Entscheidungsdatum: 21.01.2010
1. NV: Ein berufsspezifisches Praktikum setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass der Ausbildungscharakter im Vordergrund steht und es sich nicht lediglich um ein gering bezahltes Arbeitsverhältnis handelt.
2. NV: Eine unverbindliche Aussicht auf einen Ausbildungsplatz genügt nicht für die Anwendbarkeit des § 32 Abs. 4 Satz1 Nr. 2 Buchst. c EStG (Warten auf Ausbildungsplatz).
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) bezog für ihre am 1. Februar 1985 geborene Tochter (T) Kindergeld. Mit Bescheiden vom 16. Dezember 2004 hob die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) die Festsetzung des Kindergeldes für Februar bis August 2003 sowie ab November 2003 auf und forderte das gezahlte Kindergeld in Höhe von 1.078 € (Februar bis August 2003) und 1.386 € (November 2003 bis Juli 2004) zurück. Die Einsprüche der Klägerin wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidungen vom 6. und 7. April 2005 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus:
Für den Zeitraum Februar bis August 2003, in dem T in einem Friseursalon gearbeitet habe, stehe der Klägerin kein Kindergeld zu, weil T nicht für einen Beruf ausgebildet worden sei, sondern eine mehr als nur geringfügige Beschäftigung als Friseurgehilfin ausgeübt habe. Nach der Bescheinigung der Arbeitgeberin habe die wöchentliche Arbeitszeit 32 Stunden betragen und der monatliche Verdienst mehr als 400 €.
Ab November 2003 habe die Klägerin keinen Anspruch mehr auf Kindergeld, da T ab 27. Oktober 2003 nicht mehr als arbeitsuchend registriert gewesen sei. Sie habe sich zuletzt am 9. September 2003 bei der Arbeitsvermittlung arbeitslos gemeldet und sei trotz Aufforderung am 27. Oktober 2003 und danach nicht mehr erschienen. Ebenso wenig sei sie bei der Berufsberatung des Arbeitsamtes als Bewerberin geführt worden. Zwar sei am 8. August 2003 (von einer Tante der T) um einen Gesprächstermin für T gebeten worden, T habe diesen Termin am 15. Dezember 2003 jedoch ohne Begründung nicht wahrgenommen. Andere Nachweise darüber, dass T sich ernsthaft um eine Berufsausbildung bemüht habe, lägen nicht vor.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. T habe von Februar bis August 2003 kein als Berufsausbildung anzusehendes Praktikum absolviert. Für eine Berufsausbildung spreche zwar die Bescheinigung des Friseursalons vom 12. Mai 2003, nach der T vom 1. Dezember 2002 bis Juli 2004 ein Praktikum geleistet habe. Dagegen habe die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt, dass ihre Tochter im Zeitraum Februar bis August 2003 in einem Arbeitsverhältnis als Shampooneuse gestanden habe. Die als Zeugin vernommene T habe ausgesagt, sie habe in dem Friseursalon am 1. Dezember 2002 ein Praktikum von vier bis sechs Wochen begonnen. Das Praktikum sei daher auch nach Aussage von T spätestens Mitte Januar 2003 beendet gewesen. Ebenfalls für ein Arbeitsverhältnis spreche das der T am 25. März 2004 ausgestellte Zeugnis, in dem sie ausdrücklich als Friseurgehilfin bezeichnet und als Kündigungsgrund ein Kundenrückgang angegeben werde. Auch habe T im Einspruchsverfahren ausdrücklich bestätigt, dass sie keine Ausbildung absolviere, sondern einen festen Arbeitsplatz habe.
Entgegen der Ansicht der Klägerin habe die Familienkasse nicht wider besseres Wissen Kindergeld gezahlt und dieses dann treuwidrig zurückgefordert. Aufgrund der Praktikumsbescheinigung vom 12. Mai 2003 habe die Familienkasse von einer Berufsausbildung in Form eines Praktikums ausgehen können. Erst mit der Vorlage des Zeugnisses vom 25. März 2004 habe sie Zweifel an der Ausbildung haben müssen, was schließlich zur Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und Rückforderung des gezahlten Kindergeldes geführt habe.
