Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 07.04.2011


BFH 07.04.2011 - III R 50/10

Vollzeiterwerbstätigkeit schließt die Berücksichtigung als Kind, das auf einen Ausbildungsplatz wartet, nicht aus


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
07.04.2011
Aktenzeichen:
III R 50/10
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend FG München, 28. Juli 2010, Az: 9 K 1083/10, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. NV: Ein Kind kann auch dann eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen, wenn ihm ein Ausbildungsplatz bereits zugesagt wurde, es diesen aber aus schul-, studien- oder betriebsorganisatorischen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt antreten kann .

2. NV: Eine während der Wartezeit ausgeübte Vollzeiterwerbstätigkeit schließt den Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht aus .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bezog Kindergeld für seinen im Dezember 1986 geborenen Sohn (S), der die Technikerschule im ersten Schuljahr besuchte. Nachdem er mitgeteilt hatte, dass S die Schulausbildung zum 13. Februar 2009 abgebrochen habe, hob die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) die Kindergeldfestsetzung ab März 2009 auf. S wurde auf Antrag vom 13. Februar 2009 zum 14. September 2009 wieder in die Technikerschule aufgenommen. Bis dahin war er seit März 2009 bei einem Kraftfahrzeughersteller vollzeitbeschäftigt. Auf den Antrag des Klägers auf weiteres Kindergeld ab September 2009 verfügte die Familienkasse mit Bescheid vom 8. Dezember 2009, der Kindergeldanspruch sei wegen voraussichtlichen Überschreitens des Jahresgrenzbetrages ausgeschlossen, hob die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2009 auf und forderte das gezahlte Kindergeld zurück. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit Urteil vom 28. Juli 2010  9 K 1083/10 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1905) statt. Es entschied, S habe in den Monaten Januar und Februar sowie September bis Dezember 2009 den Begünstigungstatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfüllt. Für den Zeitraum März bis 13. September 2009 bestünden erhebliche Zweifel, ob ein Berücksichtigungstatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG gegeben sei, da S seine Ausbildung selbst abgebrochen bzw. verschoben habe. Dass er sich zeitgleich neu für einen Platz an der Technikerschule beworben habe, ändere hieran nichts, da er unmittelbar danach eine ausbildungsfremde Vollzeiterwerbstätigkeit aufgenommen habe. Selbst für den Fall aber, dass S auf einen Ausbildungsplatz gewartet habe, führe nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs eine daneben aufgenommene Vollzeiterwerbstätigkeit dazu, dass der Berücksichtigungstatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG ausgeschlossen werde mit der Folge, dass die während dieser Zeit erzielten Einkünfte und Bezüge bei der Prüfung, ob der (anteilige) Jahresgrenzbetrag überschritten werde, nicht einzubeziehen seien.

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Mit der Revision rügt die Familienkasse eine unzutreffende Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG und nimmt auf das Senatsurteil vom 17. Juni 2010 III R 34/09 (BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 982) Bezug.

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Sie beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

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Der Berücksichtigungstatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG sei nicht erfüllt. Im Übrigen sei auch keine typische Unterhaltssituation gegeben, wenn das Kind in einem Zeitraum von sieben Monaten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehe. Die während der Vollzeitbeschäftigung erzielten Einkünfte und Bezüge seien demnach nicht zu berücksichtigen.

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Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG, da dessen bisherige Feststellungen keine abschließende Entscheidung darüber ermöglichen, ob dem Kläger für die betreffenden Zeiträume Kindergeld für S zusteht (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

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Für ein über 18 Jahre altes Kind, das, wie S im Streitjahr 2009, das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG u.a. dann Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) oder eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG) und seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten Einkünfte und Bezüge 7.680 € im Kalenderjahr nicht übersteigen.

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a) In Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 17. Juni 2010 III R 49/09, BFH/NV 2010, 2244, m.w.N.).

11

Danach ist dem FG darin zu folgen, dass S in den Monaten Januar und Februar sowie September bis Dezember 2009, in denen er die Technikerschule besuchte, i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für einen Beruf ausgebildet wurde. Darüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.

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b) Das FG hat jedoch aufgrund der getroffenen Feststellungen zu Unrecht in Zweifel gezogen, dass S vom 13. Februar bis zum 14. September 2009 i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG auf einen Ausbildungsplatz gewartet hat.

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Ein Kind kann auch dann eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen, wenn ihm ein Ausbildungsplatz bereits zugesagt wurde, es diesen aber aus schul-, studien- oder betriebsorganisatorischen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt antreten kann (z.B. Senatsurteil in BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 982). So verhält es sich hier. Mit seinem Ausscheiden aus der Technikerschule am 13. Februar 2009 hatte S zugleich die Wiederaufnahme für das darauffolgende Schuljahr, dem nächstmöglichen Ausbildungsbeginn, beantragt. Welche Gründe für das Nichtbestehen der Probezeit und die darauf beruhende Unterbrechung der Ausbildung am 13. Februar 2009 bestimmend waren, kann dahinstehen. Denn das FG hat keine Tatsachen festgestellt, die die Annahme zuließen, S sei im Zeitpunkt seiner Bewerbung nicht ernsthaft an einem Neubeginn oder einer Fortsetzung seiner Ausbildung an der Technikerschule zum nächstmöglichen Zeitpunkt interessiert gewesen. Einem solchen Interesse steht auch die zwischenzeitliche Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit nicht entgegen.

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c) Entgegen der Auffassung des FG wird der Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht durch eine während der Wartezeit ausgeübte Vollzeiterwerbstätigkeit ausgeschlossen. Insoweit verweist der Senat zur weiteren Begründung auf sein Urteil in BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 982. Danach steht die Vollzeiterwerbstätigkeit des S seiner Berücksichtigung als Kind i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht entgegen mit der Folge, dass er während des gesamten Jahres einen Begünstigungstatbestand erfüllt hat.

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d) Bei der Frage, ob der Grenzbetrag überschritten ist, sind daher die gesamten Einkünfte und Bezüge des Jahres 2009 einzubeziehen. Das FG hat --aus seiner Sicht zu Recht-- bislang nicht geprüft, ob der danach zu berücksichtigende Jahresgrenzbetrag von 7.680 € überschritten wurde. Hiervon hängt ab, ob dem Kläger in den streitgegenständlichen Monaten tatsächlich ein Anspruch auf Kindergeld für S zusteht. Dem FG wird daher Gelegenheit gegeben, die erforderlichen Feststellungen nachzuholen.