Entscheidungsdatum: 04.03.2010
1. NV: Der Erwerb der ersten Musterberechtigung durch einen Verkehrsflugzeugsführer (Airline Transport Pilot License) gehört zu dessen Ausbildung .
2. NV: Übt der Verkehrsflugzeugführer in der Zeit, die er auf die Fortsetzung der Ausbildung durch Erwerb der Musterberechtigung wartet, eine Vollzeiterwerbstätigkeit aus, so steht dies seiner Berücksichtigung als Kind jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Jahresgrenzbetrag nicht überschritten wird .
I. Der im November 1982 geborene Sohn des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) begann im September 2003 bei der Luftfahrtgesellschaft X (X) eine Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer. Die Prüfung (Airline Transport Pilot License --ATPL--) bestand er im Juni 2005. Vom 1. September 2005 bis Juni 2006 arbeitete er als vollzeitbeschäftigter Rettungssanitäter. Er erzielte 2005 einen Bruttoarbeitslohn von 8.445,38 €. Nach der Lohnsteuerbescheinigung belief sich der Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag auf 1.066,90 €, der Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Rentenversicherung auf 881,97 €.
Erst nachdem bei der X Bedarf an Copiloten entstanden war, wurde dem Sohn angeboten, von Juli bis Oktober 2006 die Musterberechtigung für den Flugzeugtyp Z (sog. Type Rating) zu erwerben. Die Musterberechtigung ist Voraussetzung dafür, auf einem bestimmten Flugzeugtyp als Pilot eingesetzt zu werden. Seit dem 1. Dezember 2006 ist der Sohn des Klägers für die X als Pilot tätig.
Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) hob die Festsetzung des Kindergeldes durch Bescheid vom 3. Juli 2006 ab Januar 2005 auf. Auf den Einspruch des Klägers beschränkte die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 23. Oktober 2006 die Aufhebung auf den Zeitraum ab Juli 2005.
Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Festsetzung von Kindergeld für den Zeitraum Juli 2005 bis November 2006. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte aus, der Sohn habe sich seit Juli 2005 nicht mehr in Ausbildung befunden, sondern eine Vollzeiterwerbstätigkeit ausgeübt. Er könne auch nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes i.d.F. für 2005 (EStG) als Kind berücksichtigt werden, da die Übergangszeit zwischen beiden Ausbildungen oder Ausbildungsabschnitten mehr als vier Monate gedauert habe. Bei einer Übergangszeit von mehr als vier Monaten bestehe nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. Juli 2003 VIII R 78/99 (BFHE 203, 90, BStBl II 2003, 841) auch für die ersten vier Monate kein Anspruch auf Kindergeld.
Seine nur die Monate Juli bis Dezember 2005 betreffende Revision begründet der Kläger damit, dass die Ausbildung erst mit dem Erwerb des Type Rating geendet habe, weil sein Sohn vorher nicht in das Berufsleben habe eintreten können.
Der Kläger beantragt, das FG-Urteil sowie den Aufhebungsbescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, für den Zeitraum Juli bis Dezember 2005 Kindergeld festzusetzen.
Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie meint, die Ausbildung des Sohnes sei mit dem Erwerb des Luftfahrscheins für Verkehrsflugzeugführer im Juni 2005 abgeschlossen worden. Für eine Einstellung bei einer Fluggesellschaft wie der X sei zwar ein Type Rating für einen bestimmten Flugzeugtyp unerlässlich, weil anderenfalls nur einmotorige kolbengetriebene Flugzeuge geführt werden dürften. Dies habe aber mit der eigentlichen Ausbildung zum Piloten nichts zu tun. Jeder Einsatz auf einem anderen Flugzeugtyp erfordere eine weitere Musterberechtigung, die aber nicht als Ausbildung, sondern als Fortbildung oder als Einweisung am Arbeitsplatz anzusehen sei.
II. Die Revision ist begründet, die Familienkasse wird verpflichtet, Kindergeld für den Sohn des Klägers von Juli bis Dezember 2005 festzusetzen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Für ein über 18 Jahre altes Kind, das eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann und das 27. --seit 2007: das 25.-- Lebensjahr noch nicht vollendet hat, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG Anspruch auf Kindergeld, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) nicht übersteigen.
a) In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 9. Juni 1999 VI R 33/98, BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701; vom 24. Juni 2004 III R 3/03, BFHE 206, 413, BStBl II 2006, 294).
