Entscheidungsdatum: 31.05.2011
1. NV: Die Revision ist nicht zuzulassen, wenn sich der Kläger gegen die Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung des Splittingtarifs auf nicht dauernd getrennt lebende unbeschränkt steuerpflichtige Ehegatten sowie verwitwete Steuerpflichtige wendet (dazu Senatsbeschluss vom 20. September 2002 III B 40/02, BFH/NV 2003, 157), der Rechtsstreit aber die Anwendung des Splittingtarifs aus Billigkeitsgründen betrifft und sachliche oder persönliche Billigkeitsgründe fehlen .
2. NV: Den Berufsrichtern fehlte es nicht an der richterlichen Unabhängigkeit, weil das FG dem Bayerischen Staatsministerium der Finanzen zugeordnet ist .
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) lebte seit März oder November 1993 von seiner Ehefrau getrennt, bei der sich auch die beiden gemeinsamen Kinder befanden. Im Mai 1995 wurde die Ehe geschieden. Gegen den Einkommensteuerbescheid für 1994, in dem der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Einkommensteuer nach der Grundtabelle festsetzte, legte der Kläger Einspruch ein und machte u.a. geltend, dass die Einkommensteuer aus Billigkeitsgründen nach § 163 der Abgabenordnung (AO) nach der Splittingtabelle festzusetzen sei. Zur Begründung bezog er sich auf eine gegenüber dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages abgegebene Stellungnahme, die eine steuerliche Gleichstellung sog. Halbfamilien mit intakten Familien befürwortete.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, das FA habe die abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen ermessensfehlerfrei abgelehnt. Persönliche Billigkeitsgründe seien nicht zu berücksichtigen, weil der Kläger sie erstmals im finanzgerichtlichen Verfahren angedeutet habe. Eine sachliche Unbilligkeit liege nicht vor, da die Versagung der Anwendung des Splittingtarifs weder dem Zweck der einschlägigen Regelungen des Einkommensteuergesetzes (EStG) noch verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen widerspreche.
Mit seiner gegen die Nichtzulassung der Revision gerichteten Beschwerde trägt der Kläger vor, das FG-Urteil beruhe auf Verfahrensfehlern. Nach jahrelanger Verschleppung des Verfahrens durch das FA habe das FG völlig überraschend am 7. April 2010 Termin zur mündlichen Verhandlung am 28. April 2010 anberaumt und dadurch das rechtliche Gehör versagt. Sein Urteil beruhe möglicherweise auch darauf, dass das FG statt seines auf das Streitjahr 1994 bezogenen Antrags einen auf das Jahr 2004 bezogenen Antrag protokolliert und im Urteil wiedergegeben habe; demnach hätten die Ehegatten bereits mehr als zehn Jahre getrennt gelebt. Das FG habe den Sachverhalt nicht zahlenmäßig erforscht und dadurch übersehen, dass er --der Kläger-- für ehe- und familienbedingte Kosten 11.750 DM aus versteuertem Einkommen habe aufbringen müssen. Das FG habe in verfahrensfehlerhafter Weise auch übersehen, dass er bereits im Jahr 2008 einen Antrag nach § 163 AO auf nachträgliche Berücksichtigung des Baukindergeldes gestellt habe.
Das FG spreche von einem Splittingvorteil, dies sei erschreckend. In verfassungsrechtlicher Sicht sei zu beanstanden, dass das FG dem Bayerischen Staatsministerium der Finanzen unterstehe, dies stelle die im Grundgesetz (GG) normierte Gewaltenteilung in Frage.
Der Streitfall ermögliche es dem Bundesfinanzhof (BFH), für Einzelfallgerechtigkeit zu sorgen. Der Gesetzgeber habe zudem nicht berücksichtigt, dass Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz des GG stünden und die durch die Ehe ausgelöste Wirtschaftsgemeinschaft erst mit deren Auflösung sowie der Einschränkung des nachehelichen Unterhaltes ende. Wegen ernsthafter Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des sofortigen Wegfalls des Splittingtarifs im Falle der Trennung von Ehegatten sei der Sachverhalt dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorzulegen.
II. Die Beschwerde ist unzulässig und wird durch Beschluss verworfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Kläger hat keine Revisionszulassungsgründe in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise dargelegt.
