Entscheidungsdatum: 26.06.2014
Unterlässt es ein Kindergeldberechtigter, der fortlaufend Kindergeld bezieht, der Familienkasse den Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen mitzuteilen und begeht er dadurch eine Steuerordnungswidrigkeit, so kann die Festsetzung des Kindergeldes nachträglich aufgehoben werden. Dabei ist der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 7 AO bis zum Eintritt der Verfolgungsverjährung, die erst mit der letztmals zu Unrecht erlangten Kindergeldzahlung beginnt, gehemmt .
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bezog aufgrund eines Festsetzungsbescheids vom 17. Februar 2000 Kindergeld für seine Tochter. Ab August 2001 lebte er mit ihr in Spanien, wobei er in der Bundesrepublik Deutschland zunächst noch seine inländische Wohnung beibehielt. Zum 1. Juni 2004 meldete er sich nach Spanien ab, ohne dies der Beklagten und Revisionsklägerin (Familienkasse) mitzuteilen. In der Folgezeit begründete er im Inland weder einen neuen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt. Hiervon erfuhr die Familienkasse erst im Februar 2011. Sie stellte die Zahlungen ein und hob mit Bescheid vom 8. November 2011 die Kindergeldfestsetzung rückwirkend ab August 2001 nach § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf.
Die hiergegen unmittelbar erhobene Klage wurde als Einspruch an die Familienkasse zurückgegeben und von dieser mit Einspruchsentscheidung vom 13. März 2012 als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen erhob der Kläger erneut Klage. In der Folgezeit beschränkte die Familienkasse die Aufhebung mit Bescheid vom 19. Juli 2012 auf den Zeitraum Juni 2004 bis Februar 2011. Der Kläger nahm die Klage für den Zeitraum Januar 2006 bis Februar 2011 zurück, so dass nur noch die Aufhebung des Kindergeldes für den Zeitraum Juni 2004 bis Dezember 2005 strittig war.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 135 veröffentlichten Urteil vom 16. Oktober 2012 9 K 1226/12 statt. Es war der Ansicht, der Kläger sei ab Juni 2004 nicht mehr kindergeldberechtigt gewesen, weil er zuvor seinen Wohnsitz nach Spanien verlegt habe und auch keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nachgewiesen habe. Es liege eine leichtfertige Steuerverkürzung vor. Allerdings sei für den strittigen Zeitraum Verfolgungsverjährung und damit auch Festsetzungsverjährung eingetreten. Jede monatliche Auszahlung stelle eine eigenständige, beendete Tat dar. Der Fall könne nicht anders beurteilt werden als wenn für jeden Monat ein neuer Antrag auf Kindergeld gestellt und daraufhin das Kindergeld jeweils festgesetzt würde.
Die Familienkasse rügt mit ihrer Revision, das Urteil beruhe auf einer fehlerhaften Auslegung von § 171 Abs. 7 der Abgabenordnung (AO).
Die Familienkasse beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
II. Die Familienkasse ... der Bundesagentur für Arbeit ist aufgrund eines Organisationsaktes (Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit Nr. 21/2013 vom 18. April 2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Mai 2013, Seite 6 ff.) im Wege des gesetzlichen Parteiwechsels in die Beteiligtenstellung der Agentur für Arbeit ... – Familienkasse eingetreten (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22. August 2007 X R 2/04, BFHE 218, 533, BStBl II 2009, 109, unter II.1.).
III.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung). Die Familienkasse hat den angefochtenen Aufhebungsbescheid vom 8. November 2011 zu Recht erlassen.
1. Aufgrund der leichtfertigen Steuerverkürzung des Klägers lief die reguläre Festsetzungsfrist von vier Jahren nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nicht ab.
Nach den Feststellungen des FG bezog der Kläger das für den streitigen Zeitraum gezahlte Kindergeld zu Unrecht. Aufgrund der Aufgabe seines inländischen Wohnsitzes (§ 8 AO) und des Fehlens eines gewöhnlichen Aufenthalts im Inland (§ 9 AO) war er spätestens ab Juni 2004 nicht mehr anspruchsberechtigt (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Entgegen § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG unterließ es der Kläger, der Familienkasse seinen endgültigen Wegzug mitzuteilen. Damit ließ er die Familienkasse pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 378 Abs. 1 AO). Mit dem nach § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung gewährten Kindergeld erlangte der Kläger für sich einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil (§ 370 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 378 Abs. 1 AO). Die unterbliebene Mitteilung war ursächlich für die Auszahlung des Kindergeldes bis Februar 2011. Der Kläger handelte nach den unstrittigen Feststellungen des FG auch leichtfertig, so dass der Tatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 378 AO erfüllt ist.
