz 2 EStG). Der verdoppelte Betrag wird auch abgezogen, wenn der andere Elternteil verstorben oder nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist (§ 32 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 EStG). Die im Veranlagungszeitraum 2000 geltende Fassung des § 32 EStG traf in Abs. 6 Satz 4 eine dementsprechende Regelung.

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Wurde das Einkommen in den Fällen des § 31 EStG um den Kinderfreibetrag --beziehungsweise im Veranlagungszeitraum 2000 um einen Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG-- vermindert, so wird gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG im entsprechenden Umfang das gezahlte Kindergeld der Einkommensteuer hinzugerechnet.

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b) Diesen gesetzlichen Vorgaben entspricht das angegriffene Urteil bereits deshalb nicht, weil das FG lediglich den einfachen Kinderfreibetrag beim Kläger in Ansatz gebracht hat. Da die Mutter des Kindes nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war, stand dem Kläger der verdoppelte Kinderfreibetrag und --bezogen auf das Streitjahr 2000-- auch der verdoppelte Betreuungsfreibetrag zu. Der im Gesetz verwandte Begriff "zustehen" ist hierbei im Sinne von "ist zu gewähren" zu verstehen; ein Wahlrecht besteht im Hinblick auf den Ansatz der verdoppelten Beträge also nicht (BFH-Beschluss vom 27. Februar 2006 III B 26/05, BFH/NV 2006, 1089). Dass die Klägerin nicht in einem Kindschaftsverhältnis zu S stand, ist entgegen der Auffassung des FG rechtlich unerheblich.

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c) Für die gemäß § 31 Satz 4 EStG durchzuführende Vergleichsrechnung (sog. Günstigerprüfung) ist demnach dem verdoppelten Freibetrag die in Norwegen an die Kindsmutter gezahlte Familienleistung in voller Höhe gegenüberzustellen. Denn der Umfang des Freibetrags ist maßgeblich für die Beantwortung der Frage, in welcher Höhe das Kindergeld bei der Günstigerprüfung anzusetzen ist (BFH-Urteil vom 13. August 2002 VIII R 53/01, BFHE 200, 206, BStBl II 2002, 867; vgl. auch Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, § 31 EStG Rz 33 und 35). Dass die norwegischen Leistungen i.S. des § 65 EStG dem deutschen Kindergeld vergleichbar sind, hat das FG zutreffend festgestellt (vgl. Schreiben des Bundesamts für Finanzen vom 26. Juni 2000 St I 4 -S 2473- 11/1999, BStBl I 2000, 1128). Die Tatsache, dass die norwegische Familienleistung nicht an den Kläger gezahlt wurde, ist unerheblich. Denn für die Günstigerprüfung kommt es nur darauf an, dass eine dem Kindergeld vergleichbare Leistung für das betreffende Kind erbracht wurde, unabhängig davon, wer der Empfänger der Leistung ist (BFH-Urteil in BFHE 200, 206, BStBl II 2002, 867). Angesichts des sehr hohen zu versteuernden Einkommens der Kläger wird die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes offenkundig, wie vom FG zutreffend bemerkt, durch den Kinderfreibetrag und --im Streitjahr 2000-- zusätzlich durch den Betreuungsfreibetrag bewirkt.

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d) Die norwegische Familienleistung war gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG hinzuzurechnen. Das Gesetz verlangt die Hinzurechnung auch dann, wenn der Steuerpflichtige --wie der Kläger im Streitfall-- weder das Kindergeld oder die vergleichbare ausländische Leistung erhält noch einen unterhaltsrechtlichen Ausgleichsanspruch geltend machen kann, etwa weil die ausländische Rechtsordnung eine dem § 1612b Abs. 1 BGB --in der in den Streitjahren geltenden Fassung-- vergleichbare Vorschrift nicht kennt. Dieses Gesetzesverständnis hat der BFH in seiner Rechtsprechung für zutreffend und verfassungsrechtlich bedenkenfrei erachtet (BFH-Urteile in BFHE 200, 206, BStBl II 2002, 867; vom 25. März 2003 VIII R 95/02, BFH/NV 2003, 1306). Daran ist festzuhalten. Nur auf diese Weise ist eine steuerliche Doppelberücksichtigung des Kindesexistenzminimums zu vermeiden. Bei der Prüfung, ob es zu einer von § 31 Satz 5, § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG verbotenen Doppelbegünstigung kommt, ist nicht isoliert der einzelne Steuerpflichtige (hier: der Kläger als barunterhaltspflichtiger Elternteil) in den Blick zu nehmen. Vielmehr soll --bezogen auf beide Elternteile-- eine mehrfache Begünstigung für ein und dasselbe Kind durch die Freibeträge und das Kindergeld ausgeschlossen werden (vgl. BFH-Beschluss vom 30. November 2004 VIII R 51/03, BFHE 207, 471, BStBl II 2008, 795; BFH-Urteil vom 16. März 2004 VIII R 88/98, BFHE 205, 465, BStBl II 2005, 594). Wie der Streitfall beispielhaft zeigt, käme es zu einer solchen Doppelbegünstigung, wenn der eine Elternteil im Ausland Kindergeld bezöge und der im Inland wohnhafte Elternteil ohne Kindergeldhinzurechnung zusätzlich die verdoppelten --oder nach dem rechtlichen Ansatz des FG jedenfalls die einfachen-- Freibeträge abziehen könnte. Für eine solche Bevorzugung von Eltern, die in unterschiedlichen Ländern leben, wäre kein sachlich einleuchtender Grund ersichtlich.

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e) Die Hinzurechnung des norwegischen Kindergeldes hatte in den Streitjahren in Höhe der tatsächlich erfolgten Zahlungen zu erfolgen (vgl. Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 31 Rz 421 [Stand Mai 2008]; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 9. März 1998 IV B 5 -S 2280- 45/98, BStBl I 1998, 347 Rz 23). Entgegen dieser rechtlichen Vorgabe hat das FA in den angegriffenen Bescheiden eine Hinzurechnung in Höhe der deutschen Kindergeldsätze vorgenommen. Die Höhe des deutschen Kindergeldes limitiert die Hinzurechnung der tatsächlich bezogenen ausländischen Familienleistung nach oben (§ 31 Satz 6 EStG). Wird nach ausländischem Recht dagegen ein niedrigeres Kindergeld als nach § 66 EStG gezahlt, dann ist lediglich der niedrigere Zahlbetrag der tariflichen Einkommensteuer hinzuzurechnen. Das FG hat bislang lediglich in für den Senat bindender Weise (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, dass in Norwegen Kindergeld an die Kindsmutter gezahlt wurde. Wie hoch der Zahlbetrag genau war, wird im zweiten Rechtsgang festzustellen sein.