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), denn die Frage, ob bzw. für wie viele Veranlagungszeiträume Eheleuten nach ihrer dauernden Trennung aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Einkommensteuerveranlagung nach dem Splittingtarif ermöglicht werden muss, wäre in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich und könnte daher nicht geklärt werden (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 30). Die Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung des Splittingtarifs auf nicht dauernd getrennt lebende unbeschränkt steuerpflichtige Ehegatten sowie verwitwete Steuerpflichtige (vgl. § 32a Abs. 5 und Abs. 6 EStG) wäre in einem die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung betreffenden Verfahren zu prüfen. Im Falle der Revisionszulassung wäre aber stattdessen zu entscheiden, ob die Anwendung des Splittingtarifs aus Billigkeitsgründen geboten wäre. Besonderheiten des Streitfalles, die es als denkbar erscheinen lassen, dass die Steuererhebung nach dem Grundtarif den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Einzelfall zuwiderläuft (sachliche Unbilligkeit, vgl. Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 163 Rz 32) oder aus denen sich eine Erlassbedürftigkeit ergibt (persönliche Billigkeitsgründe, vgl. Klein/Rüsken, a.a.O., § 163 Rz 84 ff.), sind indessen weder ersichtlich noch vom Kläger vorgetragen worden. Dessen Vortrag zum grundgesetzlichen Schutz der Ehe und zu der nach einer Trennung andauernden Wirtschaftsgemeinschaft von Eheleuten bezieht sich nicht auf seinen Einzelfall, sondern auf den dem Gesetzgeber bekannten "Normalfall". Der Gesetzgeber hat insoweit den --vom BVerfG in seinem Beschluss vom 7. Oktober 2003 1 BvR 246/93, 1 BvR 2298/94 (BVerfGE 108, 351, BFH/NV 2004, Beilage 1, 84) so bezeichneten-- Splittingvorteil auf zusammenlebende Ehegatten beschränkt und der mit dem Wegfall des Splittingvorteils durch einen Unterhaltsanspruch des getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten eintretenden Belastung des Unterhaltspflichtigen steuerlich durch die Möglichkeit des Realsplittings (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG) Rechnung getragen; darüber hinaus können Unterhaltszahlungen an den getrennt lebenden Ehegatten unter den Voraussetzungen des § 33a Abs. 1 EStG als außergewöhnliche Belastung abgezogen werden.
Der Kläger hat den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO darüber hinaus auch deshalb nicht genügt, weil er sich nicht mit dem --auch im FG-Urteil zitierten-- Senatsbeschluss vom 20. September 2002 III B 40/02 (BFH/NV 2003, 157) auseinandergesetzt hat, wonach die das Splittingverfahren rechtfertigenden verfassungsrechtlichen Gründe auf getrennt lebende oder geschiedene Ehegatten nicht übertragen werden können.
2. Das FG-Urteil beruht auch nicht auf Verfahrensfehlern (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
a) Mit der Ladung vom 7. April 2010 zur mündlichen Verhandlung am 28. April 2010 hat das FG die zweiwöchige Ladungsfrist eingehalten (§ 91 Abs. 1 FGO). Soweit der Kläger eine in der kurzfristigen Terminierung und Ladung liegende Verletzung rechtlichen Gehörs rügt (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO), hat er im Übrigen schon nicht dargelegt, was er im Falle einer längeren Vorbereitungszeit noch vorgetragen hätte und dass die Entscheidung bei Berücksichtigung dieses Vorbringens anders hätte ausfallen können.
b) Der Kläger hat auch nicht dargelegt, dass das FG den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt hat (§ 76 Abs. 1 FGO). Dem Rubrum und dem Tatbestand des FG-Urteils ist zu entnehmen, dass der Kläger und seine Ehefrau sich 1993 getrennt haben, 1995 geschieden wurden, der Rechtsstreit die Ablehnung der Herabsetzung der am 8. Januar 1997 für 1994 festgesetzten Einkommensteuer betrifft und der Kläger im Streitjahr verheiratet war. Ungeachtet des auf das Jahr 2004 bezogenen und damit unrichtig protokollierten und im angefochtenen Urteil wiedergegebenen Antrags in der mündlichen Verhandlung ist es daher ausgeschlossen, dass das FG angenommen haben könnte, dass die Trennung im Streitjahr bereits zehn Jahre bestanden habe. Ob das offenkundig fehlerhaft angegebene Kalenderjahr auf einem falschen Diktat oder einem Schreibfehler beruht, ist insoweit ohne Bedeutung.
c) Soweit der Kläger rügt, das FG habe außer Acht gelassen, dass ihm aus versteuertem Einkommen zu tragende ehe- und familienbedingte Kosten in Höhe von 11.750 DM entstanden seien, wendet er sich gegen die materielle Richtigkeit des FG-Urteils. Dies rechtfertigt die Zulassung der Revision bereits deshalb nicht, weil das Rechtsinstitut der Nichtzulassungsbeschwerde nicht dazu dient, allgemein die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile zu gewährleisten (z.B. BFH-Beschluss vom 14. September 2007 VIII B 20/07, BFH/NV 2008, 25).
d) Den Berufsrichtern fehlte es nicht an der richterlichen Unabhängigkeit, weil das FG dem Bayerischen Staatsministerium der Finanzen zugeordnet ist (vgl. BFH-Beschluss vom 20. November 1997 VI R 70/97, BFH/NV 1998, 609); das Gericht war daher nicht i.S. des § 119 Nr. 1 FGO unvorschriftsmäßig besetzt.
3. Das FG-Urteil ist antragsgemäß zu der Frage ergangen, ob das FA die abweichende Festsetzung der Einkommensteuer "im Billigkeitswege" zu Recht abgelehnt hat (§ 102 FGO). Über eine Ermäßigung der Einkommensteuer nach § 34f EStG hatte das FG daher nicht zu befinden. Sie wäre bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheides zu berücksichtigen; Billigkeitsgründe i.S. des § 163 AO hatte der Kläger insoweit auch nicht vorgetragen.