2. Der Ablauf der Festsetzungsfrist war gehemmt, da die Verfolgung der vom Kläger begangenen Steuerordnungswidrigkeit noch nicht verjährt war.
a) Nach § 171 Abs. 7 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO endet die Festsetzungsfrist in Fällen der Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung nicht, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat oder der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist.
b) Die ordnungswidrigkeitenrechtliche Verfolgung leichtfertiger Steuerverkürzungen verjährt in fünf Jahren (§ 384 AO). Sie beginnt, sobald die Handlung beendet ist; tritt ein zum Tatbestand gehörender Erfolg erst später ein, so beginnt die Verjährung mit diesem Zeitpunkt (§ 31 Abs. 3 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten --OWiG--).
c) "Handlung" war im Streitfall das Unterlassen der Mitteilung an die Familienkasse über den Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen (vgl. § 8 OWiG), das für die Weitergewährung des Kindergeldes bis zur letztmaligen Zahlung im Februar 2011 kausal war. Der Erfolg der Handlung i.S. von § 31 Abs. 3 Satz 2 OWiG trat erst mit der letzten Auszahlung ein (s. Lindwurm, AO-Steuer-Berater 2012, 339).
d) Diese Sichtweise steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Gewährung fortlaufender Leistungen aufgrund einer (einzigen) betrügerischen Falscherklärung. Hiernach ist ein Betrug nach § 263 des Strafgesetzbuchs (StGB) erst mit der letzten Leistungsgewährung i.S. von § 78a Satz 2 StGB beendet (BGH-Urteil vom 25. Januar 1978 3 StR 412/77, BGHSt 27, 342, zum Rentenbetrug; BGH-Beschlüsse vom 2. Mai 2001 2 StR 149/01, Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht --wistra-- 2001, 339, zum BAföG-Betrug, und vom 21. Mai 2008 5 StR 93/08, wistra 2008, 348, zur Gewährung einer Subvention in mehreren Teilzahlungen; s.a. Fischer, Strafgesetzbuch, 61. Aufl., § 78a Rz 9; Schmid in Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, 12. Aufl., § 78a Rz 6; Sternberg-Lieben/Bosch in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Aufl., § 78a Rz 4).
e) Entgegen der Rechtsauffassung des FG stellt nicht jede monatliche Auszahlung eine beendete Ordnungswidrigkeit dar, was zur Folge hätte, dass mit der Beendigung auch die Verfolgungsverjährung begänne. Das FG leitet seine Ansicht aus dem im Kindergeldrecht geltenden Monatsprinzip des § 66 Abs. 2 EStG her, wonach das Kindergeld monatlich vom Beginn des Monats an gezahlt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Voraussetzungen wegfallen. Damit habe die Familienkasse grundsätzlich die Anspruchsvoraussetzungen für jeden Monat gesondert zu prüfen und über die Festsetzung zu entscheiden. Allerdings lässt das FG dabei außer Acht, dass nach § 31 Abs. 3 Satz 2 OWiG alle durch die Handlung bewirkten Erfolge zu berücksichtigen sind und sich der Erfolg der unterlassenen Mitteilung über die Aufgabe des inländischen Wohnsitzes nicht in der Auszahlung des Kindergeldes für den Monat erschöpft, für den es erstmals zu Unrecht ausgezahlt wurde. Vielmehr sind die Zahlungen für die Folgemonate weitere "Erfolge".
Der --hier vorliegende-- Fall der unterlassenen Mitteilung über den Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen kann auch nicht mit einem Fall gleichgesetzt werden, in dem für jeden Monat ein neuer Antrag gestellt wird, aufgrund dessen das Kindergeld jeweils neu festgesetzt wird. Denn mit einem neuen Antrag wird eine neue Erklärung über das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen abgegeben. Damit endet auch die Kausalität früherer Erklärungen für spätere Auszahlungen. Dagegen bleibt die einmal unterlassene Mitteilung über den Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen auch für nachfolgende Auszahlungen kausal.
3. Die Festsetzungsfrist war somit bei Erlass des Aufhebungsbescheids vom 8. November 2011 noch nicht abgelaufen.