Eine Ausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG wird in der Regel mit einer Prüfung abgeschlossen. Die Berufsausbildung umfasst aber nicht nur Ausbildungsmaßnahmen, die erforderlich sind, um die Mindestvoraussetzungen für die Ausübung des gewählten Berufs zu erfüllen, sondern auch solche, die geeignet sind, die berufliche Stellung des Kindes zu verbessern (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 16. März 2004 VIII R 65/03, BFH/NV 2004, 1522, und in BFHE 206, 413, BStBl II 2006, 294; Senatsbeschluss vom 19. September 2008 III B 102/07, BFH/NV 2009, 16). Danach kann sich ein Kind auch dann in Berufsausbildung befinden, wenn es nach erfolgreicher Absolvierung einer zur Berufsausübung berechtigenden Ausbildung zusätzliche Qualifikationen erwirbt, sofern diese als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind und das Kind seine Weiterqualifizierung ernsthaft und nachhaltig betreibt. Der BFH hat daher ein Studium nach einer Lehre, ein Zusatzstudium mit dem Ziel "Master of Laws (LLM)" nach bestandenem Staatsexamen (BFH-Urteil vom 14. November 2000 VI R 128/00, BFHE 193, 457, BStBl II 2001, 495) und die gegen geringe Entlohnung ausgeübte Volontärtätigkeit einer Wirtschaftsassistentin (BFH-Urteil vom 9. Juni 1999 VI R 50/98, BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706) als Ausbildung angesehen. Der Begriff der Ausbildung für einen Beruf i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ist daher weiter als der Begriff der Berufsausbildung i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG; die dort bedeutsame Abgrenzung zwischen Ausbildungs- und Fortbildungskosten (vgl. Schmidt/Heinicke, EStG, 28. Aufl., § 10 Rz 122) ist für § 32 EStG nicht maßgeblich.
Der Erwerb des ersten Type Ratings gehörte danach zur Ausbildung des Sohnes als Verkehrsflugzeugführer, da ohne eine Musterberechtigung kein gängiges Verkehrsflugzeug geflogen werden darf und die Anstellung bei einer Luftfahrtgesellschaft --hier der X- dann praktisch ausgeschlossen wäre. Ob die Erlangung der Musterberechtigung im Streitfall auch deshalb zur Ausbildung gehörte, weil sie im Ausbildungsvertrag mit der X vorgesehen war und ob bzw. unter welchen Voraussetzungen der spätere Erwerb weiterer Musterberechtigungen für andere Flugzeugtypen auch als Ausbildung angesehen werden kann, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden.
b) Der Sohn des Klägers war im streitigen Zeitraum Juli bis Dezember 2005 an der Fortsetzung seiner Ausbildung gehindert, da der Erwerb der Musterberechtigung zu seiner Ausbildung gehörte und mangels Bedarfs der X erst ein Jahr nach Bestehen der Prüfung als Verkehrsflugzeugführer begann. Wegen der Zusage der X zur weiteren Ausbildung ist er nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen. Dem steht nicht entgegen, dass die Wartezeit mehr als vier Monate betrug, denn die Viermonatsfrist des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG hat auf § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG keinen restriktiven Einfluss (BFH-Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 77/00, BFHE 203, 98, BStBl II 2003, 845).
c) Die Tätigkeit als Rettungssanitäter steht der Berücksichtigung als Kind nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht entgegen.
Eine Vollzeiterwerbstätigkeit in der Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG) und während des Wartens auf einen Ausbildungsplatz (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG) schloss nach früherer Rechtsprechung eine Berücksichtigung als Kind aus (BFH-Urteile vom 19. Oktober 2001 VI R 39/00, BFHE 197, 92, BStBl II 2002, 481; vom 14. Mai 2002 VIII R 83/98, BFH/NV 2002, 1551; Senatsurteile vom 15. September 2005 III R 67/04, BFHE 211, 452, BStBl II 2006, 305; vom 23. Februar 2006 III R 46/05, BFHE 212, 486, BStBl II 2008, 704; vom 20. Juli 2006 III R 58/05, BFH/NV 2006, 2249). Nach dem Senatsurteil vom 16. November 2006 III R 15/06 (BFHE 216, 74, BStBl II 2008, 56) besteht aber jedenfalls dann ein Anspruch auf Kindergeld, wenn der --ggf. anteilige-- Jahresgrenzbetrag wie hier trotz der Vollzeitbeschäftigung nicht überschritten wird.
2. Die Einkünfte und Bezüge des Sohnes haben den Jahresgrenzbetrag von 7.680 € im Streitjahr 2005 nicht überstiegen (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).
Der Sohn war im gesamten Jahr 2005 zu berücksichtigen, nämlich von Januar bis Juni 2005 wegen seiner Ausbildung und von Juli bis Dezember 2005 wegen der fehlenden Möglichkeit zu deren Fortsetzung. Einkünfte und Bezüge sind während des Vorliegens aller Berücksichtigungstatbestände nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG zusammen zu betrachten. Den sich danach ergebenden --vollen-- Jahresgrenzbetrag von 7.680 € erreichen die Einkünfte und Bezüge des Sohnes nicht (Bruttoarbeitslohn 8.445,38 € - Arbeitnehmer-Pauschbetrag 920 € - Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag 1.066,90 € - Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Rentenversicherung 881,97 € = 5.576,51 €).