Ab November 2003 sei T nicht mehr als Arbeitsuchende registriert gewesen. Zwar habe sie sich nach der Kündigung Ende August/Anfang September 2003 arbeitsuchend gemeldet. Die Erklärungen von T und der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, ihnen seien Einladungen des Arbeitsamtes zum 27. Oktober und 26. November 2003 nicht bekannt, würden durch die von der Familienkasse vorgelegte Kindergeldakte nicht bestätigt.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 Buchst. a und Buchst. c des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG) sowie einen Verfahrensverstoß gegen § 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Sie trägt im Wesentlichen vor:
Für Februar bis August 2003 bestehe ein Anspruch auf Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Nach den Grundsätzen der Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 9. Juni 1999 VI R 50/98 (BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706) und VI R 16/99 (BFHE 189, 113, BStBl II 1999, 713) sei die Tätigkeit von T als Praktikum und damit als Berufsausbildung zu beurteilen.
Nach den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 15. Juli 2003 VIII R 77/00 (BFHE 203, 98, BStBl II 2003, 845) seien auch die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG gegeben, da mit der Tätigkeit von T in dem Friseursalon die Erwartung verknüpft gewesen sei, eine Ausbildungsstelle zu bekommen. Sie habe sich daher ernsthaft um einen für sie objektiv geeigneten Arbeitsplatz bemüht.
Ab November 2003 sei T nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob sie nach dem 24. Oktober 2003 eine Einladung zu dem Vorstellungsgespräch am 26. November 2003 erhalten habe. Denn die Wirkung der Meldung eines Kindes als arbeitsuchend könne nicht durch einseitiges Verwaltungshandeln der Agentur für Arbeit erlöschen.
Im Übrigen werde ein Verstoß gegen § 76 Abs. 1 FGO gerügt. T habe bei ihrer Vernehmung als Zeugin erklärt, ihr sei kein Einladungsschreiben zugegangen. Die Agentur für Arbeit habe den Zugang nicht nachweisen können. Insoweit beruhe das Urteil des FG hinsichtlich des Zeitraums November 2003 bis Juli 2004 auf einem falschen Sachverhalt.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Bescheide der Familienkasse vom 16. Dezember 2004 sowie die Einspruchsentscheidungen vom 6. und 7. April 2005 aufzuheben.
Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision hat bezüglich des Kindergeldanspruchs für November 2003 Erfolg. Im Übrigen ist die Revision unbegründet.
1. Zeitraum Februar bis August 2003
a) Ein Anspruch auf Kindergeld gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG scheidet schon deshalb aus, weil T nicht beim Arbeitsamt als Arbeitsuchende gemeldet war.
b) Ein Anspruch gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG besteht nicht, weil T nicht für einen Beruf ausgebildet wurde.
In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 2. April 2009 III R 85/08, BFHE 224, 546, BStBl II 2010, 298, m.w.N.). Hierzu zählen auch berufsspezifische Praktika, z.B. ein Anwaltspraktikum eines Jurastudenten (BFH-Urteil in BFHE 189, 113, BStBl II 1999, 713) oder eine Volontärtätigkeit, die ausbildungswillige Kinder vor Annahme einer vollbezahlten Beschäftigung gegen geringe Entlohnung absolvieren (BFH-Urteil in BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706). Voraussetzung in diesen Fällen ist, dass der Ausbildungscharakter im Vordergrund steht und es sich nicht lediglich um ein gering bezahltes Arbeitsverhältnis handelt (BFH-Urteil in BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706, unter 2. der Gründe).
Das FG ist im Rahmen der Gesamtwürdigung unter Einbeziehung der Aussage der als Zeugin vernommenen T zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei der Tätigkeit der T als Friseurgehilfin nicht um ein Praktikum, sondern um ein gering bezahltes Arbeitsverhältnis als Shampooneuse gehandelt hat. Da die tatsächliche Würdigung des FG verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen ist und auch nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, ist sie für den BFH als Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 FGO bindend, selbst wenn die Wertung des FG nicht zwingend, sondern lediglich möglich ist (z.B. Senatsurteil vom 19. November 2008 III R 105/07, BFHE 223, 365, BFH/NV 2009, 638, unter II.2.).
c) Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG vor.
Danach besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein volljähriges, aber noch nicht 27 Jahre altes Kind, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann. Hierbei ist ein Kind nicht nur dann zu berücksichtigen, wenn es noch keinen Ausbildungsplatz gefunden hat, sondern auch dann, wenn ihm ein Ausbildungsplatz bereits zugesagt wurde, es diesen aber aus schul-, studien- oder betriebsorganisatorischen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt antreten kann (BFH-Urteil in BFHE 203, 98, BStBl II 2003, 845).
Die Klägerin hat nicht nachgewiesen, dass sich T z.B. durch Bewerbungen ab Februar 2003 ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht hat oder sich bei der Ausbildungsvermittlung des Arbeitsamtes (seit 1. Januar 2004 Agentur für Arbeit) als Ausbildungsuchende gemeldet hat (vgl. Senatsurteil vom 19. Juni 2008 III R 66/05, BFHE 222, 343, BStBl II 2009, 1005). Die Klägerin hat auch nicht nachgewiesen, dass T während ihrer Tätigkeit als Friseurgehilfin eine Zusage auf spätere Übernahme in ein Ausbildungsdienstverhältnis von ihrer Arbeitgeberin erhalten hat. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 14. September 2006 hat T auf Vorhalt des Gerichts erklärt, dass sie nach Ablauf des Praktikums Mitte Januar 2003 eine ca. sechsmonatige Probezeit habe absolvieren sollen. Ihre Chefin habe dann gewollt, dass sie richtig bei ihr arbeiten solle. Erst anschließend habe sie eine Lehre machen sollen.
Eine unverbindliche Aussicht auf einen Ausbildungsplatz genügt jedoch nicht für die Anwendbarkeit des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG. T hätte sich bei dieser unsicheren Situation auch um andere Ausbildungsplätze bemühen müssen.
d) Da die Kindergeldfestsetzung für die Monate Februar bis August 2003 gemäß § 70 Abs. 2 EStG aufgehoben wurde, hat die Klägerin das Kindergeld ohne rechtlichen Grund erhalten und es deshalb gemäß § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung zu erstatten. Der Rückforderung des Kindergeldes steht der Grundsatz von Treu und Glauben schon deshalb nicht entgegen, weil die Familienkasse frühestens mit der Vorlage des Zeugnisses von der Arbeitgeberin für T vom 25. März 2004 Kenntnis davon erlangt hat, dass es sich nicht um ein berufsspezifisches Praktikum gehandelt hat.
Im Übrigen hindert der Grundsatz von Treu und Glauben nach ständiger Rechtsprechung des BFH die Rückforderung zuviel gezahlten Kindergeldes nicht schon dann, wenn die Familienkasse trotz Kenntnis von Umständen, die zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führen, zunächst weiterhin Leistungen erbracht hat. Erforderlich sind vielmehr besondere Umstände, die die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheinen lassen (BFH-Urteil vom 14. Oktober 2003 VIII R 56/01, BFHE 203, 472, BStBl II 2004, 123).
2. Zeitraum November 2003 bis Juli 2004
a) November 2003
Für den Monat November 2003 besteht gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG ein Kindergeldanspruch. Nach ständiger Rechtsprechung wirkt die Meldung eines volljährigen, aber noch nicht 21 Jahre alten arbeitslosen Kindes als arbeitsuchend bei der Arbeitsvermittlung des Arbeitsamtes für drei Monate fort (Senatsurteil vom 19. Juni 2008 III R 68/05, BFHE 222, 349, BStBl II 2009, 1008).
Nach den Feststellungen des FG hat sich T Anfang September 2003 zuletzt arbeitslos gemeldet. Danach besteht der Kindergeldanspruch bis einschließlich November 2003.
b) Dezember 2003 bis Juli 2004
Die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG liegen nicht vor. Entgegen der Auffassung der Klägerin muss sich das Kind nach Ablauf der Drei-Monats-Frist erneut als Arbeitsuchender melden, da sonst der Kindergeldanspruch entfällt. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf das Senatsurteil in BFHE 222, 349, BStBl II 2009, 1008 verwiesen.
Es kann offen bleiben, ob T von dem vom Arbeitsamt für den 26. November 2003 anberaumten Vorsprachetermin Kenntnis erlangt hat, jedenfalls hat die Klägerin nicht behauptet oder gar nachgewiesen, dass sich T im Streitzeitraum erneut als Arbeitsuchende beim Arbeitsamt gemeldet hat. Insoweit geht auch die Verfahrensrüge wegen Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 FGO) ins